Zentrale oder dezentrale Intelligenz?

Technologischer Fortschritt in der Steuerungstechnik, bei Feldbussen und bei Mikro-Controllern bringt regelmäßig neue Aspekte in die Diskussion über Vor- und Nachteile einer zentralen oder dezentralen Ansteuerung von Antriebsverstärkern. Gemeint ist dabei nicht deren Platzierung im Feld oder in einem Leitstand, sondern ihre eigentliche Funktion: die Bewegungsgenerierung. Soll eine zentrale, leistungsstarke Motion-Steuerung den Hauptteil der Rechenarbeit zur Sollwertvorgabe übernehmen, oder soll jeder einzelne Antriebsverstärker für die Bewegungsgenerierung seiner Achse verantwortlich sein?

Mit Simco Drive bietet Wittenstein Motion Control den Anwendern statt eines \’entweder-oder\‘ die Option des \’sowohl-als auch\‘, da die Servoregler die freie Wahl zwischen zentraler und dezentraler Ansteuerung bieten.

Servoregler für intelligente Integrationskonzepte

Die Antriebsverstärker wurden für sinuskommutierte Servomotoren definierter Leistungsklassen entwickelt. Sie zeichnen sich messtechnisch durch eine hochauflösende Stromregelung mit bis zu 16bit und eine schnelle Strommessung unter 8µs aus – geeignet für eine hochgenaue Drehmomentregelung und hohe Dynamik im Stromregelkreis. Die Verstärker können im eigenständigen Positionierbetrieb mit definierbaren Trajektorien und Fahrsatztabellen eingesetzt werden, aber auch – über Ethercat – im geschlossenen Regelkreis mit Echtzeit-Führungskommunikation. Für die Feldbusintegration kann zudem auf Verstärkerausführungen mit Canopen- oder Profibus-Schnittstelle zurückgegriffen werden. Mit STO steht zudem die Option integrierter Safety-Funktionen nach IEC61508 zur Verfügung. Mit Schutzart IP65 oder wahlweise IP20 können die Servoregler Simco Drive sowohl in direkter Nähe zur Antriebsachse als auch in einem leitstandnahen Schaltschrank betrieben werden.

Gesteigerte Kommunikations- und Rechenleistungen

In den vergangenen zehn Jahren war es vor allem die Weiterentwicklung der Feldbusse, die neue Perspektiven eröffnet hat. Durch hohe Bandbreite und Echtzeitfähigkeit sind ethernetbasierte Feldbusse wie Ethercat, Powerlink, Profinet oder Sercos heute leistungsstarke Kommunikationssysteme. Sie ermöglichen es, einer Motion-Control-Steuerung im Takt von wenigen Millisekunden bis hin zu einigen hundert Mikrosekunden Soll-Werte für eine Vielzahl von Achsen über den Feldbus zu übertragen und Ist-Werte sowie Statusinformationen zurückzuerhalten. Der Antriebsverstärker kann – aufgrund verbesserter Prozessorleistungen – schlank gehalten werden und ist seitens seiner Rechenleistung im Wesentlichen mit Regelungs- und Überwachungsaufgaben beschäftigt. Dieses Antriebskonzept scheint für fast alle Motion-Anwendungen geeignet zu sein, da die zentrale Steuerung von der einfachen Einzelachsansteuerung bis zur komplexen Bahnsteuerung alle Bewegungsformen generieren kann. Es stellt sich daher die Frage, welche Berechtigung dezentrale Steuerungstechnik weiterhin besitzt.

