SPS & Bildverarbeitung: Wie geht es weiter? - Teil 1/2

SPS goes Vision

Die Welten der Automatisierung und Bildverarbeitung wachsen immer stärker zusammen. Wo aber stehen wir aktuell? Um dies zu klären, fand eine Podiumsdiskussion auf dem VDMA-Forum während der SPS IPC Drives statt.
Bild: TeDo Verlag GmbH

Seit Jahren wird propagiert, dass die Welten der Bildverarbeitung und der SPS zusammenwachsen. Was ist der aktuelle Stand der Dinge?

Dr. Josef Papenfort (Beckhoff): Wir verfolgen schon seit längerer Zeit das Ziel Vision in unsere Steuerungswelt zu integrieren, so wie wir bereits Motion Control, Robotik und Messtechnik integriert haben. Von der Konfiguration her sehen wir kaum einen Unterschied zur Konfiguration eines Servo-Antriebs. Und von der Programmierung her wird Bildverarbeitung in den bekannten SPS-Programmiersprachen programmiert.

Andreas Waldl (B&R): Zusammenwachsen bedeutet eine vollständige Integration der Vision-Systeme in die SPS-Welt. Das haben wir konsequent umgesetzt: Kameras, Beleuchtung und Bildverarbeitungsalgorithmen sind integraler Bestandteil des B&R-Automatisierungssystems – sie hängen im selben Echtzeit-Netzwerk wie Steuerungen und Antriebe. Alles ist µs-genau miteinander synchronisiert.

Peter Keppler (Stemmer Imaging): Was wir sehen, ist ein schon seit vielen Jahren laufender Prozess. Neu ist, dass die Bildverarbeitung nun wirklich in die Steuerung integriert wird. Allerdings gibt es dort noch viele Standardisierungsthemen zu klären.

Dr. Klaus-Henning Noffz (Silicon Software): Was wir erreicht haben, ist, dass Bildverarbeitung bei vielen Herstellern ein Top-Thema geworden ist. Wir sehen, dass Know-how vom klassischen Bildverarbeiter auch bei Automatisierern lizenziert und integriert wird. Allerdings gibt es, auch von der Steuerungsseite her, eine Vielzahl von Technologien, Feldbussen und Standards. Der nächste Schritt muss daher sein, dass wir eine leichtere Integration von Bildverarbeitung in die Steuerungssysteme erreichen, z.B. über OPC UA, um so übergreifende Kommunikationssysteme zu bekommen, in die sich eine Bildverarbeitung leichter integrieren lässt.

Rainer Schönhaar (Balluff): Auch wir als Sensorhersteller müssen mehr und mehr Lösungen gesamtheitlich betrachten. Dezentrale Vision-Lösungen sind eine Möglichkeit, aufbereitete Daten einer Steuerung zur Verfügung zu stellen bzw. Sensoren damit zu steuern.

Gab es nicht auch Verständnisprobleme sowohl auf Seiten der Automatisierer als auch der Bildverarbeiter?

Papenfort: Natürlich müssen wir als Automatisierer Bildverarbeitung lernen, aber wir werden auch von unseren Kunden getrieben.

Waldl: Das Verständnisproblem ist auf beiden Seiten vorhanden. Auch die Vision-Fraktion hat die Probleme einer Automatisierung oft nicht gesehen. Eine Automatisierung hat Anforderungen an Echtzeitsysteme oder die Anbindung der Systeme selbst – und damit meine ich nicht nur den Feldbus – durchgängig zu erfüllen. Wir haben ideale Partner im Softwarebereich gefunden, aber in Richtung Hardware blieb uns nur die Lösung, das Ganze selbst zu entwickeln.

Keppler: Ein Bildverarbeitungssystem besteht aus sehr viel mehr als dem Kabel für die Kommunikation. Vorne muss das Bild erst einmal aufgenommen werden und für die Bildformierung – also alles was mit Beleuchtung, Optiken, Kameratechnologie usw. zu tun hat – braucht man sehr viel Erfahrung, die viele Automatisierer bisher noch nicht haben. Daher sind Partnerschaften zwischen Bildverarbeitern und Automatisierern für beide Seiten sehr interessant. Erst wenn die Bildaufnahme und Auswertung gelöst ist, erfolgt die Integration in das Automatisierungsumfeld. OPC UA Vision ist auf einem sehr guten Weg, die Kommunikation zur Automatisierung zu ermöglichen.

Dr. Olaf Munkelt (MVTec Software): Was die Welten der Automatisierer und Bildverarbeiter trennt, ist letztendlich der Anwender selbst, der von völlig unterschiedlichen Voraussetzungen ausgeht. Vision-Anwender sind häufig 100-prozentige Bildverarbeiter und weniger Automatisierer. Automatisierungsanwender kommen dagegen aus einem völlig anderen Hintergrund. Die Arbeit besteht darin, eine Übersetzung zwischen den beiden Welten zu ermöglichen. Wenn es den Automatisierungsherstellern nicht gelingt, diese Übersetzungsarbeit zu leisten, werden sie auch keine Kunden finden, die Bildverarbeitung machen wollen.

