Low-cost Radaranwendungen mit 145GHz und 240GHz

Auf der Überholspur

In den letzten Jahren hat sich der Einsatz von Radarsensoren in den Millimeterwellen Frequenzbändern um 80GHz zur Schlüsseltechnologie für autonomes Fahren entwickelt. Auch in der industriellen Sensorik bietet der Einsatz von Radartechnik zahlreiche Vorteile. Der folgende Artikel gibt einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand. Durch die physikalischen Unterschiede von Radartechnik im Vergleich zu optischen Sensortechnologien sind robustere Lösungen für bisher hartnäckige Messprobleme in verschiedensten Applikationen möglich.
145GHz USB-Demonstrationsradar
145GHz USB-Demonstrationsradar

In den Forschungslaboren konnte jüngst die Messgenauigkeit der Radartechnik auf Rekordwerte von besser 1µm gesteigert werden. Möglich wird dies durch die Erweiterung der genutzten Bandbreite, eine höhere Systemstabilität und zusätzlichen Optimierungen in der Signalauswertung. Die Standardabweichung beträgt dabei 140nm in einem Meter Entfernung bei 1kHz Messrate. Mit dieser Performance sind Radarsysteme künftig in vielen Applikationen eine ernstzunehmende Alternative zu optischen Distanzsensoren. Die Radartechnik ist deutlich unempfindlicher gegenüber Rauch, Nebel oder Staub, weil Millimeterwellen diese durchdringen können und nicht auf saubere Optiken angewiesen sind. Zudem ist dank des Einsatzes von modernen Chip-Produktionstechnologien Radarsensorik in den höheren Frequenzbereichen in großen Stückzahlen auch im Bereich der Low-Cost-Sensorik möglich. Die an der Ruhr-Universität Bochum und dem Fraunhofer FHR entwickelten FMCW-Radarsysteme werden bereits erfolgreich in mehreren Applikationen, wie z.B. Stahlwerken unter rauen Bedingungen eingesetzt und haben bisher ein positives Anwenderfeedback zur robusten und zugleich hochpräzisen Sensortechnologie hervorgerufen. Es existiert eine Auswahl an kleinen und leicht in Testapplikationen zu integrierenden USB-Sensoren. Die aktuellen Forschungssysteme liegen in Frequenzbereichen um 145 und 240GHz, wobei das 240GHz-System aufgrund der auf dem Sensorchip integrierten Antennen die Aufbautechnik deutlich vereinfacht und damit günstige Sensoren auch in großen Stückzahlen ermöglicht. Es laufen Forschungsarbeiten den Frequenzbereich weiter zu erhöhen, um eine einfachere Frequenzzulassung der Systeme zu ermöglichen. Dadurch wird die Abdeckung noch größerer Bandbreiten möglich, was wiederum eine noch bessere Messgenauigkeit erlaubt. Der Einfluss von Staub, Luftfeuchtigkeit oder Nebel wird bei höheren Frequenzen größer, ist aber immer noch deutlich geringer als bei optischen Sensorsystemen. In Bild 2 ist eine schwebende Kugel dargestellt, die durch einen Elektromagneten in Kombination mit einer Regelschleife in einer programmierbaren Höhe gehalten wird. „Die Position der Kugel wird mikrometergenau durch den Sensor im Fuß des Aufbaus bestimmt und die Position ungestört vom künstlich generierten Nebel geregelt“, berichtet Alexander Orth, Mitarbeiter der Ruhr-Universität Bochum. Der Regler und die echtzeitfähige Radarauswertung wurden auf Basis der Zynq Plattform von Xilinx realisiert.

Demonstrationsaufbau der 'schwebenden Kugel'. Die Position der Kugel wird mittels eines Radarsensors im Fuß des Aufbaus berührungslos durch den Nebel gemessen und echtzeitfähig ausgewertet.
Demonstrationsaufbau der ’schwebenden Kugel‘. Die Position der Kugel wird mittels eines Radarsensors im Fuß des Aufbaus berührungslos durch den Nebel gemessen und echtzeitfähig ausgewertet.

