Die Maschinenbauunternehmen befinden sich mit der Digitalisierung der Produktion in einem Umwälzungsprozess und mit ihnen die Automatisierungstechnik. Ursache und Wirkung sind hier manchmal schwer auseinander zu halten: Ist der Einzug der Informationstechnologien in die Automatisierung eine Folge der erhöhten Anforderungen der Produzenten oder ist die Entwicklung hin zur Losgröße 1 und somit zu neuen Absatzmodellen die Folge erweiterter Möglichkeiten? Fest steht, dass sich die Produktionswelt auf die Anforderungen einer individualisierten Konsumentenwelt einstellt und dass die Digitalisierung die Basis moderner Fertigungsmethoden stellt, die diese Anforderungen umzusetzen weiß. Im dritten Teil unseres Gesprächs mit dem Automatisierungsexperten und Unternehmensberater Wolfgang Blome von Blome + Partner loten wir die Folgen der Digitalisierung auf die Automatisierungstechnik aus. Dabei spielt die Forderung nach einem digitalen Zwilling eine zentrale Rolle.
Dekaden der Automatisierungstechnik
Blome beschreibt den Weg, den die Automatisierungstechnik bis heute gegangen ist wie folgt: „Man kann die Entwicklung der vergangenen dreißig Jahre grob unterteilen in ein Zeitalter der Hardware, ein Zeitalter des Engineerings und ein beginnendes Zeitalter vernetzter Systeme bei dem ein digitales Modell im Zentrum der Entwicklung stehen wird. Die ersten Jahrzehnte bis in die 2000er Jahre hinein waren geprägt von den – von Hersteller zu Hersteller – durchaus unterschiedlichen Fähigkeiten der Automatisierungs-Hardware, also von SPSen, Antrieben, Feldbussen und HMIs. Diese haben sich immer mehr angeglichen. Heute liegt der Unterschied der Systeme ganz klar in der Software, also im Engineeringsystem der Automatisierungsanbieter.“ Es stehe jedoch ein sich klar abzeichnender Paradigmenwechsel bevor, bei dem sich auch die Engineeringsysteme nicht mehr so wesentlich voneinander entscheiden werden. „So wie die Hardware der Automatisierungsanbieter immer ähnlicher geworden ist, werden sich mittelfristig auch die Fähigkeiten im Steuerungs- und Antriebs-Engineering nicht mehr so voneinander unterscheiden, dass sie das wesentliche Entscheidungskriterium sind“, erläutert Blome. Entscheidend werde hingegen die Fähigkeit sein, sich möglichst nahtlos in überlagerte Systeme – allen voran in PLM-Systeme – integrieren zu können.
Auf dem Weg zum digitalen Zwilling
„Letzten Endes bestimmt der Produkthersteller, wie eine Maschine auszusehen hat und wie sie funktioniert“, sagt Blome. „Die Produzenten stehen heute unter einem enormen globalen Wettbewerbsdruck. Zugleich sind die Produkte heute mehr denn je häufigen Änderungsprozessen über ihren Lebenszyklus unterworfen. Hersteller müssen daher alle Möglichkeiten nutzen, um kostensensibel zu produzieren.“ Blome ist überzeugt: „Viele Betreiber – insbesondere große Unternehmen – haben heute schon die Vorteile der digitalen Transformation erkannt und setzen große Hoffung auf sie.“ Sie bringe viele Vorteile beispielsweise hinsichtlich Produktionssimulation, Maintenance, Flexibilisierung, Modularisierung usw. „Dafür bedarf es eines digitalen Modells, man spricht hier vom digitalen Zwilling oder digitalem Klon, der für eine Maschine vorhanden sein muss. Auf Basis dieses digitalen Zwillings können die Fertiger Rüstzeiten simulieren, das Maintenance-Team durch Augmented Reality unterstützen oder Umbaumaßnahmen für eine Wiederverwendung planen.“ Basis eines solchen digitalen Zwillings ist laut Blome ein Product Lifecycle Management System (PLM). Die Vorteile für Fertiger schätzt Blome als sehr hoch ein: „Wir schätzen, dass sich allein die Rüstzeiten um bis zu 50% reduzieren lassen“, erläutert Blome. „Dieses Einsparpotenzial werden sich die Fertiger nicht entgehen lassen können“, prophezeit er. „Damit verschiebt sich die Wettbewerbsebene vom Automatisierungs-Engineering hin zum PLM, denn hier lebt der digitale Zwilling.“
Was muss der digitale Zwilling können?
Ein rein statisches 3D-Modell der Maschine reicht Blome jedoch nicht aus: „Natürlich kann man ein statisches Maschinenmodell auch als digitalen Zwilling bezeichnen. Das wird allerdings nicht ausreichen, um die Anforderungen der Produktionsunternehmen zu erfüllen: Der digitale Zwilling muss mit der Maschine mitleben. Ändert sich etwas in der Maschine, so ändert sich auch der digitale Zwilling. Auch die Simulation ist damit immer auf dem aktuellen Stand und muss nicht neu erstellt werden. Für solche Systeme gibt es heute nur ganz wenige Anbieter – und auch die haben keine vollständige Durchgängigkeit in ihrem System“, erklärt Blome. Man sehe jedoch schon deutlich, wo die Reise hingeht: „Auf Basis eines statischen 3D-Maschinenmodells entsteht ein bewegungsfähiges Modell der Maschine oder Anlage. Aus diesem werden dann automatisiert die Programme für die Automatisierungsgeräte, die Simulation usw. abgeleitet. Jeder Änderungsprozess findet wieder im PLM-Engineeringsystem statt, sodass reale und virtuelle Anlage immer identisch sind“, skizziert Blome die Umrisse zukünftiger Entwicklungssysteme.