Efrossini Tsouchnika über ihre Vorbildfunktion als Geschäftsverantwortliche für Control bei Siemens

„Wir müssen es vorleben“

Die Existenz von zahlreichen Initiativen wie Women in AI & Robotics, Frauen machen Wirtschaft, Women4ew oder SheTransformsIT zeigen vor allem eins: Frauen brauchen Vorbilder, um im Technikbereich leitende Positionen zu erreichen. Wie Siemens Frauen auf dem Weg dahin unterstützt und welche Herausforderungen sie dabei bewältigen müssen, darüber spricht das SPS-MAGAZIN mit Efrossini Tsouchnika, der Verantwortlichen für das Steuerungsportfolio bei Siemens.
Bild: Siemens AG

Erzählen Sie uns doch erst einmal etwas über Ihre Position bei Siemens. Was machen Sie als Senior Vice President Control genau?

Efrossini Tsouchnika: Als Senior Vice President Control bei Siemens bin ich für das Steuerungsportfolio verantwortlich, für dessen Entwicklung, die einzelnen Produkte und für das globale Geschäft, das Siemens mit diesem Portfolio macht. Mein Bereich umfasst die gesamte Bandbreite an Steuerungshardware, außerdem virtuelle SPSen, IPCs, das TIA Portal, die Automatisierungssoftware Simatic AX und die Plattform Industrial Edge. Das ist für mich ein sehr spannendes Themenfeld, da es zum einen um Produkte geht, die schon sehr gut am Markt platziert sind, zum anderen aber auch um Innovationen, die zum Ziel haben, die industrielle Produktion zu verändern. Ich bin also dafür zuständig, unser jetziges Geschäft zu sichern, aber auch zukunftsfähig zu machen. Dabei betreue ich Kunden, mit denen wir strategische Partnerschaften führen. Ich tausche mich mit ihnen über ihren mittelfristigen Bedarf aus, was dann wiederum in die Portfolioplanung einfließt. Dazu kommen Partnerschaften mit Chip-Herstellern und großen IT-Playern. Meine übergreifende Aufgabe ist es, die strategischen Prioritäten festzulegen. Außerdem gibt es in meinem Tätigkeitsfeld immer wieder unerwartete Herausforderungen zu meistern, z.B. die Lieferkrise in den vergangenen Jahren. Hier mussten wir Lösungen finden, damit Siemens seine Kunden weiterhin versorgen kann.

Als Frau/Mann-Doppelspitze haben wir eine enorme Vorbildfunktion innerhalb unserer Unternehmens­organisation.

Efrossini Tsouchnika, Siemens

Ich verantworte dieses Segment zusammen mit meinem Kollegen Rolf Heinsohn in einem Joint-Leadership-Team. Das heißt, wir treffen alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam. Dazu gehören Portfolioentscheidungen, Budgetierungen und Personalplanung. Hierfür haben wir verschiedene Themenschwerpunkte unter uns aufgeteilt, die dann auf dem Strategielevel zusammenlaufen. Die Grundlage für den Erfolg eines solchen Joint-Leadership-Modells ist das gegenseitige Vertrauen. Man muss die andere Person als Bereicherung sehen, da sie eine zweite Perspektive mit anderen Erfahrungen einbringen kann. Dahinter steht die Idee, dass man dadurch ein komplexes Geschäft besser leiten kann.

Für mich spielt es dabei keine Rolle, dass wir eine Frau und ein Mann sind. Was aber eine Rolle spielt, ist, dass wir als Frau/Mann-Doppelspitze eine enorme Vorbildfunktion innerhalb unserer Unternehmensorganisation haben. Wir zeigen, wie man ein Geschäft erfolgreich zu zweit führt, ohne sich gegenseitig auszustechen. Eine weitere Vorbildfunktion ist, dass wir beide eine Familie haben und damit zeigen: Es ist möglich, Familie und Karriere unter einen Hut zu bekommen, und zwar sowohl als Frau als auch als Mann. Denn das Joint-Leadership-Modell gibt uns z.B. die Möglichkeit, Dienstreisen aufzuteilen, sodass wir genügend Zeit mit unserer Familie verbringen können. Auch die Möglichkeit, sich gegenseitig im Krankheitsfall zu vertreten, ist ein großer Vorteil.

