Grafcet DIN EN60848 verstehen und anwenden – Teil 2

Konstrukteure sollten die Grafcet-Norm gut kennen. Mit ihr können Maschinen exakt beschrieben werden und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass alle technischen Gesprächspartner einen Grafcet-Plan verstehen. Hier folgt nun der zweite Teil unserer Übersicht über die Norm. Der erste Teil ist in Ausgabe 8/2018 erschienen und zusätzlich kostenlos online verfügbar.
Bild: MHJ-Software GmbH & Co. KG
Bild: MHJ-Software GmbH & Co. KG

Wirkungslinien

Schritte, Transitionen und Aktionen werden mit Wirkungslinien verbunden. Bei vertikalen Wirkungslinien ist zu beachten, dass die Wirkungsrichtung immer nach unten ist. Nur wenn ein Pfeil nach oben eingezeichnet ist, ist die Wirkungsrichtung nach oben (Beispiel Bild 6, Rückführungslinie auf der linken Seite).

Bild: MHJ-Software GmbH & Co. KG

Alternativverzweigungen

Nach einem Schritt kann die Wirkungslinie in mehreren Transitionen münden. Dies nennt man ‚Alternativverzweigung‘ (Bild 6). Beispielsweise könnte man hier einen Wahlschalter auswerten und je nach Stellung einen anderen Schritt aktivieren. Es muss darauf geachtet werden, dass die Transitionsbedingungen der einzelnen Zweige eindeutig sind.

Bild: MHJ-Software GmbH & Co. KG

Parallelverzweigungen

Nach einer Transition können durch einen Parallelabzweig (horizontaler Doppelstrich) mehrere Schritte aktiviert werden. Die dadurch entstehenden parallel ablaufenden Schrittketten können unterschiedlich lange dauern und über eine Synchronisierung wieder zusammengeführt werden.

Im Bild 7 laufen drei lineare Schrittketten mit unterschiedlichen Zeiten ab. Die 1. Reihe beginnend mit Schritt 12 dauert insgesamt 20ms (2x10ms) und die längste ganz rechts dauert 2s. Die Synchronisierung sorgt dafür, dass der Schritt 11 erst aktiviert wird, wenn alle drei Schrittketten abgelaufen sind, das heißt die Schritte 14, 17 und 20 aktiv sind.

Bild: MHJ-Software GmbH & Co. KG

Makroschritt

In einem Makroschritt kann ein Grafcet-Plan gekapselt werden. Dieser Teil-Grafcet wird auch Expansion genannt. Er muss ein Eingangsschritt (Anfangsbuchstabe ‚E‘) und ein Ausgangsschritt (Anfangsbuchstabe ‚S‘) haben.

Wird der Makroschritt M1 aktiviert, erfolgt die Aktivierung des dazugehörigen Eingangsschritts (E1). Wichtige Eigenschaft des Makroschrittes: Erst wenn der Ausgangsschritt S1 aktiv ist, kann die Transition nach M1 auslösen. Es können auch mehrere Eingangs- und Ausgangsschritte vorhanden sein. In diesem Fall kann die Transition nach dem Makroschritt erst auslösen, wenn alle Ausgangsschritte aktiv sind.

Bild: MHJ-Software GmbH & Co. KG

Einschließender Schritt

Ähnlich wie beim Makroschritt kann mit dem einschließenden Schritt ein Teil-Grafcet gekapselt werden.

Im Bild 9 ist der einschließende Schritt 24 zu sehen und dessen Einschließung (Rahmen). Der Titel des Rahmens muss dem einschließenden Schritt entsprechen. Mindestens ein Schritt im Rahmen muss eine Aktivierungsverbindung besitzen. Sobald der Schritt 24 aktiviert wird, aktiviert sich auch der Schritt mit der Aktivierungsverbindung. Im Unterschied zum Makroschritt löst die Transition nach dem aktiven Schritt 24 sofort aus, wenn die Transitionsbedingung erfüllt ist.

