Fabriken sind heute hochvernetzt. Nur so lassen sich Vorteile wie eine höhere Prozesseffizienz, höhere Qualität oder neue Geschäftsmodelle rund um die vorausschauende Wartung erschließen. Bei der Vernetzungstechnik fällt die Wahl meist auf Ethernet. Es bietet hohe Übertragungsraten und ein einheitliches Protokoll über alle Ebenen der Automatisierungspyramide hinweg: von der Bedienebene mit den ERP- und Office-Systemen in den Büros über die Schaltschränke in der Steuerungsebene bis hinunter zu – ja bis wohin eigentlich? Denn in der Feldebene, dort wo einzelne Sensoren ihre Schaltsignale und Messwerte melden, dominieren immer noch klassische Feldbussysteme, zumindest in der Prozessindustrie. Sie sind wie Profibus PA mit maximal 31,25kBit/s sehr langsam, und benötigen Gateways, die das Feldbusprotokoll in das Ethernet-Protokoll übersetzen, damit die Informationen oben in der Automatisierungspyramide weiterverarbeitet werden können. Fragt man Anwender, warum sie so hartnäckig am Altbewährten festhalten, hört man vor allem diese Antwort: Weil es keine Verbindungssysteme für Ethernet gibt, die alle Anforderungen der Feldebene erfüllen. Neben kompakter Bauweise und Leitungslängen mit deutlich über 100m verlangen die Skeptiker vor allem einen hohen Explosionsschutz – was Ethernet bisher nicht bieten konnte.
Erweiterung für die physikalische Schicht
Mit Ethernet Advanced Physical Layer (kurz: APL) gelten diese Einwände nicht länger. Ethernet-APL erweitert die physikalische Schicht von Ethernet um wichtige Eigenschaften: Das ermöglicht die Zweiwege-Kommunikation über Distanzen bis 1.000m mit bis zu 10MBit/s und sie versorgt die angeschlossenen Geräte mit Energie. Der Standard unterstützt jedes Ethernet-basierte Protokoll. Daher arbeiten mehrere Nutzerorganisationen gemeinsam an Ethernet-APL, darunter die OPC Foundation und Profibus/Profinet International.
Ethernet-APL für Ex-Bereiche
Für Ethernet-APL interessiert sich vor allem die Prozessindustrie und dort Betriebe, die explosionsgefährdete Anlagen haben. Für sie war normales Ethernet bisher tabu, weil es keine ausreichende Sicherheit gegen Funkenschlag und Brand bietet. Die neue Richtlinie legt hier nach und schreibt hohe Anforderungen an den Explosionsschutz fest. Das bedeutet, dass die im Kabel gespeicherte Energie begrenzt wird und sich keine Funken entladen dürfen. Dazu sind die elektrischen Parameter für Kabel wie Kapazität und Induktivität eng gefasst, außerdem soll die Schirmung Störsignale zuverlässig blocken. In besonders explosionsgefährdeten Bereichen soll die ganze Installation intrinsisch sicher sein. Dort darf es nicht zu Funkenbildung oder Bränden kommen, selbst wenn das Kabel durchgeschnitten wird oder wenn dort defekte Geräte im laufenden Betrieb ausgetauscht werden. Maßgeblich ist hier IEC-TS60079-47, auch 2-Wise genannt. Das Kürzel steht für Two-wire Intrinsically Safe Ethernet. 2-Wise macht genaue Vorgaben für intrinsisch sicheres Ethernet-APL, sowohl für die technischen Eigenschaften der Komponenten als auch für Konzeption, Installation und Dokumentation eines Netzwerks.
Basis für Ethernet-APL sind immer Single-Pair-Ethernet-Leitungen. Sie haben statt vier Aderpaaren nur ein Aderpaar, entsprechend weniger Platz brauchen sie, was in engen Maschinen die Installation erleichtert. Über diese beiden Adern erfolgt auch die Stromversorgung angeschlossener Geräte.
Lapp mit ersten Leitungen für Ethernet-APL
Lapp ist einer der Vorreiter bei SPE und arbeitet zu Ethernet-APL in den Nutzergremien mit. Der Kabel- und Verbindungsanbieter hat bereits zur SPS-Messe 2023 zwei Leitungen speziell für Ethernet-APL vorgestellt: Etherline T1L Y FC 1x2x18/1 AWG und Etherline T1L Y 1x2x18/7 AWG. Beide Leitungen erfüllen ISO/IEC11801 und EN50173 und die Übertragungseigenschaften nach IEC-61156-13CD, außerdem sind sie UL-zertifiziert, sie eignen sich also für den Einsatz in Nordamerika – ein Vorteil für exportorientierte Unternehmen. Sie sind für Distanzen bis 1.000m geeignet, sind flammwidrig, UV- und Öl-resistent. Beide können per Power over Dataline (PoDL) Geräte mit bis zu einer Leistung von 92W versorgen. Beide haben auch das von Lapp entwickelte Fast-Connect-Design, können also besonders leicht abisoliert und montiert werden. Einziger Unterschied: Die erstgenannte Leitung hat Leiter aus Massivdraht für die feste Verlegung, während sich zweitgenannte mit ihrem siebendrähtigen Leiteraufbau für den gelegentlich bewegten Einsatz eignet. Um die Praxistauglichkeit der Leitungen sicherzustellen, wurden sie nach den Anforderungen eines deutschen Chemieunternehmens entwickelt und gemeinsam getestet.
Unterschiede innen und außen
Äußerlich unterscheiden sich die beiden Leitungen von herkömmlichen Ethernet- oder Profinet-Leitungen durch ihren blauen Mantel, was in der Richtlinie für Ethernet-APL so definiert ist. Auch innen gibt es kleinere Unterschiede zu herkömmlichen SPE-Leitungen. Durchmesser der Adern, die Verseilung des Twisted Pairs, die Dicke der Isolierung – bei mehreren Parametern waren Anpassungen nötig, um die gestiegenen Anforderungen an den intrinsischen Explosionsschutz zu erfüllen. „Die Kunst ist, alle diese Parameter so in Harmonie zu bringen, dass sie die Anforderungen für Ethernet-APL erfüllen“, sagt Christian Illenseer, Produktmanager Industrial Communication bei Lapp. Für ihn trennt sich die Spreu vom Weizen, wenn es um den Einsatz in möglichst vielen unterschiedlichen Anwendungsszenarien geht. Die beiden Leitungen von Lapp seien universell verwendbar, zum Beispiel in einer offenen Kabelpritsche neben einer Powerleitung und das dank umfangreicher Zertifizierung in jedem Land der Welt. Unternehmen speziell aus der Prozessindustrie sowie Installateure sollten sich jetzt mit Ethernet-APL befassen, rät der Produktmanager, weil es nützliche Neuerungen für mehr Sicherheit bei der Vernetzung in der Feldebene bringe: „Ethernet-APL ist das Upgrade für die Feldebene, das der Prozessindustrie mehr Leistung und mehr Möglichkeiten für die Digitalisierung bringt bei gleichzeitig mehr Sicherheit.“