Herr Richter, das Kerngeschäft von Indu-Sol ist seit 18 Jahren auf zuverlässige Kommunikationsinfrastrukturen für die Fertigungsebene ausgerichtet. Wie hat sich diese Aufgabenstellung in den letzten Jahren verändert?
Karl-Heinz Richter: In den Anfängen hatten wir viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Der Profibus wurde überall gefeiert und keiner wollte glauben, dass er auch Schwachstellen haben könnte. Wir haben viel erklärt: Dass es z.B. so was wie physikalischen Verschleiß gibt, der dann mittelfristig zu Problemen in der Kommunikation führen kann. Die Erfahrungen in der Praxis haben unsere Aussage aber bestätigt. Mit dem Wechsel zu Profinet hat sich nicht nur die Kommunikationslandschaft verändert, sondern auch die Probleme, die damit einhergehen können. Im Profinet kämpfen wir vor allem mit sporadischen, nicht reproduzierbaren Ereignissen, die sich erst einmal einfach quittieren lassen und eigentlich unproblematisch erscheinen.
Aber problematisch sind diese sporadischen Ereignisse dennoch?
Richter: Ja, denn dabei gehen auch Daten verloren. Das wird in einem konsequenten Netzwerkmonitoring sichtbar. Und mehr noch: Diese sporadischen Störungen sind immer Vorboten für ein sich anbahnendes Netzwerkproblem.
Was hat sich mit Profinet in Bezug auf die Kommunikationsnetze noch verändert?
René Heidl: Als Argument für den Umstieg auf die TCP/IP-basierte Kommunikation wurde uns angepriesen, dass sich ganz unterschiedliche Applikationen anbinden lassen. Während beim Profibus Netze homogen waren, hatte man es beim Profinet plötzlich mit heterogenen Netzen zu tun. Inzwischen rudern viele wieder zurück und verlegen parallel mehrere homogene Netze. Allerdings ist den meisten diese Entwicklung gar nicht so richtig bewusst.
Warum gehen viele wieder zurück zu homogenen Netzen?
Heidl: Kurz gesagt: Weil homogene Netze stabiler sind, sicherer und einfacher zu überwachen. Aber man muss dann eben auch jedes Netz einzeln überwachen und zu jedem dieser Netzwerke Schnittstellen schaffen.
Und das deutlich aufwendiger?
Heidl: Natürlich. Stellen sie sich mal vor, in Ihrer Innenstadt werden vier Fahrspuren gebaut: eine für den Kfz-Verkehr, eine für Busse und LKW, eine für Krankenwagen und eine für die Feuerwehr. Wer will das bezahlen, also sowohl den Bau als auch die Instandhaltung?
Keiner. Aber was hat das nun mit den Kommunikationsnetzen zu tun? Können da nicht alle Protokolle einfach auf einer Spur fahren?
Richter: Doch, aber die Ampeln sind das Kernproblem. Während bei einem Ampelzyklus sechs PKW locker über die Ampel flitzen, ist ein LKW erst angefahren und es wird schon wieder rot. Über kurz oder lang führt das zum Stau. Auf die Netzwerkwelt übertragen ist die Ampel der Switch, der die Kommunikationsprotokolle verwaltet. Laufen kurze Protokolle, z.B. Profinet, und lange, z.B. Visualisierungsdaten, über denselben Switch kommt es nicht zum Stau, sondern zu Datenverlusten, wenn der Speicher nicht groß genug ist. Eben dadurch werden die Netze instabil und das führt über kurz oder lang zum Kommunikationsausfall und schlimmstenfalls zum Anlagenstillstand.
Also ist der Switch das eigentliche Problem?
Heidl: Ganz genau. Vom homogenen Profibus-Netzwerk her kommend waren Auswahlkriterien für den passenden Switch oft die Gehäusegröße, der Preis, die Schutzklasse und der Hersteller. Wer eine SPS von Siemens, Rockwell oder Phoenix im Einsatz hatte, griff in der Regel immer auch zu einem Switch dieses Anbieters. In homogenen Netzen war das auch absolut sinnvoll. Denn SPS und Switch sind sehr gut aufeinander abgestimmt.
Aber in heterogenen Netzen sollten Maschinen- und Anlagenbauer andere Kriterien ansetzen? Warum?
Richter: Jetzt hat man es eben mit einer Vielzahl von Anwendungen und Kommunikationsprotokollen zu tun. Manche sind kurz und werden oft verschickt, andere lang und kommen dafür seltener. Ein klassischer Profinet Switch ist z.B. auf kurze Profinet-Protokolle ausgelegt. Lässt man jetzt aber eine Visualisierungsapplikation über denselben Switch laufen, kommt es ggf. zu Problemen. Über Datenverlust und Co. haben wir ja schon gesprochen.
