Interview mit Christoph Winterhalter, ABB

\“Funktionalität und Tools, die für alle Geräte funktionieren\“

Das Internet der Dinge, Dienste und Menschen macht alles smart und flexibel. Welchen Mehrwert kann der Anwender dann noch erwarten, wenn er alle benötigten Automatisierungsgeräte aus einer Hand bezieht? An dieser Stelle ist auf Seiten der Anbieter ein Umdenken nötig, fordert Christoph Winterhalter, der im ABB-Geschäftsbereich Drives & Controls die Produktgruppe Machinery Controls and Automation verantwortet, im Gespräch mit dem SPS-MAGAZIN.

Alles aus einer Hand – dieser Mission verschreiben sich die großen Anbieter der Automatisierungstechnik nicht erst seit gestern. Ist dieser Weg in Zeiten von Industrie 4.0 noch der Richtige, Herr Winterhalter?

Christoph Winterhalter: Es ändert sich momentan viel, aber wir wollen natürlich immer noch möglichst viel Funktionalität aus einer Hand bieten. Dabei muss sich für den Anwender deutlicher Mehrwert aus der Kombination ableiten lassen und er darf dabei nicht auf eine proprietäre und in sich geschlossene Plattform angewiesen sein. Stattdessen wird in Zukunft alles so unabhängig sein, dass der Kunde wirklich die Wahl hat. Wenn er eine Third-Party-Komponente integrieren oder ein externes Tool verwenden will, dann muss das in Hinblick auf das Internet der Dinge, Dienste und Menschen unkompliziert möglich sein. Mit unserer offenen Infrastruktur zwingen wir den Kunden nicht dazu, alles aus einer Hand zu nehmen. Wir zeigen ihm, wo die Vorteile liegen – aber er hat immer noch die Wahl, Geräte und Tools so zu kombinieren, wie es am besten passt.

Das ist ja schon ein Paradigmenwechsel von proprietären Automatisierungsumgebungen hin zu Schnitt-stellen, Flexibilität und Offenheit.

Winterhalter: Ja. Aber es ist genau das, was der Markt heutzutage fordert und die Intention von Industrie 4.0. Wir reden hier über Wertschöpfungsnetzwerke, in die sich jede Komponente auch digital intelligent einbinden lässt. Das geht nicht mit einer schwerfälligen Plattform, in der man nur die Software-Funktionalität eines Herstellers nutzen kann. Bei unserer Lösung sind auch Lösungen von kleinen Tool-Anbietern relativ schnell einbindbar. Das geht nur über offene Schnittstellen und eine gemeinsame Art und Weise des Datenaustauschs. Entsprechend legen wir bei der Integration der Komponenten einen großen Fokus auf den Software-Layer, der die jeweilige Applikation als digitale Komponente passend abbildet. Dadurch wird das Engineering schneller und kundenfreundlicher, denn letztendlich schaffen wir die Möglichkeit, auszuwählen, welche Funktion der Anwender braucht, und von welchem Hersteller er sie kaufen möchte. Die Vorteile für den Anwender müssen aber auch dahin gehen, dass Komponenten in der Praxis nicht nur miteinander kommunizieren, sondern auch Engineering-seitig alle in einem Tool aufeinander abgestimmt sind.

Das heißt die Steuerungs- und Engineering-Tools von ABB sind durchgängig miteinander verbunden?

Winterhalter: Das ist das Ziel. Es wird in der Fabrik der Zukunft kein monolitisches System mehr geben, sondern viele verschiedene Daten, verteilt im Netz, die es intelligent zu verknüpfen gilt. Wir wollen also unsere Tools und ihre Funktionalität erhalten und weiterentwickeln. Dafür haben wir einen Integrations-Layer entwickelt und Schnittstellen geschaffen und können so die einzelnen Tools miteinander verknüpfen.

Das heißt, Sie können die entsprechenden Daten per Knopfdruck von einem System in das andere laden?

