Murrelektronik stellt dezentrale Automatisierungsplattform vor

Sind die Tage des Schaltschranks gezählt?

Das Unternehmen Murrelektronik hat mit Vario-X jetzt eine Plattform vorgestellt, die Automatisierungsanwendungen komplett dezentral und maschinennah ermöglicht. Der Backplane-Ansatz und die Module in Schutzart IP67 sollen klassische Schaltschränke künftig überflüssig machen. Von Anfang an berücksichtigt wurde auch ein digitaler Zwilling.
 Vario-X soll als modulare Automatisierungsplattform dezentrale und schaltschranklose Anwendungen ermöglichen.
Vario-X soll als modulare Automatisierungsplattform dezentrale und schaltschranklose Anwendungen ermöglichen.Bild: Murrelektronik GmbH

Steigende Digitalisierung, kürze Entwicklungszyklen, höhere Kundenanforderungen und zunehmender Fachkräftemangel: die Automatisierung befindet sich im Wandel. „In der Welt der Automatisierung wird nichts mehr so sein, wie es war. So ziemlich alles, worauf in Fertigungsprozessen bisher Verlass war, steht jetzt auf dem Prüfstand“, beteuert Olaf Prein. Im gleichen Zug kündigt der Leiter des Geschäftsbereichs Automation bei Murrelektronik die neue Plattform Vario-X an – als Antwort des Unternehmens auf all die neuen Anforderungen.

Vario-X ist als modulare und flexible Automatisierungsplattform konzipiert, mit der sich Automatisierungsfunktionen komplett dezentral und ohne Schaltschrank realisieren lassen. Auf diese Weise sollen sich sämtliche Automatisierungsfunktionen ins direkte Maschinenumfeld bringen lassen. Zudem werde mit der Integration von Servoantrieben für ein zuverlässiges Spannungs-, Signal- und Datenmanagement gesorgt. Herzstück der neuen Plattform sind wasser- und staubdichte Gehäuse in Schutzart IP67, die die Spannungsversorgung, Steuerung, Switches, Sicherheitstechnik und IO-Module beinhalten. Sie lassen sich nebeneinander in eine robuste Backplane mit integrierten Maschinenbauprofilen einrasten. So kann die gesamte Station ohne weiteren Schutz unkompliziert an gängigen Profilsystemen befestigt werden und hält laut Anbieter im Extremfall sogar Trittbelastungen stand. Ausgestattet mit einer Multicore-CPU erfüllt der dezentrale Vario-X-Controller hohe Anforderungen und lässt sich flexibel in übergeordnete Industrial-Ethernet-Netze einbinden. Die SPS kommuniziert innerhalb des Systems sowie mit der Antriebstechnik und externen Teilnehmern in Echtzeit über Ethercat. Die Einbindung von W-LAN, 5G und Bluetooth sowie OPC-UA und MQTT soll ebenfalls möglich sein.

Bild: Murrelektronik GmbH

Schnellere Installation

„Mit Vario-X gelingt die Inbetriebnahme, also sämtliche Installations- und Montagearbeiten, um 40 Prozent schneller als bei klassischen Schaltschranksystemen“, versichert Prein. Die Installation und Verkabelung der Sensorik und Aktorik erfolge nach dem Plug&Play-Prinzip mit vorkonfektionierten M12- und MQ15-Steckern fehlerfrei und in kurzer Zeit. Teure M23-Steckverbinder sollen mit dem System überflüssig werden. Gleichzeitig entfallen zeitraubende Installationsarbeiten am Schaltschrank, etwa das Abisolieren, das Setzen von Adern-Endhülsen und das Anklemmen. Reicht eine Backplane-Station für die Maschinensteuerung nicht aus, können weitere Stationen etwa für eine zusätzliche Stromeinspeisung dezentral in der Maschine platziert und miteinander verbunden werden. Einzelne I/O-Module lassen sich auch ganz ohne Backplane direkt an der Sensorik bzw. Aktorik verbauen, um Signale direkt dort einzusammeln. Das entschlacke die Maschinenanbauten und verschlanke die Kabelarchitektur. „Bei Vario-X setzen wir auf Linientopologie, was rund 75 Prozent an Verdrahtungsaufwand einspart“, fährt Prein fort. „Um die Installationszeit zu verkürzen und Anschlussfehler zu vermeiden, haben wir neue Installationsleitungen in T- und h-Form entwickelt. Damit schleifen wir die Stromversorgung von einem zum nächsten Motor weiter.“

 Olaf Prein bei der Vorstellung der neuen Plattform Vario-X.
Olaf Prein bei der Vorstellung der neuen Plattform Vario-X.Bild: Murrelektronik GmbH

Alternative zu Pneumatik

Mit der neuen Plattform will Murrelektronik die Elektrifizierung von Fertigungsprozessen vorantreiben und der Pneumatik eine effizientere Alternative entgegensetzen. Das System bietet laut Prein – etwa bei Spanneinheiten im Karosserie-Rohbau – allen Beteiligten Vorteile: „Dem Unternehmer, der die ineffiziente, schlecht steuerbare und verhältnismäßig teure Pneumatik in seinen Werkshallen reduzieren kann. Dem Produktionsplaner, der sich auf einen Energieträger fokussieren kann. Den Mitarbeitenden, die in einem leiseren Arbeitsumfeld arbeiten können. Und nicht zuletzt der Umwelt.“

Digitaler Zwilling onboard

Vario-X besteht aber nicht nur aus Hardware. Große Bedeutung wurde dem digitalen Zwilling beigemessen. So lässt sich mit der Plattform ein bewegliches 1:1-Abbild der realen Anlage generieren, das alle Funktionen und Parameter des späteren Systems beinhaltet – und das bereits in der Projektphase, bevor Bauteile bestellt oder montiert wurden. Eine spezielle Software bereitet die Konstruktionsdateien von Maschinen und Anlagen so auf, dass die späteren Bewegungen und Abläufe simuliert werden können. „Dazu läuft auf dem virtuellen Modell dasselbe Steuerungsprogramm wie später auf der realen Maschine“, unterstreicht Prein. Die digitale Anlage könne zudem per Augmented Reality (AR) auf dem Handy oder Tablet direkt in der echten Produktionsumgebung positioniert werden, damit alle Bewegungsabläufe in Funktion vorab virtuell betrachtet werden können.

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