Interview mit Dr. Barbara Frei, Executive Vice President Industrial Automation, Schneider Electric

„Elektrifizierung plus Digitalisierung ergibt Electricity 4.0“

Frau Frei, Sie sind vor einem guten Jahr in die Position als Executive Vice President Industrial Automation gekommen. Die Pandemie lief, und es gab bereits Lieferschwierigkeiten. Genau in dieser Phase ist auch noch der Krieg in der Ukraine dazugekommen. Wie wirkt sich das auf Ihr Geschäft aus?

Barbara Frei: Ja, Lockdowns, geschlossene Häfen, das war für uns keine einfache Zeit. Und jetzt kommen die explodierenden Energie- und Rohstoffpreise dazu. Aber es gibt immer zwei Seiten. Wir sehen jetzt, dass Resilienz, Effizienz und Nachhaltigkeit für den langfristigen Geschäftserfolg wirklich wichtig sind. Es geht nicht mehr nur darum, möglichst billig zu produzieren, man muss sich auch die Lieferketten ganz genau anschauen. Zudem hat die Situation dazu geführt, dass wir Lieferketten heute besser verstehen. Wir haben ein größeres Verständnis, wie die weltweite Chipproduktion zusammenhängt. Wir haben ein viel größeres Verständnis im Bereich Kunststoffe: Früher kannte man nur den direkten Zulieferer, heute sieht man, dass auch der Zulieferer wieder eine ganze Kette an Zulieferanten hat. Man sollte mit seiner Produktion nicht nur von einem Kontinent abhängig sein. Was wir versuchen ist, dass auf jedem Kontinent für den dortigen Markt so viel wie möglich auch dort produziert wird. Wenn ich Europa anschaue: 70 Prozent von dem, was Schneider Electric in Europa verkauft, wird auch in Europa hergestellt. Das wollen wir weiter verstärken und entsprechend werden wir auch bei Produkten, die wir z.B. für China produzieren, den Anteil in China gefertigter Komponenten erhöhen. Das geht nicht überall, aber im Grunde ist die Idee, dass man dort sourced und produziert, wo auch verkauft wird.

Und konkret Russland: Welche direkten Auswirkungen hat der Krieg auf Schneider Electric?

Das Russland-Geschäft betrug etwa 2 Prozent unseres Umsatzes. Wir haben eine Lösung gefunden, bei der wir unser Geschäft an die dortigen Mitarbeitenden verkauft haben. Das war für uns emotional nicht einfach, aber es ist der richtige Ansatz. Insgesamt war es nicht entscheidend für die Umsatz-Gestaltung des Konzerns.

Was bewegt die Automatisierungsbranche abseits der Pandemien und Kriegshandlungen? Gibt es technologische Trends?

Wir werden Softwarezentrierter: Die Software wird von der Hardware entkoppelt, der Softwarezyklus, der oft kürzer ist, wird nicht mehr an den Hardwarezyklus gebunden. Ein weiterer Trend aus der Industrie ist, dass Entscheidungen datenbasiert werden. Wenn ich basierend auf Daten entscheide, gibt mir das mehr Resilienz, auch die Möglichkeit für mehr Nachhaltigkeit, etwa, wenn ich meinen Stromverbrauch messe und damit meine Prozess optimiere. Und diese Daten werden vor allem in der Automatisierung produziert. Allerdings: Bis heute ist es relativ schwierig, die Daten auf das Orchestrierungsniveau zu bringen, das eine Analyse, auch per künstlicher Intelligenz, ermöglicht. Wir arbeiten da nach dem Standard IEC61499, der seit 2005 existiert und sich mehr und mehr etabliert. Er entkoppelt Software von Hardware und er verteilt auch die Intelligenz. Er ist Event-orientiert. Dass man Algorithmen von Drittanbietern integrieren kann, ist ein großer Vorteil. Der Standard hilft dem Endkunden, seine Daten schneller auf ein Level zu bringen, bei dem er dann auch die Analysen fahren kann.

