Interview mit Philipp Steinberger, CEO bei Wöhner

Systemwelten verbinden, um neue Möglichkeiten zu schaffen

In den vergangenen anderthalb Jahren haben wir pandemiebedingt auch die Orte digitalisiert, an denen wir uns treffen und informieren: so auch auf der ersten rein virtuellen Ausgabe der Hannover Messe Mitte April. Auch Philipp Steinberger, CEO bei Wöhner, war dort in einigen Foren präsent. Im Nachgang zur Veranstaltung unterhielt sich unsere Redaktion mit dem Firmenchef über Möglichkeiten und Grenzen solcher Formate, die aktuelle Konjunkturlage und die wesentlichen Neuheiten des Anbieters für das laufende Jahr.
 Damit Anwender das Crossboard Energieverteilungssystem über die gesamte Schaltschrank-Breite nutzen können, wird es die Lösung künftig in den Breiten 800, 900, 1.000 und 1.100mm geben.
Damit Anwender das Crossboard Energieverteilungssystem über die gesamte Schaltschrank-Breite nutzen können, wird es die Lösung künftig in den Breiten 800, 900, 1.000 und 1.100mm geben.Bild: Wöhner GmbH & Co. KG

Herr Steinberger, Wöhner hat Mitte April sehr aktiv an der Hannover Messe Digital Edition teilgenommen. Wie sieht hier Ihr Fazit aus?

Philipp Steinberger: Zunächst einmal denke ich, dass die Hannover Messe alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, ein attraktives Alternativangebot zu Präsenzveranstaltungen zu bieten, um auch in diesen ungewöhnlichen Zeiten Geschäftskontakte aufrechterhalten und sich über neue Trends und Produkte informieren zu können. Allerdings bin ich der Ansicht, dass diese Formate langsam an ihre Grenzen stoßen. Unsere Branche lebt vom persönlichen Austausch und der Interaktion, die Präsenzmessen mit sich bringen: innerhalb kürzester Zeit viele Gespräche führen, sich austauschen, Allianzen vertiefen. Mit dieser Art der Gesamtdigitalisierung aller Lebensbereiche, die wir in den letzten eineinhalb Jahren erlebt haben, sind Menschen nur begrenzt zu begeistern. Darüber hinaus gibt es immer wieder technische Probleme, die zeigen, dass Deutschland in Sachen Digitalisierung doch noch nicht so weit ist, wie wir dies gerne hätten. Hinzu kommt, dass in unserer Branche momentan sehr viel los ist: Die Auftragslage ist sehr gut, und daher gibt es glücklicherweise viel zu tun. Mein Eindruck ist, dass unsere Kunden im Moment wenig Zeit haben, sich digitalen Veranstaltungen zu widmen. Deswegen haben wir bei Wöhner schon zur SPS vergangenen November als auch im April zur Hannover Messe ganz bewusst auf ein anderes Kommunikationsformat in Form von kurzen, vorproduzierten Filmen gesetzt, die der Besucher sich live oder aber auch on demand anschauen konnte, so wie es für ihn zeitlich am besten passte. Außerdem entwickeln wir eine neue ‚hybride‘ Kommunikationsplattform, die zukünftig sowohl Präsenzveranstaltungen als auch digitale Formate möglich macht. Es geht also weit darüber hinaus, was wir gegenwärtig sehen und erleben.

 Der neue Basissystem-Adapter schlägt die Brücke zwischen der Systemwelt Crossboard und der Systemwelt 185Power.
Der neue Basissystem-Adapter schlägt die Brücke zwischen der Systemwelt Crossboard und der Systemwelt 185Power.Bild: Wöhner GmbH & Co. KG

Sie erwähnten bereits die in der Regel sehr positive Auftragslage bei Ihren Kunden. Auch die Branchenverbände VDMA und ZVEI verzeichnen bei ihren Mitgliedern vor allem aus China und den USA eine große Nachfrage. Wie ist das Geschäftsjahr für Wöhner angelaufen?

Steinberger: Hierzu muss man zuerst auch noch einmal in das Jahr 2020 zurückblicken, das für uns gut gelaufen ist und in dem wir gegen den Markttrend stark in unsere Lieferketten investiert haben. Wir haben Lagerbestände aufgebaut und vorproduziert, sodass wir gerade am Anfang diesen Jahres sehr gut unterwegs waren. Mit unseren Lieferanten haben wir Rahmenverträge abgeschlossen, weil wir auch diesbezüglich langfristig denken. Aber von dem Konjunkturschub sind auch wir überrascht worden. Und auch unsere Vertriebsnetzwerke haben diesen nicht vorausgesehen. Wir verzeichnen in Europa ein deutliches Auftragswachstum. Das hängt auch damit zusammen, dass wir in die Sammelschienensysteme Crossboard und 185Power investiert haben, die gerade stark nachgefragt werden. Die Märkte China und USA sind zwar auch auf Wachstumskurs, aber das Thema Sammelschienensystemtechnik ist in diesen Ländern noch ausbaufähig. In den USA zieht die Konjunktur an, gerade was Kunden aus den Bereichen Logistik, Maschinenbau, Erneuerbare Energien oder Ladeinfrastruktur anbelangt. Wir gehen davon aus, dass dies bei uns in den kommenden Wochen richtig durchschlagen wird.

