Interview mit Tobias Best, Ubito

Wie Energy Harvesting mit Wiegand-Technik mehr Power für’s IIoT bringt

"Energieautarke, funkende Sensorknoten liegen voll im Trend" - das meint Tobias Best, General Manager bei Ubito. Er erläutert der Redaktion im Interview, welche neuen Möglichkeiten das in vielen IoT-Szenarien bietet und wie der Durchbruch bei der Nutzung der Wiegand-Technik als Energiequelle für smarte Sensoren gelungen ist.
"Der von uns erzielte 50-fache Output markiert einen Meilenstein, der noch länger Bestand haben wird." Tobias Best, General Manager, Ubito (Singapur)
„Der von uns erzielte 50-fache Output markiert einen Meilenstein, der noch länger Bestand haben wird.“ Tobias Best, General Manager, Ubito (Singapur)

Das Startup Ubito fungiert seit knapp zwei Jahren als Ideenschmiede bei Fraba Posital, um die Wiegand-Technik weiterzuentwickeln. Wie kam es zu der Gründung?

Tobias Best: Im Prinzip begann unsere Reise als Wiegand-Company bereits 2005. Damals präsentierte Posital – als Teil der Fraba-Gruppe – den weltweit ersten Wiegand-basierten Absolutgeber und läutete damit einen langanhaltenden Trend zu batterielosen Multiturn-Encodern ein. Mit dieser bahnbrechenden Innovation und weiteren Meilensteinen wie der Serienfertigung von SMD-bestückbaren Wiegand-Sensoren für die autarke Versorgung von Rotationszählern in Drehgebern und Durchflussmessern oder der Eröffnung des Wiegand Technology Centers 2014 an unserem F&E-Standort Aachen festigten wir unseren Ruf als erste Adresse in Sachen Wiegand. Schon länger war uns klar, dass wir mit unserem geballten Knowhow das Zeug hatten, um völlig neue Wiegand-Anwendungen ins Visier zu nehmen. Mitte 2021 fiel der Startschuss für die Business Unit Ubito, die seither die Wiegand-Aktivitäten der Fraba-Gruppe bündelt. Operativ sind wir für Herstellung und Verkauf der Wiegand-Sensoren verantwortlich, wobei unsere strategische Ausrichtung auf das systematische Aufspüren von innovativen Wiegand-Applikationen abzielt. Als Marke wollen wir die Wiegand-Technik in komplett neuen Branchen und Anwendungen etablieren – jenseits der Positions- und Bewegungserfassung.

IoT Sensorknoten auf Wiegand-Basis: Die beiden Wiegand-Harvester zwischen den Stabmagneten, unter der weißen Umhausung (links) und die Sendeplatine mit Mikrokontroller, Temperatursensor und UWB-Sendemo (rechts).
IoT Sensorknoten auf Wiegand-Basis: Die beiden Wiegand-Harvester zwischen den Stabmagneten, unter der weißen Umhausung (links) und die Sendeplatine mit Mikrokontroller, Temperatursensor und UWB-Sendemo (rechts).

Wie kamen Sie auf die Idee, einen drahtlosen Sensorknoten mit einem Wiegand-Generator zu versorgen?

Ganz einfach: Weil energieautarke, funkende Sensorknoten voll im Trend liegen. Sie sind das A&O, wenn es um den weiteren Ausbau der gigantischen IIoT-Infrastruktur geht, in der Millionen von Aktoren und Sensoren untereinander vernetzt sind und permanent wichtige Prozessdaten und Steuersignale liefern. Statt aufwändiger Kabel und lästiger Batterien, sind hier clevere Energy-Harvesting-Systeme gefragt, die die gesamte Power für den Betrieb des IIoT-Knotens aus der unmittelbaren Umgebung herauskitzeln. Genau hier wollen wir das Wiegand-System, das Impulse bzw. Energie aus einem sich verändernden Magnetfeld generiert, als feste Größe neben bereits etablierten Lösungen wie Solar-, Piezo- oder Thermoelektronik fest verankern. Wie groß der Bedarf nach energieautarken Kleingeräten und Sensoren ist, macht folgende Zahl deutlich. In den kommenden zehn Jahren wird die weltweite IIoT-Infrastruktur mindestens um das Dreifache wachsen.

Was für Vorteile hat die Wiegand-Technologie gegenüber anderen Energy-Harvesting-Systemen wie Piezo oder Solar?

