Praxis statt Theorie

Neue Sensor-Geschäftsmodelle dank Industrie 4.0
Das Modell einer Industrie 4.0 wurde wesentlich für die diskreten Prozesse der fertigungstechnischen Industrien entwickelt. Das Werkstück selbst soll dort die verschiedenen Schritte der Fertigung steuern. Die Karosserie sagt der Anlage: \"Lackier mich rot!\". In den verfahrenstechnischen Industrien passt dieses Modell nicht so richtig und doch sind die Trends, die Chancen und die Risiken in beiden Branchen gleich oder doch sehr ähnlich. Es geht um die Digitalisierung der Produktion und ganzer Unternehmen und um Integration mithilfe des Internets.

Wertschöpfungsketten können über Firmengrenzen hinweg integriert werden und erlauben neue Wege der Zusammenarbeit. Die technischen Prozesse der Produktion werden mit Geschäftsprozessen integriert und die Stufen des Engineerings werden verknüpft über den Lebenszyklus ganzer Anlagen hinweg. Neu ist dabei nicht allein die Technik. Neu sind auch die Wege und die Intensität der Zusammenarbeit. Und es entstehen viele neue Geschäftsmodelle. Doch genug der Theorie. Lassen Sie uns zwei praktische Beispiele diskutieren.

Praxisbeispiel 1: Ölverladung

In der Ölindustrie wird Rohöl häufig von den Förderstandorten per Schiff zur Weiterverarbeitung in die Raffinerie transportiert. Dazu muss das Öl in der gewünschten Menge auf das Schiff gepumpt werden. Die Menge muss also gemessen werden und der Messwert steuert die Verladung. Soweit ist das alles noch eine lokale Anwendung ohne Besonderheiten. Das Coriolis-Masse-Durchflussmessgerät, Ventile, Pumpen und die Steuerung befinden sich am Verladeort. Doch Integration im Sinne von Industrie 4.0 erlaubt mehr. Das Öl wechselt bei der Verladung nämlich seinen Eigentümer. Es geht vom Eigentum der Firma A über in das Eigentum der Firma B. Das spiegelt sich in der Bilanz beider Unternehmen und erfordert Transaktionen, die sich am Ende in der Gewinn- und Verlustrechnung beider Firmen wiederfinden lassen. Die zugehörigen Informationen finden sich in den ERP-Systemen (Enterprise Resource Planning) der Unternehmen – oft ist es ein System von SAP bei unseren Kunden in der Verfahrenstechnik. Es geht also um eine Integration vom Sensor im Feld bis ins IT-System, welches die Geschäftsprozesse des Unternehmens steuert. Es ist also eine Integration im Sinne von Industrie 4.0. Doch ist das wirklich neu? Man konnte das mit Standard-IT-Mitteln rein technisch auch in der Vergangenheit realisieren – nur konnte man es kaum bezahlen: Viel zu hohe Kosten. Erst die Internet-Technologie mit ihren Massenanwendungen erlaubt solche Integration auch in der Praxis. Die Folgen sind dramatisch. Denn die Bestandsinformationen liegen nun in Realzeit vor und das erlaubt die Anwendung neuer Geschäftsmodelle.

Praxisbeispiel 2: Palmölindustrie

Im Moment wickelt Endress+Hauser ein Projekt ab für einen großen Kunden der Palmölindustrie. Der Kunde betreibt über 1.000 Tanks mit Palmöl an verschiedenen Standorten in fünf Ländern in Südostasien. Nun geht es darum, die Informationen über die Bestände aller Standorte in Realzeit in einer Zentrale verfügbar zu machen. Aufgrund dieser Informationen kann unser Kunde die nach Ort und Zeit schwankenden Preise für Palmöl im Handel nutzen und seine Verkaufspreise optimieren. Ein neues Geschäftsmodell wird so zur Anwendung gebracht. Technisch geht es wiederum um die Integration von Sensorinformationen in ein ERP-System mithilfe von Mitteln der Internettechnologie. Gemessen werden hier die Größen Füllstand, Temperatur und Dichte. Über eine OPC-Schnittstelle und eine \’Business Process Integration Middleware\‘ gelangen die Informationen in das führende ERP-System, auch in diesem Fall war es ein SAP-System.

Zusammenarbeit Automatisierung und IT

Wie wir sehen, gehen solche Industrie 4.0-Anwendungen heute bereits in die Praxis. Natürlich finden wir dabei noch keine umfassenden Architekturen. Wie fast immer erfolgt der Fortschritt, so wie es schon sein Name sagt, in Schritten. Immer geht es dabei um konkreten Kundennutzen. Aber wenn die Brücke zwischen Anlage und IT, Produktions- und Geschäftsprozessen erst einmal geschlagen ist, kommen andere Anwendungen und weiterer Nutzen hinzu. So kann der digitale Informationskanal zwischen Sensorik, Automatisierung und IT für das Plant-Asset-Management genutzt werden. Alle technischen Stellen in der Anlage werden fortlaufend überwacht und im Fehlerfall wird eine Meldung generiert. Doch dann kann im ERP-System auch eine Instandhaltungsmaßnahme geplant und verbucht werden, einschließlich der personellen und materiellen Ressourcen und der damit verbundenen Kosten. Industrie 4.0 erfordert Zusammenarbeit in neuen Dimensionen. Die besondere Herausforderung lag in der Zusammenarbeit von Automatisierungsfachleuten und IT-Spezialisten. Das war am Anfang nicht leicht. Es musste erst eine gemeinsame Sprache gefunden werden, um sich mit den angestrebten Lösungen auseinandersetzen zu können. Doch dann – nach der Überwindung der Hemmnisse und Hürden des Beginnens – wurde die Zusammenarbeit enorm produktiv. Zu ersten Lösungen kamen wir schnell, weil Technologien und notwendige Komponenten heute verfügbar sind. Sie müssen nur genutzt und pragmatisch zusammengesetzt werden.

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Endress+Hauser (Deutschland) GmbH+Co. KG.
http://www.de.endress.com

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