Expertenrunde: Seilzuggeber und lineare Positionssysteme -Teil 2/2

Sichere Seilzuggeber und viel mehr

Im zweiten Teil der Seilzug-Expertenrunde des SPS-MAGAZINs diskutieren Experten von Baumer, Posital - Fraba, Gefran, Hohner Automation, Sick und Siko über die Themen Safety sowie Trends und neue Einsatzgebiete von Seilzügen. Die Gesprächsrunde leitete Johann Pohany.

Wie sieht es aktuell mit Safety-Anwendungen bei Seilzuggebern aus?

Sebastian Kaiser (Hohner Automation): Es sind immer mal wieder Anfragen da. Für uns wäre dies ein Standardseilzug mit einem CANopen-Safety-Drehgeber, der eine Seilüberwachung hat. Dieser kontrolliert den Seilrückzug. Sollte das Seil abgeschnitten werden, ist dieser entsprechend schnell und löst dann einen Fehler oder Alarm aus. Es gab auch Anfragen, ob man einen Seilzug mit zwei Seilen bauen könne, hier kann man sich auf Kundenseite sehr vieles vorstellen. Allerdings muss ein Drehgeber immer mit dem Seilzug verbunden werden. Dies wird meist über eine Kupplung realisiert. Hier muss man dann Schlupf usw. im Auge behalten. Aktuell haben wir noch keinen Safety-zertifizierten Seilzug.

Mathias Roth (Siko): Safety ist für uns schon lange ein Thema. Wir haben die ersten Sensoren, die im Gesamtsystem bis PLd eingesetzt werden können 2008 auf den Markt gebracht. Allerdings wird ein Seilzug an sich niemals sicher sein, d.h. man muss das immer im Gesamtsystem betrachten. Daher unterstützen wir unsere Kunden auch in der Anwendungsberatung zum Erreichen des entsprechenden Sicherheitslevels. Wir haben mittlerweile ein breites Safety-Portfolio mit Messlängen von 3 bis 15m, das nicht nur CANopen-Safety-Schnittstellen anbietet, sondern auch redundante analoge Signale.

Armin Hänsler (Sick): Gerade aus dem mobilen Bereich haben wir mit vielen Kunden individuelle Lösungen erarbeitet und auch umgesetzt, bei denen es darum geht im Gesamtsystem Safety zu erzeugen. Einige Kunden setzen zwei Encoder an einem Seilzug ein oder nutzen zusätzliche Handshakes im CANopen-Protokoll. Wir unterstützen zudem mit der Risikobewertung und den entsprechenden Sicherheitswerten, um es dem Kunden zu ermöglichen, sein Gesamtsystem auf das geforderte funktionale Sicherheitslevel zu bringen. Aus Erfahrung ist die Kundschaft nicht bereit für vollständig nach Maschinenrichtlinie zertifizierte funktional sichere Seilzugsensoren mehr Geld zu bezahlen. Stattdessen gehen diese einen Weg aus bestehenden Systeme mit den entsprechenden Sicherheitskennzahlen, um so auf das funktionale Sicherheitslevel zu kommen.

Daniel Kleiner (Baumer): Safety und Seilzüge sind ein heikles Thema, weil das Seil immer eingequetscht werden kann. Was wir aber aktuell feststellen können, ist der Trend in der Mobilen Automation in Richtung Safety. Was die Sensorik anbelangt, verkauft man dort im Wesentlichen redundante Lösungen, d.h. wir haben zwar nur einen Seilzug, aber die ganze Elektronik ist zweikanalig ausgeführt, sodass auch die Übertragung sicher ist. Auf der Mechanikseite zählt im wesentlichen der B10d Wert, der sich durchaus für die Systembetrachtung mit integrieren lässt und die maßgebliche Größe ist, ob der Seilzug ausreicht oder nicht. Wichtig ist auch eine zweite Information zur Plausibilisierung der Messwerte. Gerade im mobilen Bereich sind die Hydrauliker damit vertraut, dass über die Erwartungshaltung der Steuerung die Funktion verifiziert wird, d.h. dass sich eine Bewegung einstellen sollte.

