Vorteile und Möglichkeiten lagerloser Drehgeber - Teil 2/2

Lagerlose Perspektiven

Wo liegen die Vor-/Nachteile von lagerlosen Drehgebern, warum ist der Einsatz von MR-Sensoren von Vorteil, wie sieht es mit Safety aus und wann lösen die lagerlosen Drehgeber die bisherigen Systeme ab? Im zweiten Teil der Drehgeberrunde des SPS-MAGAZINs geben erneut die Experten von Baumer, Kübler, Lenord+Bauer, Posital und RLS Antworten. Moderator war Dr. Johann Pohany.

Arnold Hettich (Kübler): Unsere lagerlosen Systeme sind hauptsächlich im Bereich der Inkrementalgeber, aber wir arbeiten auch an lagerlosen Lösungen, um zukünftig auch kostengünstige Absolutwertgeber inklusive Multiturn anbieten zu können. Obwohl wir im Bereich magnetischer Sensorik sehr viele Lösungen haben, sehen wir auch neue Technologien, die zukünftig die Vorteile von lagerlosen Drehgebern und optischer Sensorik vereinen. Mehr möchte ich dazu aber im Augenblick noch nicht verraten.

Gibt es auch andere kostengünstige Ansätze, wo lagerlose magnetische Absolutwertgeber die klassischen On-Axis-Drehgeber ablösen werden?

Velling: Wenn Achsgeber am ungefederten Teil eines Schienenverkehrfahrzeuges angebracht sind, spielt Masse eine wichtige Rolle. Man möchte diese Masse dort nicht haben, da ein Achsgeber bis zu vier Kilogramm wiegen kann. Wenn man dort Einbausysteme einsetzt, bauen diese leichter und sparen Bauraum. Bei Hohlwellenmotoren dagegen gibt es heute noch Lösungen, bei denen die Hohlwelle über einen Zahnriemen auf einen optischen Drehgeber gezogen wird, der irgendwo neben dem Motor ist. Die Kunden haben den Zahnriemen als Verschleißteil und begrenzenden Faktor bei Beschleunigungen erkannt. Dort werden mit Sicherheit zukünftig auch Magnetsysteme zum Einsatz kommen.

„Wir wachsen derzeit mit
unserem lagerlosen System
überproportional, weil wir aufgrund
der hohen Genauigkeiten neue
Applikationen bedienen können.“ Bild: Lenord+Bauer

Hettich: Neben der Integration in den Motor haben magnetisch-lagerlose Geber den Vorteil, dass sie aufgrund ihrer kompakten axialen Maße auch a-seitig an große Motoren und Generatoren montiert werden können, ohne, dass dort konstruktive Änderungen erforderlich sind. Ein lagerloser Magnetgeber passt immer noch bequem zwischen die Kupplung und die a-Lagerseite eines 4,8MW Windkraftgenerator bis zu einem Wellendurchmesser von 170mm. Auch im Bereich funktionaler Sicherheit für Heavy-Duty-Geber sind lagerlose Drehgeber prädestiniert. Dort kann man mit zwei Sensorköpfen ein redundantes System realisieren. Allerdings handelt es sich dabei um sichere Geschwindigkeit. Einfache lagerlose Systeme werden nur dort zum Einsatz kommen, wo heute noch gar keine Drehgeber im Einsatz sind, z.B. bei Motoren, die energieeffizienter betrieben werden müssen und nur einfache Streckengeber notwendig sind.

Metljak: Wenn wir über eine Elektromotorsteuerung reden und dort einen On-Axis-Encoder verwenden, kostet eine Platine um die 10€ und ein diametraler Magnet 1€. Andererseits, wenn man eine höhere Genauigkeit braucht, also einen absoluten Ring-Encoder, sind die Vorteile eine einfache Integration, kleine Einbaugröße und flexible Durchmesser.

Kaim: In nahezu allen wichtigen Drehgeberbranchen sehen wir bereits magnetisch-lagerlose Systeme. Das betrifft heute nicht nur die Antriebstechnik, sondern auch Anwendungen in rauen Umgebungen, wie z.B. Baumaschinen oder Windkraftanlagen. Klassische gelagerte Drehgeber werden vor allem mit zunehmender Größe wirtschaftlich uninteressant, da dann die Kugellager mit ihren Kosten dominieren. Besonders attraktiv werden lagerlose Systeme durch den Wegfall aufwendiger Adaptionen z.B. für den Riemen- oder Ritzelanbau.

95% der Anwendungen sind immer noch gelagerte Systeme und lagerlos nur 5%. Stimmen diese Zahlen noch?

Kaim: Das Wachstum unserer lagerlosen Systeme ist seit Jahren überdurchschnittlich. Auch die Anzahl der Applikationen sowie die Awareness am Markt für die Vorteile der Systeme nimmt weiter zu.

„Wir sehen völlig neue
Technologien, die zukünftig die
Vorteile von lagerlosen Drehgebern
und optischer Sensorik vereinen.“ Bild: Fritz Kübler GmbH

Paulus: Das große Wachstum bei den lagerlosen Gebern ist bei den Open-Loop-Servoschrittmotoren, von denen in Asien Millionen Stück gebaut werden. In Europa arbeiten dagegen die großen Motordrehgeber-Spieler mit gelagerten Systemen. Wir sehen aber einen klaren Trend, dass lagerlose Systeme weiter große Marktanteile gewinnen werden und in Systemen zum Einsatz kommen, wo bisher überhaupt noch kein Sensor drin ist. Dies ist so, da wir in Kostenbereiche kommen, die früher überhaupt nicht für Drehgeber dieser Performance-Klasse denkbar waren.

