E-CAD

So realisiert Enercon sein Engineering in der Cloud

Enercon ist der größte deutsche Hersteller von Windenergieanlagen. Für die Elektrotechnik-Konstruktion nutzt das Unternehmen als einer der ersten Anwender weltweit eine cloudbasierte Infrastruktur von Eplan. Für die Automatisierung in der unternehmenseigenen Schaltschrank-Konfektionierung sorgen Lösungen von Rittal.
 Hoch hinaus: Im vergangenen Jahr wurden 1.300 Enercon-Windkraftanlagen in Betrieb genommen.
Hoch hinaus: Im vergangenen Jahr wurden 1.300 Enercon-Windkraftanlagen in Betrieb genommen.Bild: Eplan/Rittal

Im Markt der Hersteller von Windkraftanlagen (WKA) ist Enercon einzigartig: Das Unternehmen konzentriert sich auf Onshore-Anlagen und ist mit dem DirectDrive-Antriebskonzept, das ohne Getriebe auskommt, konkurrenzlos und mit dieser Strategie weltweit erfolgreich. Neues Topmodell ist die E-175 EP5 mit 6MW Nennleistung und einer Nabenhöhe bis 163m; der Rotordurchmesser beträgt 175m und ist einer der größten im europäischen Markt. Entwickelt wurde diese Anlage für den (Onshore-)Einsatz in Regionen mit mittlerem bis schwachem Wind; sie zeichnet sich an diesen Standorten durch niedrige Stromgestehungskosten aus. Ein weiteres Merkmal ist die integrierte E-Technik neuer Generation: Die Schaltschränke befinden sich nicht am Boden, sondern in der Gondel. Einzigartig in der Branche ist auch die Elektro-Entwicklung. Bei der Planung der Anlage nutzten die Konstrukteure erstmals die cloudbasierte Eplan Plattform auf Basis von Microsoft Azure. Andree Rülander, Leiter Electrical Design: „Wir haben eine Lösung für das Multi-User-Engineering etabliert. Sie erlaubt unseren Kollegen an den Entwicklungsstandorten in Deutschland, den Niederlanden, Polen und Indien ein Simultaneous Engineering.“

Mit der neuen 
cloudbasierten Infrastruktur 
für das Elektro-Engineering 
haben wir einen 
großen Schritt nach vorn 
gemacht.

Andree Rülander, 
Enercon
Mit der neuen cloudbasierten Infrastruktur für das Elektro-Engineering haben wir einen großen Schritt nach vorn gemacht. Andree Rülander, EnerconBild: Eplan/Rittal

Weltweit nutzbar – Engineering in der Cloud

Was gab den Ausschlag für die Verlagerung der Engineering-Plattform in die Cloud? „Unsere gesamte IT-Strategie geht in Richtung Cloud, und dieses Projekt war ein Pilot dafür“, erläutert Rülander. „Erstens ist die Handhabung deutlich einfacher: Man muss sich nicht um Treiber, Updates und die Administration kümmern – das erledigt der Cloud-Anbieter. Und ein neuer Rechner ist innerhalb von 20 Minuten eingerichtet statt nach Tagen.“ Noch wichtiger aber: Mehrere Kollegen – auch an unterschiedlichen Standorten – arbeiten immer an ein und demselben und stets aktuellen Datenmodell. Enercon hat sich – in Abstimmung mit dem Eplan Consulting – dafür entschieden, keine typische Cloud-Lösung zu nutzen. Stattdessen werden die On-Premise-Prozesse und -Produkte so in die Cloud übertragen, dass sie exakt wie eine Domänenlösung funktionieren. Der Einstieg erfolgt dabei über den Microsoft Azure Marketplace und kann über vier unterschiedliche Eplan-Solutions-Apps je nach Anforderung abgerufen werden.

 Bei der Planung der Windkraftanlage E-175 EP5 nutzten die 
Konstrukteure erstmals die cloudbasierte Eplan Plattform.
Bei der Planung der Windkraftanlage E-175 EP5 nutzten die Konstrukteure erstmals die cloudbasierte Eplan Plattform.Bild: Eplan/Rittal

Learnings bei der Premiere

Die Konfiguration und Installation dieser grundsätzlich neuen Lösung erwies sich zunächst als Herausforderung. Detlef Harms, Projektleiter bei Eplan: „Das war eine Premiere, bei der wir durchaus auch unsere ‚Learnings‘ hatten.“ Gestartet wurde deshalb zunächst mit einem Proof of Concept; erst dann ging das cloudbasierte Elektro-Engineering im Oktober 2022 produktiv – und funktioniert jetzt perfekt. Übrigens beschritten alle Beteiligten in dieser Aufgabenstellung Neuland – Eplan, Enercon und auch Microsoft. Harms: „Unser Ziel war eine skalierbare Lösung, die jetzt auch im Microsoft Azure Store weltweit für Eplan Nutzer abrufbar ist. In diesem Fall haben wir alle im Schulterschluss echte Pionierarbeit geleistet.“ Andree Rülander ergänzt: „Rund 40 Entwickler an mehreren Standorten arbeiten und engineeren cloudbasiert mit Eplan – und sie sind sehr zufrieden mit der Infrastruktur, der Bedienung und auch der Reaktionsgeschwindigkeit.“ Hinzu kommt: Enercon hat die Struktur im Engineering neu aufgesetzt und arbeitet jetzt bibliotheksgestützt. Konkret können die Ingenieure aus einer vorgedachten Bibliothek auswählen, welche Module für die jeweilige Windenergieanlage benötigt werden.

