Der Motor denkt (mit) …

Verfahren macht elektrische Antriebe zu autonomen und intelligenten Sensoren
\'Intelligente\' technische Systeme sind spätestens seit der Diskussion um Industrie 4.0 in aller Munde. Dabei werden die Spielarten lokal intelligent und/oder autonom agierender und kooperierender Systeme diskutiert. Es wird versucht, die Potenziale zu erforschen, die sich durch eine nahezu grenzenlose Vernetzung dieser Akteure im \'Internet der Dinge\' eröffnen werden.

Die Firma Hanning Elektro-Werke, ein international tätiger mittelständischer Hersteller kundenspezifischer Antriebssysteme mit rund 1.500 Mitarbeitern weltweit, hat diesen Trend bereits vor einigen Jahren erkannt. Mit einem hochkarätigen Konsortium aus wissenschaftlichen Partnern (HS Ostwestfalen-Lippe, Fraunhofer IIS/EAS, Uni Paderborn, RWTH Aachen) einem industriellen Anwendungspartner (Interroll Trommelmotoren GmbH) und methodischer Betreuung durch die InTraCom Group, hat Hanning in den vergangenen drei Jahren im Förderprojekt AutASS in dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) geförderten Technologieprogramm \’Autonomik – Autonome und simulationsbasierte Systeme für den Mittelstand\‘ gearbeitet. AutASS steht für Autonome Antriebstechnik durch Sensorfusion für die intelligente, simulationsbasierte Überwachung und Steuerung von Produktionsanlagen.

Autonome Motoren an intelligente Sensoren

Das Ziel von AutASS war so einfach wie anspruchsvoll. Der moderne Antriebsmotor soll die ohnehin vorhandene Hardware nutzen und durch Auswertung seiner Stromsignatur \’autonom\‘ in der Lage sein, klare und eindeutige Aussagen zu seinem eigenen Wohlbefinden und zum Zustand der Applikation in seiner Umgebung zu machen. Hierzu soll er keine weitere externe Sensorik, Signal- und Datenverarbeitung benötigen. Gibt man dann einem \’Schwarm\‘ solcher Motoren noch Kommunikationsfähigkeit und eine passende Architektur, (z.B. über ein Multiagentensystem), dann wird das Potenzial, das in der Idee von AutASS steckt, deutlich sichtbar. Die Motoren in einer Anlage können dann als autonome, intelligente Sensoren agieren, die wiederum kollektiv in der Lage sind, übergeordnete Betriebs- oder Fehlerzustände zu detektieren. Im Idealfall können sie auch gleich einen Regelkreis schließen, um damit die detektierten Probleme zu lösen. Externe Sensoren, aufwändige Installationen, ein zentraler Steuerungsrechner und zusätzliche Aktoren würden dazu dann nicht mehr benötigt.

