Frau Freyer, an der Spitze der Firma Machineering stehen zwei Personen, Sie und Dr. Georg Wünsch. Was genau ist Ihre Aufgabe als Geschäftsführerin des Unternehmens?
Beate Freyer: Ich habe das Unternehmen Machineering 2009 gemeinsam mit Georg Wünsch gegründet. Was die Geschäftsleitung betrifft, haben wir die Aufgaben vollständig zwischen uns aufgeteilt. Georg Wünsch ist für die technische Seite zuständig. Er ist derjenige mit der großen Vision. Entsprechend kümmert er sich um die kontinuierliche Verbesserung der Simulationsplattform iPhysics. Er ist also voll und ganz für die Softwareentwicklung und -applikation verantwortlich. Alle anderen Bereiche fallen mir zu. Das ist in erster Linie der Vertrieb, von der Kaltakquise bis zum Abschluss. Dabei geht es viel um Fragen der grundsätzlichen Aufstellung, z.B. in welche Branchen wir vorstoßen wollen, aber auch darum, welche Umsatzziele wir uns stecken. Marketing und Kommunikation gehören auch zu meinen Aufgaben, genauso wie Finanzen, Personal und Administration. Das ist ein sehr vielseitiger Aufgabenbereich, der mir großen Spaß macht.
Während unsere Kernkompetenz, die Software-Entwicklung, direkt vor Ort in München sitzt, ist mein Team aus zehn Mitarbeitern bundesweit verteilt. Darüber hinaus habe ich auch noch ein Netzwerk aus Beratern, die mir Impulse für die strategische Ausrichtung geben und mir dabei helfen, meine Zielvorstellungen auf einzelne Aufgaben herunterzubrechen.
Welche Fähigkeiten und Qualifikationen mussten Sie für Ihre Position mitbringen?
Ich habe BWL studiert, und zwar mit den Schwerpunkten Unternehmensführung und Marketing. Damals war mir allerdings noch nicht klar, dass ich einmal gründen und ein Unternehmen leiten würde. Zum einen hat mir dieses Studium später enorm geholfen. Zum anderen ist man in diesem Studiengang sehr theoretisch unterwegs. Die praktische Seite habe ich dann bereits während meines Studiums bei BMW kennengelernt, wo ich zwei Jahre lang im Rahmen eines großen Projekts zum Thema Prozessoptimierung gearbeitet habe. Das hat mir die Prozesse und Strukturen in der Industrie näher gebracht, aber auch verdeutlicht, wie männerdominiert diese Branche ist. Nach meiner Zeit bei BMW bin ich zu Porsche Consulting nach Stuttgart gegangen. Dort habe ich mich auf den Bereich Produktentwicklung spezialisiert. Danach habe ich unter anderem bei der Unternehmensberatung ROI in München im selben Bereich gearbeitet. Durch diese Stationen habe ich gelernt, wie Unternehmen ticken, wie sich Strukturen, Abläufe und Meilensteine gestalten. Aber ich habe auch viel über das Informelle in den Abteilungen, aber auch abteilungsübergreifend, gelernt. Da habe ich schnell gesehen, was gut läuft, was nicht gut läuft und was man ändern sollte. Das Studium ist das eine, aber die Praxiserfahrung ist auch wichtig, wenn man ein Tech-Unternehmen gründen will.
Diese konnte ich gut in meine Aufgaben bei Machineering einfließen lassen. Mir sind flache Hierarchien und eine direkte Kommunikation besonders wichtig, um Prozesse schlank zu halten. An unserem Unternehmensstandort in München haben wir 15 Mitarbeiter, die zum Core-Team gehören. Hier haben wir erst vor einem Jahr eine Hierarchiestufe eingeführt. Zuvor war jeder Teil des Teams und hatte seine Aufgabe. Jetzt haben wir in den unterschiedlichen Bereichen Teamleiter. Dennoch treffen wir uns jeden Morgen zu einem gemeinsamen Team-Meeting und besprechen uns direkt, sodass es keine Probleme oder Schwierigkeiten gibt, die unter den Tisch fallen könnten. Unser Alleinstellungsmerkmal bei Machineering ist die Schnelligkeit, mit der wir eine Lösung umsetzen. Und das geht nur mit sehr effizienten Prozessen.
