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Lena Weirauch über die Gründung eines Startups und die Herausforderungen als junge Frau im Tech-Bereich

„So etwas passiert keinem Mann“

Frauen sind im MINT-Bereich immer noch stark unterrepräsentiert, nur 11 Prozent aller Ingenieure sind weiblich und nur 17 Prozent beträgt der Frauenanteil im deutschen Maschinenbau allgemein. Doch woran liegt das? Lena Weirauch, CEO und Mitgründerin des IT-Startups AI-omatic, sieht die Ursache vor allem in strukturellen Problemen der Branche. Im Interview mit dem SPS-MAGAZIN berichtet sie von ihren Erfahrungen und Herausforderungen als junge Frau in Gründerszene und Tech-Branche.

Frau Weirauch, Sie sind CEO und Mitgründerin von AI-omatic. Was genau sind Ihre Aufgaben in dieser Funktion und was macht Ihr Startup genau?

Lena Weirauch: AI-omatic beschäftigt sich mit dem Thema vorausschauende Maschinenwartung bzw. Predictive Maintenance. Wir haben einen digitalen Wartungsassistenten entwickelt, der dem Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel entgegenwirken soll. Denn er hilft dabei, alle Maschinen durch die generierten Daten im Blick zu behalten. Von diesen Daten gibt es durch den vermehrten Einsatz von Sensorik eine immer größere Menge. Unser Wartungsassistent lenkt die Aufmerksamkeit gezielt dahin, wo etwas aus dem Ruder läuft, z.B. eine ansteigende Temperatur, die ein Indikator für einen Lagerschaden ist, oder ein ungewöhnlich hoher Druck. Unsere Software stellt dem Anwender als Cloudlösung ein Web Dashboard zur Verfügung. Sollte es zu einem Alarm kommen, erhält der Kunde zudem automatisch eine Benachrichtigung per SMS oder E-Mail.

„Wir brauchen mehr Diversität, da heterogene Teams letztlich erfolgreicher sind. “

Lena Weirauch, AI-omatic

Als CEO und Co-Founder kümmere ich mich viel um die Unternehmensstrategie bzw. -ausrichtung. Wo wollen wir hin? Was sollte unser Fokus gerade sein? Gerade in einem Startup verändert sich der Fokus schnell. Mittlerweile machen wir z.B. etwas völlig anderes, als zur Zeit unserer Gründung im Januar 2020. Neben der Strategie kümmere ich mich zusammen mit unserem CFO um das Thema Fundraising und bin gleichzeitig noch stark in den Vertrieb involviert. Zu meinen Aufgaben gehört aber auch die Produktentwicklung. Ich versuche, alles im Blick zu behalten und die richtigen Weichen zu stellen, sowohl auf der technischen als auch auf Sales- bzw. Marketing-Seite. Ein langfristiges Ziel ist es, dass unser digitaler Wartungsassistent ganzheitlicher wird und z.B. bei einem sich anbahnenden Lagerschaden so weit mitdenkt, dass automatisch die Verfügbarkeit des Lagers überprüft und gegebenenfalls eine Bestellung ausgelöst wird. Unser System muss wirklich intelligent werden, um den sehr hohen Automatisierungsgrad, den die heutige Produktion benötigt, zu erfüllen.

Welche Fähigkeiten und Qualifikationen mussten Sie für Ihre Position mitbringen?

Technisches Verständnis hat mir ungemein geholfen. Mit 18 Jahren habe ich bereits angefangen, mich gezielt mit dem Thema Datenauswertung und -analyse zu beschäftigen. Darüber hinaus ist natürlich unternehmerisches Denken sehr wichtig für meinen Job. Ich komme selbst aus einer Unternehmerfamilie. Mein Großvater hat mit seinen Brüdern ein Unternehmen gegründet, das jetzt in der dritten Generation geführt wird. Ich selbst habe zunächst parallel Psychologie und BWL studiert. Mithilfe des Psychologiestudiums konnte ich in die Welt der Statistik eintauchen und auch in den Bereich Data Science. Um mein technisches Verständnis zu verbessern, bin ich für den Master-Studiengang in die Schweiz gegangen, wo es auch dazu gehörte, drei verschiedene Programmiersprachen zu erlernen. So konnte ich meinem Studium einen technischen Schwerpunkt geben. Die wirtschaftlichen Zusammenhänge habe ich mir über das Fach BWL näher gebracht. Schließlich kann man kein Unternehmen neu aufbauen, ohne wirtschaftlich vorzugehen. Darüber hinaus brauche ich für meinen Job als CEO natürlich auch die entsprechenden Führungskompetenzen. Durchhaltevermögen ist auch eine essentielle Eigenschaft, die mir dazu noch einfällt. Wenn man ein Startup aufbaut, hört man den ganzen Tag von allen Seiten immer nur: Nein, das klappt nicht. Dagegen muss man sich durchsetzen.