Wieso beschäftigen sich Steuerungshersteller – wie Beckhoff und B&R – mit dem Thema Bildverarbeitung?

Papenfort: Unsere Kunden möchten das Thema Vision in die Steuerungswelt integriert haben, weil Bildverarbeitung ein immer wichtigerer Bestandteil wird, z.B. für Track&Trace oder Qualitätsmerkmale wie Vermessung usw. Beckhoff liefert mit TwinCAT Vision eine voll integrierte Bildverarbeitung die – mit Motion Control und Robotik synchronisiert – in Echtzeit synchron abgearbeitet wird.

Waldl: Der Kundenbedarf ist da. Die bisherigen Lösungen am Markt entsprachen allerdings nicht zu 100 Prozent den Bedürfnissen der Anwender. Bei der Usability ist der Vision-Markt schon sehr weit. Wenn es aber um den ganzen Lebenszyklus geht, also z.B. wie integriere ich Bildverarbeitung in eine Automatisierungswelt, wie erweitere ich Funktionen, wie integriere ich alles in die Maschinenvisualisierung, was mache ich im Service-Fall … dort denkt der Vision-Markt noch völlig anders als der Automatisierungsmarkt. Der Automatisierer ist es gewohnt, dass man eine Komponente austauscht und die Maschine läuft. Im Vision-Markt muss man, wenn man z.B. eine Beleuchtung austauscht, alles neu kalibrieren und einstellen.

Schönhaar: Anwender nutzen die Bildverarbeitung, um ihre Automatisierung zu optimieren. Allerdings geht es in der Automatisierung auch um Service, Prozessoptimierung oder Stillstandszeiten. Wie muss im Servicefall reagiert werden – welche Möglichkeiten hat der Anlagenbetreiber, welche Unterstützung ist vom Lösungsanbieter erforderlich.

Keppler: Wenn ich provokativ bin, sage ich, dass die Automatisierer jetzt Bildverarbeitung machen, weil wir Bildverarbeiter in den letzten 20 Jahren einen guten Job gemacht haben. Wie haben wir es geschafft, Bildverarbeitung aus den ‚Hightech-Garagen‘ so weit zu bringen, dass sie auch von den (Automatisierungs-)Anwendern nachgefragt wird, weil wir eine extrem weitreichende Beratung geliefert und uns auf die Kunden eingestellt haben. Jetzt ist es die Herausforderung, ob die Automatisierer mit ihrer Vertriebsmannschaft, Know-how, Erfahrungsschatz und Kundenkreis den Ball aufnehmen können.

Noffz: Mittlerweile können wir auch recht komplexe Vision-Anwendungen in sehr kleinen Systemen integrieren. Ein Sensor, der bisher nur eine eingeschränkte Anwendungsbreite hatte, verfügt jetzt über das Potenzial, sich deutlich zu erweitern. Mit der Rechenleistung, die zur Verfügung steht, können auch anspruchsvolle Messaufgaben gelöst werden. Deswegen ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt, dass wir über das Zusammengehen beider Welten reden.

Wie geht die Zusammenarbeit weiter?

Papenfort: Wir bieten Schnittstellen zu Kameras unterschiedlicher Hersteller. Natürlich müssen wir auch unser automatisierungstechnisches Know-how mit einbringen, um z.B. eine Beleuchtung zu triggern. Hierzu haben wir mit der EL2596 bereits eine Ethercat-Klemme vorgestellt, die speziell für die Bedürfnisse in Bildverarbeitungsapplikationen gedacht ist.

Schönhaar: In unsere Vision-Lösungen ist viel Praxiserfahrung eingeflossen. So kann auch ein nicht Vision-Experte viele Bildverarbeitungsanwendungen einfach und selbstständig umsetzen. Wir arbeiten mit einer Bedienplattform, über die man vom Vision-Sensor über eine Smart-Kamera bis hin zu Mehrkamerasystemen mit dem gleichen Bedienkonzept arbeitet und so ein sauberes Datenhandling in Richtung SPS aufbaut.

Muss der Automatisierer zukünftig Nachhilfe in Sachen Bildverarbeitung nehmen, oder die automatisierten Vision-Produkte deutlich einfacher in ihrer Bedienung werden?

Waldl: Definitiv letzteres. Zwar wird es auch zukünftig Applikationen geben, bei denen man einen Systemintegrator braucht, aber ein Großteil der Anwendungen wird einfacher bedienbar sein.

