Zukunft braucht Herkunft

Die zentrale Rolle des Engineerings im Zeitalter von Industrie 4.0
Da die Automatisierungs- und Steuerungstechnik der wesentliche Treiber des Prozesses \'Industrie 4.0\' ist, sind auch die Anbieter von Engineering-Software gefragt, sich in diesen Prozess einzubringen. Bei genauerer Analyse zeigt sich: Manches Prinzip, das im Zuge von Industrie 4.0 die industrielle Fertigung erneuern soll, ist für die CAD/CAE-Welt gar nicht neu. Dennoch wird es auch auf der Ebene der Engineering-Plattformen Innovationen geben, die die Entwicklung von effizienten und flexiblen Fertigungssystemen für kleinere Losgrößen erleichtern und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland stärken werden.

Evolution oder Revolution? Hype oder wirkliches Trend-Thema? Über den Begriff \’Industrie 4.0\‘ diskutieren zurzeit viele Spezialisten für die industrielle Produktion und die Automatisierungstechnik. Aus Sicht von Eplan handelt es sich durchaus um eine handfeste Veränderung, die viele Grundzüge der Produktion drastisch verändern wird. Sie wird dazu beitragen, den Fertigungsstandort Deutschland zu stärken und vor allem die wirtschaftliche Produktion intelligenter Produkte in kleinen Losgrößen zu erleichtern. Die Automatisierungstechnik spielt dabei die Rolle des Innovationstreibers.

Nicht alles ist neu

Über den Begriff der \’Revolution\‘ kann man sicherlich streiten, denn einige der zentralen Themen, die man mit Industrie 4.0 verbindet, werden nicht zum ersten Mal adressiert, und es ist Kontinuität in der Entwicklung sichtbar. Das gilt z.B. für das Zusammenwachsen und -wirken der einzelnen Ingenieursdisziplinen. Der moderne Engineering-Prozess ist idealerweise interdisziplinär aufgesetzt – unter Einbeziehung von Mechanik, Elektrik und Software. Übergreifende Methoden und Werkzeuge integrieren die jeweiligen Autorensysteme. Auch die Digitalisierung des Produktentstehungsprozesses (PEP) ist bereits weitgehend verwirklicht. Heute kann der Konstrukteur schon die Vorplanung mit leistungsfähigen Tools beginnen und diese vom Basic Engineering bis zum Detail Engineering weiter nutzen, dabei auch andere Gewerke einbeziehen und letztlich Fertigungsdaten z.B. für den Schaltschrankbau oder die Kabelkonfektionierung generieren – und das alles ohne System- bzw. Medienbrüche.

Durchgängiges Engineering über den gesamten Lifecycle

Im Zuge von Industrie 4.0 wird sich diese Entwicklung aber noch beschleunigen, und die zentralen Engineering-Tools werden künftig während der Betriebszeit der Maschine oder Anlage weiter genutzt. Denkbar sind z.B. deutlich verbesserte Diagnose-Tools, die bei einer Fehlermeldung auf die CAE-Daten zurückgreifen und dem Bediener oder dem Servicepersonal anzeigen, welche Ursache der Defekt vermutlich hat und wie er behoben werden kann. Für diese Aufgabe werden dann verstärkt mobile Endgeräte genutzt, die Viewing-Funktionen und damit Einblick in die jeweils benötigten Konstruktionsdaten bieten.

Weitergedacht: Validierung und Energieeinsparung

Wenn man dies weiterdenkt, ist ein nächster Schritt folgerichtig: die Ermittlung von Energieverbrauch und -effizienz auf der Basis von CAD-Daten. Fortschrittliche Produktionsunternehmen setzen sich klare Ziele der Energieeinsparung bzw. sie möchten sehr genau wissen, wie viel Energie für die Herstellung eines Produktes verbraucht wird. Das kann man mit Energiemanagementsystemen erledigen, die aber einen hohen Aufwand an Sensorik und Steuerungstechnik erfordern. In den CAD/CAE-Systemen der Elektrokonstruktion und der SPS-Programmierung hingegen sind bereits alle Kenndaten der Antriebe hinterlegt, und auch die Stromlaufpläne \’kennen\‘ alle angeschlossenen Verbraucher. Diese Plattform muss nur noch mit zusätzlichen Informationen hinterlegt werden, die Auskunft geben, wann die Antriebe jeweils hochlaufen bzw. in Betrieb sind. Der Anwender kann dann ganz ohne ein zusätzliches System die Faktoren \’Energieverbrauch pro Produkt bzw. pro Zeiteinheit\‘ ermitteln und die Anlage entsprechend validieren. Selbstverständlich können diese Daten auch schon bei der Entwicklung, im Sinne einer Simulation, generiert werden, um eine möglichst energieoptimierte Maschine zu konstruieren.

Der Mehrwert einer umfassenden Datenbasis

Das ist ein markantes Beispiel für den Mehrwert, den eine umfassende, intelligent genutzte Datenbasis bietet. Das Beispiel zeigt zugleich auch, dass die in den CAD/CAE-Systemen vorhandenen Engineering-Daten ein wesentlicher Treiber für eine intelligentere Maschinennutzung im Sinne von Industrie 4.0 sind. Was für die Energieeffizienz von Maschinen und Antrieben gilt, trifft in ähnlicher Weise auch auf die Schaltschrank-Klimatisierung zu. Eplan arbeitet mit Partnern an Entwicklungsprojekten, die eine Validierung der Entwärmung von Schaltschränken sowie eine Simulation des Strömungsverhaltens im Schaltschrank zum Ziel haben. Zu den Zielen dieser Projekte gehört u.a. die regelbasierte Konstruktion \’korrekter\‘ und geprüfter Schaltschränke, in denen z.B. definierte Temperaturwerte garantiert nicht überschritten werden. Damit erhöht man die Verfügbarkeit von Maschinen und Anlagen und vermeidet Ausfälle durch wärmebedingte Defekte elektrischer bzw. elektronischer Bauteile.