 Mit Hilfe des Basissystem-Adapters wird eine ursprünglich für den Energieverteilungsbereich gedachte Systemtechnik wie die von 185Power auch für den Maschinenbau interessant.
Mit Hilfe des Basissystem-Adapters wird eine ursprünglich für den Energieverteilungsbereich gedachte Systemtechnik wie die von 185Power auch für den Maschinenbau interessant.Bild: Wöhner GmbH & Co. KG

Die Kehrseite der Medaille sind die vielfach beklagten Engpässe bei den Lieferketten und die Verteuerung der Rohstoffpreise.

Steinberger: Die Entwicklung, die wir gerade am Rohstoffmarkt erleben, ist nach meinem Empfinden nicht gesund. Der Stahlpreis hat sich verdoppelt und im Kunststoffbereich findet eine künstliche Verknappung statt. Dies führt zu einem Verteilungskampf, der kontraproduktiv ist. Unser Vertriebsteam ist aktuell sehr bemüht, die Bedürfnisse unserer Kunden bestmöglich zu erfüllen und zu harmonisieren. Unser Versand arbeitet auf Hochtouren und wir fahren Zusatzschichten, damit wir möglichst viel Ware liefern können. Alle unsere Mitarbeiter machen hier gerade einen hervorragenden Job.

Auf der Hannover Messe Digital Edition waren Sie auch an einem Panel zum Thema Klimaneutralität beteiligt. Wie lebt Wöhner das Thema Ressourcenschonung bei der Produktion, aber auch hinsichtlich der Rohstoffe seiner Produkte?

Steinberger: Klimaneutralität – oder sogar Klimapositivität, die wir letztendlich erreichen möchten – muss ganzheitlich gedacht werden. Nicht alles, was auf den ersten Blick klimaschonend ist, ist dies auch in seiner Gesamtheit. In der Produktion verwenden wir schon seit vielen Jahren den etwas teureren Ökostrom. In unserer Fertigung analysieren wir unseren CO2-Footprint. Zudem fördern wir lokale und internationale Projekte für mehr Energieeffizienz. Wir versuchen Ressourcenverschwendung zu vermeiden. Bei der Produktentwicklung geht es bei uns unter anderem darum, unsere Lösungen kleiner und kompakter herzustellen, das heißt mit weniger Kunststoff und weniger Kupfer. Dies bedeutet, dass unsere Produkte intelligenter werden müssen, beispielsweise mit Blick auf die Wärmeleitfähigkeit oder die Innenwiderstände. Zudem sind unsere Produkte in der Regel 25 bis 30 Jahre in Betrieb. Innerhalb dieser Laufzeit sollen sie möglichst wenig Energie verbrauchen. Kurz: Wir bemühen uns, das Thema von unterschiedlichen Seiten anzugehen.

Abgesehen vom elektronischen Motorstarter Motus C14, den wir kürzlich detailliert beleuchtet haben: Welche neuen Lösungen bietet Wöhner dem Schaltschrankbau im Hinblick auf eine bessere Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit?

Steinberger: Neben dem Motus C14 haben wir seit Beginn der Corona-Krise in 2020 drei neue Lösungen vorgestellt. Da ist zunächst unser Basissystem-Adapter, der die Brücke schlägt zwischen der Systemwelt Crossboard und der Systemwelt 185Power. Letztere Lösung kommt ja ursprünglich aus dem Bereich des Energieverteilungsbaus. Über unseren Basissystem-Adapter haben wir nun die Möglichkeit, alle Komponenten, die Anwender im Automatisierungsbereich bzw. Steuerungsschrankbau verwenden – wie z.B. Motorstarter, Leistungsschalter oder Überwachungsrelais – auch auf der 185Power-Sammelschiene installieren zu können. So wird eine ursprünglich für den Energieverteilungsbereich gedachte Systemtechnik auch für den Maschinenbau interessant. Wir bieten also unsere Systemwelten nicht wie bisher konkreten Branchen an, sondern passen sie den Anforderungen der Anlage an. Durch die standardisierten Steckkontakte kann das Endprodukt entweder in dem einen oder anderen Basissystem eingesetzt werden.

