Die Firma Güdel aus dem schweizerischen Langenthal ist ein weltweit tätiger Anbieter von Maschinenkomponenten und anspruchsvollen Automatisierungslösungen. Das Produktspektrum reicht von Linearachsen über Verfahrensachsen für Roboter bis hin zu Mehrachsportalen. Darüber hinaus umfasst es zugehörige Komponenten wie Getriebe, Linearführungen, Zahnstangen und Ritzel. Das Schweizer Familienunternehmen ist unter anderem für die sogenannte siebte Roboterachse bekannt. Dadurch lässt sich ein Roboterarm mithilfe einer Linearachse entlang einer Produktionslinie mobil einsetzen.
Mit seinem Portfolio bedient Güdel eine Vielzahl von Branchen, allen voran die Automobilbranche. Speziell in der Pressenautomation – also der automatisierten Produktion von Karosserieteilen in Highspeed-Fertigungslinien – müssen die Achssysteme und Portale hohe Anforderungen erfüllen. Darüber hinaus werden die hochwertigen Automatisierungslösungen unter anderem auch in der Logistik-, Lebensmittel-, Holz- oder Medizinindustrie eingesetzt.
Steigende IIoT-Adaption
Nachdem IoT-Lösungen im industriellen Umfeld zunächst nur zögerlich eingesetzt wurden, beobachtete Güdel in den letzten Jahren eine rasant steigende Nachfrage nach innovativen Produkten und Services. Vor allem in hochautomatisierten Bereichen wie der Automobilindustrie wurde die IIoT-Fähigkeit von Anlagen und Komponenten zunehmend zu einer Schlüsselkompetenz. Dies veranlasste das Unternehmen im Jahr 2019 dazu, den Startschuss für konkrete eigene Entwicklungen im IIoT-Bereich zu legen. Zunächst evaluierte Güdel dafür eine Reihe verschiedener Gateway-Lösungen als Schnittstelle zwischen IT- und OT-Systemen, die einen breiten Katalog von Anforderungen erfüllen mussten. Dazu gehörten unter anderem ein hohes Maß an Flexibilität hinsichtlich verschiedenster Kommunikationsprotokolle und Schnittstellen sowie ein effizientes Hard- und Softwaremanagement. Die Edge Gateways von Hilscher und das damit zusammenhängende, ganzheitliche Netfield-Ökosystem erfüllten schließlich alle Aspekte – von der Multiprotokollfähigkeit der Gateways, über das Cloudportal Netfield.io bis zum einfachen Deployment containerisierter Software-Pakete auf die Geräte.
Condition Monitoring für Module
Als erstes fertiges IoT-Produkt entwickelte Güdel das Rollen-Condition-Monitoring (RCM) für Verfahrachsen und Portale. Die Rollen eines Wagens, der über eine Achse fährt, tragen von allen Komponenten die größte Last und sind somit der höchsten Abnutzung unterworfen. Beim RCM erhalten Kunden von Güdel ein fertiges Gesamtpaket. Dieses besteht aus einer Evaluation Unit, die am Wagen sitzt und Vibrationsdaten in Relation zur Geschwindigkeit auswertet. Die Auswerteeinheit übermittelt die Daten schließlich an das Netfield Compact Edge Gateway von Hilscher, welches die weitere Verarbeitung, Speicherung und Darstellung der Daten übernimmt und im Schaltschrank montiert ist. Auf diesem lassen sich über das Cloudportal Netfield.io beliebige Software-Container ausrollen – zum Beispiel um die Messdaten über ein GUI (Graphical User Interface) im Cloudportal MyGüdel zu visualisieren. Bei Grenzwertüberschreitungen diverser Parameter können zudem auch Interaktionen ausgelöst werden, wie das Versenden von Alarmen per E-Mail. Güdels Kunden profitieren in vielerlei Hinsicht von diesem Paket. Das RCM verhindert unerwartete Produktionsausfälle, stellt die Produktionsqualität sicher und ermöglicht eine effiziente Wartungsplanung.
„Bei der Entwicklung des Rollen-Condition-Monitoring hat uns Hilscher den Weg geebnet“, erklärt Christoph Pfister, Senior SW Development Engineer Digital Products bei Güdel.
