Flexibilisierung ist der Treiber

Industrie 4.0 aus der Sicht eines IT-Dienstleisters im Bereich der Industrie
Neben der Automatisierungstechnik hat die Vision von Industrie 4.0 sehr viel mit IT-Konzepten und IT-Systemen zu tun. Wir haben uns mit Thomas Ahlers von der Firma Freudenberg IT darüber unterhalten, welche Veränderung es im Bereich der industriellen IT im Zusammenhang mit Industrie 4.0 geben wird und wo wir heute damit stehen. Thomas Ahlers verantwortet bei Freudenberg IT als Mitglied der Geschäftsleitung die Bereiche Consulting und Infrastruktur Services für Kunden aus mittelständischen Fertigungsbetrieben in Europa. Zudem zeichnet er als Sprecher des Vorstands des Arbeitskreises Industrie 4.0 des Bitkom verantwortlich.

Das Thema Industrie 4.0 ist aktuell in aller Munde. Warum glauben Sie, dass das ganze Thema mehr als ein Hype ist?

Ahlers: Es gibt mehrere Ansätze, warum ich der Meinung bin. Einer davon ist, dass wir, was den Wirtschaftsstandort Deutschland oder vielleicht auch Europa im Allgemeinen betrifft, uns Gedanken machen müssen, dass wir den Vorteil, den wir vielleicht in einigen Feldern wie der Innovation haben, ausbauen oder zumindest bewahren müssen. Wenn wir das global vergleichen, gibt es durchaus Standorte, die im Vergleich zu Deutschland, auch einige Vorteile haben; Stichwort Lohn und Lohnnebenkosten. Da gibt es sicherlich den einen oder anderen attraktiveren Standort. Deshalb müssen Kunden sukzessive schauen, wie sie ihre Produktion aufstellen, um den Anschluss an eben solche Länder und Regionen nicht zu verlieren und langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Das große Stichwort ist da meines Erachtens nach Flexibilisierung, nämlich flexibler und schneller zu agieren. Die Anforderungen, die unsere Kunden an uns herantragen, sind, dass ich quasi eine immer höhere Variantenvielfalt mit niedrigeren Kosten fertige. Das ist eigentlich der Kerntreiber des Industrie 4.0-Hypes – die Flexibilisierung bei größerer Variantenvielfalt und niedrigeren Kosten. Das steckt dahinter.

Das Ganze scheint logisch, wenn man die gesamte IT-Technologie, also die Entwicklung in der IT betrachtet und wenn man auch bedenkt, wie stark IT in die Fabrik oder Maschine wandert. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach den Zeiträumen: Wo sehen Sie diesbezüglich sowohl kurz- und mittelfristige als auch praktische Ansätze?

Ahlers: Ich glaube, es wird nicht irgendwo den Big Bang geben und man sagt \’Jetzt haben wir Industrie 4.0\‘, sondern das ist ein kontinuierlicher Pfad. Es handelt sich um eine sukzessive Flexibilisierung unterschiedlicher Bereiche. Die ganze Wertschöpfungskette rutscht weiter zusammen und wird immer integrierter. Es gibt seit geraumer Zeit eine Supply Chain. Generell gesprochen, sind wir da schon relativ weit mit der Einführung von ERP-Software. Der Shopfloor bzw. die Fabrik oder Fertigung an sich wurde noch relativ autark gehandhabt. Ich glaube, dass wir jetzt schon erste Ansätze sehen, auch hier standardisiert auf einer globalen Ebene Prozesse irgendwo einzuführen und diese dann entsprechend auch komplett mit der Supply Chain zu vernetzen – sowohl vertikal innerhalb der eigenen Produktion als auch horizontal.

Wie kann es Freudenberg IT gelingen ihren Kunden dabei zu helfen, sich auf den Weg in Richtung Industrie 4.0 zu machen, in diesen Prozess einzusteigen oder weiterzukommen?