Will Schneider Electric zu einem Softwarehaus werden, bei dem die Hardware nur noch Nebensache ist?

Nein. Die Software, auch die stetige Erneuerung der Software, ist wichtig. Aber die Hardware ist in der Industrie immer noch relevant und sie hat spezielle Anforderungen. Es braucht gewisse Formfaktoren, es muss ein ausreichendes Schutzniveau da sein, Widerstandsfähigkeit gegenüber speziellen Umweltbedingungen und etliches mehr. Hardware wird auch weiterhin ein wichtiger Bestandteil sein in diesem Geschäft. Aber die Software wird weiter an Bedeutung gewinnen, bis hin zu Geschäftsmodellen, bei denen man, um neue Funktionalität zu bekommen, statt eine neue Hardware zu kaufen man eine neue Firmware herunterlädt.

In dem Zusammenhang hört man oft den Begriff des Digital Twin. Von der Consumerseite kommt der Begriff des Metaverse, ein digitales Abbild der gesamten Welt. Ist das relevant oder ist das nur ein Hype?

Das wird man sehen. Zumindest der digitale Zwilling ist sehr wichtig für uns. Wir integrieren in unserem Motion-Bereich gerade ein Engineering-Tool für Produktionslinien. Damit kann man die ganze Produktionslinie abbilden, sie simulieren und optimieren. Wir sind gerade dabei, das Ganze mit Artificial Intelligence noch zu beschleunigen. Extra dafür haben wir auch eine Akquisition getätigt, eine kleine Softwarefirma in Dänemark, die wir jetzt integrieren. Deren Tools sind schon mächtig und bieten echte Zeit- sowie Ressourcenersparnis und können nicht nur im Engineeringprozess, sondern auch später in den Operations deutliche Effizienzgewinne bringen. Der Digital Twin ist nicht nur ein Buzzword, sondern etwas, womit wirklich gearbeitet wird.

Schneider Electric hat ein neues Automatisierungsparadigma proklamiert und Universalautomation.org gegründet. Was heißt das konkret?

Universalautomation.org ist eine Non-Profit-Organisation, die aus Industrieunternehmen, Herstellern, OEMs, Systemintegratoren, Startups und Universitäten besteht. Wir sind daran, noch weitere Hersteller zu gewinnen. Die Idee ist, sich auf einen Standard zu einigen, auf dessen Basis sich die Unternehmen differenzieren können. Ziel ist es, dass der Endkunde die Möglichkeit hat, seine Software oder Applikation auch auf anderer Hardware laufen zu lassen. Denn der Endkunde hat verschiedene Maschinenhersteller, die zum Teil wieder mit verschiedenen Automations-Providern zusammenarbeiten. In einer Fabrik sind dann schnell einmal drei oder vier Automatisierungslösungen parallel in Betrieb, und wenn wir das wirklich gesamtheitlich betrachten, hat der Kunde deutlich mehr Unabhängigkeit beim Programmieren oder beim Downloaden von Software, wenn es hier eine einheitliche Basis gibt. Die Industrie von morgen wird Daten-getrieben sein, und wenn das so ist, muss man Systeme zur Verfügung stellen, die interoperabel sind. Genau das ist Universalautomation.org.

In der aktuellen Situation mit den deutlich steigenden Rohstoff- und Energiepreisen wird nachhaltig wirtschaften ja durchaus lukrativ. Was bedeutet Nachhaltigkeit für ein Unternehmen wie Schneider Electric?

