Im Gespräch mit Stefan Hoppe, OPC Foundation

„Die OPC Foundation bietet mehr als Datenprotokolle“

Für das Industriekonsortium ist es eine Herausforderung, die weltweite OPC-UA-Bewegung zu kanalisieren und alle Aktivitäten in Einklang mit Firmen und Verbänden strukturell zu koordinieren. Dabei funktioniert der Standard wie eine Art Lego-Baukasten der Automatisierungstechnik, so Stefan Hoppe.
 Das OPC UA IIoT Starter Kit wird am OPC Day International vom 8. bis 10. Juni 2021 offiziell vorgestellt.
Das OPC UA IIoT Starter Kit wird am OPC Day International vom 8. bis 10. Juni 2021 offiziell vorgestellt.Bild: OPC Foundation Europe

Herr Hoppe, die OPC Foundation steigert kontinuierlich die Anzahl der Mitglieder – was sind die Gründe dafür und was erwarten die Mitglieder?

Stefan Hoppe: Kaum jemand hätte noch vor wenigen Jahren erwartet, dass drei der größten Cloudanbieter – Google Cloud, Microsoft Azure und Amazon Web Services (AWS) – oder auch global führende Halbleiterhersteller wie Intel, NXP, Qualcomm und Microchip, zusammen mit nahezu allen führenden Unternehmen der Automatisierungsbranche als Anbieter von Lösungen unter dem Dach der OPC Foundation kooperieren. Nicht zu vergessen die Endanwender, wie BMW, Equinor, Foxconn, L’Oreal, Miele, Samsung, Volkswagen und viele andere. Alle eint das Ziel in einer globalen Allianz an der Zukunft der sicheren und industriellen Interoperabilität zu arbeiten. OPC UA liefert dabei nicht nur die sichere Übertragung von Daten über alle Ebenen von der Sensor/Aktor-Ebene bis zur Cloud – die Mitglieder standardisieren auch mit Partnerorganisationen wie dem VDMA die zu übertragenden Daten und deren Bedeutung in Companion-Spezifikationen. Diese Kombination ’sicherer Transport über verschiedene Protokolle‘ mit ‚Semantik‘ ist ein wesentlicher Schlüssel für effizienteres Engineering und die Digitalisierung. OPC-Mitglieder haben frühzeitig Zugriff auf die Entwürfe und können Einfluss nehmen. Offenheit beutet bei uns nicht nur offen für Mitglieder zu sein, sondern beinhaltet den kostenlosen Zugriff auf freigegebene Spezifikationen oder auch den Zugang zu OPC-Zertifizierungslaboren. Alles zusammen zeichnet die OPC Foundation als weltweit größtes Ökosystem für industrielle Interoperabilität aus.

Seit 2018 wird an der OPC UA FX (Field eXchange) Specification Extension gearbeitet. Ist das mehr als nur die Erweiterung von OPC UA für TSN, und wann gibt es etwas zu sehen?

Hoppe: Die OPC Foundation hat die Chancen von TSN früh erkannt und bereits 2016 eine TSN-Arbeitsgruppe gegründet. 2018 wurde die Field-Level-Initiative (FLC) gestartet: 27 führende Automationsunternehmen und Technologieanbieter führen die Gruppe an. Insgesamt 320 Experten von 65 OPC-Mitgliedsunternehmen arbeiten in verschiedenen Gruppen an der Erweiterung von OPC UA, um alle Anforderungen der Feldebene, etwa Echtzeit, Safety und Motion, zu erfüllen. Dabei geht es auch um die Harmonisierung der Anforderungen aus der Prozess- und Fabrikautomation. In der Prozessindustrie glauben wir fest an die Relevanz von Ethernet APL, welches von der Edge in die Feldebene skaliert und so für OPC UA der passende Wegbereiter ist, um auch in der Prozessindustrie bis hinunter in die Feldgeräte zu wachsen. Wir arbeiten also an einer OPC-UA-basierten Feldlösung für fast alles. Eine vergleichbare Initiative hat es in dieser Intensität noch nie gegeben. Erstes Ziel dieser OPC-UA-Erweiterung ist die Realisierung einer standardisierten horizontalen Controller-zu-Controller-Kommunikation – anschließend folgt die Erweiterung von Controller-zu-Device und auch zwischen einzelnen Geräten. Ende dieses Jahres wird es das erste öffentliche Demo auf der SPS-Messe geben.

Warum benötigen industrielle Netzwerke Echtzeitfähigkeit, beispielsweise über 5G? Was ist das Ziel der Kooperation mit 5G-ACIA?

Hoppe: Standard-IT-Netzwerke sind nicht dafür ausgelegt, sicherzustellen, dass Daten zu bestimmten Zeitpunkten bereitgestellt werden müssen. Aber exakt diese Anforderung besteht im Bereich der industriellen Echtzeitautomatisierung. OPC UA garantiert zwar die Interoperabilität, bietet heute aber keine deterministische Übertragung von Daten. Diese Quality-of-Service-Möglichkeit liefern aber die TSN und auch die 5G-Infrastruktur als unterlagerter Transportschicht. Die Kombintion ermöglicht Daten mit geringstmöglichen Latenzen innerhalb einer garantierten Zeitspanne zu übertragen. Als Beispiel benötigen mobile Roboter eine verlässliche Kombination von wireless-und kabelgebundener deterministischer Kommunikation. Die OPC Foundation kooperiert hier mit der 5G-ACIA-Initiative, um alle Anforderungen der echtzeitfähigen Datenkommunikation mit einem garantierten QoS auch über hintereinandergeschaltete, verschiedene Transportwege per Kabel oder WLAN mit integrierter Ende-zu-Ende-Security zu bearbeiten. Als Ergebnis wächst OPC UA mit TSN und 5G in neue Einsatzgebiete.