Die zweite große Neuerung kommt auch aus dem Bereich der Basissysteme. Aktuell gibt es das Crossboard Energieverteilungssystem noch in zwei Längen. Da es aber unterschiedliche Schaltschrankbreiten von in der Regel 800, 900, 1.000 und 1.100mm gibt, werden wir das Crossboard künftig auch in diesen genannten Längen anbieten, damit Anwender das System über die gesamte Schaltschrankbreite nutzen können.

Die dritte Neuheit haben wir auf den amerikanischen Markt zugeschnitten. Da geht es um den Bereich Cube Fuse Holder. Eine Cube Fuse ist eine berührungsgeschützte Sicherung, die in Europa weniger bekannt ist, aber in den USA häufig eingesetzt wird. Sie ist in etwa vergleichbar mit einer NH-Sicherung in Europa. Für den amerikanischen Markt haben wir daher einen Sicherungshalter entwickelt, der diese Cube Fuse aufnimmt, und zwar ähnlich unserem NH000-Trenner für den europäischen Markt.

Zudem werden wir im Bereich elektronischer Motorschutz die Mess- und Kommunikationstechnik weiter ausbauen. Den elektronischen Motorstarter Motus C14 wird es zukünftig auch für höhere Ströme und das Schalten ohmscher Lasten geben. Hier zielen wir beispielsweise auf den Anwendungsbereich Heizdüsen für Kunststoffanlagen ab als Alternative für Solid State Relais.

Wo sehen Sie allgemein die Stärken Ihrer Sammelschienensysteme im Vergleich zu Ihren Marktbegleitern?

Steinberger: Unsere Sammelschienensysteme sind bestmöglich abgestimmt auf die Komponenten, die auf sie aufgerastet werden. Wir erzielen einen Best Fit im Sinne von Bedienung, Langlebigkeit, Verlustleistung sowie Platzbedarf im Schaltschrank. Zudem passt ein Produkt auf mehrere Basissysteme, je nach Anforderung. Die Systeme sind durchgängig gedacht: Sie ermöglichen eine einfache Planung mithilfe einer virtuellen Darstellung über einen Konfigurator auf unserer Website, eine werkzeuglose Montage, einen sehr hohen Sicherheitsstandard sowie eine geringe Verlustleistung über den gesamten Lebenszyklus hinweg.

Wie sieht es mit der Offenheit Ihrer Sammelschienensysteme im Hinblick auf Produkte von Drittanbietern aus?

Steinberger: Wir sehen uns als Treiber der Sammelschienensystemtechnik. Daher sind wir offen für Drittanbieter. Unseren Kunden möchten wir die Möglichkeit bieten, die von ihnen eingesetzten Produkte auf die Sammelschiene zu bringen. Hierzu sind wir auch bereit, Knowhow bis zu gewissen Patenten zur Verfügung zu stellen. Kurz: Wir unterstützen jeden tatkräftig, der Produkte mit den passenden Schnittstellen für unsere Systemwelten entwickeln möchte.

Im Rahmen der Digitalisierung ist heute viel von digitalen Schnittstellen, Datendurchgängigkeit etc. die Rede. Welche Schnittstellen bietet Wöhner zwischen sich und seinen Kunden im Hinblick auf Bestellung, Engineering, Montage, Inbetriebnahme und Wartung?

Steinberger: Auch da muss man unterscheiden: Im Bereich der kaufmännischen Schnittstellen arbeiten wir gerade an EDI, also einem elektronischen Datenaustausch. Zudem entwickeln wir einen Webshop, in dem unsere Kunden komfortabel bestellen können. Hinsichtlich der Technik bieten wir für ein anwenderfreundliches Engineering bereits seit Jahren einen sehr guten Konfigurator auf unserer Homepage an. Dieser umfasst alle gängigen Datenformate und wird weiter ausgebaut. Zudem arbeiten wir an der Möglichkeit von Augmented-Reality-Anwendungen, die beispielsweise Hilfestellung bei der Geräte-Konfiguration oder der Wartung geben. In diesem Zusammenhang wird auch das Thema digitaler Zwilling immer mehr an Bedeutung gewinnen, das wir ebenfalls im Fokus haben. Wir verwenden unsere Produkte ja auch in unserer eigenen Fertigung. Hierzu haben wir einen eigenen Maschinen- und Anlagenbau etabliert, das heißt wir entwickeln in unserem Betriebsmittelbau unsere Automatisierung selbst. Dabei arbeiten wir auch mit den digitalen Zwillingen unserer Produkte, über deren Stärken aber auch Schwächen wir im Zuge dessen sehr viel lernen. Letztere können wir dann direkt beheben.

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