Frau Gaißert, Ihre derzeitige Berufsbezeichnung bei Festo lautet Referentin Portfolio Projects. Was sind Ihre Aufgaben in dieser Position?
Nina Gaißert: Ich habe sechs Jahre in der Bionikabteilung gearbeitet mit dem Ziel von der Natur zu lernen und Innovationen für die Industrie zu generieren. Die letzten zwei Jahre war ich in der Forschung tätig und habe unter anderem an Festos PhotoBionicCell und der BionicCellFactory mitgearbeitet. Ziel dieser Projekte ist es, Mikroorganismen industriell zu nutzen. In diesem Fall sind das Algen, die CO2 aus der Luft aufnehmen und daraus ein bestimmtes Produkt generieren. Festo sieht einen großen Zukunftsmarkt in der Verschmelzung von Biologie und Technik. Meine Aufgabe ist es jetzt, herauszufinden, wie sich dieser Markt gestalten wird. Ich versuche, zu verstehen, wie die Industrie der Zukunft aussehen wird und welche Produkte Festo braucht, um industrielle Abläufe zu automatisieren.
Dafür muss ich in erster Linie Gespräche führen, und zwar mit potentiellen Forschungspartnern, aber auch mit den zukünftigen Playern in diesem neuen Markt. Was können diese Unternehmen, was brauchen sie? Wo gibt es gegebenenfalls noch Verbesserungspotenzial seitens der Produkte von Festo? Im Moment besteht meine Arbeit vor allem darin, viel zu lesen, zu telefonieren oder Veranstaltungen zu besuchen und Marktforschung zu betreiben. Dabei ist es wichtig, Kreativität einfließen zu lassen. Außerdem muss ich auch inhouse mit vielen Kollegen sprechen, um herauszufinden, wie weit Festo bereits ist. Dabei eruiere ich auch, wo genau die Hürden bei der Produktentwicklung liegen und wie wir diese überwinden können.
Das ist eine komplexe Tätigkeit, vor allem da industrielle Prozesse heute wesentlich komplexer sind, als noch vor 20 oder 30 Jahren. Wichtig ist hier die interdisziplinäre Zusammenarbeit. So braucht man für unser Ziel nicht nur Biologen, man braucht auch Techniker und Informatiker. Diese Leute will ich an einen Tisch bringen und dafür sorgen, dass sie auch dieselbe Sprache sprechen.
Mein Job gefällt mir deshalb so gut, weil er mich zuversichtlich stimmt, dass ich die Zukunft mit den Innovationen, die wir entwickeln, positiv beeinflussen kann. Technische Innovationen waren schon immer der Antrieb von Festo und meine Projekte zahlen direkt darauf ein. Deutschland hat eine tolle Forschung, z.B. mit der Max-Planck- und der Fraunofer-Gesellschaft. Im Gegensatz zu den USA ist Deutschland aber nicht so gut darin, die Forschungsergebnisse dann auch in markttaugliche Produkte zu überführen. Bei Festo sitze ich an einer entscheidenden Schnittstelle und sorge mit dafür, dass diese Forschungsprojekte auch tatsächlich umgesetzt werden. Das gibt mir viel.
Welche Fähigkeiten und Qualifikationen mussten Sie für Ihre jetzige Postion mitbringen?
Ich habe Wissen in der Biologie mitgebracht und mir dazu dann das technische Knowhow angeeignet. Studiert habe ich technische Biologie an der Universität Stuttgart. Schon damals musste ich mir technische und biologische Grundlagen aneignen, um zu verstehen, wie sich die Biologie in die Technik integrieren lässt.
Welche Herausforderungen mussten Sie auf dem Weg in Ihre jetzige Position meistern?
Da fallen mir direkt zwei Aspekte ein. Biologie und Technik sind immer noch zwei getrennte Welten. Biologen und Techniker sprechen nicht dieselbe Sprache. Beide Sprachschätze erst zu lernen und dann für beide Parteien jeweils zu übersetzen, war durchaus eine Herausforderung für mich. In meinem Berufsalltag kommt es trotzdem immer wieder zu Missverständnissen oder man kann Themen, von denen man überzeugt ist, nicht durchsetzen, weil die anderen Parteien am Tisch nicht überzeugt sind. Da muss man zuversichtlich bleiben und viel miteinander in den Austausch gehen.
Die zweite Herausforderung für mich als Frau ist ganz klar die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ich habe zwei Kinder und arbeite in Teilzeit mit 32 Stunden. Daher teile ich meine Ressourcen konsequent ein. Dafür muss auch der Vorgesetzte Verständnis haben. Meiner Meinung nach ist es unsere gemeinsame Aufgabe, den Workload so zu verteilen, dass jeder ihn in seiner Arbeitszeit erledigen kann.
Ich habe meinen jetzigen Job vor Kurzem begonnen. Ich mache ihn gerne, er macht mir Spaß und ich möchte ihn gut machen. Aber ich muss klar definieren, was kann ich schaffen und wo brauche ich Hilfe. Dass ich diesen Job in Teilzeit ausüben will, habe ich von Anfang an klar kommuniziert. Aber ich muss natürlich genauso wie jeder andere Deadlines einhalten und meine Projekte stringent durchziehen. Ich muss auch Aufgaben delegieren oder abgeben bzw. mir von einer Kollegin oder einem Kollegen zuarbeiten lassen. Ich darf nicht zu allem Ja sagen, sondern muss mich auf meine Projekte und Aufgaben beschränken.
Was glauben Sie, warum Positionen im Tech-Bereich immer noch selten mit Frauen besetzt sind?