Höhere Flexibilität

Ein zentrales Kennzeichen von Industrie 4.0 ist die erhöhte Flexibilität der Produktionsanlagen, die eine höhere Variantenvielfalt fertigen werden, ohne dass größere Umbauten nötig sind. Eine weitere, ebenso zentrale Eigenschaft von künftigen Maschinengenerationen ist die Anpassbarkeit an individuelle Anforderungen. Die Maschinen werden also ebenfalls in größeren Varianten gefertigt – \’tailor-made\‘ statt Konfektion ist die Devise. Beide Trends sind auch heute schon zu erkennen und werden mit Engineering-Plattformen wie dem Eplan Engineering Center (EEC) adressiert. Als Variantenkonfigurator unterstützt das EEC den Anwender darin, Kundenaufträge innerhalb eines vordefinierten Lösungsraumes zu realisieren. Auf der Basis definierter Standards sind so individuelle Maschinen und Anlagen realisierbar, ohne dass das Rad immer wird neu erfunden werden müsste. Dazu ist im EEC ein Baukasten von Modulen hinterlegt, aus denen der Konstrukteur vorentwickelte mechatronische Komponenten auswählt, die z.B. eine Maschinenfunktion abbilden. Für diese Komponenten sind alle disziplinspezifischen Daten hinterlegt wie z.B. Stromlaufpläne für die Elektrik, der SPS-Source Code für die Steuerung und das 3D-Modell für die Mechanik. Generatoren erzeugen über die funktionale Struktur einer Anlage oder Maschinen hinweg die jeweils kompletten Unterlagen und Daten. Mit dieser Methode und der zugehörigen Software können Maschinen konstruiert werden, die einerseits standardisiert sind, andererseits aber den individuellen Anforderungen des Anwenders entsprechen: ein Kennzeichen von Industrie 4.0, das auf CAE-Ebene bereits verwirklicht ist.

Weniger \’greenfield\‘, mehr \’brownfield\‘

Der Wunsch nach höherer Flexibilität wird auch dadurch getrieben, dass man keine \’Monoproduktanlagen\‘ mehr wünscht, die beim Auslaufen eines Produktes stillgelegt werden müssen. Vielmehr soll ein und dieselbe Anlage auch das Nachfolgeprodukt herstellen können. Auch dieser Trend hat zur Folge, dass die CAD/CAE-Daten nicht nur während der Konstruktionsphase genutzt werden, sondern über den gesamten Lebenszyklus der Maschine oder Anlage. Anders ausgedrückt: Zu Industrie 4.0 gehört der Gedanke, dass der Engineering-Prozess immer wieder neu ansetzt und die Anlage entsprechend verändert wird. Die Konstruktionsdaten \’leben\‘ also weiter und dienen als Grundanlage für Umbauten, Retrofits etc. Dazu passt auch die Tatsache, dass in Europa künftig immer weniger Produktionsstätten auf der grünen Wiese (\’greenfield\‘) errichtet und immer häufiger vorhandene Standorte, Fertigungslinien etc. (\’brownfield\‘) genutzt werden. Auch das bedeutet: CAD/CAE-Datenplattformen werden künftig über die gesamte (verlängerte) Lebensdauer von Produktionsanlagen genutzt, wenn die Ideen von Industrie 4.0 in die Praxis umgesetzt werden.

Evolution oder Revolution?

Der kurze Überblick über zentrale Trends zeigt: Intelligente Engineering-Plattformen leisten einen wesentlichen Beitrag dazu, die neuen Produktionssysteme, die unter dem Begriff Industrie 4.0. diskutiert werden, Wirklichkeit werden zu lassen. Einige der genannten Trends sind mit Industrie 4.0 nicht erst ins Leben gerufen worden. Deshalb erleben wir zurzeit eher eine Evolution als eine Revolution. Dabei muss es aber nicht bleiben. Wir stehen am Anfang einer spannenden Entwicklung, an deren Endpunkt z.B. autonome Produktionseinheiten stehen könnten, die sich selbst organisieren und dabei das Internet als Medium nutzen. Der Bediener wird diese \’cyber-physikalischen Systeme\‘ (CPS) über mobile Endgeräte steuern, und die Maschinenbauer werden eine deutlich größere Variantenvielfalt produzieren, wobei die Varianten nur teilweise aus unterschiedlicher Hardware resultieren und in höheren Maße aus maßgeschneiderter Software. Zudem werden neue Funktionen in den Engineering-Prozess integriert, die über den gesamten Lebenszyklus der Maschine genutzt werden. Eplan hat sich dieser Herausforderung bereits gestellt und arbeitet in Forschungsprojekten mit, die zu einzelnen Aspekten von Industrie 4.0 forschen – z.B. an der regelbasierten Validierung von Konstruktionen wie z.B. Schaltschränken mit Hilfe von CAE-Werkzeugen und -Plattformen. Ein weiteres Entwicklungsthema sind Methoden und Software-Tools zur Variantenkonfiguration, die eine Durchgängigkeit über den gesamten Produktentstehungsprozess bieten. Auch diese Schritte mag man eher als evolutionär ansehen und nicht als revolutionär. Aber am Ende der Entwicklung, wenn diese Prozesse abgeschlossen sind, kann durchaus eine Revolution stehen: eine ganz neue Art der industriellen Produktion, die erheblich flexibler, effizienter und leistungsfähiger ist als die Produktion, die wir heute kennen.

EPLAN Software & Service GmbH & Co. KG
http://www.eplan.de

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