Interview mit Georg Stawowy, Vorstand Innovation und Technik bei Lapp

„Die nächste Evolutionsstufe der Kundenbindung“

Keine Frage: Geht es um Kabel für die Industrie, ist Lapp eine der ganz großen Marken. Mit Blick auf die smarte Fabrik positioniert sich das Unternehmen aber verstärkt als ganzheitlicher Anbieter für Konnektivität. Das bedingt nicht nur ein breiteres Portfolio, sondern auch ein neues Selbstverständnis als Lieferant für den Maschinen- und Anlagenbau. Dessen ist sich Georg Stawowy sicher. Warum Lapp dennoch seine Kernkompetenz nicht aus den Augen verlieren darf, erklärt der Vorstand für Innovation und Technik im Gespräch mit dem SPS-MAGAZIN.

Herr Stawowy, es ist nicht allzu lange her, da ist dem Unternehmensnamen Lapp die Ergänzung ‚Kabel‘ abhanden gekommen. Was ist passiert?

Georg Stawowy: Manch ein Kunde hatte uns nach wie vor nur als Kabelhersteller abgespeichert. Das war aus unserer Sicht etwas unglücklich, weil wir schon seit Jahrzehnten ein ergänzendes Steckverbinder-Portfolio sowie kundenspezifische Konfektionierung oder Dienstleistung anbieten. Die Notwendigkeit, dieses Angebot ganzheitlich und strategisch zu positionieren, war früher nicht ganz so groß. Kurzum: Mit dem neuen einheitlichen Namen trägt Lapp der Entwicklung Rechnung, dass aus dem Kabelhersteller ein Anbieter für Verbindungslösungen geworden ist. Das wollten wir mit einem weltweit gleichen Namen und einem einheitlichen Logo unterstreichen. Wir sind ein international aufgestelltes Unternehmen. Wenn der Kunde etwas bei uns bestellt – wo auch immer auf der Welt – dann sind das Produkte und Lösungen von Lapp und nichts anderes. Damit unterstreichen wir auch unseren Qualitätsanspruch.

Warum dann die Kabel aus dem Unternehmensnamen streichen?

Stawowy: Weil Lapp eben viel mehr zu bieten hat, als nur Kabel. Im Gegensatz zu vielen Marktbegleitern, die sich bis heute nur über Qualität oder Preis differenzieren wollen, hat Lapp die Nähe zum Anwender gesucht. Nicht nur im Maschinen- und Anlagenbau, sondern auch in allen anderen Branchen wie Food & Beverage oder Train, wollen wir mit maßgeschneiderten Verbindungslösungen zum Kundenerfolg beitragen. Wir wissen, was unsere Kunden beschäftigt und womit sie sich möglichst nicht beschäftigen wollen: nämlich mit der Auswahl der passenden Leitung, dem Engineering des Kabelbaums oder der Konfektionierung der Schleppkette. Das soll bitteschön der Lieferant übernehmen. Aus dieser Entwicklung heraus hat Lapp sich immer stärker zu einem Lösungsanbieter rund ums Kabel entwickelt – und umfirmiert: Von Lapp Kabel zu Lapp. Die strategische Stoßrichtung ist damit klar: Wir sind Anbieter für Konnektivität! Alles was man braucht, um Daten oder Strom von A nach B zu bringen, das bekommt man bei uns.

Damit wollen Sie dem Maschinen- und Anlagenbauer einen Teil der Arbeit abnehmen?

Stawowy: Ganz genau. Wir sind für kopfschmerzfreie Lösungen bekannt. Die Frage ist nur: Was bereitet dem Kabelkunden denn heute eigentlich Kopfschmerzen? Technologietrends allein sind es sicher nicht, viel mehr ist immer der Blick auf die kundenspezifischen Anforderungen nötig. Unter diesem Aspekt haben wir in den letzten Jahren eine Vielzahl an Lösungen auf den Markt gebracht, die uns weder riesigen Umsatz bringen, noch für das Gros der Kunden attraktiv sind. Aber sie schaffen einen besonderen Mehrwert für einen Teil der Anwender und werden damit zum Zünglein an der Waage bei einer Entscheidung für Lapp. Das heißt, wir stellen eine Mindestanforderung an unser gesamtes Portfolio, nicht nur an einzelne Produkte.