 Über den digitalen Zwilling des Schaltschrankaufbaus in Eplan Pro Panel konnten die Fertigungsprozesse erheblich verbessert werden.
Über den digitalen Zwilling des Schaltschrankaufbaus in Eplan Pro Panel konnten die Fertigungsprozesse erheblich verbessert werden.Bild: Eplan/Rittal

Migration in die Cloud

Die Migration der ECAD-Infrastruktur in die Cloud war auch deshalb keine kleine Aufgabe, weil Enercon die Eplan Plattform umfassend nutzt. Neben Eplan Pro Panel (Schaltschrankbau) und Electric P8 (Elektrokonstruktion) sind auch Zusatztools wie Pro Panel Copper (für Stromverteilungen) im Einsatz. Intensiv genutzt wird das Modul Harness ProD für die Verkabelung; seit Kurzem werden zudem die Drähte bzw. Leitungen mit dem Rittal Wire Terminal konfektioniert. Als PDM-System kommt Teamcenter von Siemens zum Einsatz, das kürzlich ebenfalls in die Cloud migriert wurde.

 Über Eplan Harness proD wird auch die Verkabelung der Windanlage geplant und im Werk vorkonfektioniert und muss nicht auf der Baustelle aufwändig angepasst werden.
Über Eplan Harness proD wird auch die Verkabelung der Windanlage geplant und im Werk vorkonfektioniert und muss nicht auf der Baustelle aufwändig angepasst werden. Bild: Eplan/Rittal

Funktionsorientierte Struktur

Mit der Einführung von Eplan hat Enercon zugleich auch eine funktionsorientierte Struktur im Elektro-Engineering etabliert – mit einer Einteilung in Module, beispielsweise Turm, Verstellsystem und Elektroverteilung. Diese Strukturierung ist folgerichtig, erleichtert das Arbeiten und stimmt auch mit dem neuen internationalen Kennzeichnungsstandard von Windkraftanlagen überein, dem Reference Designation System for Power Systems (RDS-PS). Praktischerweise unterstützt Eplan diesen Standard.

Bei allen Projekten und Investitionen, die mit der Konstruktion und der Fertigung zu tun haben, strebt Enercon eine weitgehend automatisierte und durchgängige Wertschöpfungskette an. Das gilt auch für die Überführung des digitalen Zwillings, der in der Elektrokonstruktion entsteht. Er soll auch in der realen Welt die Datenbasis sein, sprich in der Produktion. Andree Rülander: „Auch hier sind wir gleich mehrere Schritte vorangekommen, weil wir die Fertigung in Prozessschritte aufgeteilt haben, die einzelnen Eplan-Modulen entsprechen. Der digitale Zwilling dient uns hier als Datenbasis zur Ableitung von Fertigungsschritten, wie Verdrahtung, Kabelkonfektionierung und Schaltschrankmontage.“

Wie gut das in der Praxis funktioniert, lässt sich im Schaltschrankbau sehen: Bei den Schaltschränken für die neuen Baureihen E-175 EP5 und E-160 EP5 werden die Bohrungen in Eplan Pro Panel festgelegt und die Daten an Rittal übermittelt. Rittal liefert dann bereits vorgebohrte und vorgefräste Schrankelemente an Enercon. Ähnlich sind die Prozesse in der Kabelkonfektionierung. Hier arbeitet das Unternehmen mit dem Partner CadCabel zusammen.

Fazit: gut aufgestellt

Nach dem Launch und den Praxiserfahrungen der ersten Monate ziehen die Entscheider ein rundum positives Fazit. Andree Rülander: „Mit der neuen cloudbasierten Infrastruktur für das Elektro-Engineering haben wir einen großen Schritt nach vorn gemacht.“ Ein in allen Unternehmen drängender Engpass wird ebenfalls adressiert: „Die neue Infrastruktur ist auch ein Pluspunkt bei der Gewinnung von Fachkräften: Wir bieten Mitarbeitern eine moderne Konstruktionsumgebung und ein schickes Umfeld.“ Und nicht nur mit dem Ergebnis der cloudbasierten Elektrokonstruktion sind die Verantwortlichen zufrieden, sondern auch mit dem Consulting und dem Training durch Eplan: „Die Zusammenarbeit war und ist einfach gut – wie mit externen Kollegen.“

Wiederholte Entscheidung für Rittal
Im Zuge seiner Projekte hat Enercon auch die Schaltschrank-Frage neu gestellt und die wesentlichen Anbieter einem Benchmark unterzogen sowie Musterschränke getestet. Andree Rülander: „Das Ergebnis war eindeutig: Die Rittal Klein- und Großgehäuse bleiben unser Standard. Ein Grund dafür ist die sehr gute Abbildung in Eplan. Das wird für uns, mit zunehmender Automatisierung der Schaltschrank-Konfektionierung, künftig noch wichtiger werden.“ Zusätzlich nutzt Enercon in der Fertigung das Wire Terminal. Der Drahtkonfektionier-Vollautomat von Rittal Automation Systems ist zu einem wichtigen Baustein im Produktionsablauf und dort zu einem echten Effizienztreiber geworden – denn beim Schaltschrankausbau lassen sich bei der Verdrahtung die meisten Effizienzgewinne und Ersparnisse realisieren.

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