Moderne Betriebsartenwahl nach der neuen Norm bei Drehmaschinen

Seit Oktober 2010 hat sich die Normenlage in der Sicherheitstechnik für Drehmaschinen stark geändert. Waren es bisher mehrere Normen, die für die verschiedenen Typen von Maschinen die notwendigen Bedingungen für die Sicherheitstechnik vorgaben, ist es jetzt nur noch eine einzige, die EN ISO23125 (Werkzeugmaschinen, Sicherheit, Drehmaschinen). Ganz einheitlich ist die Sicherheitstechnik für die verschiedenen Arten von Drehmaschinen dann aber trotzdem nicht; man unterscheidet vier Typen von Maschinen: die Bauarten 1 bis 4. Unter Bauart 1 fallen komplett handgesteuerte Maschinen, diese besitzen überhaupt keine numerische Steuerung. Die Bauart 2 beschreibt ebenfalls handgesteuerte Drehmaschinen, jedoch mit begrenzten numerischen Steuerungsfähigkeiten. Diese beiden Maschinentypen sind bezüglich der Anwahl einer Betriebsart nicht kritisch, denn es ist nur manueller bzw. eingeschränkter automatischer Betrieb möglich. Zur Anwahl dieser beiden Betriebsarten sind keine besonderen Anforderungen an die zu verwendende Sicherheitstechnik gestellt. Unabhängig davon müssen auch hier alle anderen gewohnten sicherheitstechnischen Details, wie die Absicherung durch Schutzverdecke oder der Schutz gegen unerwarteten Anlauf der Maschine, beachtet werden. Interessanter im Zusammenhang mit einer Betriebsartenanwahl sind die Bauarten 3 und 4: Dies sind numerisch gesteuerte Drehmaschinen und Drehzentren bzw. Einzel- oder Multispindel-Drehautomaten. Diese Art von Maschinen wird vorwiegend im Automatikbetrieb genutzt. Daher ist ein Einrichtbetrieb obligatorisch. Die unterschiedlichen Betriebsarten Die Betriebsart 0 ist der manuelle, Betriebsart 1 der automatische Betrieb. Bei der Betriebsart 2 handelt es sich um Einrichtbetrieb; bei der vierten definierten Betriebsart handelt es sich um die Betriebsart Service. Leider haben sich die Normensetzer nicht zu einer Nummerierung der Betriebsart Service durchringen können. Andererseits wird so die Besonderheit dieser Funktion deutlich gemacht. Sie ist bei keiner Maschine obligatorisch, sondern immer nur eine optionale Lösung. Die Betriebsart Einrichten dagegen muss bei den Maschinen der Bauart 3 oder 4 immer vorhanden sein. Eine Erklärung zum Einrichtbetrieb selbst ist sicherlich nicht notwendig, denn auch wenn diese Betriebsart noch nicht an allen Maschinen verwirklicht ist, dürfte der Nutzen für den Anwender schon aus der Benennung klar hervorgehen. Ganz neu ist der Servicemode. Der ist dazu gedacht, dass das Servicepersonal des Herstellers eine ganz besondere Betriebsart einstellen kann und damit eben auch die unumgänglichen Wartungsarbeiten unter Umständen unter Abschaltung nahezu der gesamten Sicherheitstechnik erledigen kann. Betriebsartenwahl nur durch ausgebildetes Personal In der EN ISO32125 ist in einer Tabelle aufgelistet, welche Betriebsarten für die verschiedenen Bauarten verwendet werden müssen bzw. können. Zur Betriebsart 2, dem Einrichtbetrieb und auch zur optionalen Betriebsart Service ist in dieser Tabelle eine Fußnote angeführt, die besagt, dass diese beiden Betriebsarten nur entsprechend ausgebildetem Personal mittels Schlüsselschalter zugänglich sein sollen, wobei der Schlüsselschalter allerdings durch entsprechende andere Zugangsmechanismen ersetzt werden kann. Zudem erläutert wird in der Fußnote, dass nicht einfach nur ein einziger Schlüssel eingesteckt werden darf, der für jedermann zugänglich ist, sondern dass es unterschiedliche Schlüssel geben soll, damit entsprechend der Ausbildung des Maschinenbedieners auch nur diejenigen Funktionen zur Verfügung stehen, die der entsprechende Besitzer des Schlüssels