Ahlers: Wir haben einen starken Hintergrund. Die Supply Chain unserer Zielkunden kennen wir im Detail. Da sind wir seit vielen, vielen Jahren umtriebig. Wir kennen diesen ganzen Bereich der ERP-Software, wobei ein wichtiger Differenzierer zwischen uns und unseren Mitbewerbern darin besteht, dass wir auch die tiefe Kenntnis unten in den Shopfloor-Applikationen, in den Prozessen haben. Zu unserem Portfolio gehört neben der klassischen ERP-Schiene, Supply Chain auch die Beratung im Hinblick auf Prozesse in der Fertigung. Wir haben Lösungsansätze für Fertigungsleitstände, Tracing, Traceability, Betriebsdatenerfassung, Maschinendatenerfassung. Das heißt, also genau in dieser Integration, der klassischen Supply Chain bis runter an die Maschine, sind wir zu Hause. Und genau das ist unser Differenzierer und unser Wettbewerbsvorteil.

Wo sehen Sie die wesentlichen Herausforderungen, auf dem Weg zu Industrie 4.0? Ich bleibe jetzt tatsächlich bei dem Begriff, weil er tatsächlich einigermaßen indifferent ist und weit gefasst.

Ahlers: Es gibt da diverse Herausforderungen. Die gesamte technologische Schiene ist eine davon. Das heißt, wenn ich erreichen möchte, dass Maschinen miteinander kommunizieren, muss ich dafür erst einmal die Voraussetzungen schaffen. Ich kann das natürlich ein Stück weit erreichen, wenn ich eine vergleichbare Maschinensteuerung habe. Wenn ich nachher an die Endausbaustufe denke, in der mein Lieferant oder mein Kunde in diese Kette miteinbezogen wird, muss es funktionieren, dass vielleicht auch unterschiedliche Maschinensteuerungen in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren. Das kann ich nur erreichen, wenn ich eine gleiche Basis habe. Und davon sind wir natürlich noch ein Stück entfernt. Das ist jetzt nur ein Beispiel, aber, ich glaube, insbesondere die ganzen Technologien zur Kommunikation zum Datenaustausch sind eine riesige Herausforderung. Das Thema Big Data ist ein ähnliches Trendthema. Stellen Sie sich vor, Sie sammeln ständig irgendwelche Maschinendaten, um diese auszuwerten und entsprechende Informationen daraus zu ziehen. Wissen Sie, was da für einen Wust an Daten entsteht? Wenn Sie nicht in der Lage sind, diese aufzubereiten und entsprechend auszuwerten und dann wirklich auch kurzfristig zur Verfügung zu stellen, bringt Ihnen die ganze Integration von Maschinen nichts. Deshalb ist dieses Thema Big Data ein ganz wichtiges innerhalb dieser Technologie.

Was ich da so raushöre, ist auch die Frage nach Standardisierung. Ist das richtig? Also z.B. Standardisierung von Schnittstellen und Protokollen.

Ahlers: Ein Treiber, den wir jetzt gerade ganz stark im Manufacturing-Bereich feststellen, ist dass nach dem Streben der Unternehmen im ERP-Bereich – das ist ganz klar auch auf globaler Ebene der Fall – Fertigungsprozesse vereinheitlicht bzw. standardisiert werden sollen. Das merken wir schon an einigen Standorten. Und deswegen glauben wir, ist Industrie 4.0 ein Stück weit eine Vision, eine Endausbaustufe einer smarten Fabrik. Aber ich bin der Auffassung, dass wir bereits auf dem Weg dorthin sind. Es gibt Beispiele und wir haben auch Beispielprojekte, in denen klare Kriterien vorhanden sind, die eigentlich heute schon auf Industrie 4.0 hindeuten.

Also wir sind schon auf dem Weg?

Ahlers: Ja, wir sind auf dem Weg in die vierte industrielle Revolution.

Ein Thema, das zwangsläufig auch aufkommt, wenn viele Geräte miteinander vernetzt sind: Security. Für wie wichtig halten Sie diesen Aspekt und was ist an dieser Stelle noch zu tun?

Ahlers: Das ist natürlich ein ganz entscheidendes Thema, gerade wenn ich mich aus meinen eigenen vier Wänden quasi herauslöse und mich entlang der Supply Chain öffnen möchte. Das heißt, wenn meine Lieferanten oder meine Kunden Zugriff auf Daten haben. Hier ist das Thema Security auf jeden Fall von großer Bedeutung. Ich glaube, dass da noch extrem viel zu tun ist.

