Mit der Maschinenverordnung setzt die EU ein Zeichen und misst dem Thema mehr Bedeutung bei: Im Gegensatz zur „alten“ Maschinenrichtlinie (MRL), die von den Mitgliedstaaten durch eigene Gesetze in nationales Recht überführt werden musste, hat eine EU-Verordnung selbst schon Gesetzesrang. Das heißt, sie gilt unmittelbar und steht über eventuell abweichenden nationalen Bestimmungen, da sie in der Gesetzespyramide höher einzuordnen ist als nationale Gesetzte und sogar Verfassungen. Nach einer Übergangsfrist von 42 Monaten ist sie ausschließlich anzuwenden. Die bislang gültige MRL war in Teilen nicht mehr zeitgemäß und deckte angesichts der technischen Entwicklungen nicht mehr alle Risiken ab. Nicht nur deshalb ist die MVO ein längst überfälliger Schritt, um die Anforderungen an die Maschinensicherheit dem Stand der Technik anzupassen. Die EU überführt die Vorschriften zur Maschinensicherheit mit der MVO in das Format des New Legislative Framework (NLF). Das seit 2010 gültige Konzept dient dazu, Standards zu vereinheitlichen. Das NLF legt die Regeln für die Konformitätsbewertung fest, macht Vorgaben für Prüforganisationen und deren Akkreditierung und regelt die Überwachung des Markts.
Vom Betreiber zum Händler
Insgesamt sind die Anforderungen bezüglich der Maschinensicherheit konkreter geworden. Der Terminus „Wirtschaftsakteure“, wie er bisher schon im NLF verwendet wurde, hat nun Eingang in die MVO gefunden. Damit sind die Betroffenen erstmals explizit benannt, wie auch die Anforderungen an diese. Ausdrücklich neu genannt werden: Händler, Importeure und Bevollmächtigte. Auch Maschinenbetreiber sind betroffen, wenn sie Gebrauchtmaschinen verkaufen möchten und damit zum Händler werden. Für ganze Branchen gilt die Verordnung somit erstmals. Denn der erweiterte Geltungsbereich umfasst alle, die innerhalb der EU Maschinen verkaufen, in Verkehr bringen oder betreiben.
Sicherheit im Industrial Internet of Things
Die grundlegende Veränderung durch die Digitalisierung hat die MRL sicherheitstechnisch noch nicht berücksichtigt. In diesem Punkt schreitet die neue MVO ordnungspolitisch am weitesten voran. Wobei das Spektrum weit gefächert ist – angefangen vom online Bereitstellen von Dokumenten über die automatisierte Konformitätserklärung bei modularen Anlagen bis hin zum Einsatz künstlicher Intelligenz (KI). So erlaubt die MVO, Dokumente, wie Betriebsanleitungen oder Konformitätserklärungen, in besonderen Fällen, online zur Verfügung zu stellen. Diese müssen dann allerdings mindestens zehn Jahre oder über die erwartete Lebensdauer der Maschine zugänglich sein. Wenn Hersteller diese Option nutzen möchten, müssen sie den dauerhaften, verlässlichen Zugang zu den digitalen Dokumenten gewährleisten und die Informationen z.B. über einen Link oder QR-Code auf dem Produkt selbst verfügbar machen.
In die Digitalisierung fällt auch die Risikobewertung von „autonomen“, das heißt hochautomatisierten Maschinen. Bei solchen Maschinen müssen auch die Ansätze des maschinellen Lernens berücksichtigt werden, die Sicherheitsfunktionen gewährleisten. Damit bezieht sich die Verordnung auf die Risiken, die durch den Einsatz von KI-Systemen entstehen können. Explizit ausformuliert ist auch die Anforderung, dass Maschinenhersteller für die Korrumpierungssicherheit sorgen müssen. Das heißt, sie müssen Maßnahmen gegen externe Manipulationen, wie durch Hacker-Angriffe, implementieren. Hierfür legt die MVO grundlegende und detaillierte Anforderungen an den Sicherheits- und Gesundheitsschutz fest.