Bedeutet das einen weiteren Ausbau des Portfolios?

Stawowy: Im Konnektivitätsmarkt hat jeder Anbieter seine Stärken. Einen, der überall am besten ist, gibt es nicht. Die Stärke von Lapp ist und bleibt das Kabel. Die Devise für uns heißt folglich: Wir wollen nicht das breiteste Portfolio haben, sondern fokussieren Bereiche, in denen wir gut sind. Und so positionieren wir uns etwa bei Steckverbindern, obwohl wir das Portfolio in den letzten Jahren erheblich erweitert haben, bewusst nicht als Marktführer. Sehr wohl aber bei der Kombination von Kabel und Stecker.

Und das wird beim Kunden auch so wahr- und angenommen?

Stawowy: Durchaus. Hier passiert einiges. Wir geben immer mehr Kunden neben dem Kabel auch weitere Komponenten aus dem Konnektivitätsumfeld an die Hand – nicht nur Stecker, sondern etwa auch Switches. Dieser Erfolg ist auf interne Bemühungen zurückzuführen, aber auch auf sich ändernde Ansprüche im Markt. Der Lösungsansatz zieht immer besser. Dennoch wollen manche Kunden nach wie vor einfach nur das Kabel von Lapp und sonst nichts, was wir natürlich auch respektieren.

Ein Kabel mit Stecker zu verkaufen, ist etwas anderes, als auch Kommunikationselektronik wie Switches anzubieten. Woher nimmt Lapp die Kompetenz dafür?

Stawowy: Wir haben vor vier Jahren erstmals Switches im Portfolio eingeführt. Auch wenn es nie den Anspruch gab, sie zu einem Game Changer für Lapp zu machen, nehmen wir das Thema sehr ernst. Entsprechend haben wir investiert, um die Kompetenz im Haus sowie die organisatorischen Strukturen aufzubauen – und uns so beim Kunden entsprechende Glaubwürdigkeit zu erarbeiten. Das braucht natürlich seine Zeit. Aber Stand heute haben wir uns dank eines breiten Angebots sehr gut positioniert.

Die Kommunikation gehört für Lapp also zur Konnektivität dazu?

Stawowy: Ja, ganz klar. Diesen Bereich wollen wir auch weiterhin ausbauen, denn wir sehen großes Potenzial. Voraussetzung dafür ist, dass unsere Vertriebsmitarbeiter die Materie aus dem Stegreif beherrschen – einschließlich aller Technologien, Protokolle und Standards. Deshalb haben wir viel für die Aus- und Weiterbildung unserer Leute getan. Nicht nur bei einer Handvoll, sondern über die gesamte Breite: Innerhalb eines Jahres wurden über 1.000 Lapp-Mitarbeiter mit einem sehr anspruchsvollen E-Learning-Programm geschult.

Fertigt Lapp die Switches auch selbst?

Stawowy: Nein, sie kommen bislang nicht aus eigener Produktion. Ich bin mir auch nicht sicher, wie viel Sinn das machen würde. Denn die Zyklen in der Elektronikfertigung sind sehr kurzlebig und volatil. Da erlaubt die Zusammenarbeit mit Partnern doch ein vergleichsweise hohes Maß an Komfort und Flexibilität. Gerade bei unserem bereits genannten Fokus auf die Kernkompetenz. Allerdings werden die Geräte nach unseren eigenen Vorgaben und Spezifizierungen entwickelt und gefertigt. Das belegt ein weiteres Mal den hohen Anspruch: Nur wir selbst formulieren exakt, welche Funktionalität die verschiedenen Switches bieten müssen, um in das Lapp-Portfolio zu passen. Auf diese Weise gehen wir über das klassische Brandlabeling deutlich hinaus und bieten künftig immer mehr Elektronikprodukte mit eigenen USPs an.