Wo sehen Sie die Verantwortung beim Thema Security – gerade als ein Unternehmen, das zu dieser Thematik auch berät? Wer ist verantwortlich dafür, dass die Security gewährleistet ist? Meine Frage zielt auf Folgendes ab: Reicht es aus, das gesamte Unternehmen in eine \’Bubble\‘ reinzupacken und zu sagen: \’Das ist jetzt geschützt!\‘ und alles, was darin passiert, kann frei kommunizieren. Oder gibt es ein anderes Extrem, das besagt, sogar in das Automatisierungsgerät, sprich in die Steuerung, muss zumindest ein Stück Security reinwandern?

Ahlers: Ich glaube, dass hier auch von konzeptioneller Seite eine Menge Arbeit vonnöten. Eine echte Integration gelingt nur, wenn ich mir gewisse Freiheitsgrade lasse und nicht alles komplett kapsele. Damit wird natürlich das Thema Security ein Stück weit Gemeinschaftsarbeit zwischen dem Lieferanten und dem Kunden, die zusammenarbeiten wollen. Dafür existieren zumindest heute noch keine komplett fertigen Konzepte. Da muss man noch mal ans Reißbrett und sich überlegen, wie so ein Konzept auszusehen hätte.

Jetzt wieder ganz allgemein gesprochen, also nicht nur auf das Thema Security bezogen: Nehmen wir an, ein Kunde kommt zu Ihnen und sagt: \’Pass\‘ auf, die Geschichte mit Industrie 4.0 interessiert mich, ich möchte mich auf den Weg machen. Was muss ich tun?\‘ Wie können solche Schritte aussehen, in die Sie mit einsteigen?

Ahlers: Wir haben beispielsweise mal versucht, eine Reifegradanalyse darzustellen. Das heißt, es gibt unterschiedliche Bereiche wie die Fertigungsautomatisierung. Was sind Merkmale von Industrie 4.0? Woran merke ich eigentlich, dass es in Richtung Industrie 4.0 geht? Da wäre ein Bereich zum Beispiel die Fertigungsautomatisierung. Ein anderer ist die Automatisierung des Geschäftsprozesses und der Dritte ist die Integration der Daten. Merkmale sind etwa: Maschinen, die in der Lage sind miteinander zu kommunizieren. Da habe ich eine komplett integrierte Planung. Das heißt, wenn sich an meiner Planung irgendwo etwas ändert, wie wirkt sich das auf die Folgeprozesse aus? Das, was ich vorhin gesagt habe, die Aufbereitung der Daten. So haben wir versucht, einen Merkmalskatalog zu erstellen. Was wir Kunden anbieten, ist, dass wir dann reingehen und sagen: \’Die Vision von Industrie 4.0 sieht so aus, dass wirklich die betroffenen Maschinen, die zu einem Geschäftsprozess gehören, miteinander über eine OPC-Schnittstelle oder ähnliches verbunden sind und in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren\‘. Stand heute sehen wir Einzelanbindungen, die zwar irgendwo in ein MES eingeschlossen sind, aber die Maschinen an sich können nicht miteinander kommunizieren. Und so können wir über diese komplette Merkmalskette quasi sagen: \’Das wäre eigentlich die Version in der Endausbaustufe Industrie 4.0 und da befinden Sie sich heute\‘. Und das würden wir von der Vorgehensweise, von der Methodik machen – ähnlich wie ein Business Process Reengineering, dass man sich quasi anschaut: \’Hier stehen Sie, und das müsste man jetzt eigentlich machen, um dort hinzukommen\‘. Da wird der Kunde natürlich argumentieren: \’Gut, das ist jetzt zwar die Version von Industrie 4.0, aber da muss ich vielleicht gar nicht hin\‘. Dahinter steckt ja auch ein Wirtschaftlichkeitsaspekt. Für jeden Kunden muss sich der Business-Case individuell rechnen. Das ist prinzipiell eine mögliche Vorgehensweise, wodurch wir dem Kunden aufzeigen: \’Da befinden Sie sich heute und das wären sinnvolle Schritte für Sie in Richtung Industrie 4.0 und letztlich ein Weg in eine langfristig gestärkte Wettbewerbsfähigkeit\‘.