Konkreter, umfangreicher, verlässlicher
Die Kategorie ‚Hochrisikomaschinen‘ ist nun wesentlich ausdifferenzierter. Sind werden im Anhang I, Teil A und Teil B gelistet. Darunter fallen beispielsweise Fahrzeughebebühnen, aber auch selbstlernende bzw. teilweise selbstlernende Maschinen bzw. Maschinen mit KI-gestützten Sicherheitsbauteilen sowie die Software selbst, die Sicherheitsfunktionen erfüllt (inkl. der KI). Zu beachten ist, dass diese Liste von der Kommission durch delegierte Rechtsakte verändert werden kann. Je nach Einschätzung zum Risiko und Erkenntnissen z.B. aus Unfallgeschehen kann eine Zuordnung in den jeweils anderen Teil des Anhangs I, eine Löschung oder auch Ergänzung vorgenommen werden. Gilt ein Produkt als Hochrisikomaschine bedingt das meist ein aufwändigeres Konformitätsbewertungsverfahren. Darüber hinaus ist gegebenenfalls eine benannte Stelle zwingend hinzuzuziehen (Produkte im Anhang I Teil A).
Eine wesentliche Modifikation (bisher wesentliche Veränderung) macht eine neue Konformitätserklärung erforderlich. Das war zwar bisher schon so, allerdings wurde der Begriff für Deutschland „nur“ durch ein Interpretationspapier des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales definiert. Die MVO gibt mit der Definition europaweit Einheitlichkeit und Klarheit darüber, wann eine Maschine als „neu“ zu behandeln ist. Demnach ist eine Veränderung wesentlich, wenn sie die Sicherheit der Maschine beeinträchtigt, weil eine neue Gefährdung entsteht oder sich ein bestehendes Risiko erhöht und es dadurch nötig wird, die Maschine um Schutzeinrichtungen zu ergänzen oder Schutzmaßnahmen zu ergreifen, welche die Stabilität oder Festigkeit der Maschinen gewährleisten. Ein Modul zur Einzelprüfung soll eine Erleichterung bieten für Hersteller von Einzelprodukten und Kleinserien. Auch Gebrauchtmaschinenhändler werden von dieser Regelung profitieren. Zudem wurden die Anforderungen an die Sicherheit und Zuverlässigkeit von Steuerungen präzisiert. Die Anforderungen an die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei Mensch-Maschine-Interaktionen sind höher, vor allem für autonome Maschinen.
Die Herausforderung steckt im Detail
Die Aufnahme des Themenkomplexes Digitalisierung ist ein großer und wichtiger Sprung nach vorn. Zudem erweitert die Verordnung manche Anforderungen bzw. differenziert diese und weitet das Anwendungsgebiet aus. Eine Revolution ist die MVO indes nicht. Denn grundlegend geändert hat sich nicht viel. Hersteller und Betreiber sowie Behörden und Prüforganisationen werden mit den Neuerungen gut umgehen können. Nichtsdestotrotz werden sich alle mit den Details der neuen Bestimmungen auseinandersetzen müssen. Hier wären u.a. neue Bezeichnungen/Begrifflichkeiten zu nennen. Auch die geänderte Struktur könnte anfangs Fragen aufwerfen.
Übergangsphase nutzen
Nicht zuletzt bleibt Anpassungsbedarf bei den harmonisierten Normen. Standards und technische Regeln, die sich bislang an der MRL oder nationalen Bestimmungen orientierten, müssen nun der Verordnung angepasst werden. Das könnte in Einzelfällen länger dauern als die 42 Monate, die als Übergangsfrist für die MVO vorgesehen sind. Gerade bei Unternehmen, die keine eigenen Fachleute für Maschinensicherheit haben, könnten das zu Unklarheiten führen. Auch kann noch nicht abgeschätzt werden, wie schnell der Markt insgesamt reagiert. Ab 20.01.2027 gilt die MVO ausschließlich. Es empfiehlt sich aber, den Stand der Technik jetzt schon anzupassen. Die meisten Produkte erfordern keine Prüfung durch eine benannte Stelle. Unternehmen, die sich frühzeitig mit den neuen Anforderungen auseinandersetzen, verbessern ihre Marktposition.