Universal Automation

Transformation industrieller Automatisierungssysteme: „Es geht nur zusammen!“

Kein Unternehmen kann das Versprechen von Industrie 4.0 allein erfüllen. Die Redaktion sprach mit Jessica Bethune darüber, warum der Übergang zur softwaredefinierten, offenen und herstellerübergreifenden Automatisierung unvermeidlich ist und wie dies in Zusammenarbeit in einem erweiterten Partner-Ökosystem gelingen kann.

Frau Bethune, Sie sind das Gesicht der Automatisierung bei Schneider Electric. Und zwar für die Fertigungs- sowie die Prozessautomatisierung. Wie ist Ihr erstes Jahr angelaufen?

Jessica Bethune: Schwierige Frage. Denn eigentlich waren und sind es gesamtwirtschaftlich gesehen überhaupt keine einfachen Zeiten für die deutsche Industrie. Und natürlich merken wir das. Die Anforderungen, die von Maschinenbauern oder Endkunden an uns gestellt werden, haben sich deutlich gewandelt. Themen wie Energiekrise, Fachkräftemangel, Bürokratie oder Lieferketten spielen da eine maßgebliche Rolle. Aber, und das ist mir ganz wichtig, aus meiner täglichen Arbeit weiß ich, dass es schon längst Lösungen für diese Probleme gibt. Als Gesellschaft und als Wirtschaft sind wir den Entwicklungen, die um uns herum geschehen nicht hilflos ausgeliefert. Und hierzu einen Beitrag leisten zu können, ist ungemein motivierend und erfüllend. Daher fällt mein Fazit für das erste, herausfordernde Jahr auf jeden Fall positiv aus.

Kann man sagen, dass Sie deshalb auch anders an die Automatisierung herangehen?

Ja, für uns geht der Weg in die Zukunft nur durch Öffnung der Systeme mittels Standardisierung der Schnittstellen. Deswegen waren wir auch eines der ersten Mitgliedsunternehmen von UniversalAutomation.Org (UAO). Die aus Industrieunternehmen, Herstellern, OEMs, Systemintegratoren, Startups und Universitäten bestehende unabhängige Non-Profit-Organisation stellt eine sofort nutzbare technische Lösung für die herstellerunabhängige und softwarezentrierte Automatisierung bereit. Und genau die damit verbundene Auflösung proprietärer Systemstrukturen ist für uns eine wesentliche Voraussetzung für eine klimafreundliche Industrie. Denn nur eine herstellerunabhängige Automatisierung bietet das nötige Maß an ingenieurstechnischen Freiheiten, Flexibilität und Einfachheit, um Industrieanlagen mit den notwendigen Eigenschaften für einen langfristig nachhaltigen und damit zukunftssicheren Betrieb auszustatten. U.a. übrigens auch deshalb, da klassische Barrieren zwischen IT und OT abgebaut werden.

Sind Sie zufrieden mit dem Mitgliederzuwachs?

Dass es inzwischen schon 80 Mitglieder sind, ist natürlich sehr erfreulich. Wir haben es aktuell mit so unterschiedlichen und schwierigen Herausforderungen zu tun – da bleibt uns als Industrie auch gar nichts anderes übrig als zusammenzuarbeiten. Das gilt für alle möglichen Themen und eben auch für die Automatisierung. Auf der vergangenen Namur Hauptsitzung im November konnte man auch deutlich wahrnehmen, dass Verständnis und Bereitschaft diesbezüglich deutlich größer geworden sind. Und das ist super.

Die Akzeptanz wächst also …

Ja, und auch gerade für einen Ansatz wie Universal Automation. Denn insbesondere in Zeiten von hohen Strompreisen, Fachkräftemangel oder anderen Unsicherheiten treten die Mehrwerte eines herstellerunabhängigen Automatisierungskonzepts natürlich besonders offenkundig zutage. Solange ein bestimmtes System zuverlässig funktioniert, muss man es nicht ändern. Aber genau diese Gewissheit beginnt mittlerweile bei vielen zu bröckeln. Hinzu kommt, dass eine neue Generation an Ingenieuren überhaupt nicht mehr versteht, wieso OT und IT teilweise so gegensätzlich funktionieren – vor allem auch deshalb, da es heute schon anders ginge. Mit den deutschen Firmen GEA und Wilo haben wir z.B. schon erfolgreich Projekte mit einem herstellerunabhängigen Ansatz im Sinne von Universal Automation umgesetzt.

