Antriebe werden zunehmend ’smart‘ angeboten. Wo steckt die Intelligenz im Antrieb und was bedeutet das aus Ihrer Sicht? Welche Lösungen bieten Sie an?
Volker Schwarzkopf, AMKmotion: Wir können auf mehr als vier Jahrzehnte Erfahrung beim Einsatz klassischer und modellbasierter Regelungstechnik zurückgreifen. Unsere Systeme statten wir schon lange mit smarten Funktionen aus und entwickeln sie kontinuierlich weiter. Wir sind beispielsweise erfolgreich mit der Implementierung kundenspezifischer Antriebsfunktionen unmittelbar im Regelkern der Servoregler, der intelligenten Schaltzentrale für Antriebe. In diesen Geräten sind neben der klassischen Regelungstechnik auch Überwachungsinstanzen für die Antriebsachse integriert, um die jeweiligen Bedingungen – etwa Temperaturen, Ströme, Drehzahlen und Positionen – abzuprüfen. Diese Daten lassen sich mit einem Analysetool wie unserm Aipex 5 auswerten. Das vollständig web-basierte und plattformneutrale Engineering-Tool bietet zum einen Werkzeuge zur Inbetriebnahme und zum anderen Analyse-Methoden wie FFT und Filtereinstellungen zur automatischen Adaption von mechanischer und elektrischer Strecke, die unsere Kunden seit 20 Jahren zur Diagnose und Wartung ihrer Maschinen einsetzen.
Jürgen Dlugosch, Baumüller: Baumüller Drive Intelligence steht für den Mehrwert, der Intelligenz im Antrieb für den Maschinenbauer und den Maschinenbetreiber bietet. Zusätzlich zu den Regelungsaufgaben übernimmt der Servoantrieb Steuerungsfunktionen, optimiert sich im Betrieb selbstständig und ist IoT-fähig. Intelligente Antriebe tragen dazu bei, die Produktivität zu steigern, die Produktqualität zu verbessern, Kosten zu senken und ebnen der Modularisierung von Maschinen und Anlagen den Weg. Unsere Servoantriebe der B-Maxx-Familie erreichen diese Ziele mit intelligenten Reglerfunktionen und entsprechenden antriebsbasierte Steuerungslösungen.
Fabio Husmann, KEB Automation: Intelligente Antriebslösungen machen es möglich, Anlagen modular aufzubauen und zu vernetzen, sodass sich diese einfacher entwickeln und realisieren lassen. Der Drive Controller kann hier sinnvolle Aufgaben wie das Sammeln und Aufbereiten antriebsnaher Daten übernehmen und sie der SPS zur Verfügung stellen. So sind schnellere Reaktionszeiten innerhalb des Systems erreichbar. Ein weiterer Vorteil ergibt sich aus der Erfassung von Betriebsdaten, mit denen zum Beispiel Maschinenfunktion und Prozesse überwacht und optimiert werden können. Mit diesen Daten werden – per Condition Monitoring oder Predicitive Maintenance – unter anderem Störungen frühzeitig erkannt, um Stillstandszeiten zu minimieren.
Eric Irabor, Mitsubishi Electric Europe: Die Intelligenz unserer Antriebe ist vor allem im Bereich der vorausschauenden Wartung wiederzufinden. Diese in unsere Verstärker eingebaute KI-Funktion analysiert externe mechanische Antriebskomponenten wie Kugelumlaufspindeln, Getriebe und Riemen. Dabei werden Veränderungen wie nachlassende Riemenspannung oder zunehmendes Spiel im Getriebe intelligent erkannt und es kommt zur Ausgabe einer Wartungsmeldung. Diese Lösung ermöglicht es, jede Maschine mit einer vorausschauenden Wartungsfunktion auszustatten, um die Produktivität zu steigern und unerwartete Ausfallzeiten zu reduzieren. Darüber hinaus verfügen unsere Servosysteme über eine Autotuning-Funktion, die Leistung, Genauigkeit und Effizienz kontinuierlich optimiert. Sie reagiert auf sich ändernde Bedingungen, um die optimale Leistung des Antriebssystems über die Zeit aufrechtzuerhalten. Das Ergebnis ist eine schnellere und genauere Reaktion auf Steuerbefehle, was die Gesamtleistung der Maschine verbessert.
