PKW-Motoren flexibel montieren: RFID im industriellen Einsatz

Zur Realisierung flexibler Fertigungsprozesse werden verschiedene Bausteine benötigt, die reibungslos ineinander greifen - vor allem dann, wenn auch nach Inbetriebnahme noch Änderungen am Prozessablauf zu erwarten sind: Die Anforderungen an die Mechanik und an die Softwarearchitektur für die Steuerungstechnik sind hoch, die Kommunikations-Infrastruktur muss Änderungswünsche des Anwenders auch nachträglich flexibel zulassen. Flexibilität im Fertigungsprozess bedeutet auch stets zu wissen, welche Produktvariante gerade gefertigt wird und wie das Ergebnis eines Bearbeitungsschritts ausgefallen ist. An dieser Stelle kann ein Identsystem auf Basis des RFID-Standards einen guten Beitrag zur Realisierung flexibler Systeme leisten - insbesondere dann, wenn Ethernet-Kommunikation bereits an Bord ist.

Auf diese Bausteine setzt der in Bremen ansässige Automobil-Zulieferer ThyssenKrupp Krause GmbH bei Konstruktion und Bau von Montagelinien für Motoren und Getriebe. Im Rahmen eines Projekts für einen großen amerikanischen Automobilhersteller entstand eine flexible Montagelinie für Vierzylinder- Reihen-Dieselmotoren, auf der zurzeit in einem Werk in England die Produktion hochgefahren wird. In Kürze werden hier rund 400.000 Motoren pro Jahr montiert, und zwar in verschiedenen Varianten. Die Variantenvielfalt nimmt während der Laufzeit der Anlage erfahrungsgemäß weiter zu. Daher war die Flexibilität der Anlage von Anfang an ein wichtiger Punkt bei der Konstruktion und wurde vor allem beim Entwurf der Software-Architektur berücksichtigt. Wissen, wo was läuft Motorblöcke werden auf standardisierten Werkstückträgern durch die Anlage gefahren, und zwar über Friktionsrollenbahnen. Sie werden so von einer Montagestation zur nächsten transportiert; sukzessive entsteht aus einem nackten Motorblock ein funktionsfähiger Motor. Verschiedene Anbauteile werden separat vormontiert, wie z.B. Zylinderköpfe oder Turbolader. Diese werden erst später im Motageprozess mit dem Motorblock \’verheiratet\‘. Zwischen Werkstückträger und Motorblock werden so genannte Adapterplatten montiert, die die konstruktiven Eigenheiten der Motoren an die Standard-Werkstückträger anpassen. Sie bilden gewissermaßen die \’Hardware-Schnittstelle\‘ zwischen Motorblock und Werkstückträger. Hier kommt das Thema RFID ins Spiel: Sowohl Werkstückträger als auch Adapterplatten sind mit Datenträgern ausgerüstet, den so genannten RFID-Tags. Die Tags der Werkstückträger speichern eine ganze Reihe von Informationen, die entweder vor Beginn der Montage dort abgelegt werden oder während der Produktion laufend ergänzt werden: – Eine eindeutige Identifikation, die den Motor als Individuum eindeutig kennzeichnet und so eine Dokumentation des kompletten Montagevorgangs ermöglicht. – Die Motorvariante. In Abhängigkeit dieser Information werden die typspezifischen Montageschritte an den einzelnen Stationen ausgeführt. – Qualitätsdaten. Nach jedem Montageschritt wird mindestens die Information \’in Ordnung / nicht in Ordnung\‘ auf dem Tag abgelegt. Dies dient sowohl der Qualitätssicherung als auch der Dokumentation. – Anbau-Teile bringen z.T. zusätzliche Informationen mit. Bei der Montage der Injektoren werden deren Leistungsdaten aus einem 2D-Code gelesen und auf dem Tag des Motors abgelegt. Motoren, bei denen