Die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG regelt ein einheitliches Schutzniveau zur Unfallverhütung für Maschinen und unvollständige Maschinen beim Inverkehrbringen innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes. In der Schweiz bereits seit 1997 in Kraft (damals noch die alte Maschinenrichtlinie 98/37/EG) ist diese für sämtliche Hersteller und Betreiber von Maschinen und Anlagen verbindlich. In der Praxis sind die Interpretation und Anwendung der Rechtsvorschriften und Normen jedoch reichlich anspruchsvoll. Vertieftes Expertenwissen ist gefragt!
Dieses fundierte Knowhow zu erlangen sowie aktuell zu halten, um potenzielle Gefahren zu ermitteln und den erforderlichen Risikobewertungsprozess von Maschinen in Eigenregie durchzuführen, stellt in vielen Betrieben eine Herausforderung dar. Dies gilt insbesondere dann, wenn bestehende Anlagen ergänzt oder verändert werden: Häufig ist am Ende nicht eindeutig abzuschätzen, ob damit eine wesentliche Veränderung vorliegt und in der Folge ein Konformitätsbewertungsverfahren einschließlich abschließender CE-Kennzeichnung erforderlich wird.
Verantwortung für Sicherheit
Bei der Bühler Group mit Stammsitz in Uzwil, Schweiz, ist das Thema Maschinensicherheit in den letzten Jahren nochmals verstärkt in den Fokus gerückt. Das Unternehmen hatte frühzeitig erkannt, dass Sicherheit und für den Anwender behinderungsfrei bedienbare Maschinen nicht im Widerspruch stehen. Intelligente und effiziente Sicherheitslösungen zu implementieren, gehöre zum Grundverständnis von Bühler: „Als Hersteller nehmen wir unsere Verpflichtung ernst, sichere Maschinen an den Markt zu bringen. Wir geben unseren Kunden das Versprechen, dass sich die Anlagenbediener keine Sorgen um ihre Unversehrtheit machen müssen“, bekräftigt Sandro Schönenberger, Global Head of Technical Compliance bei Bühler.
Das breit aufgestellte Familienunternehmen stellt unter anderem Maschinen und Anlagen zur Produktion von Mehl, Futtermittel, Lebensmitteln wie Pasta und Schokolade, aber auch Fahrzeugteile her. Die Unternehmensgruppe ist weltweit in mehr als 140 Ländern aktiv, beschäftigte im Jahr 2021 rund 12.500 Mitarbeitende und erwirtschaftete im selben Jahr einen Umsatz von umgerechnet rund 2,7 Milliarden Euro.
Für Maschinensicherheit sensibilisieren
Zuvor war Sandro Schönenberger viele Jahre in der Automatisierungsbranche tätig, unter anderem als Berater für Sicherheit und als Lehrlingsausbilder. Bei Bühler absolvierte er eine Zusatzausbildung zum Certified Machinery Safety Expert (CMSE) beim Unternehmen Pilz. Diese hat ihn für die Maschinensicherheit sensibilisiert: „Ich war beeindruckt, wie umfangreich das Thema Safety ist. Und überrascht, wie wenig es bei jenen verankert ist, die nicht direkt mit Konstruktion, Inbetriebnahme oder Zugangsberechtigungen zu tun haben“, blickt er zurück. Ein Sachverhalt, den er schnell und nachhaltig ändern wollte. Denn, ist Schönenberger überzeugt, auch Einkäufer, Marketingfachleute, Ausbilder und Lernende sollten über ein Grundwissen in Maschinensicherheit verfügen.
Aus dieser Überzeugung heraus entstand bei Bühler die Idee, einen großen Teil der weltweit Beschäftigten – in unterschiedlicher Abstufung – zum Thema Maschinensicherheit zu schulen. Obwohl der Konzern über eine eigene Schulungsabteilung verfügt, war schnell klar, dass diese Aufgabe ein externer Anbieter mit ausgewiesener Expertise leisten muss. „Maschinensicherheit ist so umfassend, vielschichtig und mitunter kompliziert, dass hier ausgeprägtes Experten-Knowhow und branchenübergreifendes Wissen unabdingbar ist“, begründet Sandro Schönenberger seine Entscheidung.
Weil Bühler seit vielen Jahren eng mit der schweizerischen Niederlassung von Pilz kooperiert und der Automatisierungsanbieter beim Thema der sicheren Automation entsprechende Dienstleistungsangebote im Portfolio führt, war der geeignete Partner rasch gefunden. In enger Zusammenarbeit mit Bühler passte Pilz ein dreistufiges Lern- und Schulungskonzept komplett an die Bedürfnisse des Unternehmens an.