„Mit dem grundlegenden Ansatz für die Applikationsentwicklung, welchen wir in den Hilscher-Seminaren kennengelernt haben, konnten wir sehr pragmatisch ein Minimal Viable Produkt (MVP) entwickeln. Dies half uns, zügig in die Themen IoT, Docker und Cloud reinzukommen, der Managementebene frühzeitig Ergebnisse zu liefern und somit unsere weitere Entwicklungsarbeit zu pushen.“
Entwicklungszeit zwischen sechs und zwölf Monaten
Vom Projektbeginn bis zum erstmaligen Einsatz des RCM vergingen etwa zwei Jahre. „Die rein auf Hilscher bezogene Entwicklungsdauer war allerdings wesentlich kürzer“, so Christoph Pfister. „Natürlich ist dies immer schwer zu beziffern, da mit solch einer Produktneuentwicklung unzählige periphere Standardprozesse verbunden sind. Aufgrund des Hilscher-Ansatzes, der frühzeitigen MVP-Entwicklung und der permanenten Weiterentwicklung per DevOps-Prozessen würde ich die reine Entwicklungszeit irgendwo zwischen sechs und zwölf Monaten einordnen.“ Unterstützt wurde Güdel dabei vom Hilscher-Swiss-Team.
Maintenance Manager für anspruchsvolle Anlagen
Aufsetzend auf dem ersten erfolgreichen Projekt für einzelne Module steigerte Güdel anschließend den Maßstab und entwickelte den Maintenance Manager für die Smart Press Automation. Dieser spezielle Anwendungsfall in der Automobilindustrie besitzt einen sehr hohen Automatisierungs- und Integrationsgrad in der Industrieautomation. Eine Produktionslinie besteht dabei aus unzähligen Achsen und Komponenten unterschiedlicher Zulieferer, die durch die hohe Verfügbarkeit und Geschwindigkeit starken Belastungen ausgesetzt sind. Automobilhersteller stehen daher vor der Herausforderung, Maschinen- und Komponentendaten verschiedenster Hersteller zu sammeln und in ihrem digitalen Zwilling zusammenzuführen.
Für Güdel bedeutete der Sprung vom RCM zum Maintenance Manager vor allem ein stark erhöhtes Datenaufkommen und die Herausforderung, die Daten je nach Kunden über verschiedenste Kommunikationsprotokolle abzugreifen und über flexible Schnittstellen bereitzustellen. Aus diesem Grund griff Güdel für diesen Anwendungsfall auf das leistungsstärkere Gateway Netfield OnPremise zurück. Mit diesem lassen sich die Daten von einer Vielzahl von Achsen über die Steuerung abrufen und für den Endkunden bereitstellen. Dank standardisierter Schnittstellen lassen sich die Güdel-Module mit dem Maintenance Manager einfach in beliebige Produktionsanlagen und bestehende IIoT-Systeme integrieren. Neben der Pressenautomation soll der Maintenance Manager in Zukunft auch bei weiteren Automationslösungen in der Logistik oder der Produktion eingesetzt werden.
Ganzheitlicher Datenbackbone
Auf Basis des Maintenance Managers entwickelt Güdel derzeit den Unified Namespace. In dieser Industrie-4.0-Lösung mit Shopfloor-Charakter sollen letztlich alle Daten einer Produktionsanlage interdisziplinär in einem zentralen Portal zusammenlaufen. Dieser Architekturansatz löst die traditionelle Automatisierungspyramide auf und sorgt durch die völlige Vernetzung über alle Ebenen für einen ganzheitlichen Datenbackbone. Zu den konnektierten Systemen gehören zum Beispiel die IIoT-Devices, Lösungen für Enterprise Resource Planning, das Warehouse Management, Produktionsdashboards oder Analytics-Systeme. Diese verbinden sich im Rahmen des UNS mit einem zentralen MQTT-Broker, der sämtliche Daten empfängt und einen vollständigen digitalen Zwilling ermöglicht. Der Digital Twin lässt sich schließlich mit weiteren Cloud Services verbinden und sorgt für hochautomatisierte und effiziente Kommunikationsprozesse über den gesamten Shopfloor. Für den UNS nutzt Güdel wie beim Maintenance Manager die Netfield OnPremise Edge Gateways für die Konnektivität der IIoT-Geräte.
IIoT-Konnektivität in kurzer Zeit
Lediglich vier Jahre nach Startschuss verfügt Güdel heute über ein skalierbares Portfolio für die IIoT-Konnektivität – von einzelnen Modulen über ganze Produktionslinien bis hin zum allumfassenden Unified Namespace. „Mit den Edge Gateways von Hilscher und dem gesamten Netfield-Ökosystem konnten wir in kurzer Zeit maßgeschneiderte IIoT-Lösungen entwickeln, die exakt unseren Vorstellungen entsprechen“, resümiert Christoph Pfister. „Die hohe Flexibilität der Netfield-Komponenten und die Bereitschaft des Hilscher-Teams, uns auch bei individuellen Herausforderungen zur Seite zu stehen, haben uns dabei maßgeblich unterstützt.“