Dr. Martin Forthaus (Fraba): Wir haben aktuell einen PLd-Sensor für Torantriebe entwickelt. Bei dem Seilzug stellt sich natürlich die Frage, wie man die zusätzliche mechanische Herausforderung löst, also speziell das Einklemmen des Seils. Hierfür muss ich entweder eine Seilzugspannungsüberwachung oder Plausibilitätsbetrachtung machen, d.h. ich gebe Energie ins System und schaue, ob ich die erwartete Bewegung bekomme.

Tobias Middendorf (Gefran): Wenn wir mit Maschinenherstellern sprechen, kommt bei der Mobilen Automation wie z.B. bei Ladekränen durchaus eine Sicherheitsbetrachtung in Frage. Allerdings merkt man auch, dass gerade kleinere Unternehmen den Aufwand scheuen eine Sicherheitsbetrachtung und eine Zertifizierung von sich aus durchzuführen. Große Unternehmen, die deutlich mehr Kapazitäten und eigene Abteilungen haben, können das natürlich selber machen. Der Trend geht aber klar in Richtung Sicherheitstechnik, um die Maschine vor einer Fehlbedienung zu schützen und natürlich auch das Personal, das sie bedient. Der Mehrpreis, um z.B. PLd zu erreichen, ist für die Kunden dabei natürlich wichtig.

Wo macht es Sinn, ein hochintegriertes System, das im Entwicklungsaufwand höher ist, einzusetzen, und wo mit einer preisgünstigen Lösung auf den Markt zu kommen?

Hänsler: Wir sehen, dass es Kombinationsprodukte gibt. Zum einen ein Seilzug plus die entsprechende Vielzahl an Anbau-Encodern und auf der anderen Seite die komplett integrierten Lösungen. Wenn wir in Richtung Fabrikautomation mit ihrer Vielzahl an Schnittstellen schauen, dann ist es für uns in der Betriebswirtschaft sinnvoller auf Kombinationen zu setzen, wohl wissend, dass es durchaus auch Volumenapplikationen gibt, bei denen es auch Sinn ergeben kann, in komplett integrierte Lösungen zu gehen. Was bei einer Kombilösung extrem pfiffig ist: Sollte das Seil einmal beschädigt sein, dann wechsle ich die Mechanik und kann den Encoder weiterhin verwenden, was bei einer integrierten Lösung schwierig ist.

Kleiner: Auch wir haben eine Kombination aus zugekauften und eigenen Entwicklungen, die gerade bei der Factory Automation sinnvoll ist. Denn hier haben wir einen sehr großen Mix aus Schnittstellen, Seilzügen und Messlängen, bei dem die Präzisionsanforderungen entsprechend hoch sind. Anders sieht es in der Mobilen Automation aus. Gerade unser Dreikammerprinzip und Schutz gegen Wasser usw. sind Eigenentwicklungen, die ganz gezielt auf diesen Bereich gehen.

Roth: Wir entwickeln und produzieren bei Siko alle Seilzüge selbst, da wir dadurch den Vorteil haben, die entsprechende Flexibilität bei den komplexen elektromechanischen Zusammenhängen zu haben, z.B. bei der Drehgeberintegration. Dadurch wissen wir auch im Detail, welche Performance unsere Sensoren tatsächlich leisten können. Durch dieses Knowhow können wir dem Kunden auch von einem System abraten und auf ein anderes Produkt gehen oder entsprechende Anpassungen machen. Was für eine integrierte Lösung spricht, ist der Bauraum, da ich bei einer Drehgeberlösung, die angeflanscht wird, viele Komponenten habe, die ich im Bauraum und auch von der Kostenseite her nicht brauche. Wir gehen immer dann auf integrierte Lösungen, wenn der Bauraum entscheidend ist oder bei hohen Stückzahlen die Kosten eine Rolle spielen.