Werden entsprechende Partnerschaften immer wichtiger?

Stawowy: Wie gesagt: Das komplette Konnektivitätsspektrum kann kein Hersteller mehr allein abdecken. Folglich sind strategische Partnerschaften zu einer wichtigen Spielregel für die meisten Anbieter geworden. Aus meiner Sicht sollte diese Zusammenarbeit aber zukünftig nicht nur bei einzelnen Produkten, sondern viel strategischer stattfinden. Denn die Wettbewerbslandschaft verändert sich massiv. Die Frage lautet immer weniger, ob man bei Lapp oder einem hiesigen Marktbegleiter einkauft, sondern: Kauft man bei Lapp, einem internationalen Distributor oder einem chinesischen Hersteller? Ich bin überzeugt, es wäre ein Fehler, nicht stärker und ganzheitlicher innerhalb der deutschen mittelständischen Strukturen zu kooperieren.

Abseits vom Kerngeschäft besetzt Lapp auch immer wieder Innovationsthemen mit größerem Fokus. Welches Ziel steht dahinter?

Stawowy: Wir stellen uns beim Thema Innovation weit über die Kabeltechnik hinaus auf. Und weil wir hier in viele Richtungen über den Tellerrand blicken, ändert sich auch unsere Herangehensweise an neue Aufgaben. Mit dem sogenannten Design-Thinking-Ansatz bilden dann nicht mehr unsere Produkte den zentralen Ausgangspunkt, sondern das Problem des Kunden. Unter diesem Aspekt haben wir auf der letzten Hannover Messe auch ein eigenes Future Lab aufgebaut, um über Trends und Innovationen zu sprechen – lange, bevor diese überhaupt marktreif sind. Das wurde ausgezeichnet angenommen und trägt bereits jetzt erste Früchte, z.B. beim Thema Predictive Maintenance: Unser ’sprechendes‘ Kabel ist aktuell im Vorserienstatus schon bei Pilotkunden im Feldtest. Auch wenn dieses Produkt vermutlich kein Highrunner wird: Die Technologie dahinter trägt dazu bei, dass sich anspruchsvolle und vorausschauende Kunden beim nächsten Projekt für Lapp entscheiden.

Gibt es Innovationsbeispiele, die es wirklich schon in die Praxis geschafft haben?

Stawowy: Ja, etwa im Bereich der Kabelkennzeichnung. Unter den Ansprüchen der smarten Fabrik gelten dort gewisse Prozesse eigentlich als überholt. Also haben wir genau hingeschaut und überlegt, was man anders und besser machen könnte. Dabei haben wir festgestellt, dass der größte Painpoint des Anwenders gar nicht die Kennzeichnung an sich ist, sondern das Daten-Handling im Vorfeld. Im Ergebnis richten wir uns jetzt mit einer selbst entwickelten Softwarelösung an größere Maschinenbauer und Konfektionäre. Damit lassen sich ein händischer Datenabgleich und unnötige Prozessschritte vermeiden sowie Fehlerquellen eliminieren. Das Tool haben wir übrigens ausgiebig im eigenen Konfektionsbetrieb in Indien getestet und waren vom Ergebnis begeistert.

Die Digitalisierung trifft also auch Kabelhersteller.

Stawowy: Ja und das bedeutet schon eine Umstellung. Denn wir hatten uns bis dato nicht viel mit dem Verkauf von Software und Lizensierungsmodellen beschäftigt. Jetzt werden das natürlich spannende Fragen. Wir wollen hier aber erst mal offen und flexibel bleiben. Denn viel wichtiger als der Preis ist für uns, dem Kunden eine bedeutende Hilfestellung zu bieten. Er wird mit dem Tool sicherer und besser in seinen Prozessen – also bei der Kennzeichnung der von uns gelieferten Kabel. Das ist Gold wert und aus unserer Sicht die nächste Evolutionsstufe der Kundenbindung.

Was bedeutet das für Ihre Positionierung in der Wertschöpfungskette?

