Was waren die Höhepunkte in der 100-jährigen Balluff-Geschichte?
Florian Hermle: Die Geschichte unseres Unternehmens begann 1921 mit einer Reparaturwerkstatt für Fahrräder, Motorräder und Nähmaschinen. Daraus ging ein Handwerksbetrieb für Dreh- und Frästeile hervor. Mitte der 1950er-Jahre entwickelte Balluff ein elektrisches Schaltgerät für den Werkzeugmaschinenbau und schuf damit die Basis für ein eigenes Fabrikationsprogramm – mit der Herstellung des Nockenschalters BNS sind wir in die Sensorik eingestiegen. Ende der 1960er-Jahre kamen die induktiven Näherungsschalter auf und wir erweiterten das Portfolio von elektromechanischen auf elektronische Produkte. Darauf folgten die ersten RFID-Systeme in den 1980er-Jahren und magnetostriktive Wegaufnehmer sowie magnetkodierte Wegmesssysteme Anfang der 2000er-Jahre. Die Einführung von IO-Link als erste standardisierte digitale Schnittstelle auf der Sensor/Aktuator-Ebene markierte 2006 den Einstieg in das Industrial Internet of Things. Intelligente Kamerasysteme erweiterten 2016 die Identifikationskompetenz des Unternehmens. Seit 2017 treibt Balluff Digitalisierungslösungen stärker voran und Softwareprodukte sind zentraler Bestandteil unserer Automatisierungslösungen. Bei alldem haben wir früh international gedacht: 1971 haben wir in Österreich die erste Niederlassung gegründet, den ersten eigenen Produktionsstandort in Ungarn 1989.
Was waren für Sie die persönlichen Highlights?
Hermle: Gerade wenn ich mir die letzten zehn Jahre anschaue, eine Zeit, in der ich selbst für die Entwicklung des Unternehmens verantwortlich war, bin ich besonders auf das Wachstum stolz, das wir bei Balluff gemeinsam erreicht haben. Wir haben das Unternehmen von einem Mittelständler zu einem globalen Unternehmen entwickelt. Und ich bin mir sicher, dass wir auch in Zukunft weiter wachsen werden – die Basis dafür bilden unsere Automatisierungsprodukte, die wir mit Software und Services anreichern können. Wir engagieren uns stark für die Digitalisierung unserer Kunden und im Industrial Internet of Things, ohne unsere Kernkompetenzen wie Sensorik aus dem Auge zu lassen. Mit der Integration der Matrix Vision GmbH und der Inovative Software Services GmbH haben wir im Jahr 2017 unsere Digitalisierungskompetenz noch einmal nachhaltig gestärkt.
Macht es Sie stolz, dass Balluff nach einem Jahrhundert immer noch familiengeführt ist?
Hermle: Ja, denn für mich sind damit viele Vorteile verknüpft. In erster Linie sehe ich hier den Aspekt der Nachhaltigkeit und Langfristigkeit, mit der wir Entscheidungen treffen können – wir sind keinen Investoren verpflichtet. So haben wir mehr Entscheidungsfreiheit und können Dinge anders angehen. Vor allem spiegelt sich für mich die Qualität eines Familienunternehmens aber auch im Miteinander im Unternehmen. Bei uns entscheidet die Mannschaft über Erfolg oder Nicht-Erfolg – wir sind ein echtes Team. In der Balluff-Familie ist das Zusammengehörigkeitsgefühl stark, die Loyalität besonders. Das haben wir gerade im vergangenen, für uns alle nicht ganz einfachem Jahr, deutlich gespürt.
Wie kann sich ein Sensorhersteller in Zukunft noch vom Wettbewerb abheben?
