Das große Wertversprechen

Zur dritten Ausgabe des Fachkongress Losgröße 1 und Mass Customization hatte das SPS-MAGAZIN gemeinsam mit SV-Veranstaltungen Ende Februar ins Technikmuseum nach Speyer geladen. Die Teilnehmer erwartete ein abwechslungsreiches Programm aus Fachvorträgen, Diskussionsrunden, Workshops und Werksbesichtigung. Die thematische Konstante bildete dabei die individualisierte Massenproduktion - wenngleich der Blick immer wieder über den Tellerrand der Automatisierungs- und Produktionstechnik hinausging.
Bild: Süddeutscher Verlag Veranstaltungen GmbH

Den Start machte Moderator Prof. Roman Dumitrescu, der wie in den vergangenen Jahren auch den ersten Impulsvortrag des Kongresses übernahm. Der Direktor des Fraunhofer IEM zeigte disruptive Veränderungen durch Digitalisierung anhand bekannter Beispiele aus der Consumer-Welt auf – von Amazon und Paypal über Netflix bis hin zu Twitter – und beleuchtete deren Erfolgsgeheimnisse. Für eine Adaption solch neuer Geschäftsmodelle auf den Maschinenbau stellte er die Frage in den Raum: „Wie schnell können sich Investitionen in die Digitalisierung hier überhaupt auszahlen?“ Man dürfe mit seinen Erwartungen nicht zu hoch ansetzen, schließlich hätten sich die oben genannten Namen meist zehn Jahre und mehr mit der Digitalisierung auseinander gesetzt, bis sie die Firmen zum Erfolg führte. „Bei der Umstellung vom Direktverkauf auf flexible Geschäftsmodelle ist also Durchhaltevermögen gefragt und eine ganzheitliche, systematisch erarbeitete Strategie“, resümierte Dumitrescu. „Ohne digitale Vision keine digitale Transformation!“ Man müsse deshalb immer mit der Strategie beginnen und nicht mit der Technologie.

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Personalisierung von Druckerzeugnissen

Die Keynote am ersten Veranstaltungstag steuerte Bernd Zipper bei, Spezialist für Losgröße 1 im Printbereich. Der Berater lud die Zuhörer zu einem Perspektivenwechsel ein: Raus aus der Produktion – rein in die Welt der Druckerzeugnisse. Anhand von Erfolgsgeschichten, eigenen Erfahrungen und neuen neuronalen Erkenntnissen aus der Gehirnforschung machte er klar, wie die Personalisierung von Druckerzeugnissen den Konsumenten prägt. So geht es um eine direkte Ansprache und die Veredelung der Waren, aber genauso wichtig ist die Botschaft, die sich mit den Produkten schaffen lässt. Auch der Wunsch des Kunden auf Mitsprache und Einfluss auf den Entstehungsprozess ist nicht zu unterschätzen. „Exklusiv, individuell und cool – diese Kombination sticht“, fasste es Zipper zusammen und schlug wieder die Brücke zum Maschinenbau. „Die moderne Drucktechnik ermöglicht heute ein nie dagewesenes Maß an Individualisierung.“

Individualität aktueller denn je

Frank Piller, Professor an der RWTH Aachen und Fachbeirat der Veranstaltung, startete seinen Vortrag nicht selbst, sondern ließ sich von seinem eigenen digitalen Avatar vorstellen. Damit zeigte er anschaulich, welche Möglichkeiten für die Personalisierung die moderne digitale Welt bietet. „Mehr als 20 Jahre, nachdem der Begriff Mass Customization geprägt wurde, ist das Konzept aktueller denn je“, folgerte Piller. „Kundenindividualität mit der Effizienz der Massenproduktion ist eines der großen Werteversprechen von Industrie 4.0.“ Gerade künstliche Intelligenz bzw. maschinelles Lernen versprächen ein großes Potenzial. Schon heute kann ein smarter Algorithmus mit einer Trefferquote von über 85 Prozent vorhersagen, ob ein neues Feature für einen Fahrradhelm auf dem Markt Erfolg haben wird – allein durch die Auswertung entsprechender Daten auf Crowfunding-Plattformen. Prof. Andreas Herrmann von der Universität St. Gallen referierte in seinem Vortrag ‚Aus Daten lernen‘ über Big Data und Mass Customization in der Automobilindustrie. Während sich heute die Individualisierung für den Fahrer auf voreingestellte Sitzhöhe, Spiegelposition oder den bevorzugten Radiosender beschränkt, will man im nächsten Schritt aus dem Fahrverhalten auf den Fahrer zurückschließen. Mit ausreichend Daten lässt er sich dann bis annähernd 100 Prozent als Individuum rekonstruieren. Laut Herrmann geht es dabei nicht nur um Fahrgewohnheiten, Effizienz oder Risikobereitschaft. Forschungsprojekte belegen, dass auch Stress, Müdigkeit oder ein niedriger Blutzuckerspiegel feststellbar ist. Sogar chronische Krankheiten der Fahrer lassen sich identifizieren: von Parkinson über Diabetes bis hin zu Depressionen – und das teilweise mit besseren Erfolgsraten als über klassische medizinische Methoden.

Nach den Ausführungen aus Forschung und Lehre holten drei Best-Practise-Vorträge die Zuhörer wieder auf den Boden der Praxis zurück. Der erste Vortrag kam von Recaro und beleuchtete den Paradigmenwechsel im eigenen Haus am Beispiel der Luftfahrtbranche. Weil es viele verschiedene Sitzarten im Flieger gibt und sich jede Airline über deren Ausstattung differenziert, nutzt der Sitzhersteller hier einen Baukasten und modulares Engineering. Im zweiten Fallbeispiel zeigte Markus Sandhöfner, Geschäftsführer von B&R Deutschland, gemeinsam mit Stefan Pöschl, Head of Technology Development bei Krones, wie sich die individualisierte Getränkeproduktion mit Hilfe des flexiblen Transportsystems AcoposTrak umsetzen lässt. Es vermeidet durch elektronische Weichen Engpässe sowie Staustrecken und umgeht Hindernisse. Zudem ist mit dem Tausch der Werkstückträger ein Produktwechsel on the fly möglich, sogar per Roboter. Im Ergebnis bietet die realisierte Krones-Pilotanlage eine spezifische Mischung aus 13 Produkten, zwölf Direktdruckdesigns, einen individuellen Schriftzug und vier Deckelfarben. Die dritte Case Study wurde aus der Möbelindustrie beigesteuert. Weitere Bestandteile der Veranstaltung waren verschiedene Diskussionsrunden und die begleitende Fachausstellung. Das Highlight des zweiten Kongresstages war der Besuch der Daimler-Fertigung in Wörth. Dort erwartete die Teilnehmer nicht nur eine Keynote. Sie konnten anschließend auch die Unimog-Fertigung besichtigen und sogar eine Runde über das Testgelände drehen. (mby)

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