Ethercat: offene Technologie
Ethercat ist die Industrial Ethernet-Technologie, die gekennzeichnet ist durch ihre hohe Performance, niedrige Kosten, eine flexible Topologie und ihre einfache Handhabung. Ethercat wurde von der Firma Beckhoff Automation GmbH entwickelt und 2003 erstmals vorgestellt. Seit 2007 ist Ethercat internationaler Standard und wird durch die Ethercat Technology Group (ETG) gefördert und weiterentwickelt. Als offene Technologie darf Ethercat von jedem implementiert und genutzt werden.
Schnell, flexibel und präzise – geht es darum, anspruchsvolle Bewegungsabläufe praktisch umzusetzen, eignet sich Ethercat als die schnellste verfügbare Industrial Ethernet-Technologie. Gerade im Bereich des Materialtransports verlangt die Industrie nach neuen Lösungen. Die in einer Anlage eingesetzten Antriebe müssen in der Lage sein, Produkte schnell, präzise und zuverlässig weiterzugeben. Darüber hinaus steigen die Anforderungen an kompakte Bauweisen zur platzsparenden Konzeption neuer Maschinen und Anlagen. Mit der XTS-Technologie (eXtended Transport System) der Firma Beckhoff ist es gelungen, diese Anforderungen zu erfüllen: Die Technologie vereint die Eigenschaften bewährter Rotations- und Linearantriebssysteme und ermöglicht dadurch ein Antriebssystem, welches das bisherige lineare Motorprinzip um eine maßgebliche Komponente erweitert: den fließenden Durchlauf im Kreis.
Endloser Linearantrieb
Erreicht wird dieser zyklische Durchlauf durch die Aneinanderreihung eines oder mehrerer leitungsloser Mover, die auf einer flexiblen modularen Streckenkonfiguration mithilfe von aneinandergereihten Magnetspulen dynamisch mit bis zu 4m/s bewegt werden. Die Magnetspulen werden dabei durch die Antriebsverstärker im jeweiligen Modul angesteuert, die es mit einer stetig wechselnden Anzahl von Movern zu tun haben. Um die Mover nahtlos von einem Modul zum nächsten weiterzugeben, muss die Regelung zentral erfolgen. Hinzu kommt die große Anzahl der Positionssensoren und Spulen im System. Alle 30mm befindet sich ein Positionssensor, der – genau wie die Spulen – präzise im 250µs-Takt abgefragt werden muss. Um das zu ermöglichen, müssen ca. 80MBit/s Prozessdaten pro drei Meter Wegstrecke von den verteilten Modulen transportiert werden. Und da es sich bei XTS um ein präzises Antriebssystem handelt, müssen diese Daten nahezu jitterfrei erfasst bzw. ausgegeben werden. Die hochgenaue Synchronisierung der Netzwerkteilnehmer ist ebenfalls erforderlich – bei längeren Wegstrecken sogar über mehrere Ethercat-Segmente hinweg.
Ohne Ethercat undenkbar
Bei der Entwicklung der XTS-Technologie spielten die Anforderungen an das Kommunikationssystem eine tragende Rolle. Um diese zu erfüllen, war vor allem das Funktionsprinzip von Ethercat ausschlaggebend: Entgegen klassischer Systeme werden bei Ethercat die Ethernet-Frames von den Ethercat Slave-Geräten im Durchlauf – sprich \’on the fly\‘ – verarbeitet. Jeder Netzwerkteilnehmer entnimmt die ihm bestimmten Daten aus den gemeinsam genutzten Frames bzw. schreibt seine Informationen in dieselben Frames, ohne diese wie sonst üblich erst zu empfangen, dann zu verarbeiten und dann wieder abzuschicken. Dieser Prozess ermöglicht die weitgehend verzögerungsfreie Bearbeitung der Frames in den Ethercat-Slave-Controllern direkt während der Weiterleitung, woraus sich die folgenden Eigenschaften von Ethercat ableiten lassen.
Eigenschaften von Ethercat
Die Netto-Nutzdatenrate erhöht sich auf über 95% der Bitrate, da der Ethernet Frame Overhead nur einmal alle 1.500 Bytes Prozessdaten anfällt und nicht wie gewöhnlich einmal pro Teilnehmer und Richtung. Somit werden auch mit 100MBit/s-Ethernet die geforderten 80MBit/s übertroffen. Da dieselben Frames für Ein- und Ausgangsdaten verwendet werden können, steht bei Ethercat die Bandbreite voll-duplex zur Verfügung. Das ermöglicht eine maximale Ausnutzung der Bandbreite: Aus 100MBit/s Brutto-Bandbreite werden idealerweise 200MBit/s. Protokoll-Stack-Durchlaufzeiten spielen keine Rolle, da die Ethercat-Slave-Controller die Frames in Hardware verarbeiten. Dadurch werden die Prozessdaten der lokalen Anwendung sofort nach Durchlauf des Frames verzögerungsfrei zur Verfügung gestellt. Mithilfe hochgenauer Uhren in den Slave-Controllern, die synchronisiert werden, wird ein gemeinsamer Systemtakt erzeugt. Dessen Genauigkeit ist vom Frame-Sende-Jitter des Masters unabhängig. Dadurch wird eine Synchronisationsgenauigkeit der Netzteilnehmer im zweistelligen Nano-Sekundenbereich erreicht. Mit Ethercat werden die Frames ohne Einfluss der Software im Chip weitergeleitet, die Durchleiteverzögerung ist minimal und bleibt konstant. Bei der Synchronisierung der in den Teilnehmern verteilten Uhren kann die Verzögerung daher herausgerechnet werden; die Gleichzeitigkeit der Abtastung entspricht der Synchronisationsgenauigkeit. Rein physikalisch gesehen handelt es sich bei Ethercat stets um eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung. Etwaige EMV-Einflüsse werden nicht auf den nächsten Teilnehmer übertragen und verteilen sich deshalb nicht über das ganze System. Trotz der hohen Datenrate wird Ethercat dadurch sehr robust. Tritt dennoch eine Störung auf, wird der Bitfehler mithilfe des CRC-Checks diagnostiziert und lokalisiert. Jeder Teilnehmer überprüft stets jedes Frame, selbst wenn er nicht an der aktuellen Kommunikation beteiligt ist. Jeder der Ethercat-Slave-Controller stellt bis zu vier Ports bereit. Dadurch ergibt sich eine hohe Topologie-Flexibilität – auch ohne Switches oder Hubs. Beim XTS-System etwa sind die einzelnen Module im Daisy-Chain-Verfahren aneinandergereiht. Trotz der hohen Performance sowie der präzisen Synchronisierung sind die Anforderungen an die Hardware des Masters bei Ethercat gering: Ein einziger Standard-Ethernet-Port ist ausreichend, und spezielle Busmaster-Chips oder Kommunikations-Coprozessoren, wie sie bei den klassischen Feldbussen oder anderen Industrial Ethernet-Systemen erforderlich sind, werden überflüssig. Aufgrund dieser Eigenschaften eignet sich Ethercat als Kommunikationssystem für die XTS-Technologie. Neben Ethercat als Kommunikationssystem waren für die anspruchsvolle Entwicklung der Transport-Technologie eine leistungsfähige PC-Architektur notwendig, die die erforderliche Rechenleistung bereitstellt. Darüber hinaus war eine entsprechende Software (Twincat) erforderlich, um diese Rechenleistung in ein einfach zu konfigurierendes Steuerungssystem umzusetzen.