Welche Herausforderungen mussten Sie auf dem Weg in Ihre Position meistern?
Georg Wünsch und ich haben uns 2007 kennengelernt, sind ein Paar geworden und haben geheiratet. 2009 haben wir gemeinsam Machineering gegründet, anfangs noch zu zweit. Nach einem Vierteljahr kam bereits der erste Mitarbeiter. Die größte Herausforderung war für mich dabei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir haben die Firma zwischen Kind Nr. 2 und Kind Nr. 3 gegründet, quasi mit Maxi Cosi beim Notar. Das war wahnsinnig spannend, aber auch herausfordernd. Ich habe mich von Anfang an um die Kinder gekümmert und dann immer nur stundenweise arbeiten können. Das hat sich bis Kind Nr. 4 eigentlich nicht geändert. Mein Mann konnte mich in dieser Zeit leider natürlich nur wenig unterstützen. Wenn man sich für Kinder und Karriere entscheidet, muss man irgendwann als Familie überlegen, wer was mit einbringt. Mein Mann war für die Implementierung der Software oft unterwegs, häufig nur zwei Tage in der Woche zu Hause und ich hatte die Kinder. Das war ein riesiger Spagat und die größte Herausforderung für mich.
Eine weitere große Herausforderung war, dass wir mit unserer Idee schneller waren, als der Markt den Bedarf dafür gesehen hat. Georg Wünsch hat bereits nach seiner Doktorarbeit über virtuelle Inbetriebnahme 2007 das Thema Virtual und Augmented Reality ins Spiel gebracht. An die tatsächliche Umsetzung dieses neuen Ansatzes hat zu diesem Zeitpunkt fast noch niemand geglaubt. Doch mein Mann war von Anfang an davon überzeugt, dass es großen Mehrwert bietet, diese Technik aus dem Gaming auf die Maschine zu übertragen. 2009 mit Gründung hatten wir zwar erst eine rudimentäre, doch bereits einsatzfähige Lösung zur Hand, die wir versucht haben, auf den Markt zu bringen. Dabei mussten wir noch echte Aufklärungsarbeit leisten, mit hohem Kommunikationsaufwand. Ab 2015 mit Industrie 4.0 wurde es dann ein bisschen einfacher für uns. Immer mehr haben erkannt, das sie doch auf Digitalisierung setzen müssen. Dennoch hat man gemerkt, dass der Maschinen- und Anlagenbau in Deutschland zwar ziemlich schlagkräftig, aber träge ist. Erst jetzt so langsam erfolgt ein Umdenken. Auf der SPS-Messe 2022 wurde iPhysics ohne weitere Erklärungen einfach geordert.
Die dritte große Herausforderung ist für mich der Bereich Personal. Gerade hier in München ist die Konkurrenz an Arbeitgebern groß. Aber so langsam erkennen die potenziellen Mitarbeiter, dass die Aufgaben bei einem auf Digitalisierung ausgerichteten Unternehmen, wie Machineering, viel spannender sind und sie sich selbst viel mehr einbringen können. Die vierte Herausforderung ist der Spagat zwischen Office und Homeoffice, da müssen wir noch die richtige Mischung für uns finden. Die Arbeit in kleinen, eng verzahnten Teams braucht Vertrauen und Verlässlichkeit und das bildet sich schneller, wenn man vor Ort zusammenarbeitet. Durch die Pandemie hat sich der Anteil an Homeoffice erhöht. Diesen Anspruch merke ich sehr stark in den Bewerbungsgesprächen. Ich finde es aber eine große Herausforderung, neue Mitarbeiter nur per Bildschirm aktiv ins Team einzubinden und das Onboarding rein digital zu gestalten. Viel leichter lässt sich das hybride Modell umsetzen, wenn ein Kollege länger im Team ist. Denn derjenige ist schon fest im Team verankert. Außerdem birgt die Kommunikation via Bildschirm auch das Risiko von Missverständnissen, die im direkten Miteinander weniger auf treten. Im Team vor Ort sind die Kommunikationswege oft schneller und es findet mehr indirektes Lernen statt.
