Digitale Partnerschaft von Maschinenbau und Anlagenbetreiber - Teil 2

Neue Potenziale nutzen

Nicht Wolke Sieben, sondern sich ergänzende Interessen vereint Maschinenbauer und Anlagenbetreiber, wenn sie sich für fortgeschrittene Digitalisierungsprojekte entscheiden. Im Industrial Internet of Things (IIoT) locken schließlich neue Effizienzziele und Business-Modelle. Spezialisten wie HMS Industrial Networks und dessen Solution Partner schaffen im Hintergrund die technischen Voraussetzungen dafür.
 Lösungen der HMS Solution Partner nutzen die Daten des Ewon-Flexy-Gateway z.B. für Visualisierung und weitere Datenauswertungen.
Lösungen der HMS Solution Partner nutzen die Daten des Ewon-Flexy-Gateway z.B. für Visualisierung und weitere Datenauswertungen.Bild: HMS Industrial Networks GmbH

Als eine Einsteigeranwendung der Digitalisierung wurde im ersten Teil dieses Fachbeitrags das Erfassen des Ist-Zustands von Anlagen vorgestellt. Mit Condition Monitoring ist Transparenz unabhängig vom Aufstellort der Anlagen oder dem Aufenthaltsort von Produktionsverantwortlichen umfassend gegeben. Auch Alarmfunktionen und erste Anlagenvergleiche sind in Reichweite. Als erster Schritt wurde die Fernwartung eingeführt, um Anlagenstillstände im Zusammenspiel mit Servicemitarbeitern des Maschinenbauers zeitnah zu beheben. Diese Maßnahmen bringen die Gesamtanlageneffizienz (OEE) bereits auf ein neues Level.

Die vorbeugende Wartung – Predictive Maintenance – ist ein Paradebeispiel für das nächste Level der Digitalisierung: vom reaktiven zum proaktiven Service. Droht eine Komponente auszufallen, wird dies so frühzeitig erkannt, dass sich ein ungeplanter Anlagenstillstand vermeiden lässt. Dazu werden z.B. aus Sensoren Temperaturwerte oder aus Steuerungen die Leistungsaufnahme von Motoren ausgelesen und deren Verlauf analysiert. Verschleißteile werden rechtzeitig und rein nach Bedarf getauscht. Wartungstermine sind endlich bedarfsabhängig planbar.

Auch komplexe Fehleranalysen gelingen auf der Basis von aufgezeichneten, historischen Daten. Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Ein Unternehmen aus der Prozesstechnik kam kritischen Temperaturen in einer Anlage auf die Schliche, die nur an wenigen Tagen im Jahr auftraten. Der variierende Lichteinfall je nach Sonnenstand und Wetter reichte aus, um in dieser Fertigung zwar nur selten, aber doch wiederkehrende Probleme zu verursachen.

 Das Anwendungsspektrum der Ewon-Lösung von HMS ist vielfältig.
Das Anwendungsspektrum der Ewon-Lösung von HMS ist vielfältig. Bild: HMS Industrial Networks GmbH

Gateways und Datenspeicherung

Doch wie gelingen solche Analysen und Fortschritte? Über das Speichern von in den Anlagen gewonnen Daten und dem Analysieren von Zusammenhängen und Trends. Aus dieser Datenhistorie eröffnen sich neue Vorteile – sowohl auf Anwender- als auch auf Anbieterseite. Wobei hier bereits ein Zeitraum ab zwei Monaten aufwärts gemeint ist, ab dem sich erste aussagekräftige Einblicke in Maschinen und Prozesse generieren lassen.

Die Voraussetzungen dazu schafft ein Maschinenbauer gemeinsam mit einem Data-Scientisten, dem Domainexperten des Maschinenbauers und den Solution Partnern von HMS. Domänenwissen muss auf Software-Expertise treffen, um den Datenschatz heben zu können. Technische Voraussetzung auf der Feldebene: Wie bereits bei den Basisanwendungen der Digitalisierung sind auch hier die Maschinen mit den Ewon-Flexy-Gateways von HMS ausgerüstet. Sie sind darauf ausgelegt, Daten aus unterschiedlichen Sensoren und Maschinensteuerungen auszulesen. Die Gateways schicken die Daten über unterschiedliche Wege an die IIoT-Plattform oder ein beliebiges Zielsystem. Meist sind es die Maschinenbauer, die diesen Service den Anlagenbetreibern anbieten. Die Lösung eignet sich nicht nur für Greenfield-Anwendungen, sondern insbesondere für Bestandsanlagen in Retrofit-Szenarien.

 Die Ewon-Flexy-Gateways stellen relevante Daten für weitere Auswertungen zur Verfügung
Die Ewon-Flexy-Gateways stellen relevante Daten für weitere Auswertungen zur VerfügungBild: HMS Industrial Networks GmbH

Effizienz, Produkt- und Anlagenqualität

Maschinenbauer profitieren ihrerseits, indem sie z.B. wertvolle Informationen über ihre Anlagen gewinnen. Darin zeigt sich, wie zuverlässig Maschinen funktionieren und an welchen Stellen konstruktive Änderungen Qualitätsverbesserungen ergeben. Solch systematisches Feedback kann letztlich nur die Digitalisierung leisten. Nur so können sie ihren Kunden auch Predictive Maintenance als Serviceleistung anbieten.