Hans-Joachim Müller, SEW-Eurodrive: Der Begriff ’smart‘ ist ja eher vage. Oftmals assoziiert man damit mehr Komfort, ein höheres Sicherheitsniveau und eine effizientere Nutzung von Ressourcen, gegebenenfalls auch die gesteigerte Nutzung von Daten durch Vernetzung. In sämtlichen Bereichen hat sich in den letzten Jahren am Antrieb viel getan. Neue Bedien- und Softwarekonzepte erleichtern die Inbetriebnahme deutlich. Es gibt bessere, feingranular skalierbare Sicherheitstechnik bei der Mechanik und der Elektronik. Und das Erreichen neuer Energieklassen, zum Beispiel IE5 beim Motor, stellen das unter Beweis. Neben diesen eher evolutionären Vorgängen kommen jetzt auch noch mehr Sensoren in den Antrieb. Sie überwachen den Motor ständig und liefern zusätzliche Daten, die sich in vielfältiger Weise nutzen lassen.
Marvin Seifert, Stöber Antriebstechnik: Die Digitalisierung ist meiner Ansicht nach der bedeutendste Technologietrend unserer Zeit. Um konkreter zu werden: Sie umfasst verschiedene Teilaspekte, die allesamt aktuelle Antriebskonzepte beeinflussen. Erstens Offenheit und Kommunikation. Unseren Erfahrungen gemäß äußern Kunden verstärkt den Wunsch nach herstellerunabhängiger Kommunikation und bevorzugen eine Interoperabilität zwischen verschiedenen Maschinen und Systemen. Mit Blick auf OPC UA als diesbezüglicher Industriestandard wird der Trend zu einer flexibleren und effizienteren Gesamtsystemarchitektur noch deutlicher. Zweitens: Zustandsüberwachung und Predictive Maintenance sind zwei eng miteinander verbundene Konzepte. Ein effizientes Predictive Maintenance basiert auf durch die Zustandsüberwachung gemessenen Parameter einer Anlage, wie etwa Temperatur, Vibrationen, Druck oder Leistung. Muster und Trends, die auf bevorstehende Probleme hinweisen, müssen identifiziert und diagnostiziert werden, um möglichen Ausfällen frühzeitig entgegenzuwirken. Wir beobachten, dass der Bedarf stetig zunimmt. Das erfordert die Integration weiterer Komponenten wie beispielsweise Sensoren, die am Antrieb angebracht werden. Das bedeutet, wir benötigen generell einen besseren technischen Zugang, um Predictive Maintenance gezielt anzuwenden. Wir sind hier am Puls der Zeit. In den nächsten Monaten werden wir unseren Kunden ein Easy-To-Use-Analysetool anbieten, das die gemessenen Daten analysiert, vergleicht und grafisch aufbereitet. Darüber hinaus werden wir zukünftig auch auf künstliche Intelligenz zurückgreifen, um unseren Kunden ein noch höheres Maß an Effizienz und Leistungsfähigkeit zu bieten. Drittens digitaler Zwilling: Die Bereitstellung von Informationen und Modellen in standardisiertem Format gewinnt ebenfalls zunehmend an Bedeutung und markiert einen wichtigen Schritt in diese Richtung. Dies ermöglicht, vollständige Antriebskonzepte zu entwerfen, Designänderungen vorzunehmen oder Betriebsabläufe zu testen, ohne auch nur ein Stück physischer Hardware einzusetzen. Das Ergebnis: eine verbesserte Produktentwicklung und ein insgesamt agilerer Produktionsprozess, der den Anforderungen des sich ständig wandelnden Marktes besser gerecht wird.
Welche digitalen Technologietrends prägen aus Ihrer Sicht die Antriebskonzepte und -lösungen besonders bzw. werden sie prägen? Wo liegt das größte Potenzial?
Volker Schwarzkopf, AMKmotion: Wir teilen die verbreitete Meinung, dass eher inkrementelle als disruptive Weiterentwicklungen der Antriebstechnik zu erwarten sind und sehen aktuell drei Trends: Erstens die zentrale Datenhaltung und -verarbeitung, etwa in einer Cloud, wird sich sicherlich fortsetzen. Zweitens der Trend zur intuitiven Bedienbarkeit von Komponenten und Anlagen ist ungebrochen und drittens Technologietrends auf Software-as-a-Service-Basis. Letztere bieten große Potenziale, bergen aber Gefahren für die Wertschöpfung unserer Kunden. Wir werden diese und weitere Entwicklungen weiterhin aufmerksam verfolgen und agil in unsere Produkte einfließen lassen, wenn sie die Wertschöpfung unserer Kunden verbessern. So geschehen etwa zuletzt mit den smarten Regelalgorithmen, die es dem Anwender noch einfacher machen, seine Anlagen über unser Tool Aipex 5 zu analysieren und damit zu optimieren.