Wenn Sie fünf Jahre in die Zukunft schauen, was glauben Sie, wo wir mit dem Thema Industrie 4.0 stehen werden?

Ahlers: Ich bin überzeugt, dabei handelt es sich um die Merkmale, die wir hier aufgetan haben – beispielsweise das Thema integrierte Planung, bei dem es darum geht, dass Dinge passieren und das System immer in der Lage ist, bei Abweichungen automatisch gegenzusteuern – ohne menschliches Zutun; die Prozesse flexibilisieren sich ein Stück weit weiter und damit ergibt sich eine höhere Reife der Industrie 4.0. Ich gehe aktuell nicht davon aus, dass wir innerhalb der nächsten fünf Jahre die komplette Smart Factory irgendwo haben werden. Dennoch bin ich der Meinung, dass viele Unternehmen einen starken Fokus darauf legen müssen und dass es sich um eines der beherrschenden Themen handelt.

Vielen Dank für das spannende Interview.

Die Freudenberg IT (FIT) ist ein global aufgestellter IT-Full-Service-Anbieter und seit 30 Jahren ein verlässlicher Partner für den Mittelstand. Das Dienstleistungsspektrum deckt alle Facetten der SAP-Landschaft ab: Es reicht von Outsourcing-Angeboten über Systemoptimierung und Betriebsservices bis hin zu Prozess- und SAP-Beratung. Insbesondere für die mittelständische Fertigungs- und Automotive-Industrie treibt die FIT als MES-Spezialist die Integration zwischen der Produktionssteuerung und dem ERP-System voran und gilt als Wegbereiter für die Industrie 4.0. Hinzu kommen Cloud-Computing-Lösungen, die die FIT-Kunden nutzen, um ihre IT ohne Investitionsrisiko auszulagern. So kann sich der Nutzer wieder auf seine Kernkompetenzen konzentrieren ohne sich um die IT zu kümmern – getreu der FIT-Unternehmensvision: IT Solutions. Simplified.

Syntax Systems GmbH & Co. KG
http://www.freudenberg.de

Das könnte Sie auch Interessieren

Weitere Beiträge

Bild: Ceratizit Deutschland GmbH
Bild: Ceratizit Deutschland GmbH
Werkzeuge – immer passend

Werkzeuge – immer passend

Eine digitalisierte Fertigung hat viele Gesichter… und Recker Technik aus Eschweiler setzt ihr auf jeden Fall einen Smiley auf. Dort bringt die Produktion mit digitalen Zwillingen mehr Effizienz in den Alltag sowie gleichzeitig mehr Überblick über das Toolmanagement und die Werkzeugkosten. Mit dabei: Zwei Tool-O-Maten, die intelligenten Werkzeugausgabesysteme von Ceratizit – dank denen immer das passende Werkzeug für den Job zur Hand ist.

mehr lesen
Bild: Hainbuch GmbH
Bild: Hainbuch GmbH
„Wie passende Spanntechnik die Automation voranbringt“

„Wie passende Spanntechnik die Automation voranbringt“

Zunehmend individuellere Kundenanforderungen, mehr Schwankungen im Auftragseingang und weniger Fachkräfte – diese Faktoren beeinflussen die Fertigungsplanung zunehmend. Gerade bei kleinen Herstellungschargen mit Losgrößen unter 100 macht in diesem Spannungsfeld die Automatisierung, etwa von Hainbuch, den Unterschied. Ein entscheidender Ansatzpunkt in der Umsetzung ist neben Maschine, Roboter und Bediener der Rüst- und Spannprozess.

mehr lesen
Bild: Schunk SE & Co. KG Spanntechnik
Bild: Schunk SE & Co. KG Spanntechnik
Futter für die Ewigkeit

Futter für die Ewigkeit

Siemens Energy setzt für die Präzisionsbearbeitung an einer Horizontaldrehmaschine Magnos Elektropermanent-Magnetspannfutter von Schunk ein. Dank der gleichmäßig dauerhaft wirkenden Magnetspannkraft erfolgt das Spannen der Werkstücke deformations- und vibrationsarm – für eine ausgezeichnete Bearbeitungs- und Oberflächenqualität. Mit der zugehörigen App lässt sich die Spannsituation simulieren und sicher parametrieren.

mehr lesen