nutzen darf. Hierin liegt ein gewisser organisatorischer Aufwand, den der Maschinenbetreiber letztendlich erbringen muss, indem die Schlüssel verwaltet werden. Eine genauere Erläuterung zu den Bedingungen zur Anwahl der Betriebsart gibt der Abschnitt 5.2.4.1 der Norm. Als erstes wird hier die grundsätzliche Forderung der Maschinenrichtlinie aufgegriffen, die dieses Gesetz im Anhang I im Abschnitt 1.2.5 stellt. Diese besagt, dass die Maschine mit einem in jeder Stellung abschließbaren Steuerungs- und Betriebsartenwahlschalter ausgestattet sein muss. Darüber hinaus wird vorgegeben, dass die Betriebsart klar erkennbar sein muss, was sich bei einem Schlüsselschalter natürlich rein aus der Stellung dieses Schalters ergibt. Wenn eine andere Art der Anwahl gewählt wurde, kann diese in einem Display oder an Leuchten angezeigt werden. Elektronisches Schlüsselsystem für die Anwahl der Betriebsarten Beim Einrichten und im Servicebetrieb sind typischerweise die Schutzeinrichtungen einer Maschine geöffnet. Dies stellt erhöhte Anforderungen an die Anwahl, denn diese Betriebsarten führen zu einer höheren Gefährdung des Bedieners als ein Betrieb mit geschlossenen Schutzabdeckungen. Aus diesem Grund wird für die Auswahlfunktion der Betriebsart im Abschnitt 5.11 ein Performance Level (PL) nach EN ISO13849-1 von mindestens c gefordert. Der Grund dafür ist sicherlich, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Teils der Sicherheitskette, durch den unter Umständen eine gefährliche Betriebsart permanent angewählt bleiben würde, verringert werden soll. Der PLc wird typischerweise durch einen Aufbau einer Schaltung entsprechend der Kategorie 1, also einkanalig, erreicht. Hierzu sind laut EN ISO13849-1 sicherheitstechnisch bewährte Prinzipien wie das der Zwangsbetätigung zu nutzen. Für die Umsetzung der Anforderungen aus der neuen Norm bietet das Electronic-Key-System (EKS) aus dem Hause Euchner Abhilfe. Die Ausführung für sicherheitstechnische Applikationen, das EKS FSA, bietet sicherheitstechnische Prinzipien, die durch ein Baumusterprüfzeugnis der Berufsgenossenschaft bestätigt sind. Das Gerät selbst dient nicht zur Anwahl einer Betriebsart, es erlaubt den Zugang zu einer Betriebsartenanwahl. Trotz dessen ist ein großer Teil der Sicherheitstechnik bereits integriert. Das EKS, welches bis dato vor allem im Automobilbereich zum Einsatz kommt, besteht aus einer Lesestation, in die ein elektronischer Schlüssel in Form eines Chips mit einem Transponder eingesteckt werden kann. Dessen Dateninhalt wird an eine Steuerung mittels Bus oder serieller Schnittstelle übermittelt. Auf dem Schlüssel lassen sich beliebige Daten, die Berechtigungen für einen Benutzer charakterisieren, speichern und in der Steuerung verarbeiten. Dieses System dient vor allem dazu, Benutzerberechtigungen erkennen zu können. Somit befindet sich bereits ein Teil des Auswahlsystems zur Betriebsartenwahl in diesem System, nämlich die Berechtigung eines Anwenders. Allerdings ist dieses im Sinne der Maschinensicherheit nach EN ISO13849-1 noch nicht sicher. Im EKS ist daher ein zweiter Kanal eingebaut. Auf diese Weise ist zwar nicht die Anwahl, stattdessen aber die Abwahl einer Betriebsart gesichert. Der Unterschied zwischen Anwahl und Abwahl liegt darin, dass zum Anwählen einer Betriebsart das EKS alleine nicht ausreichend ist. Es muss noch ein zweites Element, wie die Steuerung der Maschine hinzukommen. Zum Abwählen dagegen ist das zweikanalige System EKS FSA schon allein ausreichend. Einen Mehraufwand für den Einsatz des Systems gibt es typischerweise nicht, da der Steuerung die Wahl einer Betriebsart ohnehin signalisiert werden muss. Nun wird stattdessen