Make-or-Buy-Tool: Software gibt Empfehlung zum Outsourcen oder selbst Entwickeln von Kommunikationsschnittstellen für Automatisierungsgeräte

Der Markt für Automatisierungstechnik kennt keine Grenzen. Hersteller von Automatisierungsgeräten, Maschinen oder Anlagen profitieren vom internationalen Wachstum der Branche, müssen sich aber auch auf weltweit unterschiedliche Gepflogenheiten einstellen. Das gilt auch für die digitale Kommunikation: Hersteller von Automatisierungseinrichtungen müssen bei der Kommunikationsfähigkeit ihrer Geräte Flexibilität zeigen. Mit der richtigen Implementierungsstrategie können sie dabei viel Zeit und Geld sparen.

\“Unsere neue Produktionslinie wird so geplant, dass sie in einigen Jahren hier komplett demontiert und an einem anderen Standort wieder neu aufgebaut werden kann\“, sagt ein großer Automobilhersteller und lässt offen, ob er dabei an Osteuropa, Südamerika, Asien oder Südafrika denkt. Der Großteil der Maschinen wird also einen zweiten oder sogar dritten Standort erleben mit unterschiedlichen Umgebungsbedingungen, geänderten Werksstandards und wahrscheinlich einer anderen digitalen Kommunikation. Und für den Automobilhersteller ist es klar, dass seine Lieferanten auch Flexibilität zeigen beim Kommunikationsverhalten ihrer Geräte und Maschinen. Der \’Feldbus-Krieg\‘ ist zwar seit Jahren vorbei, aber er hat eine bunte Landschaft unterschiedlicher Bussysteme hinterlassen. Zwar gibt es einige wenige dominierende Kommunikationssysteme in der Automatisierungstechnik, aber je nach regionalen oder auch branchenspezifischen Gegebenheiten tritt die Vielfalt zutage. Durch das Auftauchen Ethernet-basierter Kommunikation in der Automatisierungstechnik bis hin zur Feldebene ist die Situation nicht gerade übersichtlicher geworden. In der neuen Ausgabe der IEC61784/ 61158-Normenreihe werden voraussichtlich zwölf Echtzeit-Ethernet-Lösungen für die Automatisierungstechnik standardisiert. Zwar zeichnet sich auch beim Industrial Ethernet die globale Marktführerschaft von zwei oder drei \’großen\‘ Systemen ab, aber bereits heute haben viele verschiedene Systeme – teilweise mit deutlichen branchenspezifischen Schwerpunkten – ihre Anwender gefunden. Der verstärkte Einsatz von Ethernet-basierten Technologien treibt den Weltmarkt für industrielle Netzwerke enorm voran. Ein aktueller Bericht von IMS Research sagt ein durchschnittliches Wachstum von 13% für die nächsten fünf Jahre voraus, bezogen auf die installierten Knoten. Für Ethernet-basierte Protokolle wird im gleichen Zeitraum sogar ein Wachstum von 20% jährlich prognostiziert. Laut Marktanalytiker John Morse von IMS Research wird erwartet, dass der Asien-Pazifik-Raum mit 26% ein überproportionales Wachstum im Bereich Ethernet verzeichnen wird, für Amerika werden 20% und für EMEA 18% Wachstum vorhergesagt. Aber Ethernet deckt nicht die Bedürfnisse aller Benutzer ab; daher werden auch die traditionellen Feldbustechnologien weiter wachsen. Ähnlich beurteilt auch die ARC Advisory Group die Situation, die für 2007 deutlich über drei Millionen neu installierte Industrial Ethernet-Knoten prognostiziert. Hersteller von Automatisierungseinrichtungen und Geräten für die Automatisierungstechnik werden also – insbesondere in der Fertigungstechnik – mit einer dynamischen Vielfalt von Kommunikationstechnologien konfrontiert und müssen Entscheidungen treffen, welche dieser Technologien sie in ihren Geräten unterstützen und wie sie die Implementierung vornehmen. Im Falle der oben erwähnten Automobil-Produktionslinie sind die Anforderungen sogar noch höher: Beim Wiederaufbau der Anlage müssen alle Geräte eventuell eine zweite oder dritte Technologie beherrschen oder einfach umgerüstet werden können. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass der Geräte- und Maschinenhersteller frühzeitig die richtige Implementierungsstrategie für die Kommunikationsschnittstellen an seinen Geräten auswählt. Zählt das Feldbus-Know-how zur Kernkompetenz des Herstellers und plant er große Stückzahlen für alle Märkte, so bietet sich die Eigenentwicklung der Kommunikationsschnittstelle an. In anderen Fällen kann die Unterstützung durch einen Entwicklungspartner oder der Zukauf fertiger Kommunikationsmodule sinnvoll sein. Besonders im letzten Fall wird dann auch eine große Flexibilität bei der Anpassung an unterschiedliche Kommunikationssysteme erreicht. Die Firmen HMS Industrial Networks und TMG arbeiten jetzt zur qualitativen und quantitativen Analyse der richtigen Implementierungsstrategie mit einem Software-Tool, das die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung für die verschiedenen Alternativen ermittelt – die strategischen Entscheidungen müssen die Firmen letztlich aber selbst treffen. Worin unterscheiden sich die unterschiedlichen Vorgehensweisen bei der Schnittstellen-Implementierung, und welche Entscheidungshilfe leistet das \’Make-or-Buy-Tool\‘? Die denkbaren Varianten werden im Folgenden dargestellt.