ein Montageschritt als \’nicht in Ordnung\‘ gekennzeichnet wurde, werden auf einer Ausschleuß-Spur aus dem Montageprozess genommen. Ein Mitarbeiter kann das RFID-Tag vom Werkstückträger abnehmen und an einem so genannten \’Repair Bay Manager\‘ auslesen. Er erhält von diesem die notwendige Information, was genau am Motor zu reparieren ist. Art und Umfang der Reparatur werden auf dem Datenträger vermerkt und gelangen über diesen Weg in die Dokumentation des Motors. Die Adapterplatten sind mit Telemecanique-RFID-Tags ausgerüstet, auf denen gespeichert wird, wie oft ein Motorblock auf der betreffenden Platte montiert worden ist. Bei diesem Vorgang verschleißen die dazu notwendigen Schrauben, sie müssen nach einer definierten Anzahl von Montagevorgängen ausgetauscht werden. Kommunikation und Steuerungstechnik Für die Kommunikation in der Montagelinie werden Ethernet sowie AS-Interface für die E/As eingesetzt. Das lokale, maschinennahe Ethernet verbindet die Steuerungen Telemecanique Modicon Premium mit den RFID-Stationen, Bedienpulten, PCs sowie Kameras zum Lesen von 2D-Codes. Für dieses Netzwerk kommen die integrierten Ethernet-Schnittstellen auf den Prozessoren der Steuerung zum Einsatz. Ein weiteres Ethernet verbindet sämtliche Steuerungen und die übergeordneten Rechner. Die Möglichkeit der direkten Einbindung der RFID-Stationen in ein Ethernet-Netzwerk ist für die Realisierung des flexiblen Montagesystems ein großes Plus: Nur mit Ethernet lassen sich Knoten leicht einbinden oder verschieben. Änderungen an der Montagelinie lassen sich damit einfach realisieren. Umbauten müssen nicht bis zu den Werksferien warten, sondern lassen sich am Wochenende realisieren – im Sinne der Flexibilität ein großer Vorteil dieser Kommunikationsarchitektur. Vor dem Einschleusen eines Motorblocks in den Montageprozess müssen die RFID-Tags initialisiert werden. Dabei wurde ein spezieller Anwendungsfall realisiert: Hier kommuniziert das RFID-System direkt mit einem PC. Bindeglied zwischen der PC-Applikation für die Datenträger-Initialisierung und der verwendeten RFID-Station ist der OPC-Server, über den der Datentransfer abgewickelt wird. Zahlen, Daten, Fakten Auf der von der ThyssenKrupp Krause GmbH in Bremen realisierten Montagelinie werden vier-Zylinder-Dieselmotoren montiert, derzeit in zehn verschiedenen Varianten. Die Anlage kann im Dreischichtbetrieb alle 30 Sekunden einen Motor montieren, das sind im Jahr 350.000 bis 450.000 Motoren. Sämtliche Montagedaten werden gespeichert und können auch später jederzeit abgerufen werden – wichtig bei Rückrufaktionen, sollte sich ein verwendetes Bauteil im Nachhinein als fehlerhaft oder unzuverlässig erweisen. Der Zeitraum und der Bereich der in dieser Zeit produzierten Motornummern lassen sich damit eindeutig identifizieren. Für Identifikation und Speicherung von Produktions- und Qualitätsdaten sowie der Seriennummern von Anbauteilen während der Montage werden ca. 400 RFID-Tags in Blockbauform mit einer Speicherkapazität von 13KB auf den Werkstückträgern eingesetzt. Die Daten werden an 180 Stationen in der Linie gelesen und geschrieben. Auf den Adapterplatten, den \’Hardware-Schnittstellen\‘ zwischen Werkstück­trägern und Motorblöcken, kommen ca. 500 RFID-Tags in Scheibenform mit 120Byte Speicherkapazität zum Einsatz. Auf diesen Datenträgern befindet sich eine Identnummer für die