Wir benötigen lediglich ein externes Magnetfeld – aber kein Licht, keine Vibration oder Temperaturschwankungen. Während die Wiegand-Technologie ereignisbasiert ist, erfordern Solar, Piezo und Thermoelektronik eine permanente Anregung. Ausgelegt sind sie auf das Sammeln und Speichern eines kontinuierlichen Low-Power-Inputs, was zu Ineffizienzen durch Speicherverluste führen kann. Ein Wiegand-Puls dagegen generiert Energie zu einem bestimmten Zeitpunkt. Dabei kann die Energie auch über einen längeren Zeitraum akkumuliert werden, aber die Hauptstärke liegt in der Fähigkeit, in einem Moment ausreichend Power für die anstehenden Aufgaben zu liefern. Weitere Pluspunkte des Wiegand-Systems, das auf berührungsloser Magnetik basiert und ohne mechanische Komponenten auskommt, sind Verschleißfreiheit und Langlebigkeit.

Was war das Ziel des F&E-Projektes? Wer sind die Beteiligten?

Federführend waren wir an zwei großen, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekten beteiligt. Beim ersten Projekt ging es darum, die Wiegand-Sensoren noch robuster zu machen und ihre Fertigung weiter zu automatisieren. Noch ambitionierter war das zweite Projekt, in dem es um eine signifikante Steigerung der über den Wiegand-Draht generierten Energieausbeute ging. Reichten die mit dem klassischen Wiegand-Sensor pro Rotation erzeugten 190nJ, um die Zählelektronik auch im stromlosen Zustand zu aktivieren und die Position der Welle lückenlos zu erfassen, sollte mit einem Power-Harvester auf Wiegand-Basis der Energie-Output auf ein Level gesteigert werden, das für den Betrieb autarker IIoT-Sensorknoten mit Wireless-Anbindung reichte. Mit der Steigerung des Energie-Outputs um den Faktor 50 lag die Messlatte hier besonders hoch. Erfolgreich abgeschlossen werden konnten beide F&E-Projekte, die von Aachen aus vorangetrieben wurden, in enger Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von akademischen und kommerziellen Partnern, darunter IMMS, iC-Haus und andere.

Sie haben also das bisherige Knowhow der Wiegand Sensoren komplett auf den Prüfstand gestellt? Welche Erkenntnisse haben Sie dabei gewonnen?

Mit unserem Wiegand Technology Center als Backup durchleuchteten wir sämtliche Prozessschritte, von der Schmelze der Vicalloy-Legierung über die komplexe Fertigung des magischen Wiegand-Drahtes bis zur Montage des fertigen Energy-Harvesters, bei dem der hochsensible Draht in eine Kupferspule eingebettet ist. Dabei entwickelten wir ein noch tieferes Verständnis für die Basistechnologien rund um den Wiegand-Effekt. Mit diesem Knowhow konnten wir konkrete Modifikationen vornehmen, die unter dem Strich zu der avisierten Erhöhung des Power-Outputs beitrugen. Ein wichtiger Aspekt bestand auch darin, verschiedene Auslösesysteme auf ihre Interaktion mit unserem Harvesting-System abzuklopfen.

Der haarfeine, aufwändig konditionierte Draht ist die Kernkomponente sämtlicher Energy-Harvesting-Systeme, die den magnetisch induzierten Wiegand-Effekt nutzen.
Der haarfeine, aufwändig konditionierte Draht ist die Kernkomponente sämtlicher Energy-Harvesting-Systeme, die den magnetisch induzierten Wiegand-Effekt nutzen.

Sie haben bereits einen F&E-Prototypen gezeigt, der sich zur energieautarken Versorgung autonomer IoT-Sensoren eignet. Was zeigt der Demonstrator genau?

Als Proof-of-Concept-Demonstrator konnten wir letztes Jahr live den weltweit ersten funkenden IIoT-Sensorknoten auf Wiegand-Basis präsentieren. Dafür hatten wir einen IIoT-Knoten mit Temperatursensor, Mikroprozessor und integriertem UWB-Sendemodul entwickelt, der sämtliche akquirierten Daten drahtlos an einen 50m entfernten Empfänger überträgt und komplett mit Wiegand-Power betrieben wird. Schlüsselkomponente der Demo-Installation war der Prototyp eines kompakten Wiegand Harvesters, der mit 10µJ Energie den 50-fachen Output lieferte wie ein klassischer Wiegand-Sensor – und den Weg freimachte für die breite Nutzung von Wiegand-Power bei der Versorgung autarker IIoT-Knoten.

Zu welcher Schlussfolgerung kamen Sie mit dem Proof-of-Concept-System und wie geht es weiter?