Winterhalter: Und dabei geht nichts verloren. Wir fokussieren uns auf folgende Aspekte: Was spart dem Anwender Zeit? Und wie lassen sich Fehler systembedingt vermeiden? Deshalb bleiben einmal erstellte Daten erhalten und der Anwender muss sie nicht ein zweites Mal eingeben.

Der Anwender will in Zukunft also nicht nur bezüglich der Komponenten, sondern auch auf Seite der Engineering-Tools flexibel wählen können?

Winterhalter: Ja. Das Internet der Dinge, Dienste und Menschen erfordert, dass der Anwender unabhängig ist, wenn er mit seinem bevorzugten Tool arbeiten und das Ergebnis ohne großen Aufwand in andere Systeme integrieren kann. Das ist genauso Teil der Vision, wie der Anspruch, dass alle eingebauten Geräte untereinander kommunizieren. Damit muss sich das Engineering ändern, denn der bisherige Weg wäre viel zu aufwendig.

Das Engineering wird also komplexer, soll für den Anwender aber gleichzeitig komfortabler werden?

Winterhalter: Richtig. Es geht um Prinzipien, die wir online im Consumer-Bereich längst nutzen. Bei HTML lässt sich auf jeden Dienst zugreifen und solch eine Basis müssen wir in die Automatisierungstechnik übersetzen. Dafür müssen aber erst einmal die technischen Voraussetzungen geschaffen werden. Entsprechend beschäftigen wir uns nicht nur mit den eigenen Geräten, sondern arbeiten aktiv bei Standardisierung und Normung mit. Beispielsweise AutomationML ist ein Ansatz, mit dem man über neutrale Datenaustauschformate nicht mehr von einzelnen Lieferanten und deren Systemen abhängig ist. Auch Simulationswerkzeuge und CAD-Systeme sind darauf ausgelegt, sich gut in andere Umgebungen integrieren zu lassen. Es geht also gar nicht um eine sonderlich tiefe Integration, sondern um Flexibilität. Jeder nutzt das Tool, das seine Anforderungen am besten erfüllt.

Das schließt aber auch eine entsprechend offene Denke und Strategie bei den Anbietern von Automatisierungstechnik voraus.

Winterhalter: Ja, es nützt nichts mehr, wenn jeder Hersteller seinen eigenen Standard macht. Internet der Dinge, Dienste und Menschen heißt Funktionalität und Tools, die für alle Geräte funktionieren. Das wird in der ganzheitlichen Umsetzung noch eine Weile dauern, aber wir gehen mit unserem System ganz klar in diese Richtung. Wir wollen keine Abhängigkeiten schaffen – dieses Umdenken ist in der Branche immer stärker wahrzunehmen. Wenn in einer Anwendung dann mehrere Komponenten von ABB zum Einsatz kommen, dann liegt das schlicht und ergreifend daran, dass unsere Produkte in der Anwendung auch am besten passen.

Wie sieht es mit bestehenden Anlagen und Subsystemen aus?

Winterhalter: Der Aspekt des Nachrüstens ist ganz wichtig. Als Beispiel aus der Antriebstechnik, wird ein bereits installierter Motor im Sinne des Condition Monitorings mit Sensoren ausgestattet. Die Sensoren analysieren Vibrationen, Temperatur und so weiter und schicken die Daten über ein Tool, eine App oder eine Cloud wiederum an eine Datenbank, in der die bisherigen Daten zu diesem Motor abgelegt sind: Wo ist der Motor gefertigt? Wer hat ihn abgenommen? Wann gab es die letzte Wartung? Diese Datensätze müssen mit neuen smart erfassten Daten verlinkbar sein – dafür fordert Industrie 4.0 die passenden Kommunikationsstrukturen, Engineering-Standards, Geschäftsmodelle und Apps.

Sie betonen in Ihren Ausführungen immer wieder die Software-Seite und deren steigende Relevanz.

