Expertenrunde Drehgeber 2022 - Teil 2/2

Lieferketten & Customer Journey

Auch im neuen Jahr konnte sich die Drehgeberrunde des SPS-MAGAZINs wieder virtuell treffen und Auswirkungen und Chancen diskutieren, die es im Zuge der Corona-Krise zu bewältigen galt. Im zweiten Teil diskutierten die Vertreter von Kübler, Posital, TWK, Sick und Wachendorff mit Moderator Dr. Johann Pohany über die anhaltende Lieferproblematik, die durch Corona veränderte Customer Journey sowie die Zukunft der großen Präsenzmessen.
 Die Teilnehmer der Drehgeber-Expertenrunde 2022: (v.l.o.) Prof. Dr. Johann Pohany (JP Consulting), Gebhard Kübler (Fritz Kübler), 
Jörg Paulus (Fraba Posital); (v.l.u.) , Heiko Krebs (Sick), Dr. Felix Steinebach (TWK), Robert Wachendorff (Wachendorff Automation)
Die Teilnehmer der Drehgeber-Expertenrunde 2022: (v.l.o.) Prof. Dr. Johann Pohany (JP Consulting), Gebhard Kübler (Fritz Kübler), Jörg Paulus (Fraba Posital); (v.l.u.) , Heiko Krebs (Sick), Dr. Felix Steinebach (TWK), Robert Wachendorff (Wachendorff Automation)Bild: TeDo Verlag GmbH

Pohany: Wie haben sich die Corona-Krise und insbesondere die nachgeschalteten Lieferproblematiken auf Ihre Logistikkonzepte ausgewirkt und welche Trends sehen Sie hier für die Zukunft?

Paulus: Die Themen Lieferproblematik und der anhaltende Handelsstreit werden zu Lokalisierungstendenzen führen, davon bin ich fest überzeugt. Das wird uns in den nächsten fünf bis zehn Jahren noch deutlich mehr beschäftigen. Das bedeutet, alles aus einer Fabrik zu liefern, die bei uns in Europa steht, wird schwieriger werden und deshalb wird man sicher auch lokal produzieren müssen. Wir werden jetzt dieses Jahr in Malaysia eine Fabrik starten, aber ich halte es auch nicht für ausgeschlossen, die Assemblierung von Mechanik auch nach China zu verlegen. Gerade bei Drehgebern kommt das eigentliche Knowhow, also die Themen Kalibrierung und Software, ja über digitale Tools. Das lässt sich dann auch sehr gut virtuell abbilden. Daher würde ich voraussagen, dass wir in zehn Jahren alle mehr Fertigungs- oder Assemblierungs-Standorte auf der Welt betreiben, als wir es heute haben.

Steinebach: Die Abhängigkeit von den Chip-Herstellern haben und spüren wir ja alle. Ganz klar, die Auftragslage und die Nachfrage ist sehr hoch und die Werke können nicht so in den Kapazitäten produzieren, wie sie gerne würden. Dennoch beruht unser Logistikkonzept auf individuellen Absprachen und Lieferplanvereinbarungen, wie sie aber auch vor Corona schon da waren. Ich denke, das wird auch in Zukunft weiterhin so auch gut funktionieren. Da hat sich bei uns keine Veränderung ergeben und ich sehe aktuell auch keinen Bedarf. Natürlich müssen wir für uns sicherstellen, dass die Materialien verfügbar sind. Das benötigt eine gute Vorausschau, wie sich der Bedarf unserer Kunden darstellt. Dazu muss man natürlich seine Kunden gut kennen und die Abnahmemengen gut abschätzen können. Nur so können wir die Lieferfähigkeit auch zukünftig aufrechterhalten.

Wachendorff: Bezogen auf lokale Produktionen sehe ich das ähnlich. Wir haben jedoch keine woanders, sondern bauen da auf den Ruf Made in Germany. Der ist zwar immer noch hoch angesehen, gerade in China, aber hat auch nachgelassen in der letzten Zeit. Deswegen denke ich auch, dass der Trend in die Richtung lokale Produktion geht. Jedoch nicht nur wegen der Logistik, sondern vielmehr wegen der Kundenorientierung. Kunden in Amerika oder in China wollen spezielle oder andere Produkte als wir hier in Deutschland oder in Europa. Deswegen macht es auch Sinn, dann lokal vor Ort zu produzieren um so auf die Wünsche des Kunden besser eingehen zu können. Trotzdem muss man einfach auch ein gewisses Volumen haben, um den Standort effizient zu verwalten, und das haben wir nicht im Moment.