Adapterplatte, außerdem wird hier festgehalten, wie oft ein Motorblock bereits auf der Platte festgeschraubt wurde. Nach einer definierten Anzahl von Verschraubungen werden die Schrauben wegen Verschleiß ausgetauscht. Mit der Ethernet-Anbindung ist Ositrack sehr schnell in webbasierte Automatisierungslösungen integriert. Die Baugröße der Telemecanique-RFID-Erfassungsstationen setzt laut Hersteller neue Maßstäbe. Die komplette Einheit aus Antenne, Auswertung und Kommunikation findet in einem Gehäuse von 40x40x15mm Platz. Die Geräte sind damit laut Hersteller die kleinsten derzeit am Markt verfügbaren. Für den Anwender erschließen sich also neue Möglichkeiten auch dort, wo der RFID-Einsatz bislang an der Baugröße der Geräte scheiterte. Die Leistungsdaten: – Die Datenübertragung ist mit 1,75kBit/s sehr schnell. – Das System lässt sich mit der Schutzart IP68 und einem Betriebstemperatur-Bereich von -25°C bis +70°C auch in rauer Umgebung betreiben. Zu den Schreib-/Lesestationen gehört eine Palette von Datenträgern für verschiedene Anwendungsfälle. Dazu gehören scheiben- und quaderförmige sowie zylindrische Bauformen mit bis zu 13KB Speicher. Darüber hinaus können wegen der Konformität mit der ISO-Norm für RFID-Systeme auch Datenträger anderer Hersteller verwendet werden. Die Bauform der kompakten RFID-Stationen ist identisch mit der Sensorikbauform C bzw. D. Deswegen kann das komplette für Sensoren verfügbare Montagezubehör verwendet werden, wie beispielsweise Befestigungswinkel. Das zugehörige Verkabelungs-Programm mit M12-Steckleitungen und -Leitungsdosen sowie ein Windows CE-basiertes Handheld-Terminal zur Vorort-Konfiguration und -Wartung runden die universell einsetzbare RFID-Lösung Telemecanique Ositrack ab. Standards Telemecanique Ositrack setzt konsequent die weltweiten RFID-Standards um: Das System arbeitet auf einer Frequenz von 13,56MHz und wurde gemäß den Normen ISO18000-3, ISO15693 und ISO14443 entwickelt. Das neue Identsystem Telemecanique Ositrack knüpft nahtlos an die bereits in der Sensorik erfolgreiche OsiconceptTechnologie an. Das bedeutet für den Anwender: einfach zu handhabende Produkte, die sich weitestgehend selbst auf die Einsatzbedingungen einstellen. Autoren: Olaf Scheuer ist Project Manager Controls Departement und Hans Jürgen Templin ist Manager Controls Departement bei der ThyssenKrupp Krause GmbH, Bremen. Thomas Hammermeister ist Marketing Manager Externe Kommunikation bei der Schneider Electric GmbH, Ratingen. Kasten: RFID-System Telemecanique Ositrack Das Identsystem Telemecanique Ositrack basiert auf dem weltweiten ISO-Standard für RFID-Systeme. Damit lassen sich Objekte im Fertigungsprozess einfach verfolgen. Bei Bedarf können sämtliche Produktionsdaten für jedes einzelne Produkt individuell gesammelt und dokumentiert werden. Die Schreib-/Lesestationen benötigen kein eigenes Programm – jegliche Programmierung der Stationen entfällt. Die übergeordnete Steuerung beschreibt und liest lediglich den entsprechenden Datenbereich der Station, den Datenaustausch zwischen Station und Datenträger übernimmt die Station selbsttätig. Ositrack kann in unterschiedlichen Netzwerk- und Feldbus-Architekturen eingesetzt werden: Unterstützt werden Modbus, Unitelway und Ethernet TCP/IP.

Schneider Electric GmbH
http://www.schneiderelectric.de

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