Mit Manufacturing-X zum föderativen Datenökosystem

Von der Datatur zur Datokratie

Maschinenbau und Elektrotechnik bilden die zwei Standbeine der industriellen Produktion. Zusammen stehen beide Branchen hierzulande für über 10.000 Unternehmen und über zwei Millionen Beschäftigte. Deutschland bildet folglich bislang das Gravitationszentrum und die Innovationsquelle der industriellen Automatisierung. Dass das in Zeiten der smarten Fabrik so bleibt, dafür soll das Datenökosystem Manufacturing-X sorgen.
Bild: VDMA e.V.

Wie sieht die Zukunft deutscher Unternehmen in einer zunehmend von digitaler Wertschöpfung geprägten Industrie aus? Lässt sich die starke Position halten? Wie groß ist das Risiko, zur austauschbaren, verlängerten Werkbank zu werden? Die deutsche KMU-geprägte Branche sieht mitunter mit Sorge auf die Entwicklungen der B2C-Welt. Dort drängen sich Plattformen als monopolartige Intermediäre zwischen Kunden und Lieferanten. Derzeit schützt in den B2B-Märkten noch die technologische Komplexität, genauer die Granularität hunderter Domänen. Aber wie lange noch?

Hyperscaler haben die Industrie entdeckt und investieren, um mit den Industriedaten das Geschäft von morgen zu machen – willige Datengeber und KI werden ihnen dabei helfen. Bisher galt: Domänenwissen erzeugt Marktdominanz, je spezifischer die besetzte Nische, umso besser für das Unternehmen. Daten zu teilen war da eher hinderlich. Doch B2C weist nun den Weg in die Plattformökonomie. Deshalb stellt sich einerseits die Frage: Wie lange funktioniert die altbewährte Strategie noch? Wie lange hält diese Firewall um das Domänenwissen? Und andererseits: Was verliert man, wenn man die Mauern im Kopf nicht einreißt, die die Datenflüsse behindern?

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Alternative zur Plattformökonomie

Maschinenbau und Elektroindustrie wollen die Kundenschnittstelle nicht verlieren. Das Domänenwissen bildet doch die Grundlage der Souveränität, gerade der KMU. Das Teilen von Daten funktioniert im B2B-Feld (noch) nicht. Anreize dies zu ändern, werden aktuell geschaffen – und zwar von der Industrie selbst. Der europäischen Kommission ist bewusst, dass nach dem Verlust an Souveränität im B2C-Feld auf B2B-Seite ähnliches droht. Der Nährboden neuer digitaler Geschäftsmodelle soll geschaffen werden. Ein gut gemeintes Ziel! Die Umsetzungsvorschläge des European Data Act sind jedoch in der aktuellen Form für den industriellen Kontext nicht gut gemacht.

Vor allem kommt mit dem Data Act eine Axt zum Einsatz, die im Idealfall den gordischen Knoten „Datenfluss generieren und Knowhow-Abfluss vermeiden“ durchschlägt. Aber das Datengesetz fußt auf einem Konstruktionsfehler, soweit es die komplexe Industrierealität zu erfassen versucht: Es ist zu sehr aus der B2C-Perspektive gestrickt und soll als horizontaler Rechtsakt (one size fits all) alle relevanten Konstellationen gleichermaßen adressieren. Das wird nicht zu ausgewogenen Lösungen führen. Der Data Act ist Kunden- bzw. Nutzer-zentriert ausgerichtet: Der Nutzer bestimmt, was mit den Daten passiert – oder eben auch nicht. In manchen Industriekonstellationen könnte der Data Act damit genau das Gegenteil bewirken, das die EU-Kommission eigentlich bezweckt.

Der EU Data Act ist eine besonders große Herausforderung. Die Kommission will den Wasserhahn des Datenflusses aufdrehen. Daten sollen zugänglich gemacht werden – nach aktuellem Diskussionsstand auch unter Inkaufnahme von industriellen Kollateralschäden. Die Unternehmen werden sich öffnen müssen. Doch wer stellt den Eimer unter den Datenfluss? Die Hyperscaler? Ein unkontrollierter Dammbruch kann nicht das industriepolitische Ziel sein! Daher ist es wichtig, dass Freiheitsgrade und Gestaltungsspielräume für die Industrie geschaffen werden, statt einseitigen Zwang mit ungewissem Ausgang auszuüben.