Bei der Nachhaltigkeit geht es ja nicht nur um Auswirkungen auf die Umwelt. Oft wird es mit CO2-Reduktion in Zusammenhang gestellt. Es geht auch darum, wie wir uns in der Gesellschaft bewegen, welchen Einfluss ein Unternehmen insgesamt auf die Gesellschaft hat. 2004/2005 haben wir unsere ersten Sustainability Reports publiziert, einfach aus der Überzeugung des damaligen CEO, dass das richtig ist. Konkret bedeutet Nachhaltigkeit für uns aber erst einmal, dass wir wissen, was wir tun. Dass wir messen müssen, was wir tun. Wenn ich weiß, was ich wo verbrauche und über zehn Jahre rechne, egal ob im Gebäudebereich oder in industriellen Betrieben, dann lohnt es sich, etwas mehr Geld zu investieren, um eine bessere Energieeffizienz zu haben, aber auch eine höhere Ausfallsicherheit und mehr Flexibilität in den Anlagen. Wenn man nachrechnet zeigt sich auch, dass sich eine höhere Automatisierung und Digitalisierung immer rechnet. Ich glaube, man hat das unterschätzt in vielen Märkten. Allerdings bin ich der Überzeugung, dass Nachhaltigkeit von der Spitze her gelebt sein muss. Schneider Electric selbst hat schon seit Jahren ein Programm laufen, die Energieverbräuche über die verschiedenen Sites hinweg zu Messen und über die Jahre hinweg zu reduzieren. Unsere Enterprise-Lösung Resource Advisor hilft Kunden mit mehreren Standorten, die Energieflüsse zu optimieren und auch die entsprechenden Reports zu erstellen. Das haben wir in über 300 Sites bei uns installiert, und können damit unseren Kunden am eigenen Beispiel präsentieren, was möglich ist.

Nun ist es für Elektronik-Unternehmen einfach, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, denn die Branche ist nicht sehr energieintensiv. Aber es gibt Kunststoff-Spritzguss, es gibt Stahlwerke und andere, die es nicht so leicht haben. Wie realistisch sehen Sie die Umsetzung von Klimazielen?

Wir brauchen auch in Zukunft Plastik in unseren Produkten, wir brauchen Schiffe, die von A nach B fahren, also benötigen wir auch die Schwerindustrie. Es geht nicht darum zu sagen, ein Unternehmen ist besser als das andere. Wir sind Teil eines Systems. Wir haben in der CO2-Betrachtung die Emissionen für Scope 1 und Scope 2. Das umfasst alles, was wir intern verbrauchen. Aber dann gibt es noch Scope 3 in zwei Richtungen: Upstream hin zur Lieferkette und Downstream in Richtung des Produkteinsatzes. Wenn man einen Elektromotor betrachtet, dann ist Scope 3 Upstream die Energie, die die Gewinnung und Verarbeitung von Kupfer und Stahl benötigt hat, Scope 1 und 2 was der Hersteller braucht und Scope 3 Downstream ist die Energie, die der Motor im Betrieb im Laufe seines Lebens verbraucht. Scope 1 und 2 bekommt man intern mit Messungen in den Werken gut in den Griff – die komplette Erfassung von Scope 3 ist aber tatsächlich nichts, was sich bis 2025 umsetzen lässt. Auf der anderen Seite: Die Dekarbonisierung der Schwerindustrie ist eine Aufgabe für uns alle, da wir am Ende über Scope 3 im Upstream mit unseren Produkten ebenfalls beteiligt sind. Wir haben deshalb Programme für unsere Top 1.000 Lieferanten, um sie bei dem Weg in die CO2-Neutralität zu unterstützen.

Was brauchen wir, um die Ziele zu erreichen?

Wenn wir die EU-Klimaziele für 2050 erreichen wollen, brauchen wir viel mehr Elektrizität, die dezentral hergestellt und viel stärker und feiner verteilt werden kann – was nur mittels Digitalisierung klappen wird. Bis 2030 wird nicht alles gelöst sein. Wir liegen in Europa heute bei einem Anteil der Elektrizität von etwa 20 Prozent am gesamten Primärenergiebedarf. In unseren Studien gehen wir davon aus, dass der Mix bis 2050 bei mindestens 60 bis 80 Prozent Elektrifizierung liegen muss. Wenn man sich dessen bewusst ist, können auch die dazu notwendigen Investitionen getätigt werden.

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