Dezentrale Intelligenz für Einzel- und synchronisierte Achsen

Zunächst hat zentrale Steuerungstechnik ihren Preis: Ethernetbasierte Feldbusse benötigen – um die Anforderungen der Bitübertragungsschicht des OSI1-Referenzmodells für Netzwerkprotokolle zu erfüllen – hochwertige Komponenten in der elektrischen Anbindung. Kabel, Steckverbinder, magnetische Bauelemente und PHY-Halbleiter2 müssen für hochfrequente Signale und deren Schirmung geeignet sein – können allerdings oft aus der Stückzahlproduktion der Office-Welt verwendet werden. Im Antriebsverstärker als Feldbus-Slave ist entweder ein spezieller ASIC oder ein FPGA-Core erforderlich, der den Kommunikations-Stack in Echtzeit abarbeiten kann. Weiterhin wird für die Berechnung komplexer Bewegung auch eine entsprechend leistungsfähige Motion-Steuerung benötigt. Bibliotheksfunktionen für spezielle Aufgaben stehen oft nicht im Standard zur Verfügung und müssen gesondert lizenziert werden. Die Frage nach der Berechtigung dezentraler Steuerungstechnik kann somit umformuliert werden: In welchen Anwendungen ist zentrale Motion-Steuerung nicht notwendig? Zu nennen ist zunächst die Bewegung einzelner, nicht-synchronisierter Achsen, die problemlos dezentral, d.h. im Antriebsverstärker berechnet werden kann. Darüber hinaus sind auch komplexe Einzelachsbewegungen wie beispielsweise Pressvorgänge mit überwachter Kraftgrenze realisierbar, wenn erweiterte Fahrsatztabellen vorliegen. Im Falle mehrerer synchronisierter Achsen lassen sich die Bewegungen noch gleichzeitig über ein Synchronisierungssignal der Steuerung starten. An seine Grenzen stößt das dezentrale Konzept jedoch, wenn die Soll-Werte für mehrere Achsen zyklisch übertragen werden – wie dies beispielsweise bei einer CNC-Bahnsteuerung oder einer Robotersteuerung der Fall ist (Bild 2).

Ausführungskonzepte dezentraler Steuerungstechnik

Dezentrale Steuerungstechnik kann in verschiedenen Ausbaustufen realisiert werden. Die einfachste Form ist eine Fahrsatztabelle, die in Listenform alle für eine Positionierung notwendigen Parameter enthält. In einer Zeile werden Zielposition, Geschwindigkeit und Beschleunigungen definiert. Die einzelnen Zeilen können über Sprungbefehle verknüpft werden, sodass komplexe Bewegungsabfolgen möglich sind. Zum Start einer Bewegungabsfolge wird eine Listenposition beispielsweise über den Feldbus oder einen digitalen Eingang angewählt. (Bild 3) Für komplexere Aufgaben wird zusätzliche eine Ablaufsteuerung mit Funktionen wie Parameter setzen, Parameter modifizieren, Vergleichen und Sprüngen in Abhängigkeit bestimmter Zustände benötigt. Dies ist mit der Erweiterung der Fahrsatztabelle um die entsprechenden Befehle möglich, wobei ein Listeneintrag einem Befehl entspricht. Im Antriebsverstärker wird Zeile für Zeile der Kommandoliste interpretiert und ausgeführt. Beispiele für solche komplexe Motion-Aufgaben sind Greifvorgänge, die aus einem positions- und einem kraftgeregelten Anteil bestehen.

Hochsprachenprogrammierung für High-End-Anforderungen

Wünscht der Anwender größtmögliche Flexibilität, dann bietet eine Hochsprache oder ein daran angelehnter, strukturierter Text nach EN61131-3:2014-06 sehr gute Möglichkeiten. Das Programm wird auf einem PC editiert, kompiliert, auf den Antriebsverstärker übertragen und ausgeführt. Der Verstärker muss somit eine Laufzeitumgebung für die in der Hochsprache erstellten Programme besitzen. Mit der Flexibilität und dem Funktionsumfang einer Hochsprache steigt jedoch die Komplexität der Programmerstellung. Während einfache und erweiterte Fahrsatztabellen ohne große Programmierkenntnisse erstellt werden können, ist die Entwicklung von Hochsprachenprogrammen hauptsächlich Programmierern vorbehalten. Sobald Kommandos nicht mehr vordefiniert vorliegen, z.B. in Form von Drop-Down-Boxen, sondern in einem Editor als Text eingegeben werden, der von einem Compiler übersetzt wird, ist ein Komplexitätssprung vorhanden. Zunächst müssen Kommandoumfang der Sprache, Syntax und Semantik erlernt und die unausweichlichen Fehlermeldungen des Compilers verstanden und behoben werden. Syntax Highlighting in unterschiedlichen Farben, Schriftarten und -stilen sowie Code Completion moderner Entwicklungsumgebungen zur sinnvollen Ergänzung von Nutzereingaben erleichtern die Aufgabenstellung, ändern aber nichts an der grundsätzlichen Herausforderung.