Hermle: Wenn wir den Kunden in den Mittelpunkt stellen und ihm genau das bieten, was er möchte, werden wir Erfolg haben. Das heißt: Nicht jeder Sensor muss alles können. Wir müssen mit unserem Angebot auf verschiedene Wünsche eingehen können. Deshalb muss Sensorik Plattformbasiert sein. Und, das ist ganz wichtig, der Sensor von morgen muss smarter sein – die Zukunft liegt schließlich in cloudbasierten Kontrollsystemen.
Auf welche Themen und Branchen werden Sie in den nächsten Jahren Ihre Schwerpunkte legen?
Hermle: Ein klarer Schwerpunkt liegt auf dem Bereich Software. Viele Produkte kommen bereits heute ohne Software gar nicht mehr aus. Das bedeutet auch für uns, dass unsere Produkte immer Softwarelastiger werden. Damit einher geht, dass wir die Art und Weise ändern müssen, wie wir Produkte entwickeln. Denn der große Unterschied zur klassischen Produktentwicklung ist, dass sich Software kontinuierlich weiterentwickelt – sie ist sozusagen nie fertig. Wir forcieren deshalb den Aufbau der Organisation Hardwarenaher und reiner Softwareentwicklung. Bei der Hardwarenahen Software stehen wir heute schon ausgezeichnet da. Die reine Softwareentwicklung wollen wir in Zukunft weiter ausbauen. Denn auch wenn Hardware weiterhin einen Großteil unseres Geschäfts ausmachen wird: Wir werden noch erfolgreicher sein, wenn wir gute Software in den Produkten und zu den Produkten anbieten. Software schafft Mehrwerte! Z.B. kann sie Daten, wenn gewünscht, einfach für übergeordnete Systeme zugänglich machen – die Basis dafür, dass aus Daten wertvolle Informationen für unsere Kunden werden. Wir sind offen, hier neue Wege zu gehen. So haben wir beispielsweise mit dem Strategic Incubation Programm eine Möglichkeit geschaffen, die Startup-Methode anzuwenden: Projektteams arbeiten ziemlich autark an eigenständigen Ideen – so haben wir innerhalb kürzester Zeit spannende Ideen entwickelt. Der Mut, Dinge zu versuchen, die mit Risiken behaftet sind, zahlt sich aus. Bei den Branchen legen wir unseren Fokus momentan auf die Lebensmittel- und Verpackungsindustrie. Hier erhoffen wir uns hohe Wachstumsraten und bringen viele neue Produkte auf den Markt. Die Elektromobilität mit der Batterieproduktion und die sich hier etablierenden Maschinenbauer sind das zweite große Feld. Bei Balluff fassen wir diese Aktivitäten unter dem Begriff Alternative Drive Technologies zusammen – damit haben wir auch zukünftig noch Spielraum für weitere Mobilitätstechnologien.
Wie werden Sie im November das Jubiläum feiern und wie wird es in den nächsten Jahren bei Balluff weiter gehen?
Hermle: Das 100-jährige Bestehen ist schon ein besonders Jubiläum. Die Pandemie macht uns aber einen Strich durch die Rechnung – Feiern ist unter diesen Umständen nicht wie sonst möglich. Wir setzen aktuell deshalb ganz klar auf digitale Formate. Wir haben eine Jubiläumswebsite veröffentlicht, auf der zahlreiche Geschichten über unser Unternehmen über das Jahr hinweg erzählt werden: Zeitzeugen kommen zu Wort, aktuelle Projekte, Mitarbeiter und Standorte werden vorgestellt, Branchenexperten nehmen zu wichtigen Themen der Zukunft Stellung. Wir sind stolz auf das Erreichte, aber wir dürfen uns nicht zufrieden zurücklehnen, sondern müssen immer hungrig für Neues bleiben. Ich bin mir aber sicher, dass wir auch zukünftig ein ganz entscheidender Player in der Automatisierung sein werden! Wir sind in den richtigen Feldern unterwegs, haben die richtigen Kunden und die entsprechenden Möglichkeiten. Mit Automatisierung bieten wir eine Zukunftskompetenz.