Unser Demonstrator hat eindrucksvoll die Machbarkeit von Wiegand-betriebenen Sensorknoten unter Beweis gestellt. Jetzt geht es darum, die Erfahrungen aus dem Labor auf die Straße zu bringen, sprich in echten Anwendungen umzusetzen. Um hier voranzukommen, haben wir gerade unser Ubito-Wink-Test-Kit – Wink steht für Wiegand IoT Node Kit – fertiggestellt. Es basiert auf den Komponenten unseres Demonstrators, die wir noch einmal optimiert haben. Das Test-Kit, das eine Reihe von Plug&Play-Sensoren enthält und sich wahlweise mit einem PC, einem WiFi- oder Bluetooth-Netzwerk verbinden lässt, geben wir interessierten Partnern als praktisches Tool an die Hand, um das Potenzial unserer Innovation mit Blick auf ihre jeweiligen Einsätze und Vorgaben auszutesten. Ubito-Wink wird dabei helfen, zeitnah echte Praxisanwendungen für unseren auf Power getrimmten Wiegand-Harvester zu finden. Wir rechnen mit marktreifen Produkten in zwölf bis 18 Monaten.

Die Wiegand-Harvester liefern ein Vielfaches mehr Energie als die klassischen Wiegand-Sensoren. Ist da noch Luft nach oben?

Etwas Luft ist immer, zumal wir die physikalischen Grenzen der Technologie noch nicht komplett ausgereizt haben. Allerdings werden die Zuwächse moderat ausfallen. Der von uns erzielte 50-fache Output markiert einen Meilenstein, der noch länger Bestand haben wird.

Welche Rolle spielt der Aspekt Nachhaltigkeit hierbei?

Nachhaltigkeit ist ein Treiber hinter der Wiegand-Technologie. Auf breiter Front sorgen wir mit unserem Energy-Harvesting-System für energieautarke Lösungen. Schon seit Jahren sind wir bei vielen Anwendungen im Low-Power-Bereich die praktische und bessere Alternative zu umweltschädlichen Batterien.

Welche Marktchancen sehen Sie generell für Sensorsysteme auf Wiegand-Basis?

Wir sehen sehr gute Chancen in einer Vielzahl von Anwendungen und Bereichen. Das Spektrum reicht von der Versorgung einzelner IoT-Geräte bis zum energieautarken Betrieb komplexer Sensorknoten, die unterschiedliche Prozessdaten wie Temperatur oder Luftfeuchtigkeit erheben. Preventative Maintenance, bei der es um die Erfassung unterschiedlicher Betriebsdaten wie etwa die Nutzungsdauer besonders beanspruchter Komponenten einer Anlage geht, ist ein weiteres spannendes IoT-Thema. Neben der ereignisbasierten Energiegewinnung haben wir auch die Themen Signalerzeugung sowie die drahtlose Übertragung elektrischer Energie auf dem Schirm. Weit gediehen ist die Nutzung des Wiegand-Pulses als Signalgeber für eigensichere Näherungsschalter. Gute Marktchancen gibt’s auch bei Anwendungen mit niedriger Geschwindigkeit oder einer großen Bandbreite von Geschwindigkeiten. Als Plus erweist sich hier die Fähigkeit der Wiegand-Technik, unabhängig von der Auslösegeschwindigkeit ein konstantes Energieniveau zu liefern.

Werden die normalen Wiegand-Sensoren im Zuge der Forschungen weiterentwickelt?

Wir arbeiten ständig an der Optimierung der Wiegand-Sensoren, die in eher traditionellen Zähl- und Messanwendungen, etwa in Multiturn-Gebern oder Durchflussmessern, genutzt werden. Bei diesen Low-Power-Einsätzen ist die Erhöhung der Impulsenergie kein wirkliches Thema. Wichtig sind hier Aspekte wie magnetische Stabilität und Signalzuverlässigkeit, die wir bei der Verbesserung unserer Wiegand-Sensoren in den Mittelpunkt stellen. Ein ordentlicher Modernisierungsschub geht aktuell von dem jüngst abgeschlossenen BMBF-Förderprojekt aus.

Gibt es weitere Themen, denen sich Ubito widmet?

Gemeinsam mit Posital entwickeln wir aktuell einen von uns in Eigenregie konzipierten ASIC, der die notwendige Zähllogik für genaue, zuverlässige Wiegand-gestützte Zählsysteme liefert. Mit dem eigenen ASIC steigt Posital erstmalig aktiv in die Basissensorik ein. Premiere hat der neue ASIC in den NextGen-Multiturn-Drehgebern, die Posital im Laufe des Sommers vorstellt und damit seine Position als Technologieführer bei magnetischen Präzisionsgebern untermauern will.

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