Stawowy: Wir können früher ansetzen, als bisher. Zudem macht Lapp sein Konfektionsangebot mit den digitalen Werkzeugen noch deutlich attraktiver. Sobald ein Kunde Unterstützung im Engineering braucht, ist unsere Erfolgsrate enorm. Der Kabelpreis ist letztendlich also immer seltener das bestimmende Element. Solche Ansätze funktionieren aber nur mit eigenem Knowhow und dem entsprechenden Bewusstsein der Mitarbeiter. Das ist die eigentliche Transformation im Hause Lapp.

Welchen Stellenwert erhält die Software dadurch bei Ihnen?

Stawowy: Sicherlich einen steigenden. Aber man muss auf dem Teppich bleiben: Lapp wird auch weiterhin den Großteil seines Umsatzes mit Verbindungstechnik machen. Salopp gesagt: Es geht primär um Kupfer, nicht um Apps. Parallel müssen wir uns jedoch immer mehr Aufgaben auf der Softwareseite stellen. Ob bei Kabellösungen für Predictive Maintenance und die Elektromobilität oder Tools wie dem gerade angesprochenen Beispiel. Deshalb werden wir unser Team für Softwareentwicklung auf jeden Fall weiter ausbauen.

Lassen Sie uns abschließend noch ein weiteres Trendthema ansprechen, den Gleichstrom. Warum steht er so weit oben auf der Lapp-Agenda?

Stawowy: Der Gleichstrom bietet ein sehr gutes Beispiel dafür, dass sich in der Kabeltechnik noch so einiges tut. Von wegen fertig entwickelt. Und obwohl hier noch niemand kilometerweise Leitungen kauft, sind wir vorne mit dabei und stellen heraus, was der Grundgedanke von DC Industry für die Verbindungstechnik bedeutet. Das bringt uns in eine gute Position, um die vermehrt jetzt beginnenden Projekte beratend zu begleiten. Die bei diesen Leuchtturmprojekten gewonnenen Erfahrungen und unser Renommee überwiegen dann den noch ausbleibenden Umsatz bei weitem. Denn das Potenzial ist groß und DC wird ohne Frage kommen. Wann genau, ist noch schwer zu sagen. Aber wenn es losgeht, dann hat sich Lapp hier schon einen Namen gemacht. (mby)

Das könnte Sie auch Interessieren

Weitere Beiträge

Bild: Phoenix Contact GmbH & Co. KG
Bild: Phoenix Contact GmbH & Co. KG
SHL nutzt NearFi-Technologie zur Automatisierung von Drehtischen

SHL nutzt NearFi-Technologie zur Automatisierung von Drehtischen

Seit 1989 baut SHL Anlagen für das automatisierte Schleifen, Polieren und Entgraten. Zur Bearbeitung von Werkstücken werden Maschinen benötigt, welche die gefertigten Teile um 360° schwenken können. Eine physische Verbindung zur Profinet-basierten Übertragung der Sensordaten in beweglichen Anwendungen erweist sich als störanfällig. Deshalb nutzt das Unternehmen die kontaktlose Energie- und Echtzeit-Ethernet-Lösung NearFi von Phoenix Contact zur verschleiß- und wartungsfreien Kommunikation.

mehr lesen
Bild: ©aaalll3110/stock.adobe.com
Bild: ©aaalll3110/stock.adobe.com
Switches als 
Watchdogs im Netzwerk

Switches als Watchdogs im Netzwerk

Bei einem Anlagenretrofit müssen defekte Komponenten getauscht und Maschinen auf den neusten Stand gebracht werden, um die Anlage wieder effektiver und leistungsfähiger zu machen. Dazu zählt auch, das Kommunikationsnetzwerk leistungstechnisch anzugleichen. Hat der Verschleiß von Bauteilen in der Vergangenheit zu Produktionsausfällen geführt, ist es sinnvoll, im Zuge des Retrofits Switches mit Diagnose-Features einzusetzen, um den Ursachen künftig besser auf den Grund gehen zu können und mit Vorlauf alarmiert zu werden. Diesen Weg ging ein Glaswollehersteller gemeinsam mit HMR und Indu-Sol.

mehr lesen