Bild: MHJ-Software GmbH & Co. KG

Zwangssteuerung

Wenn man sich anfangs mit Grafcet beschäftigt, kommt zwangsläufig die Frage auf, wie man verschiedene Betriebsmodi (Hand, Automatik, Not-Aus) realisieren kann. Genau dafür sind die sogenannten Zwangssteuerungen zu verwenden. Man ist damit in der Lage, einzelne Schritte oder ganze Teil-Grafcets in einen bestimmten Zustand (man sagt auch Situation) zu versetzen. Mit den zwangssteuernden Befehlen kann ein übergeordneter Grafcet erstellt werden, der einen untergeordneten Grafcet quasi aktivieren und deaktivieren kann. Die zwangssteuernden Befehle sind Aktionen mit einer Doppelumrandung. Will man Schritte mit einer Zwangssteuerung beeinflussen, müssen diese von einem Rahmen umschlossen sein. Am Rahmen kann man oben und unten eine Kennung eintragen. Die obere Kennung ist für den einschließenden Schritt und die untere Kennung, beginnend mit ‚G‘, ist für die Bezeichnung des Teil-Grafcet (Gruppe) reserviert. Mit den vier zur Verfügung stehenden zwangssteuernden Befehlen, kann man Schritte einer Gruppe beeinflussen:

  • Mehrere Schritte aktivieren: Gxx{1,2,3}
  • Alle Schritte einfrieren: Gxx{*}
  • Alle Schritte deaktivieren: Gxx{}
  • Alle Initialschritte aktivieren: Gxx{INIT}

Solange die Zwangssteuerung wirkt, kann sich der Zustand der Schritte nicht ändern.

‚Schritte einfrieren‘ bedeutet, dass die aktuelle Situation festgehalten wird und die Transitionen nicht auslösen können.

Im Bild 10 ist ein Beispiel zur Zwangssteuerung zu sehen. Beim Einschalten werden zuerst alle Initialschritte aktiviert. Damit wird die Zwangssteuerung an Schritt 28 aktiv und wirkt auf ‚G_Hand‘. Dies hat zur Folge, dass im Teil-Grafcet ‚G_Hand‘ immer der Initialschritt ’32‘ aktiv ist und Schritt 33 inaktiv bleibt. Somit kann der Teil-Grafcet ‚G_Auto‘ normal ablaufen. Wird nun ein Mal I1 betätigt, ist Schritt 29 aktiv und die Zwangssteuerung wirkt auf ‚G_Auto‘. Jetzt ist immer Schritt 30 aktiv und Schritt 31 bleibt inaktiv. Auf den Teil-Grafcet ‚G_Hand‘ wirkt nun keine Zwangssteuerung mehr und der Handbetrieb ist freigegeben. Auf diese Art und Weise wird in diesem Beispiel der Automatik und der Handbetrieb immer abwechselnd aktiviert.

Buch 'Graftec-Workbook', ISBN: 978-3-9816720-7-7, Preis: 39 €, Einführung in die Beschreibungssprache Graftec nach DIN EN60848. Der Leser lernt in diesem Buch die Beschreibungssprache Graftec. Mit der beiliegenden Software kann er den Graftec zeichnen und auf dem PC mit virtuellen Anlagen und Maschinen simulieren. Inkl. Software 'Graftec-Studio Starter' und 'PLC-Lab Runtime'. Bezugsquelle: www.mhj.de oder www.amazon.de
Buch ‚Graftec-Workbook‘, ISBN: 978-3-9816720-7-7, Preis: 39 €, Einführung in die Beschreibungssprache Graftec nach DIN EN60848. Der Leser lernt in diesem Buch die Beschreibungssprache Graftec. Mit der beiliegenden Software kann er den Graftec zeichnen und auf dem PC mit virtuellen Anlagen und Maschinen simulieren. Inkl. Software ‚Graftec-Studio Starter‘ und ‚PLC-Lab Runtime‘. Bezugsquelle: www.mhj.de oder www.amazon.deBild: MHJ-Software GmbH & Co. KG

Grafcet zeichnen

Grafcet-Pläne sind einfach zu zeichnen: Rechtecke für Schritte, Linien für Wirkverbindungen und Rechtecke für Aktionen. Deshalb verwenden viele Firmen MS PowerPoint oder MS Visio. Der Nachteil von solchen Standardprogrammen: Es erfolgt keine Plausibilitätskontrolle und eine Simulation des Grafcets ist natürlich auch nicht möglich.