Was ist die Alternative?
Richter: Nun, entweder entscheidet man sich eben für jede Applikation eine eigene Leitung zu verlegen. Das wird aber sowohl bei der Installation als auch bei der Instandhaltung teuer. Oder man setzt andere Kriterien bei der Wahl des Switches an.
Welche Kriterien sind bei der Wahl des Switches heute wichtig?
Heidl: Die Bandbreite. Man sollte von Anfang an darüber nachdenken den Backbone einer Maschine im Gigabit auszuführen, also Backplane Capacity, Data Throughput, Buffer Size und Buffer Pagesize als Hauptargumente für die Wahl des Switches ansetzten anstatt den Namen des Herstellers. Übrigens im IT-Bereich wird das längst so gehandhabt. Warum sich die Automatisierung hier völlig anders verhält, ist nicht nachvollziehbar. Dann hätte man jedenfalls ausreichend Spielraum, um die Daten aller Applikationen im heterogenen Netzen zuverlässig zu übertragen.
Lassen Sie uns noch mal an unsere Einstiegsfrage anknüpfen: Sieht das Betätigungsfeld Ihres Unternehmens anders aus als vor 18 Jahren?
Richter: Ja. Wir verändern uns seit Jahren mehr und mehr vom Diagnoseanbieter zum OT-Netzwerkausrüster. Allerdings wird wohl nie ein Unternehmenszweig den anderen ganz ablösen. Trotzdem haben wir den Bereich Hardware konsequent ausgebaut. Eine Neuentwicklung in diesem Bereich ist unser Managed Industrial Ethernet Switch PROmesh P10.
Was unterscheidet ihn von anderen industriellen Switches?
Richter: Er wird z.B. dem neuen Standard Profinet 2.4 über TSN gerecht. Und dann stecken ja viele Diagnose-Daten in der Infrastruktur des Switches, die eigentlich nur sichtbar gemacht werden müssen. Deshalb bieten wir neben der Schirmstrommessung, die bereits im Vorgängermodell implementiert war, nun auch eine Leitungsdiagnose, die so intelligent durchgeführt wird, dass der Switch eine Warnung vor dem totalen Kommunikationsabbruch signalisiert. Damit wird vorbeugende Instandhaltung des Netzwerks möglich.
Warum sind diese Diagnosen nötig?
Heidl: Häuft sich der Qualitätswert CRC Fehler, weist dies auf Leitungsprobleme hin und es stellt sich die Frage nach der Fehlerursache. Entweder können EMV-Einkopplungen, defekte Leitungen oder ein schwächelndes Endgerät diese Fehler hervorrufen. Weist der P10 Errors im Zusammenhang mit hohen Ableitstromwerten nach, dann liegt die Fehlerursache im Bereich der EMV. Weist der P10 Errors im Zusammenhang mit schlechten Leitungsqualitätswerten nach, dann ist entweder die Verbindung defekt oder das angeschlossene Endgerät.
Wie realisieren Sie die Leitungsdiagnose?
Heidl: Bei der Leitungsdiagnose wird die Form der realen Signale bewertet und über eine Datenmatrix weiterverarbeitet. Es lassen sich also anhand der Übertragungsqualität der Signale eindeutig Rückschlüsse auf die Leitungsqualität machen. Da dieser Lösung einer Vielzahl von Versuchen und auch KI-ähnliche Wertermittlungen vorausgegangen sind, sehen wir hier eine absolute Marktneuheit.
Abschließende Frage: Wie lauten die Performance-Daten Ihres Switches?
Heidl: Wir bieten derzeit eine Backplane Kapazität von 51,2Gbit/s, einen Throughput von 19,3Mpps. Die Buffer Size liegt bei 2Mbit und die Buffer Pagesize bei 256Byte.
Fachbegriffe der Kommunikations- und Netzwerktechnik
Backplane Capacity: Die Backplane Capacity ist ein Maß dafür, welche Datenmengen ein Switch je Zeiteinheit bearbeiten kann. Sie wird in Bit/s angegeben.
Data Throughput: Der Data Throughput beschreibt, wie viele Telegramme ein Switch pro Zeiteinheit bearbeiten kann. Seine Maßeinheit ist pps (Pakete pro Sekunde).
Buffer Size: Die Buffer Size liefert Rückschluss auf die Datenmengen, die ein Switch zwischenspeichern (puffern) kann. Sie wird in Bit angegeben.
Buffer Pagesize: Der Gesamtspeicher wird in einzelne Speicherseiten unterteilt. Je Seite kann maximal ein Telegramm gespeichert werden. Die Buffer Pagesize gibt die feste Speichergröße der Speicherseite an und wird in Byte angegeben.