„Wer nicht anfängt, der wird nicht fertig“, mit diesen Credo eröffnete Prof. Oliver Riedel die diesjährigen Stuttgarter Innovationstage. Damit zielte der Leiter des Instituts für Steuerungstechnik (ISW) der Uni Stuttgart weniger auf die Veranstaltung selbst ab, als vielmehr auf die Herausforderungen der digitalen Fabrik, mit denen sich die 4. Ausgabe der Konferenz wieder intensiv – vorausblickend aber auch praxisnah – beschäftigte. Als Abschlussveranstaltung des Forschungsprojekts Picasso mit der Kernfrage aus der Taufe gehoben, ob Steuerungstechnik aus der Cloud technologisch umsetzbar sei, geben die Innovationstage seit 2017 einen Überblick über den aktuellen Stand der digitalisierten Produktion. Entsprechend wurde auch dieses Mal wieder ein spannender Querschnitt durch die Themenbereiche des ISW präsentiert:
- Software- und Engineeringmethoden
- industrielle Steuerungstechnik
- Echtzeitkommunikation und Steuerungshardware
- Antriebssysteme und -regelung
- mechatronische Systeme und Prozesse
- virtuelle Methoden in der Produktionstechnik.
Auf die aktuellen Highlights aus der Forschung wurde im Rahmen der Fachvorträge ausführlich eingegangen. So etwa in der Keynote von Prof. Alexander Verl, ebenfalls Leiter des ISW.
Software Defined Manufacturing
„Wo liegt der entscheidende Stellhebel der vierten industriellen Revolution? Ist es Robotik, Vernetzung, Autonomie?“, fragte Verl eingangs und beantwortete die Frage prompt: Die Software sei es – und zwar übergreifend. „Deshalb müssen wir auch die Automatisierung selbst automatisieren“, so Verl weiter und fordert die Etablierung des Software Defined Manucfacturing (SDM), also der softwaregetriebenen Fertigung. Dass die Software immer mehr Gewicht erhalte, während der Stellenwert der Hardware gleichzeitig zurückgehe, verdeutlichte Verl anhand der verschiedenen Entwicklungsstufen von der klassischen SPS bis hin zur autonomen Fabrik. Enabler für das SDM sind:
- automatisiert generierte virtuelle Modelle, Methoden und Werkzeuge über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage
- automatisiert generierter Steuerungscode
- ein durchgehender digitaler Zwilling von der Komponente bis hin zur kompletten Fabrik und vom Engineering bis zum laufenden Betrieb
- künstliche Intelligenz in der Produktionsautomatisierung
Anhand der Anforderungen des zu produzierenden Produkts lässt sich dann automatisch die Steuerungssoftware generieren und auf das physikalische Produktionsmittel laden. Somit wird die Funktionalität des Produktionsmittels dynamisch definiert.
Konvergente Kommunikationsnetze
Ein weiterer zentraler Baustein für die Fabrik der Zukunft bilden konvergente Netze, wie der Vortrag von Florian Frick, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISW, aufzeigte.
Während IT- und Produktionsnetze historisch und technologisch bedingt bisher getrennt waren, muss in der modenen Fertigung eine durchgängige Sensor2Cloud-Kommunikation realisiert werden, auf einheitlicher Softwarebasis. Für diesen Anspruch stehen konvergente Netze. Zu den Schlüsseltechnologien zählt Frick nebem dem ISO/OSI-Schichtenmodell auch 5G, Ethernet TSN und OPC UA. Weitere relevante, aber heute noch nicht so stark diskutierte Technologien seien deterministisches WiFi, DetNet für die Echtzeitkommunikation auf IP-Ebene sowie Backbone-Netze. Mit diesen Themen und dem Aufbau entsprechender Strukturen sollten Unternehmen besser umgehend beginnen, forderte Frick abschließend mit Bezug auf das Eröffnungs-Credo von Prof. Verl.
Dimension der Standardisierung
Ein spannendes Technologiethema steuerte Caren Dripke vom ISW in Gemeinschaft mit Götz Görisch vom VDW bei. Die OPC-UA-Kommunikationsschnittstelle Umati wird heute von allen Seiten in der Werkzeugmaschinenbranche akzeptiert und steht kurz vor dem finalen Release. Der Erfahrungsbericht der beiden Referenten zeigte aber deutlich, wie weit der Weg bis zum einheitlichen Informationsmodell für Werkzeugmaschinen war. Denn Standardisierung im Sinne von Umati bedeutet weit mehr, als die reine Einigung auf Schnittstellenparameter. Und so wurde das Projekt deutlich aufwändiger und zeitintensiver als gedacht, beginnend beim branchenweiten Abgleich der Begrifflichkeiten. Weitere Herausforderungen lagen in der Zusammensetzung des Kernprojektteams mit allen verfügbaren Technologien, dem Spagat zwischen Expertenwissen, Anwendungsfällen und den OPC-UA-Modellierungsoptionen oder die Anschlussfähigkeit innerhalb der Produktion. Auch die internationale Akzeptanz der aus Deutschland kommenden Initiative war längst nicht vom Start weg im Jahr 2017 gegeben. Im Sommer diesen Jahres soll die fertige Spezifikation veröffentlicht werden. OPC UA war auch das Kernthema von Peter Lutz. In seinem Vortrag stellte der Projektleiter der FLC-Initiative die Erweiterung von OPC UA in Richtung Feldebene. Diese wurde im vergangenen Jahr ins Leben gerufen – in Zusammenarbeit mit allen großen Steuerungsherstellern. Ein Novum in diesem bislang stark wettbewerbsgeprägten Marktsegment.