Kübler: Ich sehe auch beide Aspekte als zutreffend für uns: Wenn man eine Fabrik lokal eröffnet, dann bedarf es einer gewissen Menge an Umsatz, sonst lohnen sich die gesamten Overhead-Kosten, die ich dort reinstecken muss, nicht. Auch wenn ich sehr stark digitalisiere muss ich mich auch im Headquarter darum kümmern und in Leute, Management, etc. investieren. Beim Thema Lagerung ist es eine ähnliche Situation: wir haben z.B. in kürzester Zeit eine Halle aufgebaut, einfach, damit wir hier Bauteile auf Lager haben um unsere Kunden beliefern zu können. Die leere Fabrik ist nicht mehr so attraktiv. Mir gefällt das natürlich nicht, weil ich immer ein Fan von Lean Production war. Aber der Lagerumschlag ist nicht mehr das Erfolgskriterium, wenngleich natürlich das Kapital, das in den Bestand gesteckt wurde, am Ende natürlich auf dem Konto fehlt. Auch ist ein volles Lager keine Garantie dafür, dass letztlich auch die richtigen Teile da sind.

Krebs: Ich denke, dass was wir im Jahr 2021 erlebt haben, im Sinne von kontinuierlicher Steigerung der Auftragseingänge, liegt in dem Umgang mit den Anforderungen des Jahres 2020 begründet. Da hatten wir natürlich auch mit massiven Nachfragerückgängen zu kämpfen und ich glaube, da haben wir schon den richtigen Grundstein gelegt um erfolgreich in 2021 agieren zu können. Gerade in Bezug auf die Skalierung der Produktionskapazitäten. Was sich wesentlich verändern muss, und was uns auch in den nächsten Monaten noch beschäftigen wird, ist das Thema Transparenz in den Lieferketten, gerade im Halbleiterbereich.

Paulus: Das sehe ich auch so, es muss über Transparenz gehen. Wir brauchen einfach noch mehr Transparenz auf der Lieferkette. Was wir ja alle können, ist in real time auf unsere eigenen Lager gucken. Da wussten wir perfekt, wo was wie liegt und was wie abfließt und wie die Forecast für die nächsten drei bis sechs Monate ist. Was uns jetzt allen bewusst geworden ist, dass es nicht reicht nur das eigene Lager zu betrachten. Aber da werden uns auch wiederum digitale Systeme helfen, dass wir auch in die Lieferkette gucken können. Aber da muss noch viel passieren. Das ist eigentlich auch mein größter Vorwurf gegenüber den Distributoren und Herstellern, gerade in der aktuellen Krise fehlt es mir hier ganz klar an Transparenz. Das ist ein Bereich, der ganz sicher ausgebaut werden muss und aus meiner Sicht ganz sicher ausgebaut werden wird.

Pohany: Wir hatten eingangs das Thema Innovationen als Push-Effekt angesprochen, also Innovationen aus dem Unternehmen heraus. Wie sieht es denn mit dem Pull-Effekt aus, also Innovationen die durch Input des Kunden bzw. des Marktes gefördert werden? Und daran anschließend, wie hat sich bei Ihnen während der letzten zwei Jahre die Customer Journey hinsichtlich digitaler Formate und Präsenzmessen verändert?

Krebs: Natürlich haben auch im Laufe der letzten zwei Jahre Kundengespräche stattgefunden, eben in einem anderen Format. Das lief speziell am Anfang deutlich holpriger, aber man hat sich da in der Zwischenzeit schon reingefuchst. Und gerade was hybride Modelle betrifft sehe ich auch für die Zukunft viele gute Ansätze, was die Entwicklungen von neuen Produkten oder das Lösen von Problemstellungen beim Kunden angeht. Natürlich ist es hier hilfreich mit einer beständigen Mannschaft unterwegs zu sein und die Kunden bekannt sind. Wenn man die Personen, mit denen man spricht, schon kennt, ist es auch digital deutlich einfacher. Ich glaub, die Herausforderung wird steigen, wenn neue Player und wenn Neukunden mit reinkommen. Dann ist diese Beziehungsebene einfach noch nicht so ausgeprägt. Das wird, denke ich, eine große Herausforderung für die Zukunft. Zum Stichwort Messe hatte ich eher den Eindruck, dass die großen Online-Messen nicht den richtigen Durchbruch gebracht haben. Kleinere Messen oder Webinare haben eine gezieltere Kundenansprache in der wir schon gewisse Vorteile sehen. Dies in Kombination mit Live-Events, sobald diese wieder möglich sind, wird ein wesentlicher Teil auch in der Zukunft sein.