Dezentrale Technik am Beispiel kraftgeregeltes Greifen

Fahrerlose Transportsysteme (FTS) sorgen für effizienten Materialfluss innerhalb eines Untenehmens. Im vorliegenden Praxisbeispiel des Unternehmens BeeWatec (Bild 4) besitzt ein FTF eine Klemmvorrichtung, sodass Warenbehälter von dem Fahrzeug aufgenommen und abgesetzt werden können. Das Antriebssystem, das in dem Huckepack-FTF für die Greifapplikation verwendet wird, besteht aus dem Servoregler Simco Drive und der Aktuatorbaureihe Cyber Dynamic Line. Der Klemmvorgang wurde ohne übergeordnete Steuerung mit einer erweiterten Fahrsatztabelle realisiert: Zunächst wird über Endschalter eine Startposition der Klemmbacken angefahren. Danach wird der maximale Motorstrom auf den Wert der gewünschten Klemmkraft parametriert, sodass der Motor den Behälter mit konstanter Kraft festklemmen kann. Nach erfolgreichem Klemmvorgang wird während des gesamten Transports die Klemmkraft überwacht, sodass auch ein herausrutschen eines Behälters während der Fahrt sicher erkannt wird.

Der Anwender kann entscheiden

Mit der Servoregler-Baureihe Simco Drive hat der Anwender die freie Wahl zwischen zentraler und dezentraler Ansteuerung. Für den Anschluss an eine leistungsstarke zentrale Motion-Steuerung stehen die Feldbusse bzw. Protokolle CAN (Canopen), Ethercat (CoE) und Profinet RT/IRT (Profidrive) mit Zykluszeiten von 500µs zur Verfügung. Alternativ wird unter der Bezeichnung Motion Tasks eine erweiterte Fahrsatztabelle angeboten, mit welcher komplexe Bewegungsabläufe abgebildet werden können. Der Anwender kann auf alle Parameter des Antriebs in Form des Object Dictionary zugreifen und diese modifizieren. Zur Ablaufsteuerung werden Warte- und Wenn-Dann-Funktionen angeboten. Im Gegensatz zu einer Hochsprache können Motion Tasks ohne umfassende Programmierkenntnisse erstellt werden: Die hierfür verfügbaren Befehle werden übersichtlich und nutzerfreundlich mittels Drop-Down-Boxen dargestellt; die zugehörigen Parameter werden Kontext-sensitiv und bereichsüberwacht verwendet. Mit dem Serovregler Simco Drive kann Wittenstein Motion Control die Vorteile beider Varianten vereinen, ohne mögliche Nachteile einer Variante akzeptieren zu müssen.

Wittenstein Motion Control GmbH
http://www.wittenstein.de

Das könnte Sie auch Interessieren

Weitere Beiträge

Bild: Ceratizit Deutschland GmbH
Bild: Ceratizit Deutschland GmbH
Werkzeuge – immer passend

Werkzeuge – immer passend

Eine digitalisierte Fertigung hat viele Gesichter… und Recker Technik aus Eschweiler setzt ihr auf jeden Fall einen Smiley auf. Dort bringt die Produktion mit digitalen Zwillingen mehr Effizienz in den Alltag sowie gleichzeitig mehr Überblick über das Toolmanagement und die Werkzeugkosten. Mit dabei: Zwei Tool-O-Maten, die intelligenten Werkzeugausgabesysteme von Ceratizit – dank denen immer das passende Werkzeug für den Job zur Hand ist.

mehr lesen
Bild: Hainbuch GmbH
Bild: Hainbuch GmbH
„Wie passende Spanntechnik die Automation voranbringt“

„Wie passende Spanntechnik die Automation voranbringt“

Zunehmend individuellere Kundenanforderungen, mehr Schwankungen im Auftragseingang und weniger Fachkräfte – diese Faktoren beeinflussen die Fertigungsplanung zunehmend. Gerade bei kleinen Herstellungschargen mit Losgrößen unter 100 macht in diesem Spannungsfeld die Automatisierung, etwa von Hainbuch, den Unterschied. Ein entscheidender Ansatzpunkt in der Umsetzung ist neben Maschine, Roboter und Bediener der Rüst- und Spannprozess.

mehr lesen
Bild: Schunk SE & Co. KG Spanntechnik
Bild: Schunk SE & Co. KG Spanntechnik
Futter für die Ewigkeit

Futter für die Ewigkeit

Siemens Energy setzt für die Präzisionsbearbeitung an einer Horizontaldrehmaschine Magnos Elektropermanent-Magnetspannfutter von Schunk ein. Dank der gleichmäßig dauerhaft wirkenden Magnetspannkraft erfolgt das Spannen der Werkstücke deformations- und vibrationsarm – für eine ausgezeichnete Bearbeitungs- und Oberflächenqualität. Mit der zugehörigen App lässt sich die Spannsituation simulieren und sicher parametrieren.

mehr lesen