OPC UA over TSN steht in den Startlöchern

Auf der SPS IPC Drives im November 2018 gab es eine bemerkenswerte Pressekonferenz der OPC Foundation: Das erste Mal in der Geschichte der Industriekommunikation schienen alle Beteiligten über Unternehmensgrenzen, Feldbusorganisationen und Weltregionen hinweg an einem Strang zu ziehen und sich auf eine gemeinsame Lösung für die industrielle Feldkommunikation zu einigen: OPC UA via TSN. "Damit ist der dritte Feldbuskrieg noch einmal abgewendet worden", kommentiert Stefan Schönegger das Geschehen. Mit ihm sprachen wir über die Erwartungen an OPC UA und TSN und die Chancen, die sich daraus für Automatisierungsanwender ergeben.

Was wird aus den bisherigen Feldbussen?

In vielen Nutzerorganisationen wird bereits an der Transformation bisheriger Standards zu TSN gearbeitet. Wie schätzt Schönegger diese Aktivitäten ein? Werden die Feldbusse durch OPC UA und TSN überflüssig? „Jede Feldbusorganisation muss für sich einen eigenen Weg finden, wie die Transformation – beispielsweise von Profinet, Ethernet/IP, Sercos 3 oder CC-Link gestaltet wird. Diese Arbeiten werden wohl auch weiterhin stattfinden. Wir – und jetzt spreche ich für die EPSG – haben ganz klar entschieden Powerlink nicht auf TSN zu transformieren, auch wenn es prinzipiell möglich ist. Stattdessen werden wir als B&R zukünftig neue Produkte mit beiden Standards ausstatten. Somit lässt sich das gleiche Produkt sowohl in einer OPC-UA-over-TSN-Umgebung und in einer Powerlink-Umgebung einsetzen. Aufgrund der Companion Specification für Powerlink lassen sich auch beide Technologien parallel verwenden. In der Anwendung werden die User den Unterschied gar nicht bemerken, weil wir das auf der Ebene des Automation Studios abstrahieren. Andere Feldbusoranisationen wählen derzeit offenbar einen anderen Weg und machen einerseits den Umstieg der Feldbustechnologie auf TSN und arbeiten andererseits gleichzeitig an der Entwicklung von OPC UA TSN mit. Wir halten das nicht für sinnvoll, aber wie gesagt: Hier muss jede Organisation ihren eigenen Weg finden.“ Schönegger will schnelle Ergebnisse und einen einzigen Standard. Doch ist das angesichts der langen Maschinenlaufzeiten überhaupt sinnvoll und realistisch? Schönegger ist zuversichtlich: „Ich würde sagen ja und ich bin sehr optimistisch, dass der Rollout von OPC UA und TSN schnell vonstatten gehen wird, weil die Kunden das sehr schnell einfordern werden: Man darf nicht unterschätzen, dass Maschinen- und Anlagenbauer aber auch Endanwender immer wieder innovative Technologien als Basis für innovative Anwendungen benötigen. Das war damals bei den Feldbussen so und es wird bei OPC UA over TSN auch wieder so sein. Unsere Kunden treffen Investitionsentscheidungen für die nächsten 15 oder 20 Jahre. In dem Moment, in dem die Katze aus dem Sack ist, wollen die Kunden wenn es Sinn macht nicht auf eine Technologie setzen, die bereits einen Nachfolger hat.“

OEMs oder Endanwender: Wer profitiert von OPC UA over TSN?

Für wen ist der Innovationsschritt hin zu OPC UA over TSN entscheidender? Für die Maschinen- oder Anlagenbauer oder für die Anwender und Produktionsunternehmen? „Für beide gleichermaßen“, erklärt Schönegger. „Für den Maschinenbauer ist diese Entwicklung wichtig, weil er erstmals die volle Auswahl über alle Sensoren, Aktoren oder I/Os am Markt erhält und unabhängig vom Hersteller auf beliebige Daten einer Komponente zugreifen kann. Dazu kommt noch der unglaubliche Performance-Boost bis zu einem Faktor von 18 im Vergleich zu heutigen Lösungen am Markt. Erst das macht moderne Automatisierungslösungen überhaupt möglich.“ Aus Sicht eines Produktionsbetreibers gibt es drei grundsätzliche Ziele: Ausbringung, Qualität und Flexibilität bis hinunter zur Losgröße 1. „Fertigungsunternehmen wollen heute eine Maschine in ihr Netzwerk stecken und losproduzieren“, so Schönegger. „Plug&Produce heißt das Prinzip dahinter. Trotzdem ist keine Maschine eine Insel sondern Teil einer mehr oder weniger komplexen Wertschöpfungskette und einem größeren Ganzen, dass nahtlos zusammenarbeiten muss. Ein transparenter Durchgriff auf die Daten ist die Voraussetzung dafür und es wird höchste Zeit, dass die Feldkommunikation global und branchenübergreifend den notwendigen Standard dafür bereitstellt“, appelliert Schönegger. Ist den Anwendern die verwendete Übertragungstechnologie nicht am Ende egal? Schönegger verneint. Auch im Hinblick auf die Inbetriebnahme sieht er in dem neuen Standard einen klaren Vorteil: „Ich würde schon sagen, dass auch die Endkunden einen entscheidenden Nutzen aus OPC UA und TSN generieren werden, das beginnt bereits bei der Frage, wie schnell man beispielsweise ein Werk in Betrieb nehmen kann. Drei Wochen früher in Serie zu gehen bedeutet drei Wochen mehr Produktionszeit. Und das kann schnell eine Menge Millionen Euro mehr Umsatz bedeuten. Dasselbe gilt übrigens auch beim Maschinenbau.“

Fazit

OPC UA over TSN hat mit seiner Ankündigung in vielerlei Hinsicht hohe Erwartungen geweckt. Die Frage, ob sich die optimistischen zeitlichen Einschätzungen bezüglich der Verfügbarkeit von Standard und Produkten bewahrheiten werden lässt sich derzeit nicht beantworten. Die Chancen standen jedenfalls noch nie so gut, einen international akzeptierten, brancheneutralen und zukunftsorientierten Standard für die Industriekommunikation zu erarbeiten und die ersten wichtigen Schritte in diese Richtung sind gegangen. Und so beurteilt Schönegger entsprechend die Entwicklung: „Für mich ist ganz klar, dass es keine dritte Generation Feldbuskrieg geben wird. OPC UA over TSN wird der einheitliche und einzige Standard für die Umsetzung des Industrial IoT in der Produktion.“ (kbn)

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