Winterhalter: Man wird sich in Zukunft immer mehr über die Software differenzieren. Zudem werden die Tools unabhängiger von der Hardware, weil sie den beschriebenen Standards folgen. Irgendwann wird jeder vergleichbare Hardware nutzen, deren Performance wird aber von der Software abhängen. Die Software muss exakt auf die Applikation zugeschnitten sein und dafür müssen wir diese Anwendungen ganz genau verstehen.

Wie gestalten Sie denn diesen Wandel in einem großen Unternehmen, das über Jahrzehnte vor allem mit der Hardware erfolgreich war?

Winterhalter: Hardware-dominierte Unternehmen entsprechend auszurichten, das ist nicht so einfach. Dem Kunden den Wert der Software deutlich zu machen und dafür Geld zu bekommen, das ist ein wirklicher Umdenkprozess, der angestoßen und gehalten werden muss. Das kann aber nur aufgehen, wenn die Software ein professionelles Level hat und klar als Mehrwert erkennbar ist. Deswegen besteht die Hälfte unserer R&D-Mannschaft mittlerweile aus Software-Spezialisten, die schon in dieser Welt groß geworden sind.

Obwohl die Hardware austauschbarer wird, muss man sich aber doch genau damit auskennen. Denn die Software-Lücke auf dem Weg zu Industrie 4.0 kann kein klassisches IT-Unternehmen alleine füllen.

Winterhalter: Genau das ist der Punkt. An dieser Stelle muss man aufeinander zugehen. Die Software-Hersteller müssen sich von der Office-Ebene ein Stück weit in den Shop Floor begeben, was ihnen in der Tat nicht leicht fällt. Wir Automatisierer, müssen einen Teil der Funktionalität in die Software übersetzen und eine neue Datenebene ermöglichen. Wir müssen hier die Ärmel hochkrempeln und uns bei folgenden Fragen einbringen: Wie bauen wir diese Datenbasis auf? Wie verknüpfen wir bereits existierende Daten? Wo müssen die Schnittstellen liegen? Diese Aufgaben kann uns Automatisierern kein IT-Unternehmen abnehmen

Wer wird in Zukunft unter den Automatisierern den meisten Erfolg haben?

Winterhalter: Statt Hardware und proprietäre Standards zu verkaufen, kommt es in Zukunft auf eine möglichst große Community an, die den jeweiligen Standard nutzt. Das impliziert ein ganz anderes Denken. Letztendlich wird der erfolgreich sein, der die größte Community aktivieren kann, und nicht der, der die größte Entwicklungsmannschaft hat. Das liegt sicherlich noch ein paar Jahre in der Zukunft. Aber wir müssen und werden unser Angebot stark in diese Richtung entwickeln.

Wie schätzen Sie den momentanen Stand ein?

Winterhalter: Wenn man zur Zeit über eine Messe läuft, dann findet man bereits viele Teilaspekte von Industrie 4.0. Jetzt muss man diese, quasi als Puzzlesteine, zu einem großen Ganzen zusammenführen. Basierend auf den einzelnen Puzzlesteinen sieht man schon ganz gut, wie das Bild zusammenpasst. Mit der RAMI-Referenzarchitektur liegt jetzt auch die entsprechende Struktur auf dem Tisch. Und wenn das Puzzle zu 80% fertig ist, dann wird die vielfach angekündigte Revolution sichtbar.

Und wann wird es Ihrer Ansicht nach soweit sein?

Winterhalter: Das wird mit Sicherheit noch fünf bis zehn Jahre brauchen. Das Schöne ist aber, dass wir in kleinen Schritten dahin kommen können. Wenn man das ganze Bild erst einmal verstanden hat, kann man seine Produkte schrittweise fit machen und neue Technologien wunderbar einzeln ausprobieren. In jedem Fall werden wir aber ein offenes Engineering-System dafür brauchen. Ein Puzzle, das nur zusammen passt, wenn alle Teile von einem Anbieter kommen, wird der Markt hingegen nicht mehr zulassen. n

ABB Automation Products GmbH
http://www.abb.de

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