Eigenentwicklung der Feldbusschnittstellen

Die Eigenentwicklung der Kommunikationsschnittstellen setzt die entsprechende Kompetenz und Entwicklungskapazität des Geräteherstellers voraus. Bei dieser Vorgehensweise entsteht eine individuelle Lösung, die hinsichtlich ihrer mechanischen und funktionalen Eigenschaften optimal auf die Anforderungen des jeweiligen Feldgeräts angepasst werden kann. Um auf flexible Art zumindest für die wichtigsten Feldbus- und Ethernet-Systeme offen zu sein, ist die saubere Trennung von Applikation und Kommunikation notwendig. Über selbst zu definierende Hardware- und Softwareschnittstellen kommuniziert dann der Hauptprozessor des Geräts mit dem Kommunikationsprozessor für das jeweilige Busprotokoll. Für die Realisierung der jeweiligen Protokollfunktionen kann man auf käufliche Protokollstacks verschiedener Anbieter zurückgreifen, die an die individuellen Randbedingungen anzupassen sind. Der Verlauf der Entwicklung gliedert sich typischerweise in Know-how-Aufbau, Spezifikation, Hard- und Software-Entwicklung, Test der Prototypen, EMV-Test mit CE und UL-Zertifizierung sowie die abschließende Zertifizierung der Protokollkonformität. Diese Arbeiten sind pro Bussystem einmal komplett und bei einer späteren Änderung der Spezifikationen nochmals teilweise durchzuführen. Bei der Eigenentwicklung werden niedrige Hardware-Kosten für die Busanschaltung erzielt. Demgegenüber stehen jedoch hohe Entwicklungskosten, Lizenzgebühren, ein höheres Entwicklungsrisiko und eine lange Zeit bis zur Verfügbarkeit des Produkts (Time-to-Market).

Eigenentwicklung mit externer Unterstützung

Die individuell entwickelte Kommunikationsschnittstelle bietet sich immer an, wenn der Hersteller hohe Stückzahlen für seine Geräte plant oder aus anwendungsspezifischen Gründen – z.B. bestimmte Bauform oder hoher IP-Schutz – eine geräteoptimierte Schnittstelle notwendig ist. Gehört die industrielle Kommunikation nicht zur Kernkompetenz des Herstellers und fehlt das Entwicklungs-Know-how und/oder die Kapazität im eigenen Haus, bietet es sich an, einen Entwicklungspartner in das Projekt einzubinden, der die eigene Entwicklungsabteilung unterstützt und damit das Entwicklungsrisiko reduziert und eine kürzere Time-to-Market ermöglicht. Dadurch ergeben sich Kostenvorteile, die allerdings teilweise durch die höheren externen Kosten kompensiert werden. Das Know-how des Entwicklungspartners sollte sinnvollerweise beim Gesamtprozess inklusive Spezifikation, Test und Zertifizierung genutzt werden. Auch die Pflege der Technologie einschließlich der Weiterentwicklung und Anpassung an sich ändernde Standards kann mit einem Partner meist effizienter als durch Eigenleistungen realisiert werden.

Einsatz fertiger Kommunikationsmodule

Maschinen- und Gerätehersteller, die weltweit tätig sind und den Kundenwünschen nach unterschiedlichen Kommunikationstechnologien gerecht werden müssen, haben die Möglichkeit, auf einbaufertige Kommunikationsmodule zurückzugreifen. Dazu gibt es die Anybus-Kommunikationsmodule für zahlreiche industriellen Netzwerke. Das Angebot wird kontinuierlich für neue Technologien erweitert, z.B. die derzeit boomenden industriellen Ethernet-Systeme. Voraussetzung bei dieser Vorgehensweise ist, zunächst die Anybus-Schnittstelle im eigenen Gerät zu implementieren. Ist dies geschehen, können alle Module ohne erneute Hard- und Software-Anpassungen eingesetzt und das Feldgerät so mit den unterschiedlichen industriellen Netzwerken verbunden werden. Die Module haben einheitliche Abmessungen und geräteseitig immer die gleiche Hard- und Software-Schnittstelle. Dadurch können sie untereinander ausgetauscht und das Gerät damit an unterschiedliche Kommunikationsumgebungen angepasst werden. Bei dieser Variante ist der Entwicklungsaufwand deutlich geringer als bei einer Eigenentwicklung für mehrere Schnittstellen. Ebenso verkürzt sich die Time-to-Market, und das Entwicklungsrisiko wird reduziert. Ein weiterer besonderer Vorteil ist die Offenheit auch gegenüber zukünftigen neuen Kommunikationsprotokollen, die bei dieser modularen Konzeption auf alle Fälle gewahrt wird. Auf der Kostenseite stehen höhere Stückkosten für die Anybus-Module als bei einer Eigenentwicklung an, dafür entfallen für den Gerätehersteller zusätzliche Lizenzkosten oder Anschaffungskosten für spezielle Software-Werkzeuge oder Testtools. Neben optimaler Flexibilität erreicht der Hersteller auch die Vereinfachung seiner Logistik, da die Module ohne Spezialwerkzeuge und ohne Einhaltung spezieller Schutzvorschriften an jeder Stelle der Lieferkette in den Anybus-Steckplatz des Feldgeräts eingesetzt werden können.

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Dr. Oestreich Consulting
http://www.voe-consulting.de

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