Wie schon eingangs erwähnt, sind alle Grafcet-Zeichnungen in diesem Artikel mit der Software Grafcet-Studio erstellt worden. Mit Grafcet-Studio können Sie Grafcet-Pläne erstellen und auch simulieren. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die erstellten Grafcets enthalten weniger Flüchtigkeitsfehler und nach einer vollständigen Simulation auch keine logischen Fehler mehr.

Grafcet simulieren

Mit Grafcet-Studio können Sie den Ablauf der Grafcet-Pläne beobachten.

Die Möglichkeiten im Beobachten-Modus (Bild 11) sind:

  • Aktive Schritte werden farbig gekennzeichnet
  • Der Zustand von Binär-Operanden (TRUE / FALSE) wird angezeigt
  • Der Wert von Analogsignalen wird angezeigt.
  • Eingangssignale können geändert werden.
  • Zeiten werden durch einen Fortschrittsbalken visualisiert.

Des Weiteren können Sie Grafcet-Studio mit einer virtuellen Anlage verbinden und damit die Simulationsqualität weiter steigern (Bild 12).

Die virtuelle Anlage liefert die Eingangssignale, der Grafcet verarbeitet diese und schreibt die Ausgangssignale. Diese dynamisieren somit die virtuelle Anlage.

Grafcet in ein SPS-Programm umsetzen

Auch für eine Umsetzung des Grafcets in SPS-Code ist es wichtig, dass der Grafcet-Plan keine Fehler oder Unstimmigkeiten mehr enthält. Bei größeren Grafcet-Plänen mit Zwangssteuerungen, Parallelabläufen und Alternativverzweigungen ist eine Umsetzung nicht mehr trivial.

Die Alternative: Mit Grafcet-Studio kann die Umsetzung auch automatisch erfolgen. Die Grafcet-Engine, welche auf dem PC dafür sorgt, dass der Grafcet-Plan simuliert werden kann, ist auch in der SPS installierbar. So kann man eine SPS um das Feature ‚Grafcet‘ erweitern. Derzeit werden folgende Geräte unterstützt:

  • S7-1200, S7-1500
  • S7-300, S7-400
  • ARDUINO DUE

Grafcet-Logik direkt in die SPS übertragen

Ist die Grafcet-Engine in der SPS installiert, kann man Grafcet-Studio als Programmiersoftware verwenden. Per Knopfdruck kann der Grafcet innerhalb einer Sekunde übertragen werden. Auch das Debuggen im Gerät ist möglich. Wie in der Simulation werden dabei die Zustände der Schritte, Aktionen und Operanden angezeigt.

So kann sehr schnell ermittelt werden, warum der nächste Schritt nicht ausgeführt wird: Man beobachtet die Transitionsbedingung und prüft nach, welcher Operand nicht den geforderten Zustand hat.

Zusammenfassung

Grafcet DIN EN60848 ist eine mächtige Beschreibungssprache für Ablaufsteuerungen. Mit den Möglichkeiten der Zwangssteuerungen können übergeordnete Strukturen geschaffen werden, mit denen die Betriebsmodi wie Hand, Automatik und Not-Aus abzubilden sind.

Dieser Artikel kann die verschiedenen Themen nicht in der notwendigen Tiefe behandeln. Mehr Informationen und Übungsaufgaben mit virtuellen Anlagen finden Sie im Buch ‚Grafcet-Workbook‘ (siehe Kasten).

Bezugsquelle: www.mhj.de oder www.amazon.de

Das könnte Sie auch Interessieren

Weitere Beiträge

Bild: Wago GmbH & Co. KG
Bild: Wago GmbH & Co. KG
I/O-System XTR von Wago

I/O-System XTR von Wago

Vor zehn Jahren hieß es bei Wago das erste Mal: XTR. Die Ausführung für „eXTReme“ Umgebungsbedingungen sollte dem Wago I/O System 750 neue Anwendungen und Branchen erschließen. Das betonte die Titelstory des damaligen SPS-MAGAZINs zur Hannover Messe 2014. Eine Dekade später hat die Redaktion bei Wago nachgehakt, ob dieser Plan aufgegangen ist und in welchen Bereichen das XTR-System heute vor allem zu finden ist.

mehr lesen