Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Industrie

Daten vor Ort auswerten, autonom reagieren

Mit der Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) in industriellen Applikationen lassen sich immer neue Herausforderungen lösen. Die stetig steigenden Datenmengen, die aus der immer komplexeren Automatisierung resultieren, erfordern Maschinen und Prozesse, die selbständig Erkenntnisse gewinnen und Abläufe anpassen können. Einige Beispiele zeigen, wie derartige Lösungen in verschiedenen Anwendungsgebieten aussehen.
Bild: ©Panchenko Vladimir/shutterstock.com

Das Potenzial der künstlichen Intelligenz ist riesig: Fahrerlose Transportsysteme finden eigenständig ihren Weg durch die Fabrikhallen, Anlagen justieren sich während des laufenden Betriebs – um ein paar Beispiele zu nennen. Der Begriff der künstlichen Intelligenz ist nicht eindeutig definiert und umfasst viele Bezeichnungen. Vereinfacht dargestellt können Computerprogramme menschliches Denken nachbilden sowie selbst Regeln erstellen, um eigenständig durch Erfahrung zu lernen. Auf diese Weise kann sich das System autonom verbessern, damit es ohne Hilfe des Menschen in der Lage ist, Aufgaben abzuarbeiten. Zu den unter KI fallenden Schlagwörtern gehören Machine Learning (ML) und Deep Learning (DL). Beim maschinellen Lernen wird ein Problem auf der Grundlage der bisher gemachten Erfahrungen bewältigt. Auf Basis von Datenbeständen und Algorithmen, die vom Anwender generiert werden müssen, lassen sich so z.B. Anwendungen im Bereich Predictive Maintenance entwickeln, also zukünftige Ereignisse vorhersagen. Anomalien werden selbständig mit den Datenbeständen verglichen, um etwa die Lebenszeit der Anlage zu berechnen.

Bei Deep Learning – dem tiefgehenden Lernen – handelt es sich um einen Teilbereich des Machine Learning, der über neuronale Netze verfügt. Neuronale Netze sind Strukturen, die das menschliche Gehirn imitieren und somit unüberwacht aus unstrukturierten und unmarkierten Daten lernen. Deep-Learning-Algorithmen verbessern sich folglich ohne menschliches Zutun und eignen sich neue Fähigkeiten an. Im Gegensatz zum maschinellen Lernen muss einem Deep-Learning-Algorithmus nicht mehr mitgeteilt werden, auf welche Merkmale er zu achten hat. Zur verständlichen Darstellung der Anwendungsfälle werden beide Verfahren einander mit dem Ziel gegenübergestellt, eine Bildverarbeitung und daraus resultierend eine Objekterkennung zu entwickeln.

 Neue Herausforderungen durch künstliche Intelligenz lösen
Neue Herausforderungen durch künstliche Intelligenz lösenBild: Phoenix Contact Deutschland GmbH

Algorithmische Kette löst weitere Aufgaben

In der klassischen Bildverarbeitung, die auf dem manuellen Antrainieren des Modells beruht, gibt es zahlreiche verfügbare und zuverlässige Algorithmen, die sich als effizient und transparent erwiesen haben. Der Anwender erhält also eine Erklärung, wie das Ergebnis zustande kommt. Der Nachteil bei einer solchen Vorgehensweise liegt darin, dass das eher unflexible Verfahren auf spezifische Aufgaben zugeschnitten werden muss. Unter Umständen ist jede Prüfaufgabe aufwendig zu modellieren, sodass sich bestimmte Objekte klassifizieren lassen. Die auf Deep Learning basierenden Verfahren ermöglichen inzwischen eine hohe Qualität der Objekterkennung. Gegenüber dem klassischen Verfahren können somit eine größere Genauigkeit und Fehlertoleranz sichergestellt werden. Ein weiterer Vorteil ergibt sich daraus, dass dieselbe algorithmische Kette zur Lösung anderer Probleme verwendet werden kann. Ein weiteres Netz ist folglich in der Lage, ein anderes Objekt zu klassifizieren. Neuronale Netze lassen sich also nachtrainieren. Allerdings ist zur Ausführung eines solchen Verfahrens eine enorme Rechenleistung notwendig.