Natürlich war es für mich auch eine Herausforderung, in allen angesprochenen Bereichen Fuß zu fassen. Ich musste auch in das Thema hinein wachsen. Für die gesamte Strategieplanung ist es wichtig, dass ich genau weiß, worum es technisch geht. Es ist auch meine Aufgabe, neue Kunden zu akquirieren, und dafür muss ich wissen, was bei unserer iPhysics-Plattform machbar ist. Dieses Knowhow aufzubauen, obwohl ich nicht aus dem Automatisierungsbereich komme, war alles andere als einfach. Umso wichtiger sind unsere regelmäßigen Meetings, die auch mich immer auf den neusten Stand bringen. Eine gewisse Affinität zu technischen Zusammenhängen und Themen gehört natürlich auch dazu.
Sie sprachen eben von einer männerdominierten Branche. Welche Auswirkungen hatte das auf Sie als Frau?
Die Erfahrung aus meinen Anfängen in der Automotive-Industrie und der Unternehmensberatung ist, dass man als Frau in diesen Männer-Teams zwar wahrgenommen, aber nicht so ernst genommen wird, wie ein Männer-Pendant. Ich war häufig nur eingebunden, weil es per se als gut gilt, eine Frau dabei zu haben. Die Machtspiele innerhalb der Konzerne waren immer sehr deutlich spürbar. Auch beim Kunden selbst war es oft schwierig, als Frau mit Lösungen zu punkten – wirklich nicht zielführend. Deswegen handhaben wir das bei Machineering anders. Die Frauen bei uns im Team werden in jedem Fall gleichberechtigt gehört. Die Kommunikation erfolgt bei uns immer auf Augenhöhe, egal ob Frau oder Mann.
Was glauben Sie, warum Positionen wie die Ihre immer noch selten mit Frauen besetzt sind?
Ich denke, das hängt damit zusammen, dass sich immer noch deutlich weniger Mädchen als Jungen für die MINT-Branche interessieren und diesen Weg einschlagen. Ich finde das sehr schade. Ich habe schon sehr viele spannende, intelligente Frauen in Führungspositionen in der Tech-Branche kennengelernt. Diese Frauen gehen ihre Aufgabe mit Ruhe, Intelligenz und Weitsicht, aber auch mit Liebe zum Detail an, nehmen ihre Aufgaben sehr ernst und verfolgen klar ihre Ziele.
Ich kann mir gut vorstellen, dass die Tatsache, dass Frauen sich weniger für den Technikbereich interessieren, mit dem jeweiligen Elternhaus zu tun hat. Die fehlende Affinität zur Technik wird zu Hause vorgelebt. Das finde ich sehr schade. Wünschenswert wäre es, dass die Eltern in der Erziehung offener und Fächern wie Mathe und Physik positiver gegenüber eingestellt sind. Auch die Schulen müssen Kindern besser vermitteln, dass Technik Spaß macht. Es muss mehr Kurse geben, in denen Kinder sich in diesem Bereich ausprobieren können.
Was tun Sie und Ihr Unternehmen, um junge Menschen und vor allem junge Frauen im Technikbereich zu fördern?