Simulation und Prüfstand

Der erste und entscheidende Schritt bei der Bearbeitung des Projektes war, bei allen Beteiligten ein gemeinsames Verständnis für die Aufgabe zu schaffen und ein Lastenheft zu erarbeiten. Umgesetzt wurde das über ein mehrgleisiges Vorgehen: Betreut durch die Firma InTraCom wurde eine Quality Function Deployment (QFD) Analyse und eine Delphi Befragung durchgeführt. Die systematische, mehrstufige Delphi-Befragung gab wichtige Impulse von außen. In der QFD wurde dann ein umfangreiches \’House of Quality\‘ aufgesetzt und ausgewertet. Neben den Ergebnissen dieses Vorgehens war dabei der Prozess der QFD selbst extrem hilfreich, um bei allen Projektpartnern ein kongruentes Bild der Aufgabe zu erzeugen und Kommunikationsprobleme im Team sehr effizient zu verhindern. Parallel dazu wurde eine Failure Mode and Effects Analysis (FMEA) eines typischen Synchronmotors in einer Industrieumgebung erarbeitet. Diese Vorgehensweise lieferte erste Anhaltspunkte, welche Fehler/Ereignisse mit besonders hoher Priorität klassifiziert und erkannt werden sollten. Nach diesen Vorbereitungen startete die Bearbeitung des Projektes in den jeweiligen Domänen der Projektpartner. Es war notwendig, im Projektverlauf jederzeit reproduzierbare und leicht variierbare Use-Cases sowohl zum Anlernen eines kognitiven Systems als auch zur Klassifizierung möglicher (Schadens-) Ereignisse zur Verfügung zu stellen. Dazu wurde der Motor in seiner Umgebung (exemplarisch ein Trommelmotor und ein Spindelverstellantrieb) und hochpriore mögliche Fehler (s.o.) sowohl detailgetreu simuliert als auch auf einem Prüfstand unter kontrollierten Randbedingungen nachgebildet. Das parallele Vorgehen von Simulation und Prüfstand vereint dabei die Vorteile beider Welten. Zur Feststellung der Auswirkungen von verschiedenen Motorzuständen auf die Stromsignatur des Motors und zur Erzeugung repräsentativer Messdaten wurde ein umfangreicher Versuchsplan ausgearbeitet. Mit den Methoden des Design of Experiments (DoE) wurde dieser Versuchsplan auf ein notwendiges und im Projektverlauf realisierbares Mindestmaß an Versuchen reduziert. Während der Abarbeitung der Versuche wurden die Phasenströme gemessen und gespeichert. Am Prüfstand erfolgte der Betrieb des antreibenden Motors dabei sowohl idealisiert mit einer analogen Spannungsquelle (mit rein sinusförmiger Ausgangsspannung) als auch mit einem handelsüblichen Umrichter. Die Phasenströme wurden dann einer Signalverarbeitung unterworfen, digitalisiert und mittels unterschiedlicher Methodiken hinsichtlich ihrer spektralen Verteilung untersucht. Nach der Extraktion zustandsbeschreibender Merkmale ergibt sich dadurch ein Merkmalsraum, der wiederum Hinweise auf eine Klassenzugehörigkeit enthält. Während des Projektes wurden in zahlreichen Versuchen Auswertealgorithmen auf ihre Eignung hin untersucht. Bei der ausgewählten Vorgehensweise ist die Existenz eines \’Fehlerindikators\‘ besonders interessant und praxisnah. Er stellt ein Maß für die Plausibilität der gefundenen Klassifizierung und damit der Zuordnung zu einem bekannten und vorher gelernten Anlagenzustand dar. Darüber hinaus kann er aber auch als Aussage dafür dienen, dass die aktuelle Situation des Gesamtsystems eben keinem bekannten Zustand – also auch nicht dem Zustand \’gesund\‘ – entspricht. Diese Aussage kann daher bereits gut als Hinweis für nötige (Gegen-) Maßnahmen genutzt werden.

Sichere Schadenserkennung

Bild 3 zeigt, dass bei den ersten Messungen links (rote Kreise) eine einwandfreie Zuordnung zu den Klassen möglich ist und der Fehlerindikator im Bild 4 einen entsprechend niedrigen Wert zeigt. Die Messungen im rechten Teil des Bildes konnten nicht einwandfrei zugeordnet werden, der Fehlerindikator weist hier einen deutlich höheren Wert auf. Auf Basis dieses Signalverarbeitungskonzeptes konnte der Nachweis der prinzipiellen Anwendbarkeit der AutASS-Funktionalität erbracht werden. Auf der Autonomik Abschlussveranstaltung in Berlin im Januar dieses Jahres wurde ein Demonstrator mit einem Hanning Kompaktantrieb gezeigt, der einen Lagerschaden in einer angeflanschten Applikation sicher erkennen konnte. Das Ergebnis konnte dabei mit einer \’AutASS-App\‘ über das Internet in Echtzeit abgefragt werden (Bild 5). Derzeit befindet sich ein Prüfstand in der Inbetriebnahme, der die Robustheit der AutASS-Algorithmik in der Endkontrolle der Motorenfertigung bei Hanning an einer Vielzahl von Motoren überprüft und ggf. eine Basis für Optimierungen liefert. Anschließend soll die AutASS-Algorithmik schrittweise in kundenspezifische Applikationen einfließen. Als Plattform für die marktseitige Umsetzung der \’AutASS-Technologie\‘ ist von Hanning der neue 1,1kW Synchron-Kompaktantrieb vorgesehen. Er verfügt über eine motornahe Antriebselektronik im B-Lagerschild und wurde dafür vorbereitet, zusätzliche Hardware für die AutASS-Funktionalität im Klemmkasten unterzubringen.

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VDI/VDE Innovation + Technik GmbH

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