Safety-Konzept für Crash-Simulationsanlage

Kurzes aber heftiges Gefährdungspotenzial

Risikobeurteilungen zu Maschinensicherheit und Arbeitsschutz im Sinn der geltenden Maschinenrichtlinie sind komplexe Prozesse, die umfangreiches Fachwissen erfordern. Die Continental Safety Engineering International in Alzenau hat sich zur Umsetzung eines adäquaten Safety-Konzeptes für eine Crash-Simulationsanlage und der dazu erforderlichen CE-Kennzeichnung die Unterstützung der Sicherheitsexperten von Leuze electronic geholt.

Alzenau, Continental Safety Engineering, Crash-Simulationsanlage: Die Halle mit der im Branchenjargon als Schlittenanlage bezeichneten Katapulteinrichtung ist menschenleer. Konzentriert blicken die Mitarbeiter aus der Leitwarte auf den Versuchsaufbau, geschützt durch eine Panzerglasscheibe. Bereit zum Auslösen beginnt der Anlagenführer mit seinem Countdown: 5 – 4 – 3 – 2 – 1 -Schuss! Kaum ist sein Kommando verklungen, ist auch schon wieder alles vorbei. Das betrifft sowohl die versuchsrelevante Datenaufzeichnung, die schon nach 100 bis 150ms abgeschlossen ist, als auch das hohe Gefährdungspotenzial im Hinblick auf Maschinensicherheit und Arbeitsschutz. Je nach Beschleunigung und Massen steht spätestens nach 1 bis 1,5s wieder alles still. \“Genau daraus resultiert die hohe Einstufung nach Performance Level d, nämlich die jeweils kurze Zeit der Gefährdungsexposition, innerhalb der es aber zu ernsten, üblicherweise irreversiblen Verletzungen einschließlich Tod kommen kann. Bei der Einstufung wird die Möglichkeit zur Vermeidung der Gefährdung unter bestimmten Bedingungen berücksichtigt\“, erklärt der für die Schlittenanlage verantwortliche Teamleiter Martin Kahlert. Die Crash-Simulationsanlage ist Teil einer kompletten Testinfrastruktur nach neuestem Stand der Technik, mit der sich die Continental Safety Engineering International – ein Tochterunternehmen des internationalen Automobilzulieferers Continental – der Entwicklung von Systemen für die aktive und passive Fahrzeugsicherheit verschrieben hat. Die Vision von einem der führenden Systementwicklungs- und Versuchsdienstleister ist unfall- und verletzungsfreies Fahren. Neben der Teststrecke, dem Continental Safety Park, stehen eine Fahrzeug-Crashanlage und die eingangs erwähnte Crash-Simulationsanlage im Mittelpunkt der Einrichtungen. Während in der Fahrzeug-Crashanlage Fahrzeuge oder Fahrzeugprototypen beschleunigt und in Auffahrtests gegen einen Crashblock bzw. bewegte Barrieren oder andere Fahrzeuge gefahren werden, dient die Crash-Simulationsanlage in Form einer servohydraulischen, geregelten Schlittenanlage dazu, Tests ohne die Zerstörung teurer Fahrzeuge durchzuführen.

Lebensgefahr ohne Reaktionszeit

Als Beschleunigungsweg in der Schlittenanlage genügen 1.700mm. Diese Strecke stellt den maximalen Weg dar, auf dem im realen Crash eine Fahrzeugdeformation vom Aufprall mit der Stoßstange bis zum Stillstand erfolgt. Auf diese Distanz steht eine Nennkraft von 2.500kN zur Verfügung, die ein maximales Testgewicht von 3.000kg zuzüglich Eigengewichte für Schlitten und Kolben von nochmal rund 1.500kg mit bis zu 60-facher Erdbeschleunigung katapultieren. In dieser kurzen Zeit werden Schlittengeschwindigkeiten von bis zu 90km/h erreicht. Die Beschleunigungen der enormen Massen für die Simulationstests erfolgen also in Millisekunden von Null auf einen Maximalwert. Würde sich ein Mitarbeiter in diesem Bereich aufhalten, so könnte er die auf ihn zukommende Lebensgefahr nicht einmal mehr wahrnehmen. Selbst im Bereich der anschließenden Schienenstrecke, auf der der Schlitten binnen 1,0 bis 1,5s wieder abgebremst wird, hätte er keinerlei Reaktionszeit. \“Abgesehen davon, dass der eigentliche Gefahrenbereich in seiner gesamten Breite, beispielsweise durch Anbauten für mitgeführte High-Speed-Videokameras sehr variabel ist, können sich im schlimmsten Fall auch von Testobjekten Teile separieren, die dann wie Geschosse durch die Halle fliegen\“, ergänzt Kahlert. Aus diesem Grund müssen vor jeder Crash-Simulation alle Mitarbeiter die Halle verlassen und es ist sicherzustellen, dass während der Versuchsdauer absolut kein Zuritt erfolgen kann.

