Interview mit Turck-Chef Christian Wolf

Mit dezentraler Automation und RFID auf Erfolgskurs

Fachkräftemangel, Materialknappheit, Lieferengpässe und begrenzte Fertigungskapazitäten beschäftigen die komplette Industrie. Wie Turck damit umgeht und welche strategischen Entwicklungen es bei dem Automatisierungsspezialisten gibt, erfuhr das SPS-MAGAZIN im Gespräch mit Geschäftsführer Christian Wolf.

Wie geht es Turck nach der zuletzt doch ziemlich turbulenten Zeit?

Christian Wolf: Recht gut. Nach den Turbulenzen durch die Corona-Pandemie konnten wir unseren Umsatz 2021 um 26 Prozent und in 2022 nochmals um 16% steigern. Das waren jeweils die besten Jahre in unserer Unternehmensgeschichte. Der starke Auftragseingang hat uns dabei, wie die gesamte Branche, zunächst überrascht. So verzeichnete alleine der I/O-Bereich in 2021 +170 Prozent im Auftragseingang. Um diese Aufträge abzuarbeiten, haben wir, unter anderem in Polen, unsere Fertigungskapazitäten erweitert und viele Prozesse optimiert. Da kamen die Lieferschwierigkeiten sowie die globale Knappheit an Material und Komponenten 2022 natürlich ungelegen. In diesem Geschäftsjahr ist der Umsatz noch immer auf einem hohen Niveau und wir wachsen, weil wir mit einem sehr hohen Auftragsbestand in 2023 gegangen sind und diesen nun nahezu vollständig abgebaut haben. Allerdings ist der Auftragseingang, wie in der gesamten Branche, deutlich zurückgegangen. Insbesondere die letzten beiden Jahre waren extrem stark und die Wiederbeschaffungszeiten für Roh- und Fertigwaren lang, so dass auch viele unserer Kunden hohe Lagerbestände aufgebaut haben, um eine gute Lieferfähigkeit bestmöglich abzusichern. Nun, wo die Beschaffungszeiten sich normalisiert haben, ist der Fokus unserer Kunden wieder stärker darauf gerichtet, das Working Capital zu optimieren. Dies hat einen signifikanten Einfluss auf den derzeitig schwachen Auftragseingang in unserer gesamten Industrie.

Die wirtschaftliche Lage ist ja aktuell nicht gerade rosig.

Das stimmt. Wir befinden uns in einer Zwickmühle. Makroökonomisch ist die Inflationsbekämpfung über hohe Zinsen richtig, allerdings sind diese natürlich Gift für das Investitionsklima, gerade in einer Zeit, die geprägt ist von geopolitischen Unsicherheiten. Natürlich hatten wir eine sehr lange Phase mit niedrigen Zinsen, von denen auch die Wirtschaft stark profitiert hat, aber es war zumindest absehbar, dass es nach dieser konjunkturellen Hochphase zu einer Zinssteigerung kommen wird. Nun befinden wir uns wieder in einer Situation, wo einerseits das Kostenmanagement im Unternehmen von zentraler Bedeutung ist, aber auch die notwendigen Schritte für die Zukunftsgestaltung des Unternehmens nicht zu kurz kommen dürfen.

Wo drückt der Schuh denn aktuell am stärksten?

Die Materialknappheit hat sich inzwischen wieder eingependelt. Es gibt nur noch sehr wenige Komponenten, die schwer zu beschaffen sind. Die hohen Energiekosten sind für Unternehmen eine erhebliche Belastung, auch wenn wir in der Automatisierungsbranche noch moderate Energieverbräuche haben, aber zahlreiche Kundensegmente produzieren energieintensiv, und dies ist eine weitere große Herausforderung für das produzierende Gewerbe in Deutschland und Europa. Im internationalen Vergleich sinkt die Wettbewerbsfähigkeit für den Standort Deutschland, da Energiekosten in Asien und Nordamerika kein großes Thema sind. Darüber hinaus werden der demografische Wandel und der Fachkräftemangel immer mehr zu einer großen Herausforderung, um weiteres dynamisches Wachstum zu ermöglichen.