Genauso kann der Anlagenbetreiber auf Basis von gespeicherten historischen Daten seine Effizienz steigern und seine Produktqualität verbessern. Einem Walzwerk ist es etwa gelungen, aus einem so genannten Aluminium-Coil, dem Rohmaterial, acht Kilometer zusätzliche Alufolie auszuwalzen, allein indem die Fertigungsparameter auf Basis einer kontinuierlichen Datenanalyse angepasst wurden.

In der Lebensmittelproduktion sind die Umgebungsbedingungen oftmals ein kritischer Faktor für die Produktqualität. So sind bei der Teigherstellung u.a. Temperatur und die Luftfeuchtigkeit zu berücksichtigen. Treten hier Schwankungen auf, lässt sich z.B. das Anlagenrezept einer Knetmaschine in der Rührdauer und der -geschwindigkeit in Echtzeit anpassen – schneller als es über die Raumklimatisierung gelingen kann. Das setzt jedoch voraus, dass über die Zeit Erkenntnisse gewonnen wurden, wie die Daten aus der Anlage, die Metadaten und die Produktqualität miteinander zusammenhängen. Nur dann lassen sich die Anlagenparameter auf die aktuellen Daten aus der Umgebung kontinuierlich anpassen. Werden Maschinen und Anlagen wie im letztgenannten Beispiel als lernende Systeme begriffen, befindet man sich in einem nochmals weiter fortgeschrittenen Digitalisierungsstadium. Die Stichworte dazu lauten Machine Learning und Machine Teaching. Auch hier hat HMS mit Solution Partnern bereits Projekte zum Erfolg gebracht.

Digitale Geschäftsmodelle

Ergänzend zu den beschriebenen Leistungen, die ein Maschinenbauer seinen Kunden erschließen kann, bieten sich digital basierte Geschäftsmodelle an. Nur über die konsequente Digitalisierung werden die neuen Geschäftsmodelle wie Equipment as a Service oder auch Pay per Use überhaupt erst ermöglicht. Hierbei wird nicht die Maschine als Investitionsgut, sondern nur die Leistung der Maschine bezahlt. Je nach Use Case sind flexible Bezahlmodelle möglich.

Ein weiterer Aspekt der Digitalisierung adressiert aktuelle Herausforderungen der Arbeitsmärkte. Viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, geeignet qualifizierte Maschinenbediener zu finden oder zu binden. Digitales Wissensmanagement sorgt zunächst dafür, dass Knowhow im Unternehmen bleibt, auch wenn Mitarbeiter dieses verlassen. Zugleich können über den Remote-Zugang neue Servicemodule und Leistungen aufgebaut werden. Hier erhalten Anlagenbediener über Augmented-Reality-Lösungen (AR) visuell aufbereitete Handlungsanweisungen auf das Anlage-HMI oder ein Tablet – z.B. für den Austausch von Verschleißteilen. Gleichzeitig lässt sich ein Webshop des Maschinenbauers einbinden, der passende Bestellungen vorschlägt und aufnimmt.

Vertrauen vs. Absicherung

Doch bei aller Digitalisierungseuphorie und den vielen sich ergänzenden Interessen von Maschinenbau und Anlagenbetreiber muss auch auf ein kritisches Wettbewerbsszenario hingewiesen werden. Dazu ein weiteres Beispiel: Nehmen wir an, Automobilzulieferer A ist es gelungen, seine Produktion von Scheinwerferformen mittels Digitalisierung und verbesserter Parameter im Spritzguss effizienter zu gestalten. Automobilzulieferer B ist Wettbewerber von A und setzt die gleichen Spritzgussmaschinen ein. Bei Serviceeinsätzen bei A, die über eine Remote-Plattform durchgeführt werden, könnte der Spritzgussmaschinenhersteller möglicherweise Zugang zu den optimierten, wettbewerbsrelevanten Parametern von A erhalten.

Die Verfahrenstechnik ist ein gut behütetes Betriebsgeheimnis, das geschützt werden muss. Die Telemetriedaten, welche der Maschinenbauer vom Zulieferer A und B bekommt, helfen die Anlage ständig zu verbessern, was beiden Zulieferern, A und B, zugutekommt. Die Verfahrenstechnik von A und B muss hingegen geschützt werden und darf nicht auf digitalem Weg von A nach B oder umgekehrt geraten. Dieser Konstellation muss im Vorfeld Rechnung getragen werden. Welche Daten könnte und welche Daten darf ein Maschinenbau-Unternehmen über den Remote-Zugang erhalten? Welche Daten sind vertraulich zu behandeln? Fragen wie diese müssen geklärt werden, um mögliche Risiken abzuwenden. Die Umsetzung und Einhaltung dieser Richtlinien lässt sich digital über Fernzugriffe besser kontrollieren und steuern als bei einem Einsatz vor Ort, etwa über einen externen Service-PC.

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