1. Stufe: ebbasiertes Training schafft Basiswissen
Zielsetzung der ersten Stufe: Mit einem einheitlichen, webbasierten Training erhält ein ausgewählter Mitarbeiterkreis von Mechatronikern, Elektronikern, Technikern, Ausbildern, Normenverantwortlichen, Konstrukteuren und Sicherheitsbeauftragten an sämtlichen Bühler-Standorten weltweit ein identisches Wissen und Bewusstsein zum Thema Safety. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden in Sachen Maschinensicherheit sensibilisiert, lernen Risiken und deren Beurteilung kennen und erhalten einen ersten Überblick über Sicherheitstechniken und Schutzeinrichtungen. Jeder Teilnehmer kann ohne Vorkenntnisse und bei freier Zeiteinteilung am eigenen PC oder Laptop auf das einstündige webbasierte Trainingsprogramm zugreifen.
Um eine weltweite Reichweite des Trainings gewährleisten zu können, hat Pilz eigens für Bühler neben der bestehenden deutschen und englischen Sprachversion das Trainingsprogramm auch in Chinesisch aufgesetzt. Die praxisnahen Lerninhalte und Beispiele sind interaktiv konzipiert und entsprechen dem aktuellen Stand der Technik. Übungen mit den dazugehörigen Lösungen dienen zur Überprüfung des Lernerfolgs.
„Der logische und benutzerfreundliche Aufbau hat ganz wesentlich zum Erfolg des Trainingsprogramms beigetragen. Teilnehmer können die einzelnen Module nach Belieben bearbeiten, ohne sich in der Struktur zu verzetteln“, hebt Sandro Schönenberger hervor. „Neulinge staunen immer wieder, welchen Stellenwert Sicherheit hat. Alte Hasen, die bereits hinreichend mit Sicherheitsthemen vertraut sind, berichten wiederholt von Aha-Erlebnissen.“ In der ersten Stufe sind weltweit bereits mehrere Tausend Mitarbeiter geschult worden.
2. Stufe: Anleitung zur eigenständigen Risikobewertung
Die darauffolgende zweite Stufe baut in Form einer Online-Schulung auf das Wissen des webbasierten Trainings auf. Diese richtet sich primär an ein sicherheitsaffines Personal wie zum Beispiel Verantwortliche in Konstruktion, Einkauf sowie Umbau und Instandhaltung. Ziel hierbei für die Teilnehmer: Gefahren zu ermitteln und Risikobewertungen selbständig durchführen zu können. Die Anwendung geeigneter Risikominderungsmaßnahmen und die Bestimmung des Restrisikos sind Bestandteile der Schulung.
3. Stufe: Aktuelle Sicherheitsfragestellungen selbständig lösen
Die dritte Stufe des von Pilz konzipierten, dreiteiligen Lern- und Schulungskonzeptes stellt einen konkreten Praxisbezug zu aktuellen Sicherheitsfragestellungen des Kunden her. Diese wird als Workshop beim Kunden vor Ort und in Begleitung von Pilz-Experten durchgeführt. Zielgruppe der dritten Stufe ist qualifiziertes Personal bei Maschinenherstellern, Maschinenimporteuren sowie Integratoren mit besonderer Verantwortung im Bereich CE-Kennzeichnung.
Darüber hinaus richtet sich der Workshop an jenen Personenkreis, der tagtäglich für das Thema Maschinensicherheit verantwortlich zeichnet. Im Mittelpunkt stehen konkrete Antworten auf Fragen, die im Zusammenhang mit dem Maschinenbau beziehungsweise dem Erwerb und der Inbetriebnahme von neuen und bestehenden Maschinen entstehen. Des Weiteren erhalten die Teilnehmer Einblick in die zugehörigen Normen für Design und Konstruktion von Maschinen, die innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums in Verkehr gebracht und betrieben werden.
„Mit dem webbasierten Training haben wir aufgrund der engen Zusammenarbeit mit Pilz bereits im ersten Schritt ein hohes, weltweit einheitlich verankertes Bewusstsein für das Thema Maschinensicherheit im Unternehmen schaffen können“, fasst Sandro Schönenberger Schritt 1 zusammen.
Einstieg und praktische Umsetzung
Das Web Based Training von Pilz richtet sich an Mechatroniker, Elektroniker für Automatisierungstechnik, angehende Techniker, Ausbilder, Normenverantwortliche, Konstrukteure sowie Sicherheitsbeauftragte in Betrieben. Das digitale Lernformat vermittelt Grundlagen zur Maschinensicherheit auf dem aktuellen Stand der Technik – interaktiv, nach individuellem Lerntempo und unabhängig von Ort und Uhrzeit. Vorkenntnisse sind nicht notwendig.
Innerhalb von kurzer Zeit führt das Training in die Maschinensicherheit ein:
- Warum benötigt man Sicherheitstechnik?
- Was bedeutet funktionale Sicherheit?
- Was ist eine CE-Kennzeichnung?
- Welche Normen und Richtlinien sind zu beachten?
Das Training vermittelt den Prozess der Risikobeurteilung und -minderung und erklärt mögliche Schutzeinrichtungen. Alle Schritte werden anhand eines Anwenderbeispiels an einer realen Maschine erläutert und mit Übungen und anschließenden Lösungen zur Überprüfung des Lernerfolgs begleitet.