Jürgen Dlugosch, Baumüller: Ein Trend ist das Thema Konnektivität. Über Intelligenz im Antrieb können Daten gesammelt und übertragen werden, unabhängig von der bestehenden Maschineninfrastruktur. Dazu sind standardisierte Verfahren notwendig. Technisch sind bereits viele Lösungen machbar. Aber nur, wenn die IoT-Anbieter die Informationen aus den Antrieben auch ohne tiefes Knowhow in der Steuerungstechnik nutzen können, wird die Zusammenarbeit funktionieren. Die Standardisierung hat damit das größte Potential, der Digitalisierung im Maschinenbau den nötigen Rückenwind zu geben.
Fabio Husmann, KEB Automation: Die voranschreitende Digitalisierung wird Innovationszyklen weiter verkürzen, was als Konsequenz beschleunigte Entwicklungsprozesse erfordert. Dafür ist eine Standardisierung von Hard- und Software notwendig. Bisherige Abläufe in der Gestaltung neuer Produkte müssen zum Beispiel durch Simulationen optimiert werden. Die zunehmend herstellerübergreifend vereinheitlichten Technologien erhöhen zudem die Usability und ermöglicht Zeitersparnis bei Planung und Konstruktion von Maschinen. Außerdem werden dafür Daten und Modelle – etwa digitale Zwillinge – von Antriebskomponenten bereitgestellt, um das Engineering zu vereinfachen und durch moderne Methoden wie virtuelle Inbetriebnahmen zu ergänzen. Genau für diese Zwecke bieten wir bei KEB unseren Kunden vorgefertigte, virtuelle Modelle unserer Komponenten. Für die Software der Drive Controller ergeben sich erhöhte Anforderungen an die Rechenperformance und Speicher, ebenso für die Security zur Absicherung der Kommunikationskanäle.
Eric Irabor, Mitsubishi Electric Europe: Die Digitalisierung hat einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung von Antriebskonzepten und -lösungen. Ein aufkommender Trend, der das Konzept von Industrie 4.0 maßgeblich prägt, ist der standardisierte digitale Zwilling, auch bekannt als Asset Administration Shell. Diese Technologie zielt darauf ab, die Interoperabilität zwischen Herstellern über verschiedene Industrien hinweg zu verbessern und die Simulation von Anlagen zu erleichtern. Großes Potenzial sehen wir in der Schaffung intelligenter Antriebslösungen, die zu effizienteren Prozessen und damit zu einer optimierten Ressourcennutzung führen.
Hans-Joachim Müller, SEW-Eurodrive: Der Datenfluss nimmt zu. Um zusätzliche Funktionen abzubilden, benötigt man immer mehr Rechenleistung. Darüber hinaus wird erwartet, dass sich Software auch in Zukunft updaten und erweitern lässt. Softwareseitig ist es kein Problem, auch umfangreiche Funktionalität hinzuzufügen. Wird es in Zukunft einmal notwendig sein, hardwareseitig ein Verschlüsselungsverfahren zur Kommunikation mit der übergeordneten Steuerung zu implementieren, müsste der komplette, verbaute Umrichterverbund ertüchtigt werden. Das erscheint wirtschaftlich aufwändig. Mittelfristig ist es sicher sinnvoller, die informationstechnischen Funktionen in ein separates Gerät auszulagern. Damit kann der Umrichter zu seiner originären Aufgabe zurückkehren. Er wird also öfter mit anderen Geräten in Kombination auftreten. Gleiches gilt für die Energieversorgung. Auch hier gibt es neue Konzepte und technische Errungenschaften, die gerade bei mehreren Antrieben effizienter sind, wenn sie zusammengeführt werden.
Marvin Seifert, Stöber Antriebstechnik: Die steigende Nachfrage des Markts nach intelligenten Produkten erfordert eine wachsende Flexibilität bei Maschinenkonzepten. Kompaktheit, Platz- und Gewichtseinsparungen sind weiterhin anhaltende Trends, da der verfügbare Platz immer knapper wird. Wir reagieren darauf, indem wir unter dem Motto ‚gleiche Leistung bei kompakterem Design‘ konstruieren. Und hier sind zwei Aspekte hervorzuheben: Erstens optimierte Leistung: Intelligente Antriebe passen ihre Betriebsparameter dynamisch an, um unter verschiedenen Bedingungen bestmögliche Leistung zu erzielen. Dies kann bedeuten, dass ein Motor seine Drehzahl anpasst, um Energie zu sparen oder um maximales Drehmoment bereitzustellen, wenn dies erforderlich ist. Zweitens Selbstüberwachung und Diagnose: Intelligente Antriebe überwachen kontinuierlich ihren eigenen Zustand und erkennen potenzielle Probleme frühzeitig. Durch die Analyse zugehöriger Daten können sie auch Vorhersagen über zukünftige Ausfälle treffen, was zu einer verbesserten Wartung und reduzierten Stillstandszeiten führt.