Open Source in der Automatisierung
Lutz nahm auch auf die sich wandelnde Rolle von offenem Code und dessen Stellenwert in der produzierenden Industrie Bezug. So hat sich Open Source von einem Thema für Nerds hin zu einer akzeptierten Basis entwickelt, die sogar die großen IT-Konzerne gerne nutzen. Microsoft ist heute der größte Erzeuger von Open-Source-Codezeilen. Auch die Organisationen in der deutschen Industrie beschäftigen sich damit, egal ob OPC-Foundation, VDMA oder die Allianz Industrie 4.0. Laut Lutz brauche es im Maschinenbau ein neues Selbstvertrauen, um abseits der eigenen Kernkomptenz stärker in der Branche zusammen zu arbeiten – auf Basis offener Technologien. Auf das Thema Open Source zielte auch Dr. Julian Feinauer auf den Stuttgarter Innovationstagen ab. Er stellte PLC4X vor, eine Sammlung von Bibliotheken zur Kommunikation mit industriellen SPSen unter Verwendung einer Vielzahl an Protokollen mit einheitlicher Programmierschnittstelle (API). Sie soll – genauso wie OPC UA – dazu beitragen, Komplexität und Inkompatibität in der Automatisierungstechnik aufzulösen sowie einfache und auch preislich attraktive Lösungen anzubieten.
Von der Theorie in die Praxis
Das Themenspektrum auf der Konferenz deckte weitere Technologiethemen wie TSN oder künstliche Intelligenz ebenfalls ab. Essenzieller Bestandteil waren aber auch – so wie in den Jahren zuvor – die Erfahrungsberichte aus der Praxis, sprich von Maschinenbauern und Endanwendern.
So präsentierte der Werkzeugmaschinenbauer Grob sein IoT-Angebot Grobnet4Industry vor und betonte, wie wichtig dabei die Offenheit für die Anbindung von Fremdfabrikaten ist. Der Trumpf-CEO Hans-Jürgen Prokop ging darauf ein, warum Industrie 4.0 in der Praxis nicht so schnell zum fliegen kommt, wie gedacht. Er macht die Marktsegmente des Maschinenbaus und der produzierenden Industrie, die deutlich kleiner als die der Consumer-Welt sind und eine Skalierung entsprechend schwerer fällt. Prokop stellte fest: Es geht alles langsamer voran, aber dennoch stetig. Auch sei die Investitionsbereitschaft beim Endanwender noch nicht so hoch, dass sich kostenintensive Industrie-4.0-Features für die Maschinenbauer wirklich lohnen würden.
Der Mensch in der Produktion
Dass bei der Digitalisierung für die Mitarbeiter in der Produktion die Mensch/Maschine-Interaktion, die Komposition von intelligenten Lösungen und die eigenen Fähigkeiten im Mittelpunkt stehen, beleuchtete Dr. Johannes Baumgartl, Robotikexperte bei der Daimler-Tochter TSS. Er zeigte, wie man einen Industrieroboter durch Abstraktion mit den genannten Eigenschaften ausstattet, so dass der Mitarbeiter ihn als ein Werkzeug für seine Fachlichkeit in der heutigen Produktion verwendet. Dabei nahm Baumgartl genauso Bezug auf die Forschungsinitiative Arena 2036, wie auch Dr. Thomas Stiedl von Bosch. In seinem Vortrag ging es unter anderem um die steigende Volatilität der Kundennachfrage, kürzere Produktlebenszyklen und unsichere technologische Randbedingungen. Um weiterhin wirtschaftlich produzieren zu können, müssen Betreiber ihre Fabriken in Zukunft flexibler und wandelbarer gestalten. Die Vision, Flexibilität und Wandelbarkeit in großen Teilen durch Software zu erreichen, stellt für Bosch einen vielversprechenden Lösungsansatz dar. In dieser Hinsicht ging Stiedl auf die Software Defined Factory ein und schloss so wunderbar den Bogen zur akademischen Keynote von Prof. Verl.
Networking und mehr
Abseits der Fachvorträge nutzten die Teilnehmer und Referenten das Angebot an Networking-Pausen und das Abendprogramm auf den Stuttgarter Innovationstagen zum intensiven Dialog. Darüber hinaus gab es diverse weitere interaktive Highlights. Spannende Insights aus den Forschungsthemen des ISW gab es live und direkt in der Demonstratorenhalle des Instituts. Dort wurden spannende Aufbauten und Applikationen aus den Themenbereichen Automatisierung, Industrial IoT, Simulation und Robotik gezeigt. Auch eine Live-Coding-Session und eine Fachausstellung waren Teil des Programms. (mby)