Künstliche Intelligenz für die Automatisierungstechnik

KI gibt es nicht von der Stange

Das Potenzial von künstlicher Intelligenz in der Produktion wird immer besser sichtbar. Parallel steigt auch das Angebot für KI-Funktionalität in der Automatisierungstechnik. Mitsubishi Electric fasst unter der Marke Maisart einen bunten Strauß an entsprechenden Features zusammen. Auf welche Anwendungsbereiche sie abzielen und ob sie wirklich schon einsatzbereit sind, darüber hat das SPS-MAGAZIN in der europäischen Zentrale in Ratingen nachgefragt.

Mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz zielt Mitsubishi Electric nicht nur auf smartere Produkte ab, sondern auch auf höhere Sicherheit und mehr Benutzerkomfort. In der Konsequenz will sich das Unternehmen mit der KI-Plattform Maisart nicht nur im Geschäftsbereich der Automatisierungstechnik positionieren, sondern vielmehr ganzheitlich über ein breites Branchenspektrum. So werden die smarten Algorithmen aus dem KI-Programm bereits für die Steuerung von Klimaanlagen, die Navigation von mobilen Einheiten oder die vorausschauende Wartung von Robotern eingesetzt. Technologisch kombiniert die Plattform verschiedene Ansätze: Deep Learning, Reinforcement Learning und Big Data Analytics. Doch wie profitiert das Anwendersegment der Maschinenbauer und Fertigungsunternehmen von diesem Angebot? Dazu geben Division Manager Stefan Knauf und Marketing Manager Jan-Philipp Liersch Auskunft.

Mitsubishi Electric hat schon 2017 sein Maisart-Konzept vorgestellt. Wie weit sind Sie mittlerweile damit gekommen?

Stefan Knauf: Aktuell werden immer mehr KI-Features aus unserer Entwicklung in konkrete Produkte überführt. Solche Smart-Plus-Optionen bieten wir in der Automatisierungstechnik etwa schon für Steuerungen, Servoantriebe oder Roboter an.

Jan-Philipp Liersch: Dabei verfolgen wir einen besonderen Ansatz, denn Maisart nötigt den Anwender nicht dazu, Mehrwert nur über die Cloud und mit einer Riege von Data Scientists generieren zu können. Ganz im Gegenteil: Unsere Philosophie ist es, die KI schon dort zu nutzen, wo die Daten generiert werden. Nur dann kann man Rückschlüsse direkt ziehen und Maßnahmen unmittelbar zurück in den Prozess – sprich die Maschine – spielen. Gleichzeitig reduzieren sich der Datenverkehr, die vorzuhaltende Serverkapazität oder nötige Security-Anstrengungen.

Knauf: Im Zweifel vereinfachen sich nicht nur die Strukturen, sondern auch die Geschäftsprozesse. Denn nicht alle Datensätze müssen zwingend in höhere Ebenen weitergeleitet werden – Smart Data statt Big Data lautet die Devise: Daten aufzeichnen, aussortieren, auswerten. In der Folge kann der Anwender KI-Funktionen über die Hardware von Mitsubishi Electric schnell und unkompliziert im Prozess integrieren. Bei Bedarf lässt sich aber natürlich auch eine umfassende und individuelle Datenanalyse, z.B. auf dem Edge-Level umsetzen. Auch hier ist Maisart bereits bei einigen Kunden in der Anwendung.

Wie erfahren Kunden, ob Maisart überhaupt passende KI-Features für ihr Anliegen bereit hält?

Knauf: Es bringt uns wenig, pauschal das komplette Portfolio an Algorithmen zu präsentieren. Stattdessen starten wir anders herum und fragen den Kunden, welches Ziel er überhaupt hat bzw. welches Problem er lösen will. Bezogen auf einen Herstellungsprozess geht es meist um die Punkte: Wie lassen sich Fehler vermeiden? Und welche Faktoren haben überhaupt Einfluss auf die Qualität der Produkte? Deshalb bezieht unser Ansatz ganz bewusst die Leute an der Maschine mit ein. Denn sie haben ja in der Regel die meiste Erfahrung und wissen am besten, wo es im Prozess klemmt.

Liersch: Bis ein Datenanalyst in der Cloud auf Schwachstellen kommt, verliert man im Zweifel viel Zeit. Der Einsatz einer Big-Data-Lösung ist also viel aufwendiger, als wenn man die lokal erfassten Daten nutzt. Gerade wenn man direkt mit den Verantwortlichen für die unterschiedlichen Prozessschritte über die für sie relevanten Daten spricht. KI gibt es eben nicht von der Stange.

Sie müssen also individuell

auf jeden Kunden zugehen?

Liersch: Richtig. Auch weil die Maschinenbauer und Endanwender beim Thema KI unterschiedlich weit sind. Wir haben Kunden, die schon viel Erfahrung bei der Datenanalyse gesammelt haben. Sie können mit uns auf einem anspruchsvollen Level diskutieren. Für andere Firmen ist das Thema oft noch schwer greifbar. Dann fängt man ganz vorne, bei den KI-Basics an.