Gut beraten mit Safety Consulting

Wegen der Größe der Halle, mit zum Teil unübersichtlichen Bereichen und diversen Türen und Toren, ist ein ausgeklügeltes Safety-Konzept erforderlich, das mit Unterstützung und letztlich auch mit Sicherheitskomponenten von Leuze electronic realisiert wurde. In dessen Mittelpunkt steht eine genau festgelegte Routine, nach der vom diensthabenden Anlagenführer persönlich alle Eingänge nacheinander und in bestimmten Zeitfenstern von innen verriegelt werden. Auf diesem Weg, der ihn durch alle Hallenbereiche führt, hat er auch dafür zu sorgen, dass alle Mitarbeiter die Halle verlassen. Nach diesem \’Auskehren der Halle\‘ verlässt er diese selbst durch die Tür in die Leitwarte. Der anstehende Versuch lässt sich nur nach erfolgreicher und korrekter Durchführung dieser Routine mit expliziten Bestätigungen an allen Kontrollstellen auslösen. Im Rahmen des Safety-Consulting-Auftrags ging es um die Entwicklung und Umsetzung eines geeigneten Sicherheitskonzeptes. Das beinhaltete auch die Implementierung einer Sicherheitskleinsteuerung inklusive der erforderlichen Komponenten wie Sicherheits-Zuhaltungen für die Türen, zusätzlicher magnetcodierter Sensoren sowie Sicherheits-Schaltgeräte. Dabei wurde mit der Software Sistema und Safexpert gearbeitet, um die CE-Zertifizierung mit dem Ziel der Konformitätserklärung effizient durchzuführen. Der Softwareassistent zur Bewertung von sicherheitsbezogenen Maschinensteuerungen Sistema (Sicherheit von Steuerungen an Maschinen) bietet eine umfassende Hilfestellung bei der Bewertung der Sicherheit im Rahmen der DIN EN ISO13849-1. Das Tool ermöglicht die Nachbildung der Struktur sicherheitsbezogener Steuerungsteile und erlaubt die automatisierte Berechnung der Zulässigkeitswerte auf verschiedenen Detailebenen einschließlich des erreichten Performance-Levels.

Mit Software und Schulung zum Ziel

Außerdem nutzte Leuze electronic die Software Safexpert für die CE-Kennzeichnung nach Maschinenrichtlinie 2006/42/EG und zur Risikobeurteilung. Diese enthält eine Gefährdungsliste, die eine methodische Vorgehensweise nach EN ISO12100 ermöglicht. Grundlage für das gesamte Sicherheitskonzept war eine gemeinsame Beurteilung der aktuellen, individuellen Sicherheitslage vor Ort. \“Ein wesentlicher Bestandteil für uns war auch die Schulung zur Programmierung der MSI-Sicherheitskleinsteuerung mit der Programmiersoftware MSIsafesoft. Dabei konnten uns die Safety-Experten von Leuze electronic hilfreiche Tipps geben, die für ein Projekt dieser Größenordnung notwendig sind\“, ergänzt Kahlert. Denn es sind hardwareseitig vor allem die MSI Sicherheits-Schaltgeräte, die in Kombination aus innovativer Anschlusstechnik, kompakten und platzsparenden Bauformen sowie übersichtlichem Gehäusedesign zu einer einfachen Umsetzung der Sicherheitsapplikation beitragen. Sie fungieren als Überwachungs- und Integrationsbausteine für die an den Türen und Toren verwendeten L200 Sicherheits-Zuhaltungen, die alle Schutztüren fest verriegeln und somit verhindern, dass während einer Crash-Simulation Personen unerlaubt in die Halle gelangen können.

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Leuze electronic GmbH+Co.KG
http://www.leuze.de

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