Ein Grund für das Joint-Leadership-Modell waren die Größe des Portfolios, der Innovationsdruck und die Frage, in welche Technologie investiert werden soll. Diese große Verantwortung und Herausforderung ist besser auf zwei Schultern verteilt. Dazu passt, dass wir sehr unterschiedliche Erfahrungen mitbringen. Ich war vor allem im Innovationsumfeld unterwegs und habe ein Startup geleitet, mein Kollege kommt aus dem Automationsumfeld. Er kennt unsere Kunden und unser Portfolio sehr gut.

Welche Fähigkeiten und Qualifikationen mussten Sie für diese Position mitbringen?

Kreativität ist auf jeden Fall wichtig, und das Verständnis, wie Innovationen funktionieren. Wichtig ist aber auch die Fähigkeit, die Sprache der Kunden zu verstehen und in eine Lösung zu transferieren, die diesen dann tatsächlich weiterhilft. Außerdem ist eine sehr strukturierte und analytische Arbeitsweise hilfreich.

Genauso vielseitig wie mein Job, sind auch die Qualifikationen, die ich dafür erfüllen musste. Meine berufliche Laufbahn habe ich als Research Engineer im Innovationsumfeld begonnen. Ich habe programmiert, hatte aber auch viel Kundenkontakt. Dann habe ich mehrere Jahre Erfahrungen im strategischen Bereich gesammelt. Das hat mir sehr geholfen, die Stakeholder bei Siemens zu verstehen, aber auch einen tatsächlichen Blick für das große Ganze zu bekommen. Bei Siemens arbeiten wir in einem Gesamtsystem, der Simatic-Welt. Ich muss also immer auch über die Grenzen meines Verantwortungsbereichs hinaus denken.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie hoch der Frauenanteil in unseren Teams in anderen Ländern ist, z.B. in der Türkei oder in China.

Efrossini Tsouchnika, Siemens

Wir führen in unserem Joint Leadership eine sehr große Organisation mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden auf der ganzen Welt, von Deutschland bis nach China und in die USA. Daher ist eine wesentliche Fähigkeit für meinen Job kulturelle Sensitivität. Hinzu kommt ein psychologisches Grundverständnis dafür, wie Gruppen funktionieren und wie man Menschen motiviert bzw. so führt, dass sie ihr Bestes geben können. Dabei spielt Wertschätzung eine sehr große Rolle. Meine Aufgabe ist es, unsere Teams herauszufordern, aber gleichzeitig Wertschätzung zu vermitteln. Dazu gehört auch ein positiver Umgang mit Fehlern. Hier gilt es zu betonen, was man aus den Fehlern lernen und wie man sie dafür nutzen kann, sich zu verbessern. Doch all das funktioniert nur, wenn ich das meinen Mitarbeitenden auch vorlebe.

Welche Herausforderungen mussten Sie auf dem Weg in diese Position meistern?

Ich hatte nie einen konkreten Plan in Bezug auf meine Karriere. Ich habe mehr nach interessanten Aufgaben gesucht als nach bestimmten Positionen. So kam eins zum anderen und ich habe in meiner beruflichen Laufbahn in vielen verschiedenen Themenbereichen gearbeitet. Immer wenn ich einen gewissen Punkt erreicht hatte, habe ich mir eine neue Aufgabe gesucht. Eine, für die ich genug mitbringe, um sie zu erfüllen, die mir andererseits aber auch Potenzial bietet, zu wachsen und mich weiterzuentwickeln.

 Efrossini Tsouchnika 
verantwortet das Steuerungsportfolio von Siemens.
Efrossini Tsouchnika verantwortet das Steuerungsportfolio von Siemens.Bild: Siemens AG

Aber das berufliche Umfeld zu wechseln, bedeutet immer eine Herausforderung. Beim Wechsel in meine erste Führungsposition habe ich die Leitung des Teams übernommen, in dem ich zuvor gearbeitet hatte. Das war relativ einfach, da ich wusste, worauf ich mich einlasse. Ich kannte alle Teammitglieder. Der Schritt aus diesem Team heraus stellte hingegen eine echte Herausforderung dar. Ich kannte die Charaktere nicht, die ich führen sollte, musste erst eine Vertrauensbasis schaffen und mich gleichzeitig inhaltlich einarbeiten. Das war eine sehr anstrengende, intensive, aber auch unglaublich bereichernde Zeit.