„Von dem weltweit verteilten Venture-Capital-Geld gehen faktisch nur 2 Prozent an Frauen.“

Lena Weirauch, AI-omatic
Bild: ai-omatic solutions GmbH

Welche Herausforderungen mussten Sie auf dem Weg in Ihre jetzige Position meistern?

Die Position der CEO war für mich relativ leicht zu erreichen. Ich habe mich entschieden, ein Unternehmen zu gründen, und habe mich selbst zur Chefin gemacht. Meine beiden Co-Founder haben das auch sofort unterstützt. Aber ich hatte einige Herausforderungen in meiner Funktion als Gründerin zu meistern. Das Hauptthema dabei ist für mich der Bereich Finanzierung eines Startups. Von dem weltweit verteilten Venture-Capital-Geld gehen faktisch nur zwei Prozent an Frauen. Die Investorenszene ist immer noch fast rein männlich dominiert. Was den Investorenbereich angeht, setzt sich zum Glück gerade einiges in Bewegung. Selbst hier ist mittlerweile angekommen: Wir brauchen mehr Diversität, da heterogene Teams letztlich erfolgreicher sind.

Eine weitere Herausforderung liegt für mich im Bereich Sales. Wann immer ich unsere Software verkaufen will, muss ich erst einmal beweisen, dass ich als Frau auch tatsächlich Ahnung von der Materie habe. Wenn ich z.B. gemeinsam mit meinem CFO Verkaufsgespräche führe, wird er als Mann permanent für den Experten gehalten. Er hat als CFO kein tiefergehendes technisches Wissen. Ich hingegen weiß alles über unsere Software. Wenn ich dieses Missverständnis dann aufkläre und klar stelle, dass ich die technischen Fragen beantworte und er der BWLer ist, sind alle immer total überrascht. Das ist wirklich noch ein strukturelles Problem in der Branche. Das weisen auch diverse Studien nach. Gender Pay Gap, wenige Frauen im deutschen Maschinenbau und noch weniger Frauen in Führungspositionen oder Aufsichtsräten, das sind Tatsachen. Was mich aber positiv stimmt, ist, dass meine meist männlichen Kunden sich durch mein Knowhow letztlich überzeugen lassen. Ich verkaufe erfolgreich unsere Software. Aber die Anfangshürde bleibt.

Eine dritte Herausforderung für mich bei Finanzierung und Verkauf ist mein Alter. Ich bin 28 Jahre alt und werde häufig jünger geschätzt. Auf Veranstaltungen kann das schon mal ein Door Opener sein, als eine der wenigen jungen Frauen vor Ort zu sein. Ins Gespräch komme ich immer leicht. Aber am Ende will ich nicht nur einen netten Abend haben, sondern Aufträge und Geld. Da helfen mir keine oberflächlichen Gespräche, die auch leicht mal ins Unseriöse abgleiten können. Das ist auch ein Problem, mit dem meine jüngere Schwester immer wieder zu kämpfen hat. Sie stemmt mit mir den gesamten Sales-Bereich und bekommt immer wieder unseriöse Anfragen. Frei nach dem Motto, wir können mal über die Software sprechen und dann noch zusammen kochen. So etwas passiert keinem Mann. Und das sind keine Ausnahme-Stories. Nahezu jede Frau in der Branche erlebt solche Fälle von struktureller Benachteiligung. Und das müssen wir aufbrechen. Mehr Aufmerksamkeit allein wird nicht helfen. Es ist noch ein langer Weg.

Bild: AI-omatic solutions GmbH

Was glauben Sie, warum Positionen wie Ihre immer noch selten mit Frauen besetzt sind?

Ein großes Problem ist die allgemeine Haltung in der Gesellschaft. Frauen interessieren sich nicht unbedingt weniger für Technik als Männer, sondern sie glauben vielmehr, von ihnen werde erwartet, dass sie sich weniger für Technik interessieren. Auch sind fehlende Vorbilder ein Problem. Vorbilder sind deshalb so wichtig, weil wir in den Köpfen der jungen Frauen folgendes Bild aktivieren müssen: Das kann ich auch werden! Das kann ich auch schaffen! MINT ist auch etwas für Frauen! Doch immer noch haben die meisten Menschen, wenn sie z.B. an den Ingenieursberuf denken, einen Mann im Kopf. Deshalb sind Vorbilder so entscheidend, und zwar von Geburt oder frühester Kindheit an. Unsere Eltern sind die ersten Vorbilder, die wir haben.