Forthaus: Make-or-Buy-Entscheidungen sind in erster Linie ökonomisch und natürlich auch Stückzahl gebunden. Wenn ich eine integrierte Lösung habe, bei der ich verschiedene Sensoriken integrieren möchte, z.B. einen Neigungssensor, würde ich eher dazu tendieren, dafür eine Lösung aufzulegen. Auf der anderen Seite gibt es auch Fälle, die wir gar nicht selbst entwickeln wollen, z.B. Seilzuggeber für den Atex-Bereich.

Middendorf: Auch Gefran hat eine eigene Entwicklung und Produktion von Seilzuggebern. Seit kurzem haben wir beispielsweise einen Seilzugaufnehmer inklusive Neigung. Bei anderen multivariablen Systemen von uns bekommen die Kunden auch Daten zu Rollbewegung, Beschleunigung, Wegmessung und Neigung.

Kaiser: Wir kommen von der Applikationsseite her, d.h. wir haben seit 25 Jahren Kundenprojekte. Da auch wir die komplette Mechanik mit allem darum bei uns im Haus selber herstellen, sind wir natürlich sehr flexibel, was entsprechende Anpassungen angeht.

Den längsten Seilzug, den ich in einer Applikation gesehen habe, war 40m. Wo sehen Sie die Grenzen der Seilzuglängen, die noch sinnvoll integrierbar sind, und wo liegen die Genauigkeitsgrenzen?

Middendorf: Laut Datenblatt bietet ASM-Lösungen bis zu 60m. Allerdings reden wir dann auch über ganz andere Probleme. Sie hätten dann eine Durchbiegung des Seils, wenn Sie keine entsprechende Seilspannung haben. Sie haben eine Dehnung im Messsystem und dazu potenziert sich der Fehler in einer höheren Prozentzahl. Der Peak unser Anwendungen liegt aktuell bei 20 bis 25m, d.h. je länger sie werden, desto kleiner ist auch die Anzahl der Applikationen. Von daher denke ich, dass bei 25m die nutzbare Grenze erreicht ist. Alles andere ist eine Sonderlösung und damit schwierig entsprechende Stückzahlen zu erreichen. Genauso bei kleineren Längen. Irgendwann wird es zu klein, wenn wir in kürzere Bereiche um die 100 bis 200mm gehen, z.B. für die Medizintechnik bei einem Zahnarztstuhl.

Kaiser: Unser Standard ist 4m und das Längste was wir aktuell anbieten sind 20m.

Benötigen Sie für Ihre Applikation eine Linearisierung?

Kaiser: Nein. Bei unserem XQ 1 liegen wir derzeit bei 0,025mm pro Meter. Damit kommen wir bei den meisten unserer Applikationen sehr gut hin.

Roth: Die Genauigkeit, die wir bei unseren Sensoren normalerweise bieten sind 0,1 Prozent des Messwegs. Wir haben auch Sondervarianten mit höheren Genauigkeiten mit 0,05 Prozent vom Messweg. Es gibt die Möglichkeiten diese Werte zu verbessern, aber für höhere Genauigkeiten gibt es aus unserer Sicht bessere und vor allem auch preislich interessantere Systeme, wie die lagerlose Gebertechnik. Der kleinste Seilzug, den wir aktuell anbieten, liegt bei 300mm Messbereich, die größten Seilzüge gehen bis 20m. Wir hatten früher einmal einen 40m Seilzuggeber im Portfolio, aber da gab es sicherheitstechnisch viel zu beachten. Lassen sie mal einen 40m Seilzug schnappen, da wollen Sie nicht daneben stehen, wenn das Seil ankommt. Deswegen haben wir uns schon seit längerem davon verabschiedet.

Forthaus: Bei uns sind es Seilzuglängen von 0,5 bis bis 20m. Darüber hinaus sind die Stückzahlen einfach zu gering, das sind dann reine Sonderanwendungen.