Während künstliche Intelligenz schon lange Einzug in den Consumer-Bereich gehalten hat, kommen jetzt auch reale Anwendungen im industriellen Umfeld zum Einsatz. Mitarbeiter nutzen täglich über ihr Smartphone Sprach- und Bilderkennungen, Bürogebäude sind vollautonom und reagieren auf Außeneinflüsse wie Hitze, Kälte, Lichteinstrahlung oder Wind. Diese und weitaus komplexere Teilbereiche der KI werden verwendet, damit sich Prozesse laufend verbessern und die Effizienz von Maschinen und Anlagen entsprechend steigern.

 Smart Cities bieten hohes Potenzial, Prozesse durch künstliche Intelligenz zu verbessern
Smart Cities bieten hohes Potenzial, Prozesse durch künstliche Intelligenz zu verbessernBild: ©ssguy/shutterstock.com

Qualitätskontrolle von Kunststoffspritzteilen

Als Beispiel für den Einsatz von KI in der Industrie sei das Detektieren von Qualitätsdefekten aufgeführt, etwa in der Lebensmittelindustrie. Ein Schokoriegel wird durch mehrere Kameras erkannt und anhand einer zuvor manuell angelegten Datenbank mit Gut- oder Schlechtbildern verglichen. Hierbei handelt es sich um eine klassische Anwendung des Maschine Learning.

Anders läuft es in einem anderen Beispiel ab, das von Phoenix Contact mitbetreut wird. Dabei geht es um die Qualitätskontrolle von Kunststoffspritzteilen für die Automobilindustrie. Im Fokus steht hier die absolute Null-Fehler-Toleranz. Sie soll durch Bildverarbeitung sichergestellt werden. Als zusätzliche Anforderung ist ein flexibles Verfahren zu entwickeln, mit dem sich verschiedene Teile analysieren lassen. Vor diesem Hintergrund wenden die KI-Spezialisten einen Deep-Learning-Ansatz an. Dazu wird das Objekt klassifiziert, um festzustellen, an welchen Stellen ein Fehler auftritt. Darüber hinaus ist das Netz als sogenannte Anomalie-Detektion konzipiert. So lässt sich detektieren, ob und in welchem Ausmaß die Schlechtteile von den Gutteilen abweichen. Als Mehrwert für den Betreiber kann dieselbe Inspektionsroutine für unterschiedliche Teile genutzt werden. Er benötigt außerdem keine KI-Expertise, damit er mit derartigen Systemen arbeiten kann. Das System muss lediglich einmal eingerichtet werden.

Echtzeitprozesse durch leistungsfähige Hardware

Im Bereich Smart Cities gibt es viele Applikationsbeispiele für die sinnvolle Verwendung von künstlicher Intelligenz. Eine vernetzte, intelligente Infrastruktur bietet ein hohes Potenzial, Prozesse durch den Einsatz von KI zu verbessern. Im Rahmen der smarten Infrastruktur kann es sich um das Schalten von Ampel- und Beleuchtungsanlagen bis hin zur Verkehrsüberwachung handeln, die auf Sensorsystemen basiert. Des Weiteren ist ein Parkmanagement denkbar, sodass die Parkhäuser in der Großstadt besser ausgelastet sind und die Autofahrer nicht lange nach einem Parkplatz suchen müssen. Selbst eine Vehicle-zu-Vehicle-Kommunikation ist möglich.

Wie in industriellen Anwendungen resultiert aus den geschilderten Szenarien die wichtige Anforderung einer kompakten und leistungsfähigen Hardware. Als Beispiel für ein solches Gerät sei das KI-Erweiterungsmodul AXC F XT ML 1000 aus der Steuerungsplattform PLCnext Technology von Phoenix Contact genannt. Das links an eine PLCnext-Steuerung anreihbare Modul enthält die Google Coral TPU (Tensor Processing Unit). Auf diese Weise ist es in der Lage, auf dem Tensorflow-Framework beruhende Verfahren zu beschleunigen und in Echtzeit umzusetzen. Mit dem AXC F XT ML 1000 kann der Anwender eine autonome oder Cloud-basierte Applikation entwickeln und seine SPS-Variablen direkt beeinflussen respektive mit ihnen interagieren. Auf der Grundlage von künstlicher Intelligenz wertet das Modul, das im Herbst auf den Markt kommen soll, die Rohdaten der Sensoren am Entstehungsort aus.