Schneider Electric plädiert für Universal Automation, um herstellerunabhängig und softwarezentriert zu automatisieren.
Schneider Electric plädiert für Universal Automation, um herstellerunabhängig und softwarezentriert zu automatisieren.
–Bild: Schneider Electric GmbH

Wie schnell kann man solch einen Paradigmenwechsel in der Industrie umsetzen?

Das lässt sich ganz schwer vorhersagen. Mit Blick auf die aktuellen Krisen, insbesondere die Energiekrise, sehen wir ja wie schnell selbst tiefgreifende Entwicklungen plötzlich vonstatten gehen können. Aber auch von wie vielen Faktoren solche Veränderungen abhängig sind. In Bezug auf Universal Automation wird es aus meiner Sicht vor allem darauf ankommen, Sachverhalte und Mehrwerte offen und verständlich zu erklären. Und auch Vorbehalte und Ängste zu nehmen. Denn diesen Paradigmenwechsel können wirklich alle mitgehen. Bei unseren Kunden, aber auch bei den anderen UAO-Mitgliedern gibt es inzwischen unzählige etablierte Automatisierer, die den Umstieg spielend geschafft haben. Allen, die diesem Thema – natürlich nachvollziehbar – noch skeptisch gegenüberstehen, möchte ich wirklich empfehlen, das Ganze mal auszuprobieren. Sie werden überrascht sein.

Für diese Szenarien haben Sie entsprechende Lösungen, welche?

Als absoluter Early Adopter beim Thema Universal Automation haben wir schon 2020 ein Engineering-Tool auf den Markt gebracht, mit dem sich herstellerunabhängig und softwarezentriert automatisieren lässt. Ecostruxure Automation Expert ist mit all seinen Funktionalitäten explizit darauf ausgerichtet, dass die Vorteile eines solchen Ansatzes voll zur Geltung kommen können. Da geht es um Themen wie wiederverwendbare Softwarebausteine, eventbasierte Ausführungslogik oder das Verteilen von Intelligenz auf eine dezentrale oder modulare Systemstruktur. Außerdem, und das ist in Sachen Engineering eine wirklich bemerkenswerte Zeitersparnis, konfiguriert unser Softwaretool die Querkommunikation zwischen verschiedenen Steuerungen selbstständig.

Dabei muss man sich immer klar machen – und das ist das faszinierende -,dass Ecostruxure Automation Expert eine virtuelle Ebene in die Automatisierung einbringt, die es in einer Welt proprietärer Systeme so nicht geben konnte: eine von der Hardware egal welchen Herstellers vollständig unabhängige Software- und Orchestrierungsebene. Selbst herstellerheterogene Maschinenlandschaft können hier problemlos zusammenkommen und beliebig verändert werden. Gerade für auf die Automatisierung aufsetzende Themen wie Digital Twin, Metaversum oder künstliche Intelligenz bietet das ideale Voraussetzungen.

Sie haben KI erwähnt. Wie kann der Mittelstand heute schon profitieren?

Wenn ich an Themen wie Standortresilienz oder Fachkräftemangel denke, ist für mich eigentlich klar: Der Mittelstand muss auf absehbare Zeit von KI profitieren. Daran führt aus meiner Sicht gar kein Weg mehr vorbei. Wenn es uns als Gesellschaft und Wirtschaft gelingt, für den Einsatz von KI vernünftige Spielregeln zu definieren, dann überwiegen ganz klar die Vorteile – etwa, wenn es um automatisierten Kundenservice, Datenauswertung oder Programmierung geht. Letzteres ist z.B. für uns selbst auch schon längst ein wichtiges Thema. Wenn die KI repetitive Codierungsaufgaben übernimmt, bleibt mehr Zeit für kreatives Arbeiten und Vorausdenken.

