Zeitsynchrone Anlagendaten

Analyse und Optimierung automatisierter Prozesse - Teil 3/5
Das dynamische Verhalten großer Anlagen zu verstehen ist ebenso komplex wie die Anforderung, abnormale Prozesszustände zu analysieren. Manche Anlagenzustände können nicht oder nur schwer mithilfe digitaler und analoger Anlagen- und Prozesssignale interpretiert werden. Der dritte Beitrag unserer Serie zeigt, dass komplexe Fertigungsprozesse u.a. mit einer zeitsynchronen Aufzeichnung der Anlagendaten zusammen mit Videosignalen transparent gemacht werden können.

Die Automatisierung großer Anlagen erfordert den Einsatz mehrerer unabhängiger Steuerungen, die in einem Verbund arbeiten und miteinander interagieren. Dabei können die Steuerungen unterschiedliche Hardware-Ausprägungen und verschiedene Betriebssysteme haben sowie unterschiedlichen Gerätegenerationen entstammen. Außerdem kann die Kommunikation zwischen den Steuerungen mit ganz verschiedenen Kommunikationsmechanismen realisiert sein. Ein solches System wird in der Informatik als \’Verteiltes System\‘ bezeichnet. Verteilte Systeme sind im Allgemeinen höchst komplexe Gebilde, deren Entwicklung, Wartung und Optimierung große Herausforderungen offenbaren. Um das dynamische Prozessverhalten eines solchen Systems erfassen zu können, müssen Daten und Signale an mehreren, räumlich verteilten Orten erfasst werden. Damit die Datenerfassung das System nicht stört oder gar verändert, müssen die Daten rückwirkungsfrei erfasst werden. Wegen der sog. Nebenläufigkeit und parallelen Verarbeitung der Programme in den Steuerungen darf das Zeitverhalten durch die Datenerfassung nicht verändert werden, da bereits das geänderte Zeitverhalten nur eines Kommunikationspartners zu einem veränderten Kommunikationsverhalten und damit zu einem veränderten Prozessverhalten – also zu einem anderen Verhalten als ohne die Datenerfassung – führen kann. Mit dem Daten-Aufzeichnungssystem ibaPDA werden die Daten isochron, d.h. in einem synchronen Zeitraster aufgezeichnet. Damit werden alle Signale, die in einem Zeitintervall aufgezeichnet werden, kausal vergleichbar. Um Abhängigkeiten und Wechselwirkungen zwischen Anlagenkomponenten und Sensoren in einem räumlich verteilten System zu erkennen oder um Signale, die an verschiedenen Orten zu einem Zeitpunkt aufgenommen wurden, miteinander vergleichen zu können, müssen die aufgezeichneten Daten zeitlich zueinander in Beziehung gesetzt werden. Die rückwirkungsfreie Aufzeichnung ist mit iba-Bus-Sniffern möglich, die es ermöglichen, Daten z.B. vom Profibus, Ethercat, CAN oder einem Antriebsbus (z.B. DDCS von ABB) abzuhören. Weitere rückwirkungsfreie Aufzeichnungen sind die Erfassung von digitalen und analogen Signalen direkt an der Klemme. Auch hierdurch wird der Programmablauf in der Steuerung nicht beeinflusst, und die Datenerfassung verändert nicht den Ablauf des zu beobachtenden Prozesses.

Prozesse gleichzeitig erfassen

Um Komplexität einer heterogenen Anlage zu verstehen, müssen Prozesszustände zeitlich konsistent erfasst werden. Auf diese Weise können Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Komponenten eines Prozesses erkannt werden. Nur so können Ursache und Wirkung bestimmt und damit die Grundlage für die Prozessanalyse und weitere Optimierungen gelegt werden. Eine große Schwierigkeit besteht darin, die richtigen Signale und Daten zu definieren. Auch wenn der Prozess bekannt ist und es aufgrund der physikalisch-technischen Funktion offensichtlich ist, welche Signale erfasst und aufgezeichnet werden müssen, so wird aufgrund der Komplexität des Prozesses mitunter erst bei der Datenauswertung offenbar, welche Prozessinformationen zur Beantwortung bestimmter Fragestellungen noch erforderlich sind. Dadurch wird eine Definition der aufzuzeichnenden Signale und die Hinzunahme der Signale in die Datenaufzeichnung zu einem mehrfach iterativen Vorgang, der eine flexible Signalkonfiguration erfordert. Hierzu steht in der Software des Datenerfassungssystems ein I/O-Manager zur Verfügung, der es erlaubt, alle Signal- und Hardwaremodul-relevanten Einstellungen vorzunehmen. In der Praxis zeigt es sich, dass in komplexen technischen Prozessen oftmals mehrere Tausend Signale erfasst werden. Das System erkennt automatisch die angeschlossenen Geräte und fügt sie in die Konfiguration ein (auto-detect). Eine im I/O-Manager integrierte Diagnosefunktion liefert Informationen über Status und Werte der angeschlossenen Datenquellen. Der Anwender kann somit die Funktion des Systems bereits bei der Konfiguration prüfen und ggf. Fehlerquellen lokalisieren. Beliebige Signale unterschiedlichen physikalischen Ursprungs, die jedoch technologisch oder thematisch zusammengehören, können für eine bessere Übersicht zu Signalgruppen kombiniert werden. Die Signale können dann im Signalbaum entsprechend gruppiert angezeigt werden. Die Signalgruppenzuordnung wird in der Messdatei gespeichert und steht somit auch bei der Auswertung zur Verfügung. Die Anzahl der Gruppen ist nicht begrenzt. Eine breite Palette von Datenschnittstellen, wie ibaFOB (Anschaltung für lichtwellenleiterbasierte iba-Erfassungsbaugruppen), Profibus, verschiedene Ethernet-Protokolle, OPC und Reflective Memory steht für die Erfassung der zu messenden Signale zur Verfügung. Jeder dieser Datenschnittstellen kann eine beliebige Anzahl von Modulen oder Geräten zugeordnet werden, die jeweils eine individuelle Anzahl von Signalen enthalten können. Zudem können Daten mittels OPC erfasst werden. Mittels Browser-Funktion können OPC-Tags ausgewählt und gemessen werden. Weiterhin können mithilfe mathematischer Funktionen und logischer Verknüpfungen in einem Formeleditor \’Virtuelle Signale\‘ gebildet, und wie andere Messsignale aufgezeichnet und zur Konfiguration komplexer Triggerbedingungen verwendet werden. Sollen Daten von Sensoren und Messgeräten mit herstellerspezifischen Protokollen erfasst und aufgezeichnet werden, müssen neben den Klemmensignalen (analog/digital) und den bereits digitalisierten Signalen in der Steuerung und den Bussystemen auch die Werte von Sensoren und Messgeräten mit erfasst und aufgezeichnet werden. Hier besteht die Herausforderung darin, dass die Sensoren und Messgeräte zwar Standard-Schnittstellen haben, die Messdaten aber in der Regel über proprietäre Protokolle übertragen werden und/ oder interaktive Polling-Mechanismen zur Messdatenanforderung erfordern.