Munkelt: Wenn man sich die heutigen Apps auf Smartphones ansieht, können wir davon sehr viel lernen. Mittels UX- oder UI-Designer können auch komplexe Technologien so verpackt werden, dass sie für einen anderen Anwenderkreis nutzbar sind. Bildverarbeitung wird nur dann in der Automatisierung Erfolg haben, wenn genau diese Transformation gelingt. Die Anzahl von Parametern, die man bei der Bildverarbeitung benötigt, sind einfach noch zu viele.

Schönhaar: Unsere Bediensoftware greift über einfache Usability-Funktionen und Algorithmen direkt auf die Bildverarbeitung zu. Was nachher an Hardware für Standardapplikationen dahinter steckt, ist bereits in dem System integriert. Der Anwender muss nur die Oberfläche beherrschen, wir stellen die Vision-Applikation vorab ein.

Keppler: Bildverabeitungssysteme reagieren nicht deterministisch. Es gibt variable Umwelt- und optische Einflüsse, die berücksichtigt werden müssen. Es sind am Ende nicht nur die zehn oder zwanzig Parameter, die man aus einem Handbuch lernt, wie diese einzustellen sind, sondern es gibt einen Erfahrungsschatz über Beleuchtung oder Optik.

Papenfort: Die Einstellung einer Kamera ist nicht komplizierter als die eines Servo Drives. Auch dort gibt es Hunderte von Parametern. Die Konfiguration einer Kamera ist somit vergleichbar zu den bekannten Komponenten aus der Automatisierungstechnik und kann damit auch mit den gleichen Werkzeugen erfolgen.

Werden intelligente Kameras klassische Bildverarbeitungssysteme ablösen?

Keppler: Ja, das werden sie. Das liegt daran, dass die Definition sich verändert hat. Eine klassische Kantenantastung oder eine Objekterkennung kann man heutzutage tatsächlich mit intelligenten Kameras oder Vision-Sensoren lösen. Allerdings wird der klassische Bildverarbeiter nicht abgelöst. Während sich die Automatisierer um die Integration der Bildverarbeitung in einen Controller kümmern, beschäftigen wir uns bereits heute mit den neuen Technologien von morgen, z.B. Hyperspectral Imaging, Deep Learning usw.

Noffz: Das Potential ist da, dass die Funktionen eines heutigen Bildverarbeitungssystems in eine Smart Camera wandern. Allerdings gibt es Grenzen. Die einzelnen Kamerakomponenten werden nicht einfach nur noch Bilder aufnehmen, sondern direkt Ergebnisse verarbeiten. Die muss man aber auch integrieren und hierfür benötige ich jemanden, der deutlich mehr von Bildverarbeitung versteht. Die einfache Parametrierung und ISO-Views wird erst einmal auf der Ebene einer intelligenten Kamera mit einem anspruchsvollen Applikationsspektrum bestehen, aber die Integration auf einer höheren Ebene, zu einer Vielzahl verschiedener Sensoren, erfordert auch zukünftig Systemintegratoren.

Papenfort: Beckhoff plant keine Smart Cameras. Wir konzentrieren uns auf die gleichzeitige Bearbeitung von Bildern mehrerer Kameras synchron mit PLC und Motion auf einem PC.

Waldl: Egal ob smarte Kamera oder Vision-PC; im Endeffekt ist die Herausforderung immer die gleiche: Ich muss synchronisieren. Wir müssen Kamerasysteme auf eine Mikrosekunde untereinander zum Antrieb und der Beleuchtung hin synchronisieren. Ich verstehe nicht, dass Anwender ihre Beleuchtung irgendwo her beziehen, da sie dann die Arbeit mit der Integration der Geräte haben. Deswegen appelliere ich an die Beleuchtungshersteller, nicht einfach nur eine 24V-Beleuchtung anzubieten, sondern intelligente Beleuchtungen zu entwickeln, die einfach zu integrieren sind.

Munkelt: Eine Stärke der Automatisierer sind ihre Ökosysteme. Diese integrieren die verschiedensten Aspekte, die man benötigt, um eine komplette Maschine zu bauen bzw. einen Prozess zu steuern. Diese Ökosysteme haben die Bildverarbeiter nicht. Diese sind eher daran interessiert, eine spezielle Bildverarbeitungsaufgabe komponentenbasiert zu lösen oder in ein System zu integrieren. Die Ökosysteme prägen die Anwender massiv. Das heißt, es geht darum, Bildverarbeitung so zu verpacken, dass sie auch von dem Klientel, das diese Ökosysteme einsetzt, akzeptiert wird. (peb)

B&R – Andreas Waldl,

Produktmanager Integrated Machine Vision

Balluff – Rainer Schönhaar,

Produktmanager Machine Vision

Beckhoff Automation – Dr. Josef Papenfort,

Produktmanager Twincat

MVTec Software – Dr. Olaf Munkelt,

CEO

Silicon Software – Dr. Klaus-Henning Noffz,

Stemmer Imaging – Peter Keppler,

Director of Corporate Sales

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