„Wir sehen uns klar positioniert als Lösungsanbieter für die dezentrale Automation, vom Sensor bis zur Cloud.“ Christian Wolf, Turck – Bild: Hans Turck GmbH & Co. KG

Wie begegnen Sie diesen Herausforderungen?

Wir müssen noch mehr ‚local for local‘ denken und agieren, um als global aufgestelltes Unternehmen unsere Abhängigkeit von exogenen Faktoren zu minimieren. Wenn wir Produkte für den jeweiligen Markt vor Ort fertigen, reduzieren wir nicht nur Logistikkosten sowie den CO2-Ausstoß und ermöglichen kürzere Lieferzeiten, sondern sind näher und flexibler am Markt, unabhängiger von Wechselkursrisiken und können leichter Fachkräfte rekrutieren. Deshalb ist unser Ziel, in den nächsten 3 bis 4 Jahren 75 Prozent des kontinentalen Umsatzes im jeweiligen Kontinent zu fertigen und idealerweise auch zu sourcen. So denken wir darüber nach, verstärkt Kompetenzcenter auch im Ausland aufzubauen sowie interkontinentale Entwicklungsgruppen aufzustellen.

Zudem wollen wir auf die immer volatilere Welt mit adaptiven Organisationsstrukturen reagieren und werden weiter möglichst antizyklisch agieren. So haben wir uns 2019 dazu entschieden, in Lublin in Polen ein Werk zu bauen. Inzwischen sind dort mehr als 250 Personen beschäftigt und wir finden dort die Fachkräfte, die wir in Deutschland lange suchen müssen. Diese Investition hat uns u.a. sehr dabei geholfen, den hohen Auftragseingang zu bewerkstelligen, um bestmöglich lieferfähig zu sein. Darüber hinaus hat unsere gesamte Organisation in diesen bewegten Zeiten Herausragendes geleistet. Das bedeutet, dass unsere unternehmensweit gelebte Wertekultur ein ganz wichtiger Grundpfeiler des Erfolgs ist und unsere weltweite Belegschaft eine hohe Identifikation mit dem Familienunternehmen Turck hat.

Wie hoch ist der Wertschöpfungsanteil denn bisher in den jeweiligen Regionen?

In Europa liegen wir logischerweise weit über der 75-Prozent-Marke, in Nordamerika bei über 60 Prozent und in Asien bei etwa 30 Prozent. Dort haben wir also noch den größten Nachholbedarf.

Ein anderes Trendthema ist die künstliche Intelligenz. Welche Rolle spielt die KI in Ihren Produkten?

Das kommt ganz darauf an, wie man KI interpretiert, das macht jeder nämlich ein Stück weit anders. Aber die KI- und IT-Technologien sind der Schlüssel zur zukunftsfähigen und modernen Smart Factory. So können wir mit unseren Geräten beispielsweise Energie messen und über Sensordaten erkennen, wenn Anomalien auftreten. Diese Condition-Monitoring-Funktionen, die wir in Echtzeit auswerten und über die Cloud anbieten, sind sozusagen erste KI-Ansätze. Versteht man unter KI jedoch die vollautomatische Bearbeitung komplexer Prozesse, wird dies sicher noch etwas dauern. Ich glaube daran, dass KI in die Industrie Einzug halten wird, aber das Thema sowie das benötigte Wissen hierfür ist durchaus komplex. In welcher Tiefe die KI sich etabliert und wirtschaftliche Vorteile generiert, ist derzeit noch schwer absehbar.

In den letzten Jahren sind vermehrt schaltschranklose Automatisierungssysteme auf den Markt gekommen. Wie gliedert sich Turck, als Lösungsanbieter für die Automatisierung im Feld, dort ein?

