Herausforderungen der Digitalisierung in der Produktion

Im Spannungsfeld von Theorie und Praxis

Egal ob IoT, durchgängige Vernetzung oder Standardisierung - im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung warten viele Herausforderungen auf die produzierende Industrie. Die Stuttgarter Innovationstage bieten seit vier Jahren dabei konkrete Hilfestellung - mit einem stimmigen Mix aus Theorie und Praxis. Entsprechende Lösungswege und Diskussionen zwischen Automatisierern, Maschinenbauern und Endanwendern sowie Anregungen zum Thechnologietransfer von der Forschung in die Praxis gab die 4. Veranstaltung am 3. und 4. März.
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„Wer nicht anfängt, der wird nicht fertig“, mit diesen Credo eröffnete Prof. Oliver Riedel die diesjährigen Stuttgarter Innovationstage. Damit zielte der Leiter des Instituts für Steuerungstechnik (ISW) der Uni Stuttgart weniger auf die Veranstaltung selbst ab, als vielmehr auf die Herausforderungen der digitalen Fabrik, mit denen sich die 4. Ausgabe der Konferenz wieder intensiv – vorausblickend aber auch praxisnah – beschäftigte. Als Abschlussveranstaltung des Forschungsprojekts Picasso mit der Kernfrage aus der Taufe gehoben, ob Steuerungstechnik aus der Cloud technologisch umsetzbar sei, geben die Innovationstage seit 2017 einen Überblick über den aktuellen Stand der digitalisierten Produktion. Entsprechend wurde auch dieses Mal wieder ein spannender Querschnitt durch die Themenbereiche des ISW präsentiert:

  • Software- und Engineeringmethoden
  • industrielle Steuerungstechnik
  • Echtzeitkommunikation und Steuerungshardware
  • Antriebssysteme und -regelung
  • mechatronische Systeme und Prozesse
  • virtuelle Methoden in der Produktionstechnik.

Auf die aktuellen Highlights aus der Forschung wurde im Rahmen der Fachvorträge ausführlich eingegangen. So etwa in der Keynote von Prof. Alexander Verl, ebenfalls Leiter des ISW.

 Als Leiter des ISW und Gastgeber der 4. Stuttgarter Innovationstage sind die Professoren Alexander Verl (l.) und Oliver Riedel mittendrin in den vielen verschiedenen Themen der digitalen Transformation in der Fertigungsindustrie.
Als Leiter des ISW und Gastgeber der 4. Stuttgarter Innovationstage sind die Professoren Alexander Verl (l.) und Oliver Riedel mittendrin in den vielen verschiedenen Themen der digitalen Transformation in der Fertigungsindustrie. Bild: TeDo Verlag GmbH

Software Defined Manufacturing

„Wo liegt der entscheidende Stellhebel der vierten industriellen Revolution? Ist es Robotik, Vernetzung, Autonomie?“, fragte Verl eingangs und beantwortete die Frage prompt: Die Software sei es – und zwar übergreifend. „Deshalb müssen wir auch die Automatisierung selbst automatisieren“, so Verl weiter und fordert die Etablierung des Software Defined Manucfacturing (SDM), also der softwaregetriebenen Fertigung. Dass die Software immer mehr Gewicht erhalte, während der Stellenwert der Hardware gleichzeitig zurückgehe, verdeutlichte Verl anhand der verschiedenen Entwicklungsstufen von der klassischen SPS bis hin zur autonomen Fabrik. Enabler für das SDM sind:

  • automatisiert generierte virtuelle Modelle, Methoden und Werkzeuge über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage
  • automatisiert generierter Steuerungscode
  • ein durchgehender digitaler Zwilling von der Komponente bis hin zur kompletten Fabrik und vom Engineering bis zum laufenden Betrieb
  • künstliche Intelligenz in der Produktionsautomatisierung

Anhand der Anforderungen des zu produzierenden Produkts lässt sich dann automatisch die Steuerungssoftware generieren und auf das physikalische Produktionsmittel laden. Somit wird die Funktionalität des Produktionsmittels dynamisch definiert.

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Konvergente Kommunikationsnetze

Ein weiterer zentraler Baustein für die Fabrik der Zukunft bilden konvergente Netze, wie der Vortrag von Florian Frick, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISW, aufzeigte.

Während IT- und Produktionsnetze historisch und technologisch bedingt bisher getrennt waren, muss in der modenen Fertigung eine durchgängige Sensor2Cloud-Kommunikation realisiert werden, auf einheitlicher Softwarebasis. Für diesen Anspruch stehen konvergente Netze. Zu den Schlüsseltechnologien zählt Frick nebem dem ISO/OSI-Schichtenmodell auch 5G, Ethernet TSN und OPC UA. Weitere relevante, aber heute noch nicht so stark diskutierte Technologien seien deterministisches WiFi, DetNet für die Echtzeitkommunikation auf IP-Ebene sowie Backbone-Netze. Mit diesen Themen und dem Aufbau entsprechender Strukturen sollten Unternehmen besser umgehend beginnen, forderte Frick abschließend mit Bezug auf das Eröffnungs-Credo von Prof. Verl.

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Dimension der Standardisierung

Ein spannendes Technologiethema steuerte Caren Dripke vom ISW in Gemeinschaft mit Götz Görisch vom VDW bei. Die OPC-UA-Kommunikationsschnittstelle Umati wird heute von allen Seiten in der Werkzeugmaschinenbranche akzeptiert und steht kurz vor dem finalen Release. Der Erfahrungsbericht der beiden Referenten zeigte aber deutlich, wie weit der Weg bis zum einheitlichen Informationsmodell für Werkzeugmaschinen war. Denn Standardisierung im Sinne von Umati bedeutet weit mehr, als die reine Einigung auf Schnittstellenparameter. Und so wurde das Projekt deutlich aufwändiger und zeitintensiver als gedacht, beginnend beim branchenweiten Abgleich der Begrifflichkeiten. Weitere Herausforderungen lagen in der Zusammensetzung des Kernprojektteams mit allen verfügbaren Technologien, dem Spagat zwischen Expertenwissen, Anwendungsfällen und den OPC-UA-Modellierungsoptionen oder die Anschlussfähigkeit innerhalb der Produktion. Auch die internationale Akzeptanz der aus Deutschland kommenden Initiative war längst nicht vom Start weg im Jahr 2017 gegeben. Im Sommer diesen Jahres soll die fertige Spezifikation veröffentlicht werden. OPC UA war auch das Kernthema von Peter Lutz. In seinem Vortrag stellte der Projektleiter der FLC-Initiative die Erweiterung von OPC UA in Richtung Feldebene. Diese wurde im vergangenen Jahr ins Leben gerufen – in Zusammenarbeit mit allen großen Steuerungsherstellern. Ein Novum in diesem bislang stark wettbewerbsgeprägten Marktsegment.

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