Wir benötigen also eine Alternative zu diesem Szenario: Ein föderatives Datenökosystem, mit dessen Hilfe wir Daten teilen können, ohne sie zu verlieren – und somit die Kundenschnittstelle weiterhin für uns reklamieren können. Die Unternehmen wollen die Freiheit, Daten mit ihren Partnern zu teilen – und nicht durch einen Staatsakt gezwungen zu werden. Um die Zukunft im B2B-Kontext tatkräftig anzugehen, um gemeinsam voranzukommen im Wettbewerb, um ausbalancierte Lösungen anzubieten, wurde der Ansatz von Manufacturing-X geboren: ein föderatives Datenökosystem, ein Data Space für die intelligent vernetzte Produktion. Im Zentrum der Idee steht die Verknüpfung aller Akteure abseits einer zentralen Plattform. Abseits des Payloads wird hierbei lediglich die Verbindung der involvierten Parteien hergestellt. Indem standardisierte Konnektoren genutzt werden, bleibt die Datensouveränität gewährleistet.

 Die Autoren dieses Beitrags, Hartmut Rauen (r.) 
und Gunther Koschnick (l.), verorten VDMA und ZVEI beim 
Aufbau eines föderativen Datenökosystems im Zentrum.
Die Autoren dieses Beitrags, Hartmut Rauen (r.) und Gunther Koschnick (l.), verorten VDMA und ZVEI beim Aufbau eines föderativen Datenökosystems im Zentrum. Bild: VDMA e.V.

Vom Datenraum zum Vertrauensraum

Mit dem Öffnungsdruck des European Data Acts und dem gemeinsamen Datenraum Manufacturing-X öffnet sich die historische Chance, um industrielle Stärke in ein führendes, digitales Ökosystem einzubetten und die Souveränität zu sichern. Hierzu muss es gelingen, den Datenraum zum Vertrauensraum zu machen. Der Verbandsraum von VDMA und ZVEI bietet sich dafür als Ausgangspunkt einer basisdemokratischen Orchestrierungsstruktur an: Mit dem revolutionären Aufbruch von der Datatur zur Datokratie. Durch die Maxime ‚Standardisierung und Interoperabilität‘ soll es im Datenraum Manufacturing-X gelingen, Synergien zu heben, resiliente Lieferstrukturen zu etablieren, klimaneutrale oder zirkuläre Produktion zu realisieren und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Gegenüber anderen Branchen, die bei null anfangen müssen, bildet Manufacturing-X in der Industrie einen passgenauen Anknüpfungspunkt, da standardisierte Shopfloor-Informationen für den Datenraum bereitstehen. Der Data Space sieht eine Integration der Daten auf semantischer Ebene vor. Deshalb sind entsprechende Vokabulare nötig, die semantische Interoperabilität zwischen den Daten aus verteilten Systemen sicherstellen.

OPC UA und Umati: Basierend auf OPC UA entwickelt der VDMA in 40 Projektgruppen Daten- bzw. Kommunikationsmodelle für Maschinen, sogenannte Companion Specifications. Die Initiative Umati erlaubt heute bereits den Datenaustausch zwischen Maschinen, Komponenten und Anlagen und deren Integration in kunden- und anwenderspezifische IT-Ökosysteme.

Asset Administration Shell und IDTA: Die Asset Administration Shell sammelt als digitaler Zwilling Produktdaten über den gesamten Lebenszyklus. Das beginnt bei Teilmodellen wie dem digitalen Typenschild DNP4.0 oder dem digitalen Produktpass DPP4.0, die zusätzlichen Mehrwert liefern und neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Die Industrial Digital Twin Association soll die Verfügbarkeit und Qualität der Teilmodelle gewährleisten.

OPC UA und AAS gemeinsam ermöglichen es, mit harmonisierten Modellen, Maschinen und Gerätedaten in Echtzeit sowie Metadaten über den Lebenszyklus hinweg für Manufacturing-X zur Verfügung zu stellen. In diesem Datenraum werden unzählige Welten, viele verschachtelte Datenräume interoperabel zusammenwirken. Ziel ist es, für das Ökosystem Manufacturing-X Brokerdienste und Clearinghouse-Dienste zu entwickeln sowie eine gemeinsame, möglichst Opensource-gestützte Architektur. Dabei sollen die genannten Werkzeuge zur Interoperabilität und Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt Catena-X zum Einsatz kommen. Die Usability muss hoch sein: Die Teilnahme an Manufacturing-X darf für KMU nicht komplexer sein als das Einrichten einer E-Mail-Adresse.

Dieses Vorhaben in Gänze zu orchestrieren, sollte Aufgabe einer internationalen Community sein, getragen von Technologie- und Domänenverbänden. Zudem bedarf es einer Schwarmbewegung, tausende Unternehmen müssen auf die Reise mitgenommen werden. VDMA und ZVEI sehen sich im Zentrum eines solchen Community-Vereins, denn Manufacturing-X ist viel mehr als eine neue Art zu denken, viel mehr als eine neue Technologie – es ist ein grundlegender Change-Prozess. Die Verbände haben die erforderlichen Netzwerke, wie der Erfolg von Industrie 4.0 gezeigt hat. Das gibt uns den Mut, konsequent diesen nächsten Schritt – zum Aufbau des föderativen Datenökosystems Manufacturing-X – zu gehen.

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