Wir haben letztes Jahr das erste Mal am Girls Day teilgenommen. Ziel war es, zu zeigen, dass man sich als Frau sehr gut in einem technischen Beruf entfalten kann und es auch möglich ist, sich damit selbstständig zu machen. Die teilnehmenden Mädchen kamen aus der 8. bis 12. Klasse und haben sofort gezeigt, dass es in diesem Bereich sehr viel Potenzial gibt. Daher sind wir auf die Idee gekommen, unsere iPhysics-Plattform schon in den Schulen vorzustellen. Denn die bietet viele Möglichkeiten, sich virtuell in diesem Bereich auszuprobieren. Bisher konnten wir leider noch keinen direkten Kontakt zu einer Schule herstellen, sind aber schon seit mehreren Jahren in Kooperationen mit verschiedenen Hochschulen. Dort stellen wir iPhysics zu günstigen Konditionen zur Verfügung, damit die Software bereits in der Lehre eingesetzt werden kann. Das hilft uns natürlich auch, bekannter zu werden und zukünftige Mitarbeiter auszubilden, die iPhysics bereits kennen, wenn sie zu uns kommen. Wir brauchen in Deutschland Studienabgänger, die Generalisten sind und sich dann im jeweiligen Unternehmen spezialisieren. Das muss endlich in den Unternehmen und in den Hochschulen ankommen. Wir haben deswegen bereits Kontakt zu den verschiedenen IHKs geknüpft.
Wie unterstützen Sie es, dass Frauen zunehmend auch höhere Führungspositionen erreichen?
Uns war es beim Girls Day wichtig, den Mädchen Folgendes mitzugeben: Du brauchst keine Angst vor deinen männlichen Kollegen zu haben. Du kannst dich auch selbstständig machen. Unter den Teilnehmerinnen gab es Ängste, Unternehmen würden männliche Bewerber bevorzugen. Diese Angst wollten wir den jungen Frauen nehmen. Man kann auch als Frau ein Tech-Unternehmen gründen und im technischen Bereich richtig gut sein. Man muss vor allem eins haben: ein gutes Netzwerk.
Gerade unter den älteren Teilnehmerinnen beim Girls Day wurden die Fragen sehr konkret. Die wussten genau, dass sie mal studieren und später auch eine Familie gründen wollen. Wir haben ihnen natürlich erklärt, dass es sicherer ist, wenn der Partner eine Festanstellung und man eine gute Möglichkeit für die Kinderbetreuung hat. So wie mein Mann und ich das gehandhabt haben, ist doch der riskantere Weg und eher die Ausnahme. Wir haben sehr viel in die Firma und in die Familie investiert und dabei auch einen gewissen Preis bezahlt. Aber mein Job als Geschäftsführerin bei Machineering ist genau das, was ich machen will, und mein Mann und ich ergänzen uns perfekt an unserer Zweierspitze. Wenn ich auf die letzten Jahre zurückblicke, würde ich alles noch einmal genauso machen.
Was raten Sie jungen Menschen, die Ambitionen haben, einen ähnlichen Weg wie Sie einzuschlagen?
Sie dürfen keine Angst haben und brauchen Mut zum Risiko. Ich rate jungen Menschen, sich für die MINT-Branche und auch für die Selbstständigkeit zu entscheiden. Jeder kann da hineinwachsen und es schaffen, mit starkem Willen und der nötigen Kraft, aber auch mit einem gut funktionierenden Netzwerk. Leider überleben nur rund fünf von zehn Startups die ersten zwei Jahre und noch weniger die darauf folgenden zwei Jahre. Nicht jede gute Idee ist tatsächlich erfolgreich. Letztendlich bedeutet Gründen richtig harte Arbeit! Das können auch großzügige Anschubfinanzierungen nicht ändern. Mit Machineering haben wir uns ganz klar gegen Investoren entschieden und bleiben nach wie vor eigenfinanziert und inhabergeführt. Wir wollen gesund wachsen und uns nicht von Geldgebern abhängig machen. Wir wollen unsere Technologie eigenständig entwickeln und nicht nur Aufträge abarbeiten. Abschließend will ich aber betonen: Es ist machbar!
Das Interview führte Frauke Itzerott, Redakteurin