Diesen Markt hat Turck von Anfang an mitgeprägt. Schließlich haben wir bereits vor fast 20 Jahren unser voll modulares, dezentrales I/O-System in IP67 auf den Markt gebracht. Dieses haben wir über die Jahre sukzessive erweitert, unter anderem um Energiemessung, dezentrale Logik und Steuerungsfunktionalität oder auch Safety. Dementsprechend freuen wir uns sehr, dass der Trend zu dezentraler und zunehmend schaltschrankloser Automation, den wir vor 20 Jahren eingeläutet haben, jetzt immer mehr Anklang und Wegbegleiter findet. Heute stehen für viele Anwender Themen wie Flexibiltät, Modularität und Time-to-Market im Fokus, und da sind sie mit Schaltschranklösungen schnell am Ende ihrer Möglichkeiten. Hier spielen die robusten und modularen IP67-Konzepte ihre volle Stärke aus.

Wir sehen uns klar positioniert als Lösungsanbieter für die dezentrale Automation in IP67 im gesamten vertikalen Strang, von der Sensorik über die Steuerungstechnik bis in die Cloud. Die Antriebstechnik ist nicht unser Metier. Dieses Feld überlassen wir den Spezialisten und bieten, wie man es von uns kennt, hersteller- und feldbusneutral die erforderlichen Anschlussmöglichkeiten. Schließlich wollen wir weiterhin glaubwürdig bleiben und uns nicht auf allen Spielfeldern tummeln und so unseren Fokus verlieren.

Ein anderes Gebiet auf dem Turck erfolgreich ist, ist RFID, vor allem in der Logistik.

Die Intralogistik ist für Turck eine sehr relevante Zielbranche. Mit unserem Portfolio waren wir schon immer gut aufgestellt für die Intralogistik, aber seit der Übernahme des RFID-Turnkey-Solution Providers Vilant Systems vor sechs Jahren können wir als einziger Automatisierungsspezialist komplett integrierte Lösungen aus einer Hand anbieten, einschließlich der Integration in die (ERP-) Softwaresysteme der Kunden. Turck Vilant Systems, wie das Unternehmen inzwischen heißt, liefert schlüsselfertige Track&Trace-Lösungen für Industriekunden weltweit. Unser intelligentes RFID-System mit der eigenentwickelten RFID-Middleware für verschiedene Lesepunkte kann bei Bedarf um aktive Tracking-Elemente wie BLE (Bluetooth Low Energy), GPS oder andere IoT-Geräte erweitert werden. Inzwischen konnten wir uns in verschiedenen Branchen als RFID-Lösungsanbieter etablieren, nicht nur in der Intralogistik, sondern auch in den Industriesegmenten Automobilindustrie, Chemie, Pharma, Biotech sowie weiteren bedeutenden Branchen. Wir sind dort so erfolgreich, weil wir mit Turck Vilant Systems die entsprechende Lösungskompetenz besitzen. In einer UHF-Anlage ist nicht die Wahl der RFID-Antenne kaufentscheidend. Der Kunde will vielmehr einen ganzheitlichen Engineering Service erhalten und eine Middleware, die seine Daten ins ERP-System einspielt. Dieser Ansatz, nicht in erster Linie Hardware, sondern eine Dienstleistung und Software-Lizenzen zu verkaufen, war für uns Anfangs auch neu, hilft uns aber in der aktuellen Situation, wo Software und Dienstleistungen auch in der Automatisierungstechnik immer mehr zum entscheidenden USP werden, weiter.

Also ist RFID inzwischen auch ein wichtiger Umsatzträger?

Absolut. Dort sind wir in den letzten Jahren mindestens 25% p.a. gewachsen und lagen Mitte dieses Jahres im Umsatz bereits 90% über dem Vorjahresergebnis in diesem Segment. RFID hat mittlerweile nach der I/O-Technik, der induktiven Sensorik sowie der Connectivitiy den viertgrößten Anteil an unserem Gesamtumsatz.