Bei jedem Wechsel muss man sich die Akzeptanz der Kollegen erarbeiten. Man muss sich beweisen. Das sind aber alles Herausforderungen, die mich immer sehr gereizt haben. Ich begeistere mich sehr schnell für neue Themen. So geht mir das auch in meiner jetzigen Position. Vorher war ich im Lösungsgeschäft in der Prozessindustrie tätig, jetzt habe ich mich in die Welt der Steuerungen eingearbeitet und bin begeistert, was man mit unseren Steuerungen alles machen kann. Durch diese Leidenschaft fällt mir das Einarbeiten und Weiterentwickeln sehr leicht.

Alles andere als einfach ist es manchmal, zu erkennen: Was kann ich verändern und was nicht? Was sind Dinge, die gesetzt sind? Wo sind meine Grenzen? Und wie viel Freiheit und Raum habe ich, etwas zu verändern?

Was glauben Sie, warum Positionen wie die Ihre immer noch selten mit Frauen besetzt sind?

In meinem Berufsleben war ich oft die einzige Frau in einer Gruppe von Männern. Ich glaube, Grund dafür sind mehrere Aspekte. Es beginnt bereits im Elternhaus und in der Schule. Hier geht es darum, in welchem Maß Mädchen überhaupt mit Technik in Berührung kommen. In der Schule meiner Tochter z.B. findet ein Teil des Physik- und Chemieunterrichts getrennt nach Mädchen und Jungen statt. Dahinter steht der Gedanke, dass Mädchen und Jungen unterschiedlich an diese Inhalte herangehen und somit auch andere Bedürfnisse in Bezug auf den Unterricht haben. Das finde ich ein sehr interessantes Modell. Ich habe an der LMU München Physik studiert, da waren wir 30 Prozent Frauen, inklusive Lehramtstudierende. Das ist schon vergleichsweise hoch. An technischen Universitäten lag der Frauenanteil im Fach Physik damals bei 5 bis 10 Prozent. Das merke ich heute immer noch: Wenn ich Stellen z.B. für technische Entwickler besetzen muss, dann bewerben sich immer noch mehr Männer als Frauen. Um daran etwas zu verändern, muss man sehr früh ansetzen.

Jede Frau muss für ihre Ziele einstehen und wir bei Siemens wollen das mit den entsprechenden Strukturen
unterstützen.

Efrossini Tsouchnika, Siemens

Ein anderer Aspekt betrifft den Beziehungskontext. Wenn man sich für die Gründung einer Familie entscheidet: Was für Erwartungen stellen die Frauen selbst an sich und welche Vereinbarung treffen sie mit dem jeweiligen Partner? Die Frauen in meinem privaten Umfeld sind sehr gut qualifiziert, doch nur eine Hand voll von diesen Frauen haben mit ihrem Partner ein 50/50-Modell nach der Geburt der Kinder etabliert. Das ist selbstverständlich eine rein persönliche Entscheidung. Aber man muss sich sehr gut überlegen, welche Ziele man hat und welche man dafür zurückstellt.

Als gebürtige Griechin habe ich beobachtet, dass die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen in Deutschland besonders hoch sind. In Griechenland ist es trotz des hohen Stellenwerts der Familie nichts Ungewöhnliches, dass Frauen kurze Zeit nach der Geburt des Kindes wieder arbeiten gehen, unterstützt z.B. von den Großeltern. Es gibt viel mehr Frauen in technischen Berufen und Studiengängen, weil das ein Selbstverständnis ist, das gesellschaftlich getragen wird. Ich glaube, den Begriff der Rabenmutter gibt es nur in Deutschland. Es scheint mir auch ein deutsches Phänomen zu sein, dass Familien Schwierigkeiten haben, Hilfe im Haushalt oder bei der Kinderbetreuung in Anspruch zu nehmen. Das ist in anderen Ländern viel selbstverständlicher und institutionalisierter. Ein gutes Beispiel ist hier bekanntermaßen Frankreich. Unsere Entwicklungsteams sind sehr global verteilt und es ist immer wieder erstaunlich, wie hoch der Frauenanteil in unseren Teams in anderen Ländern ist, z.B. in der Türkei oder in China.

Am Beginn meiner Karriere bin ich in ein Team gekommen, in dem die meisten Kinder hatten und über die Hälfte, Männer wie Frauen, arbeiteten in Teilzeit. Je mehr Menschen dieses Modell vorleben, desto mehr kann es sich auch hier in Deutschland durchsetzen. Ob es eine längere Elternzeit ist, die von Männern genommen wird, oder eine schnelle Rückkehr der Frau nach der Geburt des Kindes: Wir müssen es vorleben. Dann wird es auch eine Veränderung geben. Wichtig ist dabei auch, gegen Stereotype vorzugehen. Diese sind mir natürlich auch begegnet. Als ich nach fünf Monaten Elternzeit zurück zur Arbeit kam, musste ich meinen Chef auch erst einmal davon überzeugen, dass ich für neue herausfordernde Aufgaben bereit bin. Einen Mann fragt in der Regel niemand, ob er sich eine neue Aufgabe zutraut, wenn er gerade Vater geworden ist.

