Wo sehen Sie gerade in den Zeiten, in denen die Wirtschaftskrise den Ethernet-Markt noch stark beeinflusst, Potenzial für neue Profinet-Lösungen? Dr. Peter Wenzel: Profinet ist seit Jahren eine etablierte Ethernet-Lösung in der industriellen Automatisierung. Selbst in dem durch die Wirtschaftskrise geschüttelten Jahr 2009 konnte die installierte Basis von Profinet mit den 500.000 neu in den Markt gebrachten Geräten auf jetzt 2,1Mio. Geräte steigen. Vor dem Hintergrund der 460.000 im Jahr 2008 neu installierten Geräte zeigte die Entwicklung von Profinet ein sogar ein gegenläufiges Verhalten. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung für PI (Profibus und Profinet International), die ein deutliches Indiz für ein lang anhaltendes, großes Wachstumspotenzial birgt. Anwender, und allem voran die Automobilindustrie, haben großes Vertrauen in Profinet als Basistechnologie für ihre automatisierungstechnischen Anwendungen aufgebaut. Das Alleinstellungsmerkmal von Profinet ist, dass es für den Einsatz sowohl in Anlagen der Fertigungs- als auch der Prozessautomatisierung sowie für Antriebs-Anwendungen bis hin zum Motion Control eingesetzt werden kann. Welche Vorteile hat Profinet gegenüber Wettbewerbssystemen, um neue Märkte zu erschließen? Dr. Peter Wenzel: Die Stärke von Profinet liegt in der universellen Einsetzbarkeit in allen wesentlichen Marktsegmenten der Automatisierungstechnik. Profinet kann durch seine skalierbare Kommunikationsleistung den individuellen Anforderungen angepasst werden. Bezüglich der Real-Time-Performance ist es in der Lage, anspruchsvolle Anwendungen abzudecken. Eine weitere Stärke von Profinet ist die Integration beliebiger Feldbussysteme. Damit können Anwendungen unabhängig von der Vorgeschichte unverändert erweitert werden. Das bringt einen entscheidenden Kostenvorteil und leistet einen wichtigen Beitrag zum Investitionsschutz für den Anwender. Außerdem können die unter Profibus bewährten Applikationsprofile auch unter Profinet eingesetzt werden. Profisafe ist dafür ein wichtiges Beispiel, das mit gleicher Funktionalität und gleichem Look-and-feel sowohl unter Profibus als auch unter Profinet eingesetzt werden kann. Die Akzeptanz von Profinet bei den Anwendern liegt auch darin begründet, dass es bedarfsorientiert innoviert wird. Die kommunikationstechnische Basis ist stabil und in der IEC61158 und der IEC61784 international genormt. Die kontinuierliche Innovation erfolgt auf Basis von Anforderungen, die Anwender an die Arbeitskreise von PI herantragen. Sie betrifft Zusatzfunktionen wie schneller Gerätehochlauf (Fast Start-Up) beim Werkzeugwechsel oder standardisierte Diagnosefunktionen, die dem Anwender zusätzlichen Mehrwert bieten. Für Anbieter entstehen dadurch gute Chancen, ihre Produkte erfolgreich im Markt zu etablieren. Durch die anwendergetriebene Innovation erschließen sich Profinet neue Märkte. Können Sie das vielleicht an einem Beispiel konkretisieren? Dr. Peter Wenzel: Das jüngste Beispiel für eine solche Innovation ist die Fertigstellung von Profienergy, dem Energiemanagement-Profil. Profienergy ermöglicht ein aktives und effektives Energiemanagement. Aus heutiger Sicht laufen in Anlagen und Betrieben zahlreiche Verbraucher in den Pausen vielfach weiter. Durch zielgerichtetes Abschalten von nicht benötigten Verbrauchern bzw. Anpassung von Parametern wie z.B. Taktraten an die Produktionsgeschwindigkeit lassen sich der Energiebedarf und damit auch die Kosten deutlich senken. Hierbei wird der Stromverbrauch von Automatisierungskomponenten, wie Roboter, Laserschneideanlagen oder andere Teilsysteme in der Fertigungsindustrie mithilfe von Profienergy-Kommandos gesteuert. \’Sprechen und verstehen\‘ diese Verbraucher Profienergy, können sie mit Hilfe der Kommandos flexibel auf Pausenzeiten reagieren und beispielsweise in kurzen Pausen nicht benötigte Teile einer Maschine, in