Schon hier beginnt das strukturelle Problem in unserer Gesellschaft. Dazu gehört dann später auch die Teilzeitfalle, auf die sich viele Frauen einlassen, die ein Grund für spätere Altersarmut sein kann oder auch für eine geringere Chance auf Führungspositionen. Die Erwartungen, die die heutige Gesellschaft an Frauen stellt, sind eine enorme Herausforderung und ich denke, hier kann der Hebel nur direkt über die Männer angesetzt werden. Männer müssen sich von der Vorstellung lösen, dass die Frau sich um Kinder und Haushalt kümmert und gleichzeitig noch arbeiten geht, aber dann eben nur in Teilzeit und ohne große Karriereambitionen.

Mein Appell an die Männer ist: Geht auch in Teilzeit, teilt euch die Care-Arbeit mit den Frauen! Ich denke, wir können für Frauen so sehr viele Ressourcen frei machen. Allein Equal Parenting macht schon einen enormen Unterschied aus. Für mich ist es völlig selbstverständlich, dass Männer wie Frauen in Teilzeit arbeiten und zu flexiblen Arbeitszeiten verfügbar sind. Ich messe meine Mitarbeiter an ihrem Output und nicht an ihrer Arbeitszeit.


„Ich messe meine Mitarbeiter an ihrem
Output und nicht an ihrer Arbeitszeit.“

Lena Weirauch, AI-omatic

Was tun Sie und Ihr Unternehmen, um Frauen im Tech-Bereich zu fördern? Wie unterstützen Sie es, dass Frauen dabei auch zunehmend höhere Positionen erreichen?

Ich bin Botschafterin für das Programm ProTechnicale. Dabei handelt es sich um ein technisches Orientierungsjahr für junge Frauen nach dem Abitur, die dort die Möglichkeit haben, unterschiedliche Kompetenzen zu erwerben und die verschiedenen MINT-Bereiche kennenzulernen. Viele der Absolventinnen dieses Programms entscheiden sich im Anschluss für ein Studium im technischen Umfeld. Ich unterstütze dieses Programm, veranstalte Workshops und informiere die jungen Frauen über Themen, wie die Firmengründung. Dann unterstützen wir hier in Hamburg noch ein weiteres Programm, innerhalb dessen meine Mitarbeiter z.B. Programmierkurse für junge Menschen geben.

Außerdem versuche ich innerhalb meines eigenen Unternehmens verstärkt Positionen mit Frauen zu besetzen, z.B. in der IT. Das ist allerdings sehr schwierig, denn es gibt viel mehr männliche Bewerber als weibliche. Darüber hinaus muss man auch sehr genau darauf achten, wie man Bewerbungen von Frauen liest. Männer verfassen ihre Bewerbungen wesentlich selbstbewusster. Frauen halten sich oft aufgrund von Kleinigkeiten nicht für richtig qualifiziert und formulieren ihre Bewerbungen eher zaghaft oder verkaufen sich unter Wert. Ich als Frau kenne dieses Problem sehr genau und kann darauf Rücksicht nehmen.

Was raten Sie jungen Menschen, die Ambitionen haben, einen ähnlichen Weg wie den Ihren einzuschlagen?

Ich rate jungen Menschen, sich keinen Stress mit der perfekten Berufswahl zu machen. Man muss nicht zwangsläufig den Anspruch haben, dass das, was man studiert, direkt Einfluss darauf nimmt, was man sein ganzes Leben lang machen möchte. Ich habe Psychologie studiert und leite jetzt ein IT-Startup. Ich rate jungen Menschen, auf ihr Bauchgefühl zu hören, an sich zu glauben und ihren eigenen Weg zu gehen. Man darf nicht zu sehr ans Scheitern denken und das Risiko nicht scheuen. Junge Menschen müssen vielmehr an ihre Chancen denken und daran, dass sie mit ihrem Wissen etwas vorantreiben wollen. Mutig sein, ein Nein auch mal ignorieren und offen bleiben. Mir hat am Anfang jeder gesagt, dass ich es nicht schaffen kann. Aber ich habe es geschafft.

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