Was tun Sie und Ihr Unternehmen, um Frauen im Technikbereich zu fördern? Wie unterstützen Sie es, dass Frauen zunehmend auch höhere Führungspositionen erreichen?

Jede Frau muss für ihre Ziele einstehen, ob im privaten oder beruflichen Kontext. Und wir bei Siemens wollen das natürlich mit den entsprechenden Strukturen unterstützen. Teilzeit ist in dieser Hinsicht nur ein Modell. Wir sehen auch, dass die Flexibilität in Bezug auf Arbeitsort und Arbeitszeit sehr gut angenommen wird und sehr hilfreich ist für die Vereinbarkeit von Familie und Karriere. Das ist eine Freiheit, die ich mir selbst nehme, und es ist meine Aufgabe als Vorbild für meine Mitarbeitenden, dass ich diese Art der Work/Life-Balance vorlebe. Da hilft auch die besondere Vertrauenskultur, die wir bei Siemens pflegen. Ich muss nicht über jedes kleine Produktfeature informiert werden. Vielmehr muss ich ausreichend Empowerment in meine Teams geben, sodass sie dann nur noch mit den wirklich kritischen Fragen und Problemen auf mich zukommen.

Meine Erfolgsstrategie ist es, Dinge zu tun, für die ich brenne. Efrossini Tsouchnika, Siemens – Bild: Siemens AG

Neben flexiblen Arbeitszeiten bieten wir Joint-Leadership-Positionen sowohl in Voll- als auch in Teilzeit an. Derzeit haben wir unternehmensweit 15 Führungspositionen auf diese Weise besetzt. Wir versuchen zunehmend auch in unseren Einstiegsprogrammen, wie dem Siemens Graduate Programm, für Geschlechterparität zu sorgen. Wir unterhalten Partnerschaften mit Schulen, um das Interesse an Naturwissenschaften möglichst früh zu wecken. Auch bei unseren Stellenausschreibungen achten wir sehr genau darauf, dass die Ausschreibungen explizit für beide Geschlechter attraktiv sind.

Darüber hinaus haben wir Siemens-interne Netzwerke, um Frauen zu fördern, z.B. Grow2Glow. Innerhalb dieses internationalen Netzwerks gibt es Unterstützung durch interne Coaches und Mentoren. Ein weiteres Netzwerk heißt Leading Women in Industry. Dessen Ziel ist es, zu zeigen, welche unterschiedlichen Rollen Frauen ausführen können, z.B. Vorbild, Multiplikatorin, Initiatorin oder Meinungsführerin. Bei unseren Management-Meetings laden wir immer wieder besondere Talente ein und achten auf geschlechtergerechte Verteilung der Teilnehmenden. Ich nutze außerdem Panel-Diskussionen und Ähnliches um meinen Werdegang vorzustellen und so ein Vorbild abzugeben.

Gender-gerechte Sprache ist bei Siemens ein großes Thema. Dabei achten wir darauf, dass wir bestimmte Ausdrücke vermeiden, die Stereotype in unseren Köpfen entstehen lassen, wie z.B. „Seinen Mann stehen“ oder „Mädchen für alles“. Wir versuchen, als Organisation sehr sensibel mit Themen umzugehen, die Frauen abschrecken könnten.

Was raten Sie jungen Menschen, die Ambitionen haben, einen ähnlichen Weg wie Sie einzuschlagen?

Mein Rat ist ganz klar: Mach das, was dich begeistert. Junge Menschen sollten sich Aufgaben suchen, die sie begeistern, aber auch herausfordern. Nur so kann man lernen und sich weiterentwickeln. So bekommt man die nötige Sichtbarkeit und dann ergibt sich das eine aus dem anderen. Man muss sich das nötige Skill-Set aufbauen und man muss erkannt werden, in den eigenen Ambitionen. Wichtig ist auch, selbst aktiv zu netzwerken. Meine Erfolgsstrategie ist es, Dinge zu tun, für die ich brenne. Meine Leidenschaft für meine Themen führt dazu, dass ich gesehen und wertgeschätzt werde.

Das Interview führte Frauke Itzerott, Redakteurin

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