langen dagegen eine ganze Anlage, geordnet abschalten. Unter Zuhilfenahme von Profienergy kann zudem die Produktion auf den Energieverbrauch hin optimiert werden. Welche Branchen adressieren Sie mit dem Profinet-System vorrangig? Dr. Peter Wenzel: Profinet deckt – wie kein anderes Ethernet-basiertes System – das gesamte Performance-Spektrum der Automatisierungsanwendungen ab. Das umfasst die schnelle Übertragung von kleinen sowie die effiziente Übertragung großen Datenmengen bei gleichzeitiger Wahrung der Real-Time-Fähigkeit. Die anspruchsvollsten Zeitanforderungen kommen aus dem Bereich der Motion Control-Anwendungen. Um das gesamte Spektrum der Anwendungen und Use Cases optimal abdecken zu können, setzt Profinet auf eine skalierbare Real-Time-Fähigkeit. Hierzu gehört auf der einen Seite die Verwendung des TCP/IP-Protokolls und auf der anderen das für anspruchsvolle Real-Time-Anforderungen optimale Isochronous Real-Time (IRT). Der Einsatz von Profinet ist bereits heute aus den genannten Gründen sehr breit gestreut. Derzeit wird Profinet verstärkt in Anwendungen der Automobilindustrie, in der Nahrungs- und Genussmittel-Industrie sowie im Logistik-Bereich eingesetzt. Daneben finden sich verschiedene Anwendungen in Robotersystemen, im Wasser/Abwasser-Bereich, in der Glasproduktion, im Energiemanagement, in der Gebäudeautomatisierung sowie in zahlreichen Feldern des Maschinenbaus. Wo sehen Sie technologisch derzeit den größten Wachstumsmarkt für Profinet? Dr. Peter Wenzel: Der Trend zu transparenten und durchgängigen Produktionsprozessen vom Wareneingang bis zur Qualitätskontrolle erfordert eine einheitliche Kommunikation über die verschiedenen Ebenen eines Standorts hinweg. Selbst die Anbindung an die Unternehmensleitebene und ans Internet sind heute unter dem Stichwort vertikale Integration häufig geforderte Eigenschaften. Je ähnlicher die Systemarchitektur und je nahtloser die Übergänge zwischen den industriellen Netzwerken sind, desto einfacher ist die Handhabung, und desto niedriger sind die Kosten. Heute finden sich in den automatisierungstechnischen Anlagen vielfach unterschiedliche Feldbussysteme in Kombination mit Industrial Ethernet im Einsatz. In vielen Fällen sind die Kopplungen zwischen den Kommunikationssystemen nicht standardisiert. Mit Profinet können flächendeckend homogene Kommunikationsnetze aufgebaut werden und – wo nötig – existierende Feldbussysteme nahtlos integriert werden. Daher wird sich das Wachstum für Profinet nicht auf einzelne Anwendungen beschränken, sondern über alle Branchen hinweg erstrecken. Die Geschwindigkeit, mit der es erfolgt, wird sicherlich von Branche zu Branche unterschiedlich sein. Anwendungen mit kurzen Produktzyklen – beispielsweise in der Automobilindustrie – setzen schon heute flächendeckend auf Profinet auf. In der Chemie, in der Produktionsanlagen oft über Jahrzehnte praktisch unverändert betrieben werden, kommt der Einsatz von Profinet erst später zum Tragen. Regional betrachtet: Wo wird Profinet derzeit am häufigsten eingesetzt, in welchen Ländern steckt noch Potenzial? Dr. Peter Wenzel: Das Ziel von PI ist es, Profinet weltweit einzusetzen. Zweifelsohne hat sich Profinet derzeit in Europa als Nummer eins durchgesetzt. Es gibt aber zunehmend Hersteller aus dem amerikanischen Markt, die Profinet in ihre Produkte integrieren. Das ist eine wichtige Voraussetzung für die Verbreitung auf diesem Weltmarkt. Die Anwendungen in Asien, speziell in China, setzen derzeit primär auf die klassische Feldbustechnik. Profibus nimmt hier in vielen Branchen die führende Position ein. Damit auch Profinet in diesem Markt zur Nummer eins wird, hat die PI Aktivitäten initiiert, Profinet dort als nationalen Standard zu etablieren. Das ist eine wichtige Voraussetzung für den Einsatz in vielen Anwendungen dieser Region. (afs)
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