Weil es wenig Frauen gibt, die im MINT-Bereich studieren. Viele Frauen interessieren sich mehr für zwischenmenschliche oder soziale Jobs. Es gibt also schon von vorneherein weniger Absolventinnen und davon bleiben dann noch einige zu Hause, wenn sie Kinder bekommen. Strebt man in diesem Bereich eine akademische Karriere an, muss man sich im Prinzip mit einem Alter von höchstens 35 auf eine Professur bewerben. Wenn ich aber bis dahin Kinder bekommen habe, habe ich meist schlechtere Karten. Denn dann stehe ich als Frau Männern gegenüber, die drei bis fünf Jahre länger publiziert haben, und bin schon deshalb raus. Meiner Meinung nach müsste man Frauen bei diesen Altersgrenzen drei Jahre abziehen, um sie mit den Männern gleichzustellen. Denn in der Regel nehmen Männer, wenn Sie überhaupt Elternzeit beanspruchen, höchstens zwei bis sechs Monate Elternzeit, und auch das selten im Wechsel mit der Frau.
Es ist wichtig, dass Männer und Frauen an einem Strang ziehen und jeder Mensch sich auf seine Stärken konzentriert. Man muss zeigen, was man kann, und auch darüber sprechen. Frauen müssen dafür einstehen, dass sie gute Arbeit leisten, und das eben auch in Teilzeit, in jedem Alter und unabhängig davon, ob sie Kinder bekommen oder nicht. Dann gibt es in Deutschland viele Möglichkeiten, seinen Weg zu gehen. Wir leben in einem privilegierten Land, in dem alle Mädchen zur Schule gehen, studieren und den Beruf wählen dürfen, der sie interessiert. Diese Freiheit ist ein hohes Gut.
Was tun Sie und Ihr Unternehmen, um Frauen im Technikbereich zu fördern?
Es gibt Informationsveranstaltungen an Universitäten und Festo lädt regelmäßig Schulklassen ins Unternehmen ein. Wir haben sogar ein Kinderbuch über Bionik herausgebracht, um junge Menschen an Technik heranzuführen. Dafür eignet sich die Bionik gut, da sie sehr anschaulich ist und auch Menschen anzieht, die sich sonst nicht für Technik interessieren. Dann gibt es das Bionics-for-Education-Projekt, ein Kit für Schüler und Studenten, in dem Technik, Biologie und Informatik zusammengebracht werden. Festo hat außerdem ein spezielles Stipendium für junge Frauen, mit dem sie im MINT-Bereich studieren können und dabei gefördert werden. Innerhalb dieses Stipendiums bin auch ich Mentorin für eine Studentin. Natürlich richtet Festo auch einen Girls-Day aus, um Mädchen für Technik zu begeistern.
Innerhalb der Firma haben Mitarbeiterinnen zudem ein Netzwerk gegründet, Women at Festo, das sich regelmäßig trifft und auch immer wieder Vortragende einlädt, zu relevanten Fragestellungen, wie Rücklagenbildung im Alter. Das Netzwerk richtet sich in erster Linie an Frauen, aber niemand wird aufgrund seines Geschlechts oder Herkunft ausgeschlossen.
Festo bietet auch einige Möglichkeiten, um es Familien mit berufstätigen Eltern leichter zu machen. Wir haben einen Familienberatungsservice. Neben der Elternzeit gibt es auch die Möglichkeit zur Brückenteilzeit, z.B. für die Pflege von älteren Angehörigen oder kleinen Kindern. Zudem schafft das mobile Arbeiten, in Absprache mit der Führungskraft, viele Freiheiten. So können lange Fahrwege zur Arbeit und zurück wegfallen und zeitliche Ressourcen freimachen.
Gibt es auch Förderung innerhalb des Unternehmens, um Frauen gezielt in höhere Positionen zu verhelfen?
Das Bewusstsein dafür ist bei Festo bereits da. Wenn sich die passende Frau für Management-Positionen bewirbt, hat sie definitiv eine Chance. Hier muss allerdings meiner Meinung nach auch der Staat noch einiges ändern, Stichwort Kita-Plätze und Betreuungszeiten. Das ist auch ein Thema an den Schulen. Wenn ein Kind um 13 Uhr zu Hause ist und dann noch zum Musikunterricht oder zum Sport gefahren werden muss, fallen für die Eltern einige zeitliche Ressourcen weg.
Ein Problem ist auch, dass Frauen sich in Bezug auf Führungspositionen oft weniger zutrauen als Männer. Die sind in der Regel selbstsicherer und verkaufen sich besser. Hier dürfen Frauen sich mehr zutrauen und sich an der richtigen Stelle Gehör verschaffen.
Was raten Sie jungen Menschen, die Ambitionen haben, einen ähnlichen Weg einzuschlagen wie Sie?
Ich rate allen jungen Menschen, positiv in die Zukunft zu sehen. Ich denke, die Gesellschaft steht gerade vor großen Herausforderungen: Klimawandel, Krieg, Pandemien. Wir müssen Lösungen für diese Probleme finden und es ist wichtig, dass man mit einem positiven Mindset daran geht. Eine negative Sichtweise demotiviert und hindert am Vorankommen. Wir brauchen in Deutschland mehr Freude am Ausprobieren und die entsprechende Tatkraft. Der Mensch hat die Möglichkeit, die Probleme, die er herbeigeführt hat, wie Klimaerwärmung, Smog, Feinstaub und dergleichen, auch wieder zu lösen. Durch die richtigen Innovationen können wir eine nachhaltige Weltwirtschaft kreieren. Und jeder Einzelne hat die Möglichkeit, einen Beitrag dazu zu leisten, egal ob Techniker, Biologe, Jurist oder Journalist.