Kübler: Ich sehe das ähnlich, wir haben uns auch vermehrt auf die kleineren Themen und Veranstaltungen konzentriert, aber dafür recht regelmäßig. Bei den größeren Online-Messen gibt es meiner Meinung nach auch zu viele Dinge die inflationär geschehen, die Leute schauen da nicht mehr so richtig hin. Was uns gut gelungen ist, dass wir gezielt eine Handvoll Leute aus einem bestimmten Gebiet eingeladen haben, von denen der Vertrieb weiß, dass echtes Interesse besteht und die auch Kandidaten für den nächsten persönlichen Besuch wären. Aber natürlich muss man auch sagen, dass wir in der Runde wahrscheinlich auch gewissermaßen verwöhnt sind. Wir haben alle mit dem Thema Material zu kämpfen und dass alle bestehenden Aufträge erfüllt werden können. Wäre dem nicht so, müssten wir uns alle wohl mehr nach Neukunden strecken. Aber nochmal, neben den digitalen Modellen, von denen ich großer Fan bin, brauchen wir auch die Live-Messen wieder, weil da natürlich ganz andere Interessenten rein kommen, die wir vielleicht sonst nicht erreichen können.

Paulus: Zum Thema Innovation haben wir die Erfahrung gemacht, dass das online durchaus gut klappt. Natürlich vorwiegend mit schon bestehenden Kunden. Wenn ich jetzt von Management-Seite gucke, ist in den letzten zwei Jahren der Zuwachs an Neukunden schon runtergegangen. Die digitalen Tools funktionieren, wie Herr Kübler gerade gesagt hat, aber es ist nicht so, dass wir genauso viele neue Potenziale identifizieren können wie vorher. Es braucht am Ende die persönlichen Gespräche, um Beziehungen aufzubauen, das funktioniert deutlich schwieriger digital. Daher ist für mich eigentlich klar, dass es auch wieder Live-Messen geben muss, aber es wird auch eine Konsolidierung der Messe-Landschaft geben. Es wird nicht mehr so viele große Veranstaltungen geben und der Trend wird vermehrt zu spezifischeren Messen gehen. Allein weil es sich auch kostenmäßig nicht mehr trägt, von daher muss sich die Messe-Welt wandeln.

Wachendorff: Wir hatten zu Beginn der Corona-Krise, also Anfang 2020, gar keinen richtigen Input von Kunden mehr. Erst Mitte/Ende 2020 wurden wieder neue Projekte besprochen. Beginn des Jahres 2021 war es wieder rückläufig, weil jeder beschäftigt war die eigenen Aufträge abzuwickeln. Im Laufe des Jahres kam dann die Liefer- und Bauteilkrise hinzu und erst in den letzten Monaten kommen wieder wirklich neue Projekte mit neuen Themen auf. Dennoch bin ich sehr dankbar, dass wir doch so ein erfolgreiches Jahr 2021 hinter uns haben, ich denke damit war noch vor Jahresfrist nicht zu rechnen. Ich kann nur hoffen, dass sich die Lieferkrise schnell verbessert, denn wir spüren, dass die Kunden alle wollen. Jetzt scheint irgendwie ein Moment zu sein, in dem es weitergeht mit Innovationen und Diskussionen. Da ist wirklich ein Schalter umgedreht.

Steinebach: Wir haben in den letzten beiden Jahren massiv in unsere Webseite investiert, sodass Interessenten sich ihre Produkte über unseren Konfigurator zusammenstellen und bequem Anfragen stellen können. Darüber hinaus haben wir natürlich auch in Suchmaschinen-Optimierung investiert, denn wir sind fest davon überzeugt, dass die Customer Journey mit der Suchmaschine im Internet beginnt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass – anders als bei den Vorrednern – mit Beginn der Corona-Krise vermehrt Innovations- und Entwicklungsanfragen an uns herangetragen wurden. Wir hatten also eher den Pull-Effekt und vielleicht liegt es daran, dass wir vergleichsweise kleiner aufgestellt sind, was unsere Vertriebs-Mannschaft angeht. Eher lokaler, aber natürlich mit internationalen Möglichkeiten. Auch durch die Verlagerung in den virtuellen Raum sehen wir keine Nachteile. Natürlich sind die echten Treffen vor Ort nicht zu vernachlässigen, aber die Vertriebsarbeit ist effizienter geworden. Ich denke, das hybride Modell – virtuell plus Treffen vor Ort – wird die Branche nachhaltig verändern. (bfi)

Gebhard Kübler,

Geschäftsführender Gesellschafter

Fritz Kübler

Jörg Paulus,

Geschäftsführer EMEA

Fraba Posital

Heiko Krebs,

Senior Vice President PM

Sick

Dr. Felix Steinebach,

Geschäftsführer

TWK-Elektronik

Robert Wachendorff,

Wachendorff Automation

Moderator:

Prof. Dr.-Ing Johann Pohany

JP Consulting

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