Schnelle und kontinuierliche Prozesse

Um Rückschlüsse auf das Prozessverhalten ziehen zu können, muss die Aufzeichnung mit einer geeigneten Abtastrate erfolgen. Die Datenerfassung muss so schnell sein wie die Abläufe in dem Prozess, der analysiert werden soll. Dabei ist es bei langsamen Prozessen wie z.B. bei der Temperaturaufzeichnung in der Prozessindustrie ausreichend, diese nur jede bzw. alle 10s zu erfassen. Werden in einem Prozess aber schnelle Schaltvorgänge im msec-Bereich ausgeführt, so müssen die Signale auch mit einer Abtastrate im msec-Bereich aufgezeichnet werden. Im Bereich der Schwingungsanalyse sind sogar Abtastraten im 100kHz-Bereich notwendig. Generell gilt nach dem Abtasttheorem, dass die Abtastfrequenz mindestens doppelt so groß wie die maximal zu erfassende Frequenz sein muss. Mit dem ibaPDA können Signale in einem Zeitraster von 1ms erfasst und aufgezeichnet werden. Für die normale Messdatenerfassung stehen Zeitbasen von 1 bis 1.000ms zur Auswahl. Für höhere Signaländerungsgeschwindigkeiten können auch kürzere Erfassungszeiten bis zu 10µs realisiert werden. Für jedes Modul kann ein individueller Erfassungstakt definiert werden. Soll die Datenauswertung nicht nur zeitbezogen, sondern auch produktionsbezogen erfolgen, so kann dies durch eine getriggerte Aufzeichnung erleichtert werden, bei der Produktdaten bereits produktbezogen abgespeichert werden. Dazu muss es die Datenaufzeichnung ermöglichen, mehrere Aufzeichnungen parallel zu speichern. Dies kann genutzt werden, um verschiedene Sichten auf die Messwerte und damit auf den Prozess zu erhalten. Beispielsweise können Anlagendaten parallel kontinuierlich als Flugschreiberfunktion aufgezeichnet und gleichzeitig mittels getriggerter Aufzeichnung produktbezogen abgespeichert werden.

Leistungsfähige und performante Aufzeichnung

Bei automatisierten Fertigungsprozessen handelt es sich im Allgemeinen um kontinuierliche Prozesse, die nicht angehalten werden können. Wird der Prozess zu Wartungszwecken (z.B. einmal pro Jahr) gestoppt, so ist dies üblicherweise mit einem sehr zeit- und energieaufwändigen Wiederanlauf verbunden, der zudem häufig noch einen Anfahrprozess mit qualitativ minderwertiger Produktion mit sich bringt. Um Prozesse dieser Art zu überwachen, muss die Datenerfassung auch kontinuierlich erfolgen. Bei der anfallenden Datenmenge ist ein hoch performanter Speicheralgorithmus mit einer verlustfreien Komprimierung der Daten von größter Wichtigkeit. Es müssen also Mechanismen gefunden werden, große Datenmengen zuverlässig zu erfassen, zu speichern und parallel dazu auf einen Dateiserver zur Langzeitarchivierung abzulegen. ibaPDA ist als Client-Server-Architektur realisiert. Dabei sind die Konfiguration, Datenerfassung, Datenaufzeichnung und Online-Anzeige auf verschiedene Komponenten aufgeteilt. Der Server bildet die Schnittstelle zum Prozess, erfasst und speichert die Messdaten, während der Client-Dienst die Messdaten visualisiert und den Server konfigurieren kann. Die Client-Software kann lokal, auf demselben Rechner wie der Server laufen, aber auch auf einem anderen Rechner im Netzwerk. Es können mehrere Clients auf einen Server zugreifen. Somit können die Messdaten eines Servers gleichzeitig auf verschiedenen Client-Rechnern angezeigt werden, auch mit völlig unterschiedlichen Darstellungen der Messwerte. Umgekehrt kann ein Server von jedem Client aus konfiguriert werden, der eine Netzwerkverbindung zum Server hat. Somit lassen sich auch mehrere Server nacheinander von einem zentralen Arbeitsplatz aus konfigurieren.

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iba AG
http://www.iba-ag.com

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