Was ist für Sie die ideale Zusammensetzung von Mensch und Maschine?

Für mich ist das definitiv eine hybride Zusammensetzung. Es macht keinen Sinn, Menschen in gefährliche Situationen zu bringen, in denen eine KI wesentlich schneller, genauer und effizienter arbeiten kann. Denken Sie etwa an die Deepwater Horizon, die Ölplattform, die explodiert ist, weil man den Druck in den Pumpen nicht rechtzeitig erkannt hat. Für alle Tätigkeiten, die gewisse Talente benötigen, das gewisse Mehr, etwa bestimmte unlogische Daten zusammen in einen Kontext zu bringen und daraus Mehrwerte zu generieren, ist der Mensch nicht wegzudenken. Ich bin davon überzeugt, dass uns die KI nicht ersetzen wird. Sie wird uns, ohne Frage, liebgewonnene, bequeme Tätigkeiten abnehmen. Aber ich werde vielleicht zukünftig meine Powerpoint-Präsentation nicht mehr selbst erstellen, sondern kann mich darauf konzentrieren mit meinen Mitarbeitern ein wertvolles Gespräch zu führen und mit meinen Kunden eine Strategie zu entwickeln.

Ecostruxure Automation Expert bringt eine virtuelle Ebene in die Automatisierung ein, die es in einer Welt proprietärer Systeme so nicht geben konnte
Ecostruxure Automation Expert bringt eine virtuelle Ebene in die Automatisierung ein, die es in einer Welt proprietärer Systeme so nicht geben konnte – Bild: Schneider Electric GmbH

Sie hatten auch Nachhaltigkeit erwähnt, wie hoch schätzen Sie das wirtschaftliche Potenzial?

Das Potential ist riesig. Wie wir schon angesprochen haben: Man kann Energie sparen, weil man sie sparen möchte, aber man kann auch Energie sparen, um seine Kosten zu senken und entsprechend wirtschaftlich und effizient zu arbeiten. Das wird definitiv zum Wettbewerbsvorteil. Viele Menschen haben mittlerweile eine gewisse Erwartungshaltung an die Unternehmen, bei denen sie konsumieren und einkaufen werden. Das gilt genauso für die Industrieunternehmen. Hinzu kommen immer mehr gesetzliche Vorgaben: die Transparentmachung des CO2-Abdrucks ist heute Pflicht. Unternehmen, die sich nicht rechtzeitig dieser Themen annehmen, werden irgendwann ins Hintertreffen geraten. Umgekehrt werden nur die Unternehmen, die einen klaren Plan für diese Themen haben, meiner Meinung nach erfolgreich bleiben und auch weiter erfolgreich wachsen können.

Zum Schluss, was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Hier komme ich wieder auf das zu sprechen, was ich ganz zu Anfang gesagt habe: Bei aller Krisenstimmung dürfen wir nicht vergessen, was wir Großartiges zu leisten imstande sind! Made in Germany bedeutet immer noch etwas und das dürfen wir uns nicht selbst kaputt reden. Was ich auf der SPS-Messe und auch auf der Namur-Hauptsitzung erlebt habe, stimmt mich aber auf jeden Fall positiv. Denn ich habe viel Wille zur Weiterentwicklung der Industrie erfahren. Auch, wie viel Spaß und Tatendrang bei den Entwicklern, Ingenieuren und in den Unternehmen vorhanden ist, an der Digitalisierung und Modernisierung zu arbeiten. Ich möchte also gerne sagen: Ja, die Dinge verändern sich, sind schwieriger und teilweise unbequemer als noch vor fünf Jahren geworden, aber an einer Tatsache hat sich rein gar nichts verändert: Wenn wir Menschen es wollen, können wir unglaublich viel zum Guten bewegen. Und darauf sollten wir uns konzentrieren. Wir kriegen das hin, wir dürfen es uns nur nicht selbst madig machen!

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