Einsatzmöglichkeiten und Vorteile

Bei Distanzmessungen liegen die Technologievorteile im Vergleich zu optischer Sensorik besonders bei spiegelnden, heißen/dampfenden oder durchsichtigen Oberflächen wie z.B. Glasflaschen, nicht optisch reflektierenden Oberflächen, wie z.B. dunklen Kunststoffen, und natürlich in rauen und staubigen Umgebungen. Kurzum: In vielen industriellen Positionieranwendungen ist Radar den optischen Systemen überlegen. Zwar werden Laserinterferometer weiter die Referenz an Messgenauigkeit bleiben, dennoch kann Radar mikrometergenaue Messanwendungen robust, wartungsarm und präzise abdecken. Selbst mit Lasersystemen nur schwer abdeckbare Messprobleme, wie mehrzielfähige Geschwindigkeits- und Vibrationsmessungen, sind mit der Radartechnik möglich. Auch die Analytik profitiert von Radartechnik, so können Materialschwankungen, die eine geänderte Permittivität hervorrufen, wie z.B. Wassereinschlüsse in Öl, Änderungen in der Zusammensetzung von Kunststoffen, oder auch die Dicke und Feuchtigkeit von Papier mit Radarsystemen präzise bestimmt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die Welle in das Material teilweise eindringen oder es sogar durchdringen kann, wie es bei den meisten Kunststoffen oder auch Glas gegeben ist. Durch den Einsatz hoher Frequenzen kann aufgrund der Rückstreueigenschaften oder mittels Radarbildgebung auch eine Aussage über die Materialbeschaffenheit getroffen werden. So können z.B. Oberflächenrauigkeiten berührungslos bestimmt werden. Die Radarbildgebung erlaubt zudem die Beurteilung und den Vergleich von Werkstücken, derer Maße, oder den zugrundeliegenden Materialien. So können z.B. in Tiefkühlkost Fremdköper aus Kunststoff erkannt oder versteckte Gegenstände in Briefen gefunden werden.

240GHz Radar-Sensor mit integrierten Antennen
240GHz Radar-Sensor mit integrierten Antennen

Ausblick

Der Trend in der Radartechnik geht klar zu kleinen und kostengünstigen Sensoren mit integrierten Antennen im Frequenzbereich >200GHz für präzise Distanz- und Vibrationsmessungen. Einige derzeit in Entwicklung befindliche Schaltungen erlauben noch deutlich schnellere Messraten als 1kHz bei gleichbleibender Messgenauigkeit, so dass Radarsensoren direkt in Werkzeugmaschinen als Ersatz für Glasmaßstäbe genutzt werden können. Der Einsatz von rekonfigurierbarer Hardware erlaubt zukünftig eine schnelle Anpassung des Sensors an verschiedenste Applikationen und vor allem die schnelle Adaption an unterschiedliche industrielle Kommunikationsschnittstellen. So deckt die gleiche Sensorhardware mit einer rekonfigurierbaren Prozessierungseinheit direkt mehrere Anwendungen ab. Zusätzlich geht der Trend der Radartechnik hin zu MIMO (Multiple Input Multiple Output) Systemen, die Radarbildgebung ohne mechanisches Verfahren des Sensors ermöglichen. MIMO-Scanzeilen oder aufgrund der zugrundeliegenden günstigen SiGe-Technologie mögliche vollbesetzte Radar-Zeilenkameras können z.B. Tiefkühlkost oder Briefe/Pakete direkt auf dem Band in 3D-Radarbildern erfassen. Der Radarsensorik steht eine große Zukunft als eines der zentralen Sensorsysteme für die hochpräzise Bestimmung von Position, Vibration, Materialeigenschaften und Oberflächenbeschaffenheit bevor.

Ruhr-Universität Bochum
http://www.insys.ruhr-uni-bochum.de

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