Wie wollen Sie den Verkauf von Software, Lizenzen und Dienstleistungen angehen? Für viele Maschinen- und Anlagenbauer gehört das ja immer noch zum Servicepaket.

Das stimmt, aber auch hier setzt sich mehr und mehr die Denkweise durch, dass Software nicht kostenlos sein kann. Privat bezahlen wir für Software ja auch, wenn wir sie verwenden wollen. In der Tat steckt das Geschäft noch in den Kinderschuhen. Aber es gibt bereits erste Kunden. So hat beispielsweise ein im Ruhrgebiet ansässiger Dampfmaschinenhersteller unsere Cloud-Lösung inklusive Hardware gekauft, weil er für seine Maschinen ein permanentes Monitoring inklusive Alarmierung mit einem selbst entworfenen Dashboard gesucht hat. Da war unsere Lösung deutlich einfacher zu bedienen und zudem günstiger als die eines großen Telekommunikationsunternehmens. Gerade, wenn es um die Bedienbarkeit und die Funktionalität geht, sprechen wir halt die Sprache der Industrieunternehmen und sind sehr flexibel in der Umsetzung von kundenspezifischen Anforderungen.

Sind die Industrieunternehmen denn schon bereit für Cloud-Lösungen?

Vielerorts herrscht zwar noch Skepsis bezüglich der Datensicherheit, aber je mehr Applikationen es gibt, desto deutlicher treten die Vorteile, vor allem bei modularen Maschinen, zu Tage. Wir erwarten, dass sich Cloud-Konzepte zunehmend etablieren werden und sich in wenigen Jahren zum Standard entwickeln.

Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit für Sie sowie Ihre Kunden?

Ich sehe das nachhaltige Wirtschaften als eine gesellschaftliche Aufgabe. Als Familienunternehmen haben wir schon immer umweltfreundlich agiert und möglichst klimaneutral produziert. Natürlich unterstützen wir auch das Pariser Klimaabkommen, allerdings ist die EU mit ihren Regularien über das Ziel hinaus geschossen. Der Aufwand für einen Hersteller, nachzuweisen, dass ein Produkt komplett CO2-neutral entstanden ist, ist immens, da die gesamte Lieferkette berücksichtigt werden soll. Wir wissen alle, dass CO2-Neutralität und Nachhaltigkeit essentielle Aufgaben sind, allerdings darf durch Überregulierung kein dramatischer Wettbewerbsnachteil für Europa entstehen.

Bei Turck tun wir einiges, um nachhaltig zu agieren. Wir nutzen viel erneuerbare Energien, um uns zunehmend als Selbstversorger aufzustellen, haben ein etabliertes Energiemanagementsystem und verwenden recycelte Materialien. Auch sind wir dabei, unsere Fahrzeugflotte zunehmend auf Elektromobilität umzustellen. Es muss jedoch für die Nachhaltigkeit ein sinnvolles Zeitfenster sowie eine ökologische und ökonomische Balance geben. Schließlich werden Wirtschaftsunternehmen am Ende an ihrem wirtschaftlichen Erfolg gemessen und in Zeiten der Globalisierung sind nationale Alleingänge ein Hemmschuh für die Wettbewerbsfähigkeit. Ich bin überzeugt, dass Nachhaltigkeitskriterien ein relevanter Punkt bei der Lieferantenauswahl sein werden, allerdings muss der Preis auch in einem akzeptablen und wettbewerbsfähigen Rahmen bleiben.

Jedenfalls sind für mich Automatisierung und Digitalisierung die Brücken zur Energieeffizienz und zur Nachhaltigkeit. Wir unterstützen unsere Kunden bei ihrer digitalen Transformation. Deshalb schaue ich für Turck trotz der aktuellen konjunkturellen Schwächephase positiv in die Zukunft. Aus diesem Grund haben wir weiterhin das Ziel, in den nächsten 5 bis 6 Jahren durchschnittlich zweistellig zu wachsen und am Ende idealerweise unseren Umsatz zu verdoppeln.

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