die Berechtigung, die auf dem Speicher des EKS FSA hinterlegt ist, mitgeteilt und über die vorhandene Benutzerschnittstelle, also Display und Tastatur, die tatsächlich gewünschte Betriebsart eingestellt. Somit kann ein Benutzer mit seinem elektronischen Schlüssel an die Anlage gehen, diesen einstecken und sich damit legitimieren. Die Steuerung gibt ihm dann die entsprechend seinem Kenntnisstand hinterlegte Berechtigung für verschiedene Betriebsarten frei und er wählt die jeweils passende aus, ohne dass der Schlüssel noch einmal ausgesteckt oder gar gegen einen zweiten getauscht werden muss. Dies bildet dann den ersten Kanal eines Systems. Der zweite Kanal ist direkt im Gerät eingebaut. Somit sind jetzt zwei unabhängige Kanäle vorhanden, die sicherheitstechnisch einfach ausgewertet werden können. Es kann damit ein System der Kategorie 3 gebildet werden, mit dem sich PLc erreichen lässt. Weitere Einsatzmöglichkeiten Das EKS FSA unterstützt zudem die von der Norm beispielhaft dargestellten organisatorischen Dinge z.B. bezüglich Schulungen eines Mitarbeiters: So könnte auf dem Schlüssel ein Ablaufdatum für die Gültigkeit des Zugangs hinterlegt werden, sodass eine zugehörige Schulung regelmäßig wiederholt werden müsste, bevor die Berechtigung wieder freigeschaltet wird. Hierzu muss in der Steuerung die Möglichkeit geschaffen werden, solche ergänzenden Daten auswerten zu können. Und es muss ein System geschaffen werden, diese Daten auf den Schlüssel schreiben zu können. Für die Betriebsart 2 würde dies zu weit gehen, da diese ein Nutzer einer Drehmaschine regelmäßig verwendet. Für den Servicemode aber, der teilweise unter gefährlichen Bedingungen gefahren werden muss, ist es sicherlich eine gute Möglichkeit, Servicetechniker des Herstellers entsprechend zu schulen und erst danach auch für den Servicemode zu berechtigen. Es lässt sich zudem eine einfachere Umsetzung ohne datentechnische Anbindung wählen, die auch für den Einrichtbetrieb nutzbar ist. So gibt es das Gerät in einer Version, bei dem die Auswertung des Schlüsselinhaltes teilweise im Gerät selbst passiert. Dieses Gerät nennt sich EKS Light und ist ebenfalls in einer Ausführung FSA, also für sichere Anwendungen, erhältlich. Hierbei werden die Daten nicht mehr über einen Bus oder eine Schnittstelle an die Steuerung gesendet. Entsprechend dem Schlüsselinhalt werden direkt bis zu vier Ausgänge gesetzt, die eine Berechtigung repräsentieren. So kann auch ohne Einsatz einer Steuerung die Betriebsartenwahl freigegeben werden. Alternativ kann durch die einfachere Auswertung von Eingängen gegenüber einem Datenstrom in der Steuerung entschieden werden, welche Funktionalität freigegeben wird. Die verwendeten Schlüssel sind mittels einer eindeutigen Seriennummer identifizierbar. In der \’Vollversion\‘ des EKS kann diese Schlüsselkennung in der Steuerung mitgeloggt werden. Wenn man z.B. ein Datumselement programmiert, kann einem Besitzer eines Schlüssels die Verantwortung an der Maschine für einen bestimmten Zeitraum zugewiesen werden. Mit einem konventionellen Schlüssel ist dies nicht möglich, denn es wird nicht erkannt, wer den Schlüssel in die falsche Position gedreht hat. Der Besitzer eines elektronischen Schlüssels wird dadurch eher zurückhaltender beim Verleihen seines Schlüssels sein, als ein Besitzer eines mechanischen Schlüssels. Alles in allem kann mittels eines EKS FSA zum einen die sicherheitstechnische Forderung nach einem PLc aus der EN ISO23125 erfüllt und zum anderen eine gute organisatorische Unterstützung mit technischen Mitteln erreicht werden.

Euchner GmbH + Co. KG
http://www.euchner.de

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