Hänsler: Wir haben Systeme, die bis 60m gehen, aber im wesentlichen vertikale Anwendungen sind, sodass Durchbiegung kein Thema ist. Wenn man allgemein in die Applikationen reinschaut, ist es in der Regel so, dass es meist auf die Wiederholgenauigkeit ankommt, da der Kunde immer wieder einzelne Positionen anfahren möchte. Der Großteil der Anwendungen liegt bei uns im Bereich von 3 bis 5m. Was übrigens auch interessant ist: ein Seilzug kann im Vergleich zu einem Laser ganz unkompliziert auch um die Ecke messen.

Kleiner: Im mobilen Bereich sind wir üblicherweise bei 12 bis 15m, gelegentlich auch mal bis 20m unterwegs mit einer Genauigkeit im Millimeterbereich. Den längsten Seilzug aus dem Bereich Intralogistik, den ich kenne, hat 50m, üblicherweise sind wir aber auch dort im Bereich von 20m. Assembly und Elektrohebebahn sind im Bereich 2 bis 7m. Dort sind Genauigkeiten auch eher im Zehntelbereich. Wo ich mich nicht anschließen kann, sind Ungenauigkeiten durch das Durchhängen von Seilen. Das ist überhaupt kein Thema. Man muss das einfach auch mit anderen Messverfahren – z.B. einem Messlaser – vergleichen, wenn sie mit diesen Verfahren auf 20m messen. Die Spitze des Eisbergs ist die Medizintechnik bei bildgebenden Messverfahren. Dort geht es in den 0,1mm Genauigkeitsbereich, und zwar absolut. Das ist natürlich nur über Linearisierung und mit einer entsprechenden Kalibrierung des Seilzugs möglich.

Wie sehen Sie die Zukunft des Seilzuggebers?

Forthaus: Ein Trend ist die Integration verschiedener Sensorlösungen. Auch Safety ist ein Thema. Bei mobilen Maschinen, bei denen eine immer höhere Automatisierung stattfindet, oder bei AGVs sowie bei Gabelstaplern werden immer mehr Sensoren und Seilzüge eingesetzt.

Kaiser: Allein aufgrund des steigenden Automatisierungsgrads kommen Seilzüge weiterhin zum Einsatz. Wo genau, werden wir dann sehen.

Middendorf: Gerade CANopen Safety wird in Zukunft immer mehr zum Einsatz kommen. Solange es Applikationen gibt, wie Hubstützen, Krahnausleger usw. wird es auch Seilzugaufnehmer geben.

Hänsler: Wir sehen steigenden Bedarf in der Mobilen Automation sowie im Bereich Landwirtschaft oder Lagerlogistik, wo es in Richtung autonomes und teilautonomes Fahren geht. Auch der Einsatz von Assistenzsystemen ist immer weiter verbreitet. Dort ist dann Safety ebenfalls ein Thema.

Kleiner: Ich sehe den Trend der Kombination von Sensorik, z.B. einen Seilzug mit einem Neigungssensor, aber auch anderen Sensoren. Teleskopierte Anwendungen wie ein Ausleger oder Greifsystem brauchen 3D-Koordinaten bzw. einen Vektor, wo sich aktuell das Ende des Arms befindet. Werte wie Neigung, Rotation usw. zu einer Sensordatenfusion zu führen, sehe ich als Innovation für die Zukunft.

Roth: Gerade was die Vorteile in der Montage, Bauform und vor allem Preis-Leistung angehen, sind Seilzuggeber in vielen Anwendungen auch noch in Zukunft vorteilhafter gegenüber anderen Wegmesssystemen. Ich glaube, das Potenzial für die Seilzüge ist lange noch nicht ausgeschöpft.

– Daniel Kleiner, Head of BU Industrial Encoder, Baumer

– Dr. Martin Forthaus, Division Manager, Fraba Group

– Tobias Middendorf, Business Development Manager, Gefran

– Sebastian Kaiser, Area Sales Manager, Hohner Automation

– Armin Hänsler, Head of BU Encoders & Inclination Sensors, Sick

– Mathias Roth, Leiter Geschäftsbereich Mobile Automation, Siko

Moderation: Prof. Dr.-Ing. Johann Pohany

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