Knauf: Doch egal ob KMU oder Konzern, ob Maschinenbediener oder technischer Geschäftsführer: Es braucht immer einen, der eine Idee hat, mit KI künftig Mehrwerte zu schaffen. Die großen Visionen kommen eher aus den oberen Etagen. Die konkreten Ideen meist aus dem Fertigungslevel. Letztlich muss künstliche Intelligenz aber durchgängig auf allen Ebenen angenommen werden. In diesem Sinne lässt sich aktuell gut beobachten, das sowohl das Anwendungsspektrum für KI wächst als auch die Bereitschaft sie zu nutzen.

Liersch: Ein Bereich, in dem sich das sehr anschaulich darstellen lässt, ist die Robotik.

Inwiefern?

Liersch: Die Komplexität der Robotersysteme nimmt immer weiter zu. Es bedarf smarter Algorithmen und ausreichend Rechenleistung, um die Anwendungen weiterhin beherrschbar zu halten. Das beste Beispiel ist der Trend zu einer direkten Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter. Um diese sicher und sinnvoll zu gestalten, bedarf es künstlicher Intelligenz. Ohne wäre ein Roboter wie der Melfa Assista von Mitsubishi, der sich auf Knopfdruck von einem klassischem Industrieroboter in einen Cobot verwandelt, überhaupt nicht denkbar. Die Kinematik ist sogar so smart, dass an vielen Stellen auf zusätzliche Sensorik verzichtet werden kann. Allein durch die intelligente Regelung erhält sie kollaborative Fähigkeiten.

Knauf: Ein weiterer Bereich, in dem man die Entwicklung von KI-Features gut beobachten kann, ist die industrielle Bildverarbeitung. Hier ist KI ja schon viele Jahre im Einsatz – etwa bei der Erkennung von Gut- und Schlechtteilen. Durch die steigende Rechenleistung und verbesserte Algorithmen schreiten die Möglichkeiten von Robot Vision immer weiter voran. Soweit, dass Roboter heute die nötige Parametervielfalt beherrschen, um etwa die Qualitätskontrolle von Naturprodukten in der Lebensmittelindustrie – also Obst oder Gemüse – zu übernehmen.

Und der Anwender soll ohne KI-Spezialwissen Schritt mit dieser Entwicklung halten?

Liersch: Das ist ein zentraler Aspekt für den Erfolg. Deshalb ist die unkomplizierte Anwendbarkeit von KI-Funktionen unsere oberste Devise. Ob es um Optionen wie Temperaturkompensation, Kraft/Momenten-Regelung oder autonome Bahnplanung geht: Natürlich nutzen unsere KI-Lösungen komplexe Modelle. Wir bereiten sie aber für eine einfache Nutzung auf. Der Anwender muss also kein großes KI-Knowhow mitbringen. Zudem kann er auch im Kleinen, mit einzelnen Funktionen an einer Maschine starten. In weiteren Schritten lässt sich der Einsatz von künstlicher Intelligenz dann über das Edge-Level oder die Cloud auf die komplette Fabrik ausweiten. Auch darauf ist das Konzept von Maisart von vorneherein ausgelegt.

Ist Ihre heutige Generation an Automatisierungshardware denn schon durchgängig KI-fähig?

Knauf: Bei Maisart hat es Mitsubishi Electric geschafft, neuronale Netze so zu dimensionieren, dass sie in eine Firmware passen. Diese wird jetzt auf immer mehr Produkte aus dem Mitsubishi-Electric-Portfolio übertragen und hält – weil Maisart bereichsübergreifend aufgesetzt ist – auch in immer mehr Anwendungsbereiche und Branchen Einzug. Von der Automatisierung über die Gebäudetechnik bis hin zu Automotive. Auf dieser Reise lässt sich meines Erachtens gut beobachten, dass die Zeit für den Einsatz von KI in der Produktion jetzt wirklich reif ist. Immer mehr Anwender haben verstanden, welches Potenzial dort schlummert. Auch der der Generationswechsel auf Ingenieurs- und Technikerseite trägt zu besserer Wahrnehmung bei. Nicht zuletzt hat man ja auch im privaten Umfeld immer mehr Berührungspunkte mit künstlicher Intelligenz.

Beobachten Sie diese Entwicklung auch bei den eigenen Mitarbeitern?

Knauf: Auf jeden Fall. Voraussetzung für den Erfolg von Maisart ist es letztlich auch, das eigene Team fit für künstliche Intelligenz zu machen. Erst dann können wir KI-Funktionen im großen Stil in den Markt bringen. Das ist aber – ehrlich gesagt – ein längerer Prozess, in dem wir noch mitten drin sind.

Liersch: Eine große Hilfe ist hierbei unser e-Factory-Netzwerk. Denn es bietet ja überall dort, wo das Portfolio von Mitsubishi Electric Grenzen hat, unglaublich vielseitige Erweiterungsoptionen. Und so finden sich unter den Partnern viele Firmen, die bereits spezielles Handwerkszeug für die Implementierung von KI mitbringen – und bei entsprechenden Anwendungen wertvolle Unterstützung leisten. Das große Ziel von Mitsubishi Electric bei Maisart ist es einen echten Industriestandard für KI im Markt zu implementieren – die Abkürzung steht ja für Mitsubishi Electric’s AI creates the State-of-the-Art in Technology. Und so etwas geht bekanntlich am besten Hand in Hand mit Partnern und dem Kunden.

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