Doch das Umsetzen des technisch Möglichen führt nicht zwangsweise zu dem versprochenen Mehrwert. So bringt eine höhere Informationsverfügbarkeit nur dann eine Effizienzsteigerung, wenn dadurch eine Prozessoptimierung auf organisatorischer Ebene angestoßen wird. Ein weiteres Beispiel ist die hochgradige Wandlungsfähigkeit von Anlagen, welche nur zu einem relevanten Mehrwert führt, wenn sich die zu produzierenden Erzeugnisse durch eine hohe Schnelllebigkeit auszeichnen. Welche konkreten Veränderungen für die Automatisierungswelt zu erwarten sind und welche Potenziale für die Unternehmen tatsächlich hinter Industrie 4.0 stecken, soll im folgenden Beitrag beleuchtet werden.
Zukünftige Entwicklung der Automatisierungstechnik
Die Automatisierungstechnik steht vor einem Wandel, der primär durch die Übertragung technologischer Trends aus dem IT-Bereich getrieben wird. Die für diesen Wandel notwendigen Technologien werden bereits seit einigen Jahren in der Forschung entwickelt und erprobt und haben zu einem großen Teil bereits einen Reifegrad erlangt, der die Übertragung auf die heutige industrielle Produktion erlaubt. Im Folgenden werden die zentralen bevorstehenden Änderungen der Automatisierungstechnik diskutiert und deren technologische Umsetzbarkeit dargestellt. Bild 1 fasst die wichtigsten Aspekte der zukünftigen Entwicklung der Automatisierungstechnik zusammen: Produkte werden intelligent, Steuerungssysteme werden verteilt und können über einheitliche Kommunikationsschnittstellen und auf IP-Basis Informationen austauschen, Fabriken werden wandelbar nach dem Plug&Play-Prinzip, Produktionsprozesse können dynamisch angepasst werden und reale und digitale Welt werden direkt miteinander verbunden.
Intelligente Produkte durch digitale Produktgedächtnisse
Ein Kernparadigma von Industrie 4.0 ist das intelligente Produkt, das seine eigene Produktion steuert. Anstatt alle fertigungsrelevanten Daten zentral, beispielsweise in einer Speicherprogrammierbaren Steuerung, vorzuhalten, trägt das Produkt alle für seine Produktion benötigten Informationen in einem digitalen Produktgedächtnis mit sich. Zu diesem Zweck wird das Produkt mit einem automatisch auslesbaren Datenträger (z.B. Data Matrix Code, RFID-Transponder) ausgestattet. Auf dem Datenträger wird das digitale Produktgedächtnis durch ein einheitliches Datenformat gespeichert, das unternehmens- und domänenübergreifend ausgelesen und interpretiert werden kann. Zur Realisierung dieses Konzepts eignet sich das im Rahmen des BMBF-Projekts SemProM (Semantic Product Memory) entwickelte Object Memory Model (OMM). Neben der Hinterlegung von Auftragsdaten und Produktparametern erlaubt das digitale Produktgedächtnis die Speicherung aller Schritte des Produktlebenszyklus, von der Fertigung, über logistische Prozesse bis hin zum Endkunden. Das Produkt führt sozusagen Tagebuch. Dieses neue Paradigma der Hinterlegung fertigungsrelevanter Daten direkt am zu fertigenden Produkt ermöglicht die kundenindividuelle Fertigung bis hin zur Losgröße 1 und die dezentrale Steuerung des Produktionsprozesses.
Verteilte Steuerungssysteme durch Serviceorientierung
Heute in der Automatisierungstechnik vorherrschende Steuerungsarchitekturen sind strikt hierarchisch organisiert. Steuerungsaufgaben werden auf die verschiedenen Ebenen der Automatisierungspyramide vertikal verteilt (z.B. betriebliche Steuerung vs. technische Steuerung). Die Steuerung der Produktionsanlage und des darauf ausgeführten Produktionsprozesses erfolgt meist durch eine zentrale Einheit, beispielsweise eine Speicherprogrammierbare Steuerung. Diese Steuerungsansätze werden den wachsenden Anforderungen hinsichtlich Wandlungsfähigkeit und Adaptivität nicht mehr gerecht. Ein vielversprechender Ansatz zur Adressierung dieser Problematik ist die Verteilung von Steuerungsaufgaben auf kleinere, besser beherrschbare Steuerungseinheiten, die beispielsweise für die lokale Ansteuerung von Feldgeräten oder Baugruppen zuständig sind. Insbesondere das Paradigma der Serviceorientierung scheint geeignet, um mechatronische Funktionalitäten von Anlagenkomponenten zu Services zu kapseln, die über standardisierte Schnittstellen zur Verfügung gestellt und zu höherwertigen Services oder ganzen Prozessabläufen kombiniert werden können. Dieser Ansatz macht es einerseits möglich, den Produktionsprozess flexibel aus verfügbaren Services zusammenzustellen, andererseits erlaubt er auch den interoperablen Zugriff übergeordneter Steuerungsebenen und somit die Realisierung einer vertikalen Integration. Die Umsetzung serviceorientierter Steuerungssysteme ist mit existierenden Technologien möglich. So zeigt die Demonstrationsanlage der SmartFactoryKL am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (Bild 2) die Ausstattung von industriellen Feldgeräten mit Mikrokontrollern, über die die mechatronischen Funktionalitäten per Webservice-Schnittstelle im Anlagennetzwerk angeboten werden. Dadurch entstehen intelligente, eingebettete Systeme, die über Internettechnologien und auf IP-Basis kommunizieren.