Industrielle Anforderungen an die Multitouch-Technologie

Komfortabel, robust und sicher

Angesichts des stetig steigenden Wettbewerbsdrucks suchen Unternehmen nach Differenzierungsmerkmalen, die ihre Maschinen und Anlagen von den Lösungen der Marktbegleiter abheben. Als möglichen Ansatzpunkt haben hier viele Hersteller die Optimierung der Bedienoberfläche identifiziert, die oftmals als Visitenkarte der jeweiligen Applikation fungiert.

Die auf Multitouch und Gestensteuerung basierenden Geräte aus dem Consumer-Bereich prägen dabei die Entwicklung und Einführung von Lösungen für industrielle Anwendungen. Allerdings gilt es die Anwendungsfelder der Mehrfinger-Bedienung auszuloten und sich auf die notwendige Touchscreen-Technologie einzustellen. In Industrie-Applikationen mit einem klassischen Panel-PC erfolgt die Touchscreen-Bedienung heute noch konventionell mit einem Finger – dem so genannten Singletouch. Die hierbei genutzte Technik der resistiven Touchscreens hat sich in den industriellen Branchen etabliert, ist kostengünstig und arbeitet zuverlässig. Der Touchscreen besteht aus einer Glasscheibe und einer Kunststoff-Folie, die vor dem TFT-Display angebracht wird. Die beiden gegeneinander liegenden Seiten von Glasscheibe und Folie verfügen über eine leitfähige Beschichtung, an der eine Spannung anliegt.

Analog-resistive Touchscreens erschweren fließende Bewegungen

Die Oberfläche der Glasscheibe und der Kunststoff-Folie sind durch sehr kleine Abstandshalter – Spacer Dots genannt – voneinander getrennt. Durch Druck auf den Touchscreen entsteht ein elektrischer Kontakt zwischen den beschichteten Seiten. Der Touch-Controller verwendet die daraus abgeleiteten Spannungsabfälle in X- und Y-Richtung, um die Koordinaten und somit die Fingerposition genau zu ermitteln. Mit dem klassischen analog-resistiven Touchscreen ist jedoch konstruktionsbedingt nur ein Touch-Ereignis erfassbar. Werden gleichzeitig zwei Punkte auf dem Touchscreen berührt, errechnet der Touch-Controller den Mittelwert der unterschiedlichen Koordinaten. Da die analog-resistiven Geräte mit mechanischem Druck funktionieren, können neben dem Finger jede Art von Stift und Handschuhe zur Bedienung eingesetzt werden. Zudem schützt das Prinzip vor Beeinträchtigungen durch Schmutzanhaftungen oder Flüssigkeiten wie Spritzwasser. Scharfe Gegenstände oder aggressive Reinigungsmittel können allerdings den Touchscreen beschädigen (Bild 2). Müssen darüber hinaus Bedienelemente auf dem Touchscreen bewegt werden, wie dies bei der Betätigung virtueller Schieberegler der Fall ist, empfinden die Anwender das häufig als unangenehm und ungenau. Das Gefühl resultiert aus der aufzuwendenden Kraft, um den Kontakt zwischen den beschichteten Flächen herzustellen und dabei den Widerstand der Spacer Dots zu überwinden. Eine fließende Bewegung wird also erschwert. Nicht zuletzt führt die Kunststoff-Folie zu einer Behinderung des Ablesewinkels und der Lichtdurchlässigkeit.

Projective Capacitive Touchscreens eröffnen neue Möglichkeiten

Bei der Multitouch-Bedienung, die heute fast ausschließlich durch einen Projective Capacitive Touchscreen (PCT oder auch PCAP) realisiert wird, ist die notwendige Sensorik hinter einer Glasscheibe verbaut. Daher kann die Funktionsfähigkeit des Touchscreens nicht von außen beeinträchtigt werden und es tritt kein Verschleiß auf. In diesem Fall besteht der Touch-Sensor aus einem Gitternetz feiner Drähte oder geätzter Halbleiterschichten aus Indiumzinnoxid (ITO), die gegeneinander isoliert einlaminiert sind. Liegt eine Spannung an, wird ein elektrisches Feld erzeugt und eine kapazitive Kopplung zwischen beiden Schichten ausgelöst. Die Berührung der Glasoberfläche mit einem Finger oder einem anderen leitenden Gegenstand ändert die Kapazität. Der Touch-Controller erfasst diese Spannungsabfälle und errechnet die Koordinaten des Berührpunkts (Bild 3). Die kapazitive Technik hat den Vorteil, dass mehrere Berührungspunkte ermittelt werden können. Weil keine mechanischen Widerstände zu überwinden sind, lassen sich Schiebe- und Drehbewegungen einfacher vom Bediener ausführen. Der Wegfall der Kunststoff-Folie auf der Glasfront erhöht ferner die Robustheit der kapazitiven Technik im Hinblick auf aggressive Reinigungsmittel und scharfe Gegenstände. Durch die Glasscheibe ergibt sich folglich eine robuste Front, die insbesondere von Applikationen gefordert wird, die vandalensichere Geräte voraussetzen. Außerdem kann die Glasscheibe über die komplette Front des Panel-PCs verlaufen. Das eröffnet neue Möglichkeiten für das Design – beispielsweise die Anordnung von Sensortasten außerhalb des eigentlichen Display-Bereichs – und bietet einen Mehrwert beim äußeren Erscheinungsbild der Anlage. Darüber hinaus sorgt die durchgängige Glasfront dafür, dass Schmutzkanten entfallen, was den Einsatz der Panel-PCs im medizinischen Bereich oder in der Lebensmittelindustrie ermöglicht. Dabei funktionieren die kapazitiven Touchscreens selbst dann noch, wenn das Glas zerkratzt ist.

Bestimmte Bewegungsmuster werden erkannt

Einschränkungen für den Betrieb der Projective Capacitive Touchscreens in industriellen Systemen bestehen hauptsächlich bei der Bedienung. So müssen Touch-Stifte leitfähig sein und Handschuhe dürfen nicht zu stark isolieren, was bei Lederhandschuhen oftmals der Fall ist. Der größte Vorteil Multitouch-fähiger Touch-screens liegt jedoch darin, dass sie gleichzeitig mehrere Berührungen erkennen. Auf diese Weise kann der Anwender beispielsweise zwei Elemente, die sich in unterschiedlichen Bereichen des Displays befinden, parallel bedienen. Neben dem Erfassen einer Vielzahl an Druckpunkten zeichnen sich die Multitouch-Geräte durch das Feststellen bestimmter Bewegungsmuster wie Drehen, Zoomen oder Verschieben aus, die als \’Gesten\‘ bezeichnet werden. Ferner lassen sich vordefinierte Befehle durch die Kombination mehrerer Finger oder Hände zu Bewegungsabläufen umsetzen. Die Gestensteuerung erlaubt z.B. einen Seitenwechsel, indem der Bediener mit der Hand eine Wischbewegung vornimmt. Eine Spreizbewegung vergrößert die jeweiligen Prozessinformationen. Damit kann auf die unbeliebten und zeitraubenden Scroll-Balken verzichtet werden. Zudem lassen sich komplexe Anlagenstrukturen, wie sie in Windparks oder Fertigungsstraßen üblich sind, auf einer Seite anzeigen. Durch das Wischen, Zoomen und Drehen navigiert der Anwender bei Bedarf schnell in jeden Bereich der Anlage. \’Digital Natives\‘, die die Maschinen und Anlagen in Zukunft bedienen werden, setzen derartige Funktionen voraus und wenden sie intuitiv an.

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Phoenix Contact Deutschland GmbH

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