Die Gesamtstruktur einer entsprechenden Anwendung kann wie folgt aussehen: Die PLCnext-Steuerung inklusive KI-Erweiterungsmodul ist in der Feldebene – also vor Ort in der Stadt – installiert und dort mit der jeweiligen Sensorik verbunden. Die Datenkommunikation erfolgt entweder direkt mit den IT-Systemen oder über eine Cloud-Lösung. Eine weitere Besonderheit der offenen Steuerungsplattform stellt die Anbindung der Steuerung an den PLCnext Store dar. Neue Apps lassen sich vom digitalen Marktplatz einfach auf die SPS aufspielen, weshalb dieselbe Hardwareplattform für verschiedene Anwendungsfälle genutzt werden kann.

Tunnel- und Parkraumüberwachung

Auf Basis der PLCnext-Steuerungsplattform sind bereits Applikationen zur Tunnel- oder Parkraumüberwachung sowie zur allgemeinen Auswertung eines Streckenabschnitts realisiert worden. In diesem Zusammenhang hat auch eine exakte Verkehrszählung stattgefunden, in deren Rahmen unterschiedliche Fahrzeugtypen klassifiziert wurden und eine Verkehrsflussanalyse erfolgte.

Aufgrund der zunehmenden Anwendung von Künstlicher Intelligenz lassen sich hochkomplexe Herausforderungen in industriellen Applikationen lösen. Use Cases in der Qualitätskontrolle oder in Smart Cities eröffnen ein hohes Potenzial, auf diese Weise Prozesse zu optimieren und eine Null-Fehler-Toleranz zu entwickeln. Durch eine kompakte, leistungsfähige sowie direkt an die Steuerung anbindbare Hardware können die Rohdaten der Sensoren noch am Entstehungsort durch Verfahren des Machine Learning oder Deep Learning ausgewertet werden. Dadurch ergeben sich folgende Vorteile für den Betreiber:

mehr Flexibilität, denn die Intelligenz kann auch ohne Programmierung mit unbekannten Objekten umgehen

mehr Produktivität, weil Maschinen automatisch und flexibel auf Situationen reagieren, die bisher manuell bewältigt werden mussten; das reduziert Stillstandzeiten und erhöht die Verfügbarkeit

mehr Qualität, da sich die Prozesse zuverlässig und schnell durch trainierte neuronale Netze prüfen lassen

mehr Effektivität, indem Probleme in der Produktion frühzeitig erkannt und folglich Kosten für Nacharbeiten oder Ausschuss eingespart werden.

Das könnte Sie auch Interessieren

Weitere Beiträge

Bild: TeDo Verlag GmbH
Bild: TeDo Verlag GmbH
Abschauen? Ging nicht!

Abschauen? Ging nicht!

Welche Reise hat Exor als Automatisierer bereits hinter sich? Wo positioniert man sich heute mit Corvina? Wie kam es zur eigenen Smart Factory? Und woher stammt der besondere Spirit im Team? Um diese Fragen zu beantworten, hat sich das SPS-MAGAZIN am Exor-Stammsitz bei Verona mit CEO Giuseppe Pace unterhalten. Der zweite Teil des Artikels, der im SPS-MAGAZIN 5/2024 erscheint, geht dann noch einmal tiefer auf die Besonderheiten der smarten Fertigungsumgebung von Exor sowie der dort entstehenden Produkte ein.

mehr lesen
Bild: Cloudflight Germany GmbH
Bild: Cloudflight Germany GmbH
Plattformübergreifende und intuitive GUI-Entwicklung

Plattformübergreifende und intuitive GUI-Entwicklung

Der Markt der GUI-Frameworks für Desktop- und Embedded-Geräte schien ausgereift, als vor vier Jahren das Startup SixtyFPS mit einem weiteren Toolkit an den Start ging. Zwei Dutzend Releases und über 3.000 gesammelte GitHub-Stars später lässt sich konstatieren, dass mit SixtyFPS ein neuer Stern am Himmel der HMI-Werkzeuge aufgegangen ist. Seit Ende 2023 heißt das Toolkit für Bedienoberflächen Slint (‚Straightforward, Lightweight, Native Toolkit‘).

mehr lesen