Woran zusätzlich arbeitet die OPC Foundation aktuell?

Hoppe: Die Arbeiten sind vielfältig und beschränken sich keinswegs nur auf die Erweiterung von OPC UA in der Feldebene. Neben vielen Detailerweiterungen sind diese drei wesentlichen Schwerpunkte zu nennen: Erstens die vertikale Skalierung von OPC UA bis in die Cloud, zweitens die Anbindung an digitale Zwillinge, Verwaltungsschalen und Cloud-to-Cloud-Systeme und drittens die Fortführung der Harmonisierung der riesigen Anzahl der Companion-Spezifikationen. Zum Thema Cloud ist heute zu wenigen Menschen bewusst, dass OPC UA viel mehr als die letzte Meile zu Geräten ist: Neben dem Transport über TCP oder UDP wird auch über ‚UA over MQTT‘ bis in die Cloud skaliert und bietet dabei auch OPC-UA-REST-API-Schnittstellen. Der Aspekt ‚in die Cloud und zurück‘ wird nun speziell in einem OPC-UA-IoT-Starter-Kit auf Basis eines Raspberry PI adressiert und erstmals am 9. Juni am ‚OPC Day International‘ vorgestellt. Neben der Einfachheit von OPC UA auf einem PI zeigt es auch die Wichtigkeit von standardisierten Daten – viel mehr als ’nur schnell mal eben einen Prozesswert in einem eigenen Datenformat‘ zu übertragen. Es geht auch um eingebautes Erkennen von Geräten, Heartbeat-Funktion, also Lebenszeitüberwachung, automatisches Puffern von Daten bei Unterbrechung der Übertragung, Transport nur bei Wertänderung, vielfältige Varianten der Zugriffssicherheit, Auditmechanismen und mehr. Das Thema standardisierte Informationen ist auch wesentlicher Aspekt für die Themen digitaler Zwilling und Verwaltungsschalen. Denn wenn sich jeder eigene Datenstrukturen ausdenkt, gibt es Chaos. Zusammengefasst ist die sichere Übertragung von standardisierten und harmonisierten Informationen der Schlüssel für die Digitalisierung und Vorbereitung für KI und Machine Learning. Mit etwa 25 Partnern arbeiten wir in über 63 Gruppen an der Erstellung von sogenannten Companion-Spezifikationen. Die Harmonisierung von überlappenden Datenstrukturen ist wichtig und zeigt Erfolge: Als Beispiel ist ‚UA for Machinery‘ ein Basisstandard, harmonisiert über alle seine Gruppen, auf dem viele andere Standards aufsetzen.

Wie kann sich jemand, der noch kein OPC-UA-Experte ist, auf der Suche nach einer Lösung die Anwendungspotenziale am besten bildlich vorstellen?

Hoppe: Die Analogie zum Lego-Bausteinkasten passt ganz prima: OPC UA ist eine Sammlung von technologischen Funktionalitäten – es gibt Bausteine für das Erkennen von Geräten, das Auslesen von Diensten und Daten, für die Modellierung von Daten und Schnittstellen. Für die Übertragung gibt es diverse Protokollbausteine wie TCP, UDP, MQTT und natürlich einen ganzen Rutsch von Security-Bausteinen. Und diese Bausteinsammlung wächst ständig weiter, etwa TSN, APL, 5G, Wifi6. Uns Anwendern wird dieser wilde Haufen von Bausteinen analog zu Lego in fertig zusammen gestellten Erlebnisbaukästen angeboten – für den Bauernhof, das Schiff, die Burg. Kauft man das, klappt es immer, nichts fehlt und viele andere haben das auch bereits so zusammen gebaut. Und genauso gibt es in der OPC-UA-Welt die Companions-Spezifikationen mit dem passenden Satz von OPC-UA-basierten Bausteinen, welche den Roboter oder einen RFID-Reader beschreiben und zur Interaktion notwendig sind. Dabei gibt es auch die große Basisplatte, die immer Grundlage ist von allem – und der verpflichtende Basissatz von Lego-Bausteinen, damit alle das Interoperabilitätversprechen auch erleben können. Andere Bausteine sind optional. Diese Bausteine erlauben, den Flexibilitätsgrad in den Anwendungen zu erhöhen: Der Bauernhof hat eben noch Kühe, diese sind im Paket ‚Schiff‘ nicht enthalten. Die OPC Foundation passt aber auf, dass die Seemänner vom Schiff von der Größe zu den Bauern passen – womöglich wollen die dort ja mal zur Brotzeit einkehren und müssen dort an den Tisch passen. Mit anderen Industriepartnern, wie dem VDMA, sind wir dabei, über 63 Companion-Pakete zu erstellen und immer mehr Organisationen wollen das auch: Wir starten ständig neue gemeinsame Gruppen, so zum Beispiel aktuell mit Spectaris für die Laboranalysegeräte. Man sollte jetzt aber verstanden haben, dass OPC UA viel mehr als ein Protokoll ist. Es ist ein Framework, ein Baukastensystem für industrielle Interoperabilität.

Was sind für Anbieter und Anwender die wichtigsten Faktoren für die Zukunft?

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