Das Forschungsprojekt Antrieb 4.0 setzt auf Interoperabilität und gemeinsame Standards für elektrische Antriebe. Wie sieht es damit in Ihrem Unternehmen aus? Unterstützen Sie das Projekt bzw. deren Themen?
Volker Schwarzkopf, AMKmotion: Unsere Lösungen bieten die entsprechende Flexibilität, um herstelleroffen mit unterschiedlichen Komponenten und Systemen zu agieren. Zudem unterstützen wir in diesem Bereich zahlreiche Initiativen und sind dort engagiert. Der gleichzeitige Einsatz von Komponenten unterschiedlicher Hersteller ist Standard der verschiedenen Feldbus-Organisationen. Auf SPS-Level der Maschinensteuerung ist dies durch PLC-Open-konforme Programmierbausteine etabliert. Für die allgemeine Web-Kommunikation gibt es Organisationen, die etwa mittels OPC UA die überlagerte Kommunikation zu übergeordneten Systemen standardisieren. Wir werden die Entwicklung von Antrieb 4.0 aufmerksam weiterverfolgen. Das Forschungsprojekt bietet schon jetzt einige spannende Ansätze. Vielleicht kommen noch weitere dazu – etwa der Einsatz von MCMC-Verfahren zur Analyse gesammelter Antriebsdaten, die automatische Adaption von Surrogate-Modellen zur Prognose von Systemausfällen oder die explizite Wechselwirkung mehrerer gekoppelter Antriebseinheiten untereinander und mit ihrem Werkstück.
Jürgen Dlugosch, Baumüller: Wir unterstützen dieses Projekt als assoziierter Partner und wollen damit die Standardisierung vorantreiben, die Grundlage für ein erfolgreiches Zusammenspiel von IoT und Maschinenbau ist. Ein weiteres Ziel ist es, herauszufinden wie diese Lösungen vermarktet werden können, so dass Unternehmen finanzielle Anreize bekommen, die Digitalisierung weiter voranzutreiben.
Fabio Husmann, KEB Automation: Wir bei KEB Automation unterstützen das Projekt Antrieb 4.0 als assoziierter Partner. Besonders im Zuge der Digitalisierung ist eine Kommunikation zwischen unterschiedlichen Produkten, Systemen und Maschinen unerlässlich. Zur Erforschung gemeinsamer Standards und der Interoperabilität wurden zwei Use Cases ausgewählt: ‚Ganzheitliche energieeffiziente Auslegung von Antriebslösungen‘ und ‚Digitalisiertes Asset Management‘. Hier wirkt KEB neben den weiteren Partnern des Forschungsprojekts mit, um sie für Unternehmen auszuwählen, die ökonomisch und ökologisch den größten Nutzen versprechen. In den nächsten Schritten wird KEB mit Knowhow und Komponenten für die Umsetzung der Use Cases in Form eines Demonstrators das Forschungsprojekt unterstützen.
Eric Irabor, Mitsubishi Electric Europe: In unserem Unternehmen unterstützen wir aktiv das Forschungsprojekt Antrieb 4.0 und dessen Ziele zur Förderung von Interoperabilität und gemeinsamen Standards für elektrische Antriebe. Als assoziierter Projektpartner bringen wir unsere Expertise ein, um die Entwicklung und Umsetzung dieser Standards voranzutreiben. Im Rahmen des Projekts werden verschiedene Anwendungsfälle bearbeitet, darunter Asset Management und energieeffiziente Antriebsauslegung. Diese Themen sind für uns von besonderem Interesse, da sie eng mit unserer Unternehmensstrategie und unserem Produktportfolio verknüpft sind.
Hans-Joachim Müller, SEW-Eurodrive: Wir haben schon beim Vorgängerprojekt ‚Demonstrator 4.0‘ gezeigt, dass Interoperabilität und Interkonnektivität technisch durchaus möglich sind. Wir teilen auf jeden Fall das Ziel, gemeinsame Standards für elektrische Antriebe auf sämtlichen Ebenen zu entwickeln.