Wie sieht es mit Functional Safety und lagerlosen Systemen für SIL2/PLd und SIL3/PLe aus?

Hettich: Wir sehen im Heavy-Duty-Bereich SIL2-/SIL3-Zulassungen für lagerlose Systeme, die aus einer Maßverkörperung und einem Sensorkopf bestehen. Allerdings ist es so, dass der gesamten Antrieb bzw. die Applikation zugelassen werden muss.

Metljak: Wir fokussieren uns auf Encoder, die eine Zertifizierung auf Systemebene ermöglichen. Wir haben redundante Systeme, meist mit einem Ring und zwei unabhängigen Leseköpfen, aber auch Encoder, die auf einer Platine zwei verschiedene Sensoren, Signalverarbeitungen und Power Supplies haben.

Paulus: Auch wir haben im Standalone-Bereich seit vielen Jahren Erfahrungen mit zertifizierten SIL-Gebern. Theoretisch hört sich das einfach an: Man hat einen zertifizierten Geber, den man in eine Maschine einbaut und alles ist gut. In der Realität ist das leider deutlich komplexer. Es geht darum, die richtige Kommunikation mit dem Kunden über die Applikation zu haben. Im Grunde ist Safety eine Integrationsaufgabe und nichts, wo man einfach einen Stempel erhalten hat und dann plötzlich Safety da ist.

Kaim: Auch wir sehen neben zertifizierten Produkten einen Trend hin zu Safety-Lösungen, bei denen ein Drehgeber als Komponente im System zertifiziert wird. Wir liefern hier Antworten in Form von Dokumentationen, so dass unsere Kunden sowohl gelagerte als auch lagerlose Drehgeber in Safety-Applikationen einsetzen können. Kritisch ist dies vor allem im Hinblick auf zunehmende Embedded-Software im Bereich der Sensorik. Redundanz schützt eben nicht vor systematischen Fehlern. Baumer bietet hier Gewissheit durch eindeutige Herstellererklärungen zur Bestätigung normkonformer Entwicklungsprozesse.

Velling: Auch wir sind auf Safety durch redundante Systeme vorbereitet. Wenn man aber das Thema Resolver sieht, müsste man dort einen kompletten zweiten Resolver aufschieben. Allerdings kann man eine Maßverkörperung nicht noch mal verwenden. Hier bieten Einbausysteme mit einer Maßverkörperung und Abtastköpfen Vorteile in der Redundanz.

Wie lange dauert es noch, bis lagerlose Systeme die gelagerten Systeme abgelöst haben?

Hettich: Aus unserer Sicht werden bis auf Weiteres sowohl gelagerte als auch lagerlose Drehgeber zum Einsatz kommen. Gelagerte Drehgeber sind etabliert und haben sich bewährt. Es gibt aber Applikationen, bei denen lagerlose Drehgeber bereits heute klare Vorteile bieten.

Velling: Wir wachsen derzeit mit unserem lagerlosen System überproportional, weil wir aufgrund der hohen Genauigkeiten neue Applikationen bedienen können.

Metljak: Es wird langfristig beide Technologien geben, weil es für jeden Drehgeber entsprechende Applikationen gibt.

Kaim: Ein kurzfristiges Ende der gelagerten Geber sehen wir nicht. Wir sehen aber ein starkes Wachstum im Bereich lagerloser Geber und investieren daher weiterhin in innovative Technologien z.B. im Bereich der Magnetisierung und Signalauswertung.

Paulus: Die lagerlosen Systeme werden bei den Stückzahlen die gelagerten klar überholen. Ganz sicher gibt es aber Applikationen, bei denen gelagerte Systeme auch in 15 Jahren noch die richtige Lösung sein werden.

Seiten: 1 2Auf einer Seite lesen

Das könnte Sie auch Interessieren

Weitere Beiträge

Bild: Matuschek Messtechnik GmbH
Bild: Matuschek Messtechnik GmbH
Präzisionsanalyse elektrischer und mechanischer Motordaten

Präzisionsanalyse elektrischer und mechanischer Motordaten

Mit einer modularen Erweiterungskarte zur Auswertung auch mechanischer Signale elektrischer Motoren und anderer Antriebskomponenten höherer Leistungsklassen hat die Matuschek Meßtechnik GmbH ihren POWERAnalyzer LK-601 komplettiert. Das mehrkanalfähige Leistungsmessgerät zur Datenerfassung und -analyse ist einerseits hoch präzise, andererseits flexibel wie ein Datenerfassungssystem (DAQ). Industrieanwendungen bis zur End-Of-Line-Prüfung lassen sich mit ihm ebenso optimieren wie Prozesse in Forschung und Entwicklung an stationären Prüfständen.

mehr lesen
Bild: ©Gorodenkoff/stock.adobe.com / Prominent GmbH
Bild: ©Gorodenkoff/stock.adobe.com / Prominent GmbH
Einer für Alles – Füllstandmessung leicht gemacht

Einer für Alles – Füllstandmessung leicht gemacht

Ein Sensor für jede Anwendung – egal welche Flüssigkeit – das ist mit neuartigen Radar-Füllstandsensoren keine Utopie mehr. Seit rund zwei Jahren beweist sich die Technik in der Praxis. Schäumende, aggressive, trübe oder transparente flüssige Medien: Die Radarsensoren sind imstande, die Füllstände überall genau und zuverlässig zu messen. Eine Reihe konkreter Beispiele aus der Abwasseraufbereitung, der Chemie, der Lebensmittel- und Getränkeindustrie zeigen, wie weit